BGH Beschluss v. - IV ZR 256/05

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 286; ZPO § 397; ZPO § 402; ZPO § 411 Abs. 3; ZPO § 442; ZPO § 531 Abs. 2; ZPO § 544 Abs. 7

Instanzenzug: LG Wuppertal 5 O 151/00 vom OLG Düsseldorf I-14 U 163/04 vom

Gründe

I. 1. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 48.500 DM in Anspruch. Sie hat behauptet, der Beklagte habe einen Schuldschein über diese Darlehenssumme mit Datum vom an diesem Tage in Gegenwart von Zeugen unterschrieben. Der Beklagte trägt demgegenüber vor, seine Unterschrift unter diesem Schuldschein sei ebenso gefälscht wie jene unter einer mit "Erklärung und Ehevorvertrag" bezeichneten Urkunde mit dem Datum des , in dem die Klägerin erklärte, sie sei bereit, am Tage der Eheschließung mit dem Beklagten auf alle Rechte aus dem Darlehen zu verzichten. Hilfsweise wendet der Beklagte ein, er habe unter beiden Urkunden Blankounterschriften geleistet, es handele sich also um einen Fall von Blankettmissbrauch.

2. Das Landgericht hat zur Frage der Echtheit der Unterschriften des Beklagten unter den beiden Urkunden sowie zur zeitlichen Abfolge von Textschrift und Unterschrift Gutachten des Schriftsachverständigen T. eingeholt. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, die Unterschriften unter den beiden Urkunden seien mit hoher Wahrscheinlichkeit, die bereits zur an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit tendiere, echte Unterschriftsleistungen des Beklagten. Nach kritischer Stellungnahme des Beklagten dazu gab das Landgericht dem Sachverständigen eine Ergänzung seines Gutachtens auf und kündigte neuen Termin zu dessen Anhörung an. Nach Eingang des Gutachtens bestimmte es Termin zur Anhörung des Sachverständigen und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung. Wegen dauerhafter Erkrankung des Sachverständigen sah es schließlich jedoch von einer mündlichen Anhörung ab und holte stattdessen eine weitere schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen ein. Die Klägerin hatte dieser Verfahrensweise zuvor zugestimmt; der Beklagte hatte sich nicht geäußert. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Klägerin habe den Beweis für die Echtheit der Unterschrift des Beklagten unter dem Schuldschein mithilfe des Gutachtens des Schriftsachverständigen T. geführt, ein Blankettmissbrauch sei weder hinsichtlich des Schuldscheins noch hinsichtlich des so genannten Ehevorvertrages bewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg gehabt.

3. Mit seiner Beschwerde beanstandet der Beklagte unter anderem die unterbliebene persönliche Anhörung des Schriftsachverständigen in der mündlichen Verhandlung sowie die unterbliebene Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens; insoweit rügt er die Verletzung seines Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Im Übrigen habe nur die Klägerin, nicht aber er, der Beklagte, sein Einverständnis mit dem Verzicht auf die persönliche Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung erklärt.

II. Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Es verletzt den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör, dass das Berufungsgericht den gerichtlich bestellten Schriftsachverständigen T. nicht zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens sowie der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme angehört hat.

1. Dabei kann offen bleiben, ob sich diese Verletzung von Verfahrensrecht bereits aus einer Missachtung des unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO bestehenden Rechtes einer Partei ergibt, die persönliche Anhörung eines Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens zu verlangen. Zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs haben die Parteien nach §§ 397, 402 ZPO ohne Rücksicht darauf, ob das Gericht seinerseits noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Sachverständige seine Auffassung noch ändert, einen Anspruch darauf, dass sie ihm die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich halten, in mündlicher Anhörung stellen können (st. Rsp.; vgl. nur Senatsbeschluss vom - IV ZR 182/05 - VersR 2006, 950 unter II 1 Tz. 6 m.w.N.). Einen solchen Antrag hat der Beklagte indessen nicht ausdrücklich gestellt. Ob seinem Verlangen auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens jedenfalls hilfsweise ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen T. zu entnehmen war und ob sich der Beklagte zwar nicht ausdrücklich, wie das Berufungsgericht meint, aber zumindest stillschweigend mit einer (weiteren) schriftlichen Erläuterung des Sachverständigen einverstanden erklärt hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn das Berufungsgericht war schon von Amts wegen verpflichtet, nicht ohne eine mündliche Anhörung des Schriftsachverständigen zum Nachteil des Beklagten zu entscheiden.

2. a) Sachverständigengutachten unterliegen gemäß § 286 ZPO der freien Beweiswürdigung durch das Gericht ( - NJW 1982, 2874 unter I 1). Auf dem Gebiet der Schriftgutachten wird das durch § 442 ZPO ausdrücklich bestätigt. Dabei hat das Gericht das Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen sorgfältig und kritisch zu würdigen (BGH aaO). Das gilt insbesondere dann, wenn die Echtheit eines Schriftzuges anhand von Vergleichsmaterial zu beurteilen ist und der Sachverständige auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles, etwa wegen der Qualität des ihm zur Verfügung stehenden Vergleichsmaterials, nur zu einer Wahrscheinlichkeitsaussage gekommen ist. Dann kann die Erörterung des Gutachtens mit dem Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung, die grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegt (§ 411 Abs. 3 ZPO) unumgänglich werden, um Zweifel zu klären und Unklarheiten zu beseitigen ( - NJW 1982, 2874 unter I 2; vom - VIII ZR 215/00 - NJW 2001, 3269 unter II 1 a Tz. 15). Danach durfte sich das Berufungsgericht im vorliegenden Fall der erstinstanzlichen Würdigung des Schriftsachverständigengutachtens nicht allein an Hand der schriftlichen Stellungnahmen und Erläuterungen des Sachverständigen T. anschließen.

b) Das Berufungsgericht hat sich zwar mit der auch vom Sachverständigen mehrfach und deutlich hervorgehobenen minderen Eignung des Schriftvergleichsmaterials und mit den Auswirkungen dieses Umstandes auf die Aussagekraft der Schlussfolgerungen des Sachverständigen auseinandergesetzt. Durchgreifenden Bedenken begegnet es jedoch, dass das Berufungsgericht ohne weitere Nachfrage die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom , wonach er trotz Fehlens ausreichender Vergleichsunterschriften "praktisch keine Zweifel an der Echtheit der beiden Unterschriften" habe, in seine Würdigung einbezogen hat. Damit hat es sich den Blick dafür verstellt, dass der Sachverständige andererseits auf gesicherter Grundlage, nämlich unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Vergleichsmaterials, lediglich eine Wahrscheinlichkeitsaussage dahingehend zu treffen vermochte, die Echtheit sei "mit hoher Wahrscheinlichkeit" festzustellen, die "bereits zu der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit hin tendiere". Dieser Widerspruch war klärungsbedürftig, zumal der Sachverständige selbst die Zuordnung des Echtheitsgrades zur sechsten Stufe der Skala - mit einer Tendenz zur siebten Stufe - nach einem Vergleich mit lediglich provozierten Unterschriften schon für sich genommen als seltenen Ausnahmefall bezeichnet hatte.

III. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Sollte die nunmehr nachzuholende mündliche Anhörung des Sachverständigen T. , etwa wegen dessen fortbestehender Erkrankung, nicht möglich sein oder sonst - etwa infolge technisch unzureichender Ausstattung des Sachverständigen - in der Sache keinen Erfolg versprechen, wird das Berufungsgericht insgesamt eine neue Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen erwägen müssen (§ 412 Abs. 1 ZPO; vgl. insoweit - NJW 1992, 1459 unter III).

2. Je nach Ausgang der mündlichen Anhörung bzw. der neuen Begutachtung wird das Berufungsgericht auch das Beweisangebot des Beklagten in Betracht ziehen müssen, wonach eine chemische Analyse des für den Schuldschein und den sog. Ehevorvertrag benutzten Papiers näheren Aufschluss über deren Entstehungszeitpunkt geben könne. Zur Auslegung und Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO verweist der Senat auf den - NJW 2007, 1531 unter III).

Fundstelle(n):
RAAAC-66947

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein