BGH Beschluss v. - 5 StR 632/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; StGB § 20; StGB § 21; StGB § 49 Abs. 1

Instanzenzug: LG Berlin, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte, der aufgrund mehrerer Vorverurteilungen einen beachtlichen Teil seines Lebens im Strafvollzug verbracht hatte, am aus der Haft entlassen. Trotz einer engmaschigen Betreuung war er mit der ihm gewährten Unterstützung unzufrieden. Kurz nach seiner Haftentlassung begann er, übermäßig viel Alkohol zu trinken und Diazepam einzunehmen. Dieser Medikamentenmissbrauch verstärkte sich im Februar 2007. Am ließ er sich in einem Juweliergeschäft in der U. in Berlin beraten und zahlreiche Schmuckstücke zeigen. Am nächsten Tag suchte er zunächst die für ihn zuständige Mitarbeiterin der "Freien Hilfe" auf. Dort trat er erregt auf und kündigte an, einen Juwelier am Kurfürstendamm überfallen zu wollen. Die Mitarbeiterin gewann den Eindruck, der Angeklagte sei "psychisch total von der Rolle". Er verließ das Büro der Mitarbeiterin gegen 11.30 Uhr. Etwa 40 Minuten später begab er sich in das Juweliergeschäft in der U. und bat die Inhaberin, ihm einen Ring aus der Fensterauslage vorzulegen. Als sie sich mit dem Ring wieder dem Angeklagten zuwandte, hatte dieser über seine rechte Hand einen durchsichtigen Plastikhandschuh gestreift und damit aus seiner Manteltasche ein Messer hervorgeholt. Er hielt der Inhaberin das Messer drohend vor, öffnete die Lade des Verkaufstresens und entnahm dieser mehrere Schmuckstücke im Gesamtwert von etwa 30.000 Euro, mit denen er flüchtete. Vier Tage später schilderte er seinem Bewährungshelfer die Tat und stellte sich der Polizei.

Die sachverständig beratene Strafkammer hat zugrundegelegt, dass bei dem Angeklagten eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ neben einer Alkoholabhängigkeit vorliege. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass während des Aufenthalts bei der Mitarbeiterin der "Freien Hilfe" die Persönlichkeitsstörung zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt habe. Für eine Beeinflussung durch diese Störung bei der eigentlichen Tat gebe es keinen Hinweis, da sich nicht feststellen lasse, "dass die Borderline-Störung zu diesem Zeitpunkt wirksam" gewesen sei. Der Angeklagte betreibe zwar Alkohol- und Diazepammissbrauch; auch dies stehe aber in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat. Demzufolge sei der Angeklagte bei der Tat voll schuldfähig gewesen.

2. Während die Verfahrensrügen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg bleiben, führt die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Die Bewertung der Schuldfähigkeit durch das Landgericht hält hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Die Feststellungen zum geistig-seelischen Zustand des Angeklagten während der Tatausführung sind lückenhaft und damit für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar (vgl. BGHSt 49, 347, 356; Rdn. 5).

Soweit das Landgericht davon ausgeht, dass die Persönlichkeitsstörung bei der Tatbegehung "nicht wirksam" gewesen sei, steht dies in einem Spannungsverhältnis zu der Feststellung, dass nur 40 Minuten zuvor die Borderline-Störung zu einer nicht ausschließbaren erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt habe. Letzteres setzt voraus, dass die Persönlichkeitsstörung einen solchen Schweregrad erreicht hat, dass sie als nicht ausschließbar erhebliche schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB eingeordnet werden kann (vgl. BGHSt 42, 385, 388). Bei einer solchen Persönlichkeitsstörung handelt es sich aber um einen tief verwurzelten, anhaltenden Zustand im Sinne eines überdauernden Musters von innerem Erleben und Verhalten (vgl. hierzu Diagnostisches und Statistisches Manual DSM-IV 1996, S. 711). Ein plötzliches - innerhalb von 40 Minuten eintretendes - Abflachen der Persönlichkeitsbeeinträchtigung ist mit dieser Diagnose nicht ohne weiteres in Übereinstimmung zu bringen.

Sofern das Landgericht mit seiner Formulierung zum Ausdruck bringen wollte, dass die Persönlichkeitsstörung die Schuldfähigkeit bei dem konkreten Rechtsverstoß, dem Raub, nicht beeinflusst hat, so ist dies nicht tragfähig belegt und eindeutig festgestellt. Ob die Steuerungsfähigkeit bei der Begehung der Tat erheblich eingeschränkt war, hat das Tatgericht in einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung zu bewerten, wobei auch Vorgeschichte, unmittelbarer Anlass und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (BGHSt 49, 45, 54; BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 10, 20, 23, 36), und dies in nachvollziehbarer Weise darzustellen (). Das Landgericht stellt eine solche Gesamtwürdigung nicht an, sondern stützt sich allein auf die zielstrebige und entschlossene, nicht von impulsivem Verhalten geprägte Tatausführung. Dies begegnet für sich genommen bereits Bedenken, da dem Leistungsverhalten für die Beurteilung der Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit durch eine schwere andere seelische Abartigkeit nur eine mindere Bedeutung zukommt (BGH NStZ-RR 2002, 230; BGH StV 2003, 157 f.). Jedenfalls aber ist hier eine Auseinandersetzung mit anderen sich nach den Feststellungen aufdrängenden Aspekten, die für eine forensisch relevante Beeinträchtigung sprechen, unterblieben. So fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Angeklagten, der mit der Bewältigung des Lebens in Freiheit offensichtlich überfordert war, dem unmittelbaren Anlass für die Tat, den handlungsleitenden Motiven und dem auffälligen Vor- und Nachtatverhalten. Hinzu kommt, dass die beiden Sachverhaltskomplexe, die das Landgericht hinsichtlich der Schuldfähigkeit unterschiedlich beurteilt, durch die Ankündigung der Tat - möglicherweise fasste der Angeklagte auch hier, also selbst auf der Grundlage der Feststellungen im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit, den konkreten Tatentschluss - miteinander verknüpft sind, was zu bewerten gewesen wäre.

Besonders aufgedrängt hätte sich aber auch die Erörterung konstellativer Faktoren, wie Alkohol- und Medikamentenintoxikation im Zusammenwirken mit der Persönlichkeitsstörung. Hierzu stellt das Landgericht lediglich fest, dass der Angeklagte Alkohol und Diazepam zu sich genommen hatte, die sich in ihrer Wirkung zwar verstärkt hätten, der Konsum liege aber nur "unterhalb der wahrnehmbaren Grenze". Hierzu stützt sich die Strafkammer auf die Aussage der Inhaberin des überfallenen Geschäfts, wonach sie nur am Tag vor der Tat leichten Alkoholgeruch bei dem Angeklagten wahrgenommen, ihn bei der Tat nicht als nervös empfunden habe und ihr körperliche Ausfallerscheinungen nicht aufgefallen seien. Dabei bleibt nicht nur ungeklärt, ob die Zeugin die Wirkung von Diazepam überhaupt einschätzen konnte und ab welchem Maß eine Intoxikation durch Diazepam für Dritte zu bemerken ist, sondern auch, welchen Einfluss dieses Medikament - zumal im Zusammenwirken mit Alkohol - auf die Steuerungsfähigkeit haben kann. Vor allem bleibt der auffällige Unterschied zum Verhalten des Angeklagten gegenüber der Mitarbeiterin der "Freien Hilfe" 40 Minuten zuvor unerörtert. Der Rückschluss von der Zeugenaussage auf einen nicht wahrnehmbaren Rauschmittelkonsum und damit auf die fehlende Beeinflussung bei der Tat durch diese Faktoren ist damit nicht ausreichend belegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 351/03 - und vom - 5 StR 193/07).

3. Ein Ausschluss der Schuldfähigkeit kommt ersichtlich nicht in Betracht, im Blick auf die Typik und Schwere der festgestellten Persönlichkeitsstörung (vgl. BGHSt 42, 385, 388) auch keine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Der Senat kann aber nicht ausschließen, dass die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Tatzeit vorgelegen haben oder nicht auszuschließen sind und dadurch die - ohne Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB nicht zu beanstandende - Freiheitsstrafe milder ausgefallen wäre.

Fundstelle(n):
DAAAC-73990

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