BFH Urteil v. - X R 16/05

Konkretisierung der geplanten Investition für Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 3 Satz 2 EStG

Gesetze: EStG § 7g, EStG § 4 Abs. 3

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) plante ab dem Jahr 1995 die Errichtung einer Windkraftanlage. Am gab er ein Standortgutachten zur Bewertung des Windaufkommens in X in Auftrag und meldete am ein entsprechendes Gewerbe an. Seit dieser Zeit bemühte er sich um den Ausweis der für die Windkraftanlage benötigten Fläche im Flächennutzungsplan der Gemeinde.

Am meldete der Kläger unter derselben Anschrift, unter der er auch den Betrieb einer Windkraftanlage angemeldet hatte, zusätzlich die Tätigkeit als Händler und Handelsvertreter für Baustoffe an. Aus dieser Tätigkeit erzielte er im Streitjahr 1997 einen Gewinn in Höhe von 292 119 DM und im Streitjahr 1998 in Höhe von 349 587 DM. Seinen Gewinn ermittelte er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Im Zuge der Gewinnermittlung für das Streitjahr 1998 bildete der Kläger für die geplante Investition einer Windkraftanlage eine Ansparrücklage nach § 7g EStG in Höhe von 600 000 DM. Diese erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) zunächst an und berücksichtigte in dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuersteuerbescheid 1998 einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 250 413 DM. Darüber hinaus trug er antragsgemäß einen Verlust in Höhe von 192 046 DM nach § 10d EStG in das Jahr 1997 zurück.

In der Folgezeit gelangte das FA jedoch zu der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Ansparrücklage nicht vorlägen. Es war der Ansicht, der Betrieb der Windkraftanlage und die Tätigkeit als Händler und Handelsvertreter für Baustoffe seien zwei Gewerbebetriebe. Zudem sei der Betrieb der Windkraftanlage im Jahr 1998 noch nicht eröffnet worden. Mit Bescheid vom änderte es den Einkommensteuerbescheid 1998. Unter Berücksichtigung eines Gewinns aus Gewerbebetrieb in Höhe von 349 505 DM setzte es die Einkommensteuer 1998 auf 141 035 DM fest. Am selben Tag erließ es einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1997. Ohne Berücksichtigung eines Verlustrücktrags setzte es die Einkommensteuer 1997 um 81 540 DM höher fest.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Es könne dahingestellt bleiben, ob bei einer gesonderten Betrachtung der Windkraftanlage bereits im Streitjahr 1998 von einem Betrieb i.S. des § 7g Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 EStG gesprochen werden könne. Denn diese Tätigkeit bilde mit dem Baustoffhandel einen einheitlichen Gewerbebetrieb, der im Jahr 1998 bereits eröffnet gewesen sei. Der Betrieb der Windkraftanlage und der Baustoffhandel hingen jedenfalls organisatorisch und finanziell zusammen. Deshalb könne dahinstehen, ob auch ein wirtschaftlicher Zusammenhang zu bejahen sei.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dieses hätte prüfen müssen, ob die Investitionsentscheidung des Klägers im Zeitpunkt der Bildung der Ansparrücklage nach § 7g EStG bereits hinreichend konkretisiert war und der Kläger die Windkraftanlage bereits verbindlich bestellt hatte.

1. Zur Anwendung des § 7g EStG ist bezogen auf den Streitfall von folgenden Regelungen auszugehen:

a) Nach § 7g Abs. 3 bis 5 EStG in der im Streitjahr 1998 geltenden Fassung können Steuerpflichtige, die den Gewinn durch Bestandsvergleich ermitteln, für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines neuen beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens eine den Gewinn mindernde Rücklage bilden. Die Ansparrücklage darf dabei 50 v.H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten des begünstigten Wirtschaftsguts nicht überschreiten, das der Steuerpflichtige „voraussichtlich” bis zum Ende des zweiten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahrs anschaffen oder herstellen wird. Eine Ansparrücklage kann auch gebildet werden, wenn dadurch —wie hier— ein Verlust entsteht oder sich erhöht (§ 7g Abs. 3 Satz 4 EStG).

b) Ermittelt der Steuerpflichtige —wie im Streitfall— den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG, so sind gemäß § 7g Abs. 6 EStG die Abs. 3 bis 5 mit Ausnahme von Abs. 3 Nr. 1 mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Bildung der Rücklage als Betriebsausgabe (Abzug) und ihre spätere Auflösung als Betriebseinnahme (Zuschlag) zu behandeln ist.

c) Gemäß § 7g Abs. 7 EStG sind, wenn die Rücklage von einem Existenzgründer im Wirtschaftsjahr der Betriebseröffnung und in den fünf folgenden Wirtschaftsjahren (Gründungszeitraum) gebildet wird, die Abs. 3 bis 6 mit der Maßgabe anzuwenden,

dass

- das begünstigte Wirtschaftsgut vom Steuerpflichtigen voraussichtlich bis zum Ende des fünften auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahrs angeschafft oder hergestellt wird;

- der Höchstbetrag in Abs. 3 Satz 5 für im Gründungszeitraum gebildete Rücklagen 600 000 DM beträgt und

- die Rücklage spätestens am Ende des fünften auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahrs gewinnerhöhend aufzulösen ist.

Bei diesen Rücklagen findet Abs. 5 keine Anwendung.

2. Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung darüber, ob und ggf. wie nachzuweisen oder glaubhaft zu machen ist, dass eine Investition i.S. von § 7g Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 EStG „beabsichtigt” ist (, BFHE 197, 448, BStBl II 2002, 385).

a) Der XI. Senat des BFH hat in seinem Urteil in BFHE 197, 448, BStBl II 2002, 385 entschieden, dass der Steuerpflichtige die Investitionsabsicht nicht glaubhaft machen müsse. Allerdings müsse die „voraussichtliche” Investition bei Bildung der Rücklage so genau bezeichnet werden, dass im Investitionsjahr festgestellt werden könne, ob eine vorgenommene Investition derjenigen entspreche, für deren Finanzierung die Rücklage gebildet worden sei; es seien Angaben insbesondere zur Funktion des Wirtschaftsguts sowie zu den voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten erforderlich. Im Urteil vom XI R 52/04 (BFHE 212, 208, BStBl II 2006, 462) hat der XI. Senat des BFH zudem klargestellt, dass für jedes einzelne Wirtschaftsgut, das voraussichtlich angeschafft oder hergestellt wird, eine gesonderte Rücklage zu bilden sei. Dementsprechend seien bei mehreren künftigen Investitionen die einzelnen Rücklagen in der Buchführung jeweils getrennt zu behandeln. Zudem setze § 7g Abs. 6 EStG durch die Bezugnahme auf § 7g Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 EStG tatbestandsmäßig voraus, dass Bildung und Auflösung der Ansparrücklage wie in einer Buchführung verfolgt werden können. Der Steuerpflichtige müsse sowohl die einzelnen Geschäftsvorfälle festhalten als auch die betriebliche Veranlassung für geltend gemachte Betriebsausgaben belegen oder ggf. in anderer Form nachweisen. Für den Betriebsausgabenabzug nach § 7g Abs. 6 EStG sei die Willensbekundung notwendig, eine solche Ansparrücklage für ein —konkretes— Wirtschaftsgut zu bilden. Die investitionsbezogenen Angaben müssten buchmäßig verfolgt werden können, auch wenn § 7g Abs. 6 EStG nicht die Aufnahme der erst noch anzuschaffenden oder herzustellenden Wirtschaftsgüter in laufend zu führende Verzeichnisse voraussetze.

b) Der IV. Senat des BFH hat im Urteil vom IV R 30/00 (BFH/NV 2002, 1097) entschieden, dass für erst noch zu eröffnende Betriebe eine ausreichend konkretisierte Investitionsentscheidung hinsichtlich der wesentlichen Betriebsgrundlagen zu verlangen sei. Zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme der Förderung sei die verbindliche Bestellung der wesentlichen Betriebsgrundlagen eines erst zu eröffnenden Betriebs erforderlich.

c) Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen (Urteil vom X R 51/00, BFHE 200, 343, BStBl II 2004, 184). Das Tatbestandsmerkmal „voraussichtlich” in § 7g Abs. 3 Satz 2 EStG erfordere eine Prognoseentscheidung über das künftige Investitionsverhalten des Steuerpflichtigen. Anderenfalls wäre es Steuerpflichtigen möglich, die Ansparabschreibung „ins Blaue hinein” ohne Konkretisierung in Anspruch zu nehmen und bei Existenzgründern würden die infolge nicht erfüllter Investitionsversprechen in Anspruch genommenen Steuervorteile zudem nicht durch den Gewinnzuschlag nach § 7g Abs. 5 EStG ausgeglichen. Auf das Vorliegen eines Missbrauchs kommt es hierbei nicht an.

3. Nach den vorstehenden Grundsätzen konnte der Kläger eine gewinnmindernde Rücklage nach § 7g EStG nur dann bilden, wenn er seine Investitionsentscheidung hinsichtlich der wesentlichen Betriebsgrundlagen ausreichend konkretisiert und die Windkraftanlage am Ende des Gewinnermittlungszeitraums 1998 verbindlich bestellt hatte.

a) Es kann dahinstehen, ob der Kläger im Jahr 1998 mehrere gewerbliche Betriebe unterhalten hat (vgl. hierzu Senatsurteil vom X R 130/87, BFHE 158, 80, BStBl II 1989, 901). Die in der Phase der Betriebseröffnung geltenden strengeren Anforderungen an die Konkretisierung der vorgeblich geplanten Investitionen gelten gleichermaßen für den Fall, dass der Steuerpflichtige durch diese Investition seinen Unternehmensgegenstand auf einen weiteren Geschäftszweig ausdehnen will oder eine „wesentliche” Kapazitätserweiterung plant (Senatsurteil in BFHE 200, 343, BStBl II 2004, 184, unter II.5.a). Die dagegen in der Literatur erhobenen Einwände (vgl. Schmidt/Kulosa, EStG, 26. Aufl., § 7g Rz 37; Meyer/Ball, Finanz-Rundschau —FR— 2004, 984, 990; Paus, FR 2005, 800; Wendt, Deutsche Steuer-Zeitung 2005, 777, 781) gehen fehl.

§ 7g Abs. 3 Satz 2 EStG setzt voraus, dass ein Wirtschaftsgut in einem nachfolgenden Wirtschaftsjahr „voraussichtlich” angeschafft oder hergestellt wird. Das Tatbestandsmerkmal „voraussichtlich” erfordert eine Prognoseentscheidung über künftiges Investitionsverhalten des Steuerpflichtigen, die bei Steuerpflichtigen, die den Gewinn nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG ermitteln, aus der Sicht des jeweiligen Bilanzstichtags und bei Steuerpflichtigen, die —wie im Streitfall— ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, aus der Sicht des Endes des Gewinnermittlungszeitraums zu treffen ist. Bei bestehenden Betrieben können für diese Prognoseentscheidung die Verhältnisse vergangener Veranlagungszeiträume wichtige Anhaltspunkte liefern. Wird hingegen ein Betrieb neu gegründet oder soll der Unternehmensgegenstand auf einen weiteren Geschäftszweig ausgedehnt werden, fehlen derartige Erkenntnisse, die in die Prognoseentscheidung einbezogen werden können. Ohne verbindliche Bestellung jedenfalls der wesentlichen Betriebsgrundlage, für welche die Ansparabschreibung gebildet werden soll, könnte die Rücklage nach § 7g EStG „ins Blaue hinein” ohne Konkretisierung in Anspruch genommen werden. Eine nicht durch objektivierte wirtschaftliche Gegebenheiten, an welche eine Prognose anknüpfen könnte, gedeckte Minderung des steuerlichen Ergebnisses wäre unvereinbar mit der generell an Steuertatbestände zu stellenden Anforderung, dass der Gesetzgeber Belastungsgründe „möglichst unausweichlich” normieren muss (vgl. hierzu Senatsurteil in BFHE 200, 343, BStBl II 2004, 184).

b) Der am angemeldete Betrieb Windkraftanlage hatte am das bloße Vorbereitungsstadium noch nicht überschritten. Vielmehr war nach den Feststellungen des FG noch Ende 2004 die Phase der Betriebseröffnung des Betriebs oder Betriebsteils Windkraftanlage nicht beendet. Zu diesem Zeitpunkt bemühte sich der Kläger noch immer um den Ausweis der für die geplante Windkraftanlage benötigten Fläche im Flächennutzungsplan der Gemeinde.

c) Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, ob der Kläger Ende 1998 seine Investitionsentscheidung hinsichtlich der wesentlichen Betriebsgrundlagen ausreichend konkretisiert und die Windkraftanlage Ende 1998 verbindlich bestellt hatte. Nur in diesem Fall konnte er eine Ansparrücklage nach § 7g EStG bilden.

4. Soweit die weiteren Feststellungen des FG ergeben sollten, dass der Kläger die Windkraftanlage Ende 1998 bereits verbindlich bestellt hatte, wird das Gericht weiter zu klären haben, ob der Kläger die Voraussetzungen des § 7g Abs. 7 EStG erfüllt und Existenzgründer im Sinne der Vorschrift ist.

5. Beim Einwand des FA, das FG habe die Rechtsprechung des BFH zur hinreichenden Konkretisierung geplanter Investitionen nicht beachtet, handelt es sich —anders als der Kläger in der Revisionserwiderung meint— um kein neues tatsächliches Vorbringen, das im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden kann (§ 118 Abs. 2 FGO). Da das FA die Verletzung materiellen Rechts gerügt hat, musste der BFH im Übrigen das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf die Verletzung revisiblen Rechts hin überprüfen, ohne an die vom FA vorgebrachten Revisionsgründe gebunden zu sein.

6. Sofern die weiteren Feststellungen des FG ergeben sollten, dass der Kläger im Jahr 1998 keine Ansparrücklage bilden konnte, wird ihm im Streitjahr 1997 auch der beantragte Verlustabzug zu versagen sein.

7. Eine Vertagung der Streitsache —wie vom Klägervertreter mit Schriftsatz vom angeregt— nach § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung war im Streitfall nicht geboten, da Entscheidungsreife gegeben war.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 559 Nr. 4
HFR 2008 S. 228 Nr. 3
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2008 S. 440
GAAAC-71406