Zusatzzoll auf Einfuhr von Waren mit Ursprung in den USA
Leitsatz
Ist Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 entgegen seinem Wortlaut dahin auszulegen, dass solche Waren nicht vom Zusatzzoll betroffen sind, die sich nachweislich zum Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Zusatzzölle auf dem Weg in die Gemeinschaft befinden und deren Bestimmungsort nicht geändert werden kann?
Gesetze: EG Art. 234 Abs. 3VO Nr. 2193/2003 VO Nr. 2193/2003 Art. 4 Abs. 2
Instanzenzug: (EFG 2007, 1225),
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) meldete am eine aus den Vereinigten Staaten von Amerika stammende Sendung Landhausdielen aus Kirschenholz der Unterpos. 4409 20 98 der Kombinierten Nomenklatur, die in den Vereinigten Staaten am zur Verschiffung verladen worden war, zur Abfertigung zum freien Verkehr an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt —HZA—) setzte mit Abgabenbescheid vom selben Tag Einfuhrabgaben (Zusatzzoll und Einfuhrumsatzsteuer) gegen die Klägerin fest. Der Zusatzzoll wurde als Wertzoll nach einem Zollsatz von 5 % gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2193/2003 (VO Nr. 2193/2003) des Rates vom zur Einführung zusätzlicher Zölle auf die Einfuhren bestimmter Waren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika (Amtsblatt der Europäischen Union —ABlEU— Nr. L 328/3) erhoben. Der Einspruch der Klägerin, der sich allein gegen die Erhebung des Zusatzzolls richtete, blieb ohne Erfolg.
Auf die hiergegen erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) den Einfuhrabgabenbescheid insoweit auf, als ein Zusatzzoll festgesetzt und bei der Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer berücksichtigt worden war. Das FG urteilte, dass die Übergangsregelung in Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 unter Berücksichtigung des 6. Erwägungsgrundes der VO Nr. 2193/2003 dahin auszulegen sei, dass kein Zusatzzoll für Waren zu erheben sei, die sich vor dem erstmaligen Anwendungszeitpunkt der Zusatzzollregelung am bereits auf dem Weg in die Gemeinschaft befunden hätten und deren Bestimmungsort nicht habe geändert werden können. Im Streitfall seien diese Voraussetzungen erfüllt.
Mit seiner Revision macht das HZA geltend, dass Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 nicht entgegen seinem eindeutigen Wortlaut auszulegen sei.
II.
Der Senat setzt das Verfahren aus (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft die im Leitsatz bezeichnete Frage zur Vorabentscheidung vor, weil die Auslegung der für die Entscheidung des Streitfalls maßgeblichen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts Zweifelsfragen aufwirft.
1. Soweit der im Streitfall maßgebliche Einfuhrzeitpunkt betroffen ist, lautet Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 2193/2003:
„Zusätzlich zu den gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 [Zollkodex] geltenden Zöllen werden auf die im Anhang dieser Verordnung aufgeführten Waren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten folgende Wertzölle erhoben:
- 5 % vom bis , (...)”
Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 lautet:
„Im Anhang aufgeführte Waren, die sich nachweislich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits auf dem Weg in die Gemeinschaft befinden und deren Bestimmungsort nicht geändert werden kann, sind nicht vom Zusatzzoll betroffen.”
Auch die englische und die französische Sprachfassung des Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 nennen als maßgeblichen Zeitpunkt „the date of entry into force of this Regulation” bzw. „la date d'entrée en vigueur du présent règlement”.
Der dazugehörige 6. Erwägungsgrund zur VO Nr. 2193/2003 lautet hingegen:
„Auf Waren, die nachweislich vor dem Inkrafttreten der Zusatzzölle aus den USA in die Gemeinschaft ausgeführt worden sind, sollten keine Zusatzzölle erhoben werden.”
Die entsprechenden Formulierungen in der englischen und der französischen Sprachfassung dieses Erwägungsgrundes („the date of first application of the additional customs duties” bzw. „la date de la première application de droits de douane supplémentaires”) rechtfertigen die Annahme, dass mit der deutschen Formulierung „Inkrafttreten der Zusatzzölle” der Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Zusatzzölle gemeint ist.
2. Der Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung war der , während der Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO Nr. 2193/2003 der war. Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 und der dazugehörige 6. Erwägungsgrund zur VO Nr. 2193/2003 bezeichnen somit für bereits aus den Vereinigten Staaten ausgeführte Waren, die bei ihrer Einfuhr nicht vom Zusatzzoll betroffen sein sollen, unterschiedliche Zeitpunkte. Diese Diskrepanz erlangt im Streitfall Bedeutung, weil das FG angenommen hat, dass auf dem Seeweg beförderte Waren sich auf dem Weg in die Gemeinschaft mit einem nicht änderbaren Bestimmungsort befinden, wenn sie verladen worden sind und ihr Bestimmungsort in einem Schiffs-Frachtbrief festgelegt ist. Daraus folgend hat das FG für den Streitfall festgestellt, dass sich die Einfuhrwaren der Klägerin, welche unstreitig im Anhang der VO Nr. 2193/2003 aufgeführt sind, ab dem mit nicht änderbarem Bestimmungsort auf dem Weg in die Gemeinschaft befanden. Das HZA hat gegen diese Betrachtungsweise keine Einwendungen erhoben. Der maßgebliche Ausfuhrzeitpunkt lag somit nach dem Inkrafttreten der VO Nr. 2193/2003, aber vor dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Zusatzzölle.
3. Der Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 ist klar und eindeutig; auch der Vergleich mit der englischen und der französischen Sprachfassung gibt keinen Anlass zu Zweifeln. Dies spricht dafür, die Vorschrift gemäß ihrem Wortlaut anzuwenden, zumal dies auch nicht dem mutmaßlichen Sinn und Zweck der Vorschrift zuwiderliefe. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass diese Übergangsvorschrift den Importeuren von Waren aus den Vereinigten Staaten eine verlässliche Grundlage ihrer Preiskalkulation geben und sie davor schützen sollte, im Zeitpunkt der Zollanmeldung durch einen zusätzlichen Zoll überrascht zu werden, der auch nicht mehr zu vermeiden war, weil sich die Waren bereits auf ihrem Weg in die Gemeinschaft befanden, so dürfte ein schützenswertes Vertrauen, die Waren nur nach dem Regelzollsatz verzollen zu müssen, nicht bestehen, wenn Waren —wie im Streitfall— erst nach dem Inkrafttreten der VO Nr. 2193/2003 aus den Vereinigten Staaten mit einem Bestimmungsort in der Gemeinschaft ausgeführt wurden. In einem solchen Fall konnte nämlich der Importeur anhand der im Amtsblatt veröffentlichten Verordnung erkennen, ob in dem —in der Regel vorhersehbaren— Zeitpunkt der Einfuhr seiner aus den Vereinigten Staaten importierten Waren bereits ein Zusatzzoll anwendbar war.
4. Gleichwohl bestehen in Anbetracht des 6. Erwägungsgrundes zur VO Nr. 2193/2003 Zweifel, ob der Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 dem Willen des Verordnungsgebers entspricht.
Die Übergangsvorschrift des Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 konnte angesichts des Zeitraums von zweieinhalb Monaten zwischen dem Inkrafttreten der VO Nr. 2193/2003 und dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Zusatzzölle nur einen geringen Anwendungsbereich haben, denn dass Waren vor dem aus den Vereinigten Staaten nach der Gemeinschaft ausgeführt, jedoch erst nach dem in der Gemeinschaft zur Einfuhr angemeldet werden, konnte allenfalls für Waren in Betracht kommen, die nach ihrer Ausfuhr aus den Vereinigten Staaten zunächst in eine Freizone oder ein Freilager in der Gemeinschaft verbracht und erst später —nach dem — zur Einfuhr angemeldet werden. Allerdings erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber bei Erlass der VO Nr. 2193/2003, die am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten sollte, nicht absehen konnte, wann diese Veröffentlichung erfolgen würde, und somit auch nicht voraussehen konnte, dass die Übergangsvorschrift des Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 nur einen derart geringen Anwendungsbereich haben würde.
Des Weiteren schreiben andere Verordnungen betreffend Zusatzzölle auf Einfuhrwaren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten, wie die Verordnung (EG) Nr. 1031/2002 des Rates vom (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 157/8) und die Verordnung (EG) Nr. 673/2005 des Rates vom (ABlEU Nr. L 110/1), in ihren Übergangsvorschriften den Zeitpunkt der jeweiligen „Anwendung” der Verordnungen als maßgeblich vor. Es spricht deshalb eine gewisse Vermutung dafür, dass der Verordnungsgeber ebenso beim Erlass der VO Nr. 2193/2003 —wie auch der 6. Erwägungsgrund zur VO Nr. 2193/2003 zu zeigen scheint— mit der Übergangs- bzw. Vertrauensschutzregelung des Art. 4 Abs. 2 auf die Erhebung von Zusatzzöllen bei solchen Einfuhrwaren verzichten wollte, die sich im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung dieser Zusatzzölle bereits auf dem Weg in die Gemeinschaft befanden. Somit könnte es sich bei dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 nur um ein Redaktionsversehen in Form einer falschen Wortwahl handeln, welches durch eine im Amtsblatt zu veröffentlichende Berichtigung zu korrigieren ist. Eine entsprechende an die Kommission gerichtete Frage des erkennenden Senats, ob ein Berichtigungsverfahren eingeleitet oder dies beabsichtigt ist, hat die Kommission jedoch nicht beantwortet oder nicht beantworten wollen, sondern gemeint, dass eine Vorabentscheidung des EuGH zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts einzuholen sei. Deshalb hält es der Senat in Anbetracht der aufgezeigten Zweifel, ob der Wille des Verordnungsgebers im Text der Verordnung zutreffend wiedergegeben worden ist, für erforderlich, dem EuGH die aus dem Leitsatz ersichtliche Frage zu stellen.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 918 Nr. 5
BFH/PR 2008 S. 372 Nr. 8
DB 2008 S. 854 Nr. 16
DStRE 2008 S. 778 Nr. 12
HFR 2008 S. 620 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2008 S. 1628
RIW 2008 S. 730 Nr. 10
StB 2008 S. 194 Nr. 6
StBW 2008 S. 7 Nr. 8
YAAAC-75966