OFD Hannover - S 0256 - 2 - StO 143

Entschädigung von Auskunftspflichten und Sachverständigen im Besteuerungsverfahrens

1 Geltungsbereich

Die Vorschrift des § 107 AO gilt in allen Abschnitten des Besteuerungsverfahrens einschließlich des Außenprüfungs-, Erhebungs-, Vollstreckungs- und Einspruchsverfahrens, nicht jedoch im Straf- und Bußgeldverfahren.

Werden im Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat oder im Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit Zeugen gehört oder Sachverständige bestellt, so ist nicht § 107 AO, sondern § 405 AO ebenfalls in Verbindung mit dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz – JVEG – (eingeführt ab durch Art. 2 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (KostRMoG) vom ( BGBl 2004 I S. 718; BStBl 2004 I S. 486)) anzuwenden.

Eine besondere gesetzliche Regelung besteht für Dritte, die aufgrund eines Beweiszwecken dienenden Ersuchens der Strafverfolgungsbehörde Gegenstände herausgeben (§ 95 Abs. 1 StPO) oder die Pflicht zur Herausgabe entsprechend einer Anheimgabe der Strafverfolgungsbehörden abwenden, Auskunft erteilen oder die Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs ermöglichen (§ 100b Abs. 3 StPO). Diese Dritten haben nach § 23 Abs. 1 JVEG einen Anspruch darauf, wie Zeugen entschädigt zu werden.

Die nachfolgenden Regelungen haben nur die Entschädigung von Auskunftspflichtigen und Sachverständigen nach § 107 AO zum Gegenstand.

Dabei ist zu beachten, dass Personen, die ausschließlich als Vorlageverpflichtete nach § 97 AO vom Finanzamt herangezogen werden, keine Entschädigung zusteht (vgl. Tz. 5.1.7).

2 Entschädigungsberechtigte

2.1 Die von einem Finanzamt zu Beweiszwecken herangezogenen Auskunftspflichtigen (§ 93 AO, nicht § 93a AO) und Sachverständigen (§ 96 AO) erhalten auf Antrag eine Entschädigung oder Vergütung in entsprechender Anwendung des JVEG, soweit sie weder Beteiligte (§§ 78, 359 AO) sind noch die Auskunftspflicht für einen Beteiligten zu erfüllen haben (wie z. B. die gesetzlichen Vertreter und die Verfügungsberechtigten i. S. d. §§ 34, 35 AO sowie die Bevollmächtigten und die von Amts wegen bestellten Vertreter der Beteiligten i. S. d. §§ 80, 81 AO, die zur Auskunftserteilung für die Vertretenen = Beteiligten verpflichtet sind).

Auskunftspflichtige können natürliche Personen, juristische Personen und Personengesellschaften sein. Entschädigungsberechtigt sind auch Geldinstitute (Banken, Sparkassen und die Deutsche Postbank AG).

Nimmt ein Auskunftspflichtiger oder ein Sachverständiger eine Hilfsperson (z. B. Steuerberater) in Anspruch, so hat diese keinen eigenen Entschädigungsanspruch (, n. v.).

2.2 Die dem Drittschuldner durch die Erfüllung seiner Erklärungspflicht gem. § 316 AO entstehenden Kosten sind nicht nach § 107 AO zu erstatten. Dies gilt auch, wenn das Finanzamt die Angaben in der Drittschuldnererklärung für unzureichend hält und deshalb um Ergänzung oder Vervollständigung nachsucht. Eine Entschädigung kommt aber in Betracht, wenn das Finanzamt den Drittschuldner um Auskünfte ersucht, die über dessen Erklärungspflicht gem. § 316 AO hinausgehen.

3 Anspruch auf Entschädigung oder Vergütung

Die Entscheidung darüber, ob ein Auskunftspflichtiger oder Sachverständiger zu entschädigen ist, liegt nicht im Ermessen des Finanzamts. Beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht auf die Entschädigung ein Rechtsanspruch (, BStBl 1981 II S. 392).

4 Fürsorgepflicht des Finanzamts

Handelt es sich bei dem Auskunftspflichtigen um eine Person, bei der Kenntnisse über den Entschädigungsanspruch nicht vorausgesetzt werden können, und ist ersichtlich, dass dem Verpflichteten durch die Auskunftserteilung nicht nur ganz unbedeutende Kosten erwachsen werden, ist er auf die Entschädigungsmöglichkeit gem. § 107 AO und das Erfordernis der Antragstellung hinzuweisen (vgl. § 89 AO).

5 Umfang der Entschädigung

5.1 Auskunftspflichtige

5.1.1 Erledigt der Auskunftspflichtige das Auskunftsersuchen selbst oder beauftragt er Personen, die in seinem Betrieb beschäftigt sind, so werden der Verdienstausfall bzw. die Personalkosten mit dem Betrag erstattet, den ein Zeuge nach § 22 JVEG beanspruchen könnte. Der Zeitaufwand darf daher höchstens mit 17,00 EUR je Stunde angesetzt werden. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob dem Antragsteller durch Zahlung von Überstundenvergütungen oder Neueinstellungen ein Mehraufwand entstanden ist ( n. v.). Die Entschädigung wird für höchstens zehn Stunden je Tag gewährt (§ 19 Abs. 2 JVEG). Die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet.

5.1.2 Werden keine Fachkräfte beschäftigt und können im Übrigen auch keine Mehraufwendungen nachgewiesen werden, kann nach § 20 JVEG nur eine Entschädigung für Zeitversäumnis von 3,00 EUR je Stunde gewährt werden. Dies gilt nicht, soweit durch die Auskunftserteilung ersichtlich kein Nachteil entstanden ist.

5.1.3 Auskunftspflichtige, die nicht erwerbstätig sind und einen Haushalt für mehrere Personen führen, erhalten eine Entschädigung von 12,00 EUR je Stunde (§ 21 Satz 1 JVEG). Das Gleiche gilt für Teilzeitbeschäftigte, die außerhalb ihrer vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit herangezogen wurden (§ 21 Satz 2 JVEG). Zur zeitlichen Beschränkung der Entschädigung in diesen Fällen vgl. § 21 Satz 2 JVEG.

5.1.4 Im Übrigen ist in allen Fällen der Geltendmachung von Verdienstausfall oder Personalkosten sorgfältig zu prüfen, ob der behauptete Arbeitsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu der erteilten Auskunft steht.

5.1.5 Auskunftspflichtige können auch Fahrtkostenersatz gem. § 5 JVEG und Aufwandsentschädigung (Tagegeld) gem. § 6 JVEG erhalten. Derartige Entschädigungen kommen im Rahmen des § 107 AO jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht. Bei Geltendmachung ist auf die detaillierten Regelungen im Gesetz zurückzugreifen.

5.1.6 Für die Praxis bedeutsam ist jedoch der Ersatz von Aufwendungen, insbesondere der Kosten für die Anfertigungen von Ablichtungen (§ 7 Abs. 2 JVEG). Danach wird für jede


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Seite
0,50 EUR für die ersten 50 Seiten
und
0,15 EUR für jede weitere Seite,
für die Anfertigung von Farbkopien
2,00 EUR je Seite ersetzt.

Es ist nur der Materialwert für eine Fotokopie zu erstatten, wenn die geltend gemachten Arbeitsstunden bereits die Stunden des Fotokopierens mit umfassen ( Wm 1981, 1288).

Aufwendungen für unaufgefordert eingereichte Abschriften werden nicht erstattet.

Für die Überlassung von elektronisch gespeicherten Dateien anstelle von Kopien werden 2,50 EUR je Datei erstattet (§ 7 Abs. 3 JVEG). § 147 Abs. 5 AO ist in den Fällen einer sich aus §§ 93,107 AO ergebenden Entschädigungsverpflichtung nicht anwendbar ( BStBl 1981 II S. 392).

5.1.7 Für die Vorlage von Urkunden (§ 97 AO) und für die Duldung der Einnahme des Augenscheins (§ 98 AO) kann eine Entschädigung nach § 107 AO nicht beansprucht werden.

Ein (reines) Vorlageverlangen i. S. d. § 97 AO liegt nur dann vor, wenn das Finanzamt die vorzulegenden Unterlagen so konkret und eindeutig benennt, dass sich die geforderte Tätigkeit des Vorlageverpflichteten auf rein mechanische Hilfstätigkeiten wie das Heraussuchen und Lesbarmachen der angeforderten Unterlagen beschränkt. Das setzt bei der Anforderung von Bankunterlagen voraus, dass das Finanzamt bereits weiß, welche Konten und Depots oder sonstigen Bankverbindungen der Steuerpflichtige bei dem in Anspruch genommenen Kreditinstitut unterhält. Nur bei Angabe der Konto- oder Depotnummer wird die ersuchte Bank ausschließlich durch Herausgabe der geforderten Urkunden tätig, nur dann nimmt das Finanzamt die Bank nur zur Führung eines Urkundsbeweises i. S. d. § 92 Satz 2 Nr. 3 AO in Anspruch (, BStBl 2007 II S. 80). Verlangt das Finanzamt von einem Vorlageverpflichteten unter Hinweis auf § 97 AO nur die Vorlage von konkret bezeichneten Urkunden (z. B. Kontoauszüge einer bestimmten Kontonr.), kommt eine Entschädigung daher nicht in Betracht. Dies gilt auch hinsichtlich der Kosten, die der Vorlageverpflichtete aufwenden muss, um auf Datenträger gespeicherte Unterlagen lesbar zu machen, sowie der Kosten, die der Ausdruck der Unterlagen oder die Fertigung von lesbaren Reproduktionen verursacht (§ 97 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 147 Abs. 5 AO).

Fragt das Finanzamt hingegen ohne genaue Kenntnis der Konten und Depots allgemein nach Unterlagen an, handelt es sich um ein kombiniertes Auskunfts- und Vorlageersuchen gem. §§ 93, 97 AO und der Bank steht ein Anspruch auf Ersatz aller ihrer mit dem Ersuchen zusammenhängenden Aufwendungen, d. h. auch derjenigen, die ihm im Zusammenhang mit der Vorlage von Urkunden entstanden sind (, BStBl 1988 II S. 163 und , a. a. O.) zu; denn in einem solchen Fall ist die Vorlagepflicht als Nebenpflicht der Auskunftspflicht anzusehen. Zur Vermeidung dieser Kosten ist daher bei der Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen, wenn das Auskunftsersuchen an den Beteiligten erfolglos war oder keinen Erfolg verspricht (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 3 AO), vor der Anfrage bei einem Kreditinstitut ein Kontenabruf nach § 93 Abs. 7 AO durchzuführen.

5.1.8 Besonderheiten bei Kreditinstituten

Das JVEG sieht grundsätzlich keine Vergütung für die Benutzung von Werkzeugen, Geräten oder technischen Einrichtungen vor, die der in Anspruch Genommene bei der Ausübung seines Berufs oder Gewerbes ohnehin benötigt. Abnutzung im üblichen Rahmen begründet keinerlei Ersatzanspruch. Deshalb können bei einem Geldinstitut nur die Aufwendungen für den Arbeitseinsatz von Mitarbeitern (vgl. Tz. 5.1.1 und 5.1.2) ersetzt werden, die das gewünschte Zuordnen der in Betracht kommenden Mikrofilme zu den entsprechenden Kontounterlagen, das Heraussuchen der Mikrofilme, das Ausfindigmachen des richtigen Bildes, dessen Vergrößerung und Fotokopie sowie das Rückeinordnen der Filme vorgenommen haben. Hierfür erscheint ein Zeitaufwand von durchschnittlich acht Minuten pro Bild als realistisch (vgl. , n. v.). Eine Kostenerstattung steht jedoch nur zu, wenn die Anfrage des Finanzamts nicht als reines Vorlageersuchen anzusehen ist (vgl. Tz. 5.1.7).

5.1.9 Die Entschädigung des Auskunftspflichtigen stellt einen sogenannten „echten” Schadensersatz dar. Dieser unterliegt nicht der Umsatzsteuer (vgl. Abschn. 3 Abs. 8 UStR). Soweit Umsatzsteuer in Rechnung gestellt wird, ist sie somit nicht zu erstatten (vgl. aber unten Tz. 5.2.3).

5.2 Sachverständige, Dolmetscher und Übersetzer

5.2.1 Der Einsatz unabhängiger Sachverständiger gem. § 96 AO kommt im Besteuerungsverfahren nur in Ausnahmefällen in Betracht; soweit erforderlich, sind die jeweils zuständigen Sachverständigen der Finanzverwaltung einzuschalten. Daher hat die Entschädigungsnorm des § 107 AO in diesem Bereich keine allzu große Bedeutung.

5.2.2 In den wenigen in Betracht kommenden Fällen sind insbesondere folgende Vorschriften des JVEG zu beachten:

  • §§ 8, 9 JVEG: Danach erhalten Sachverständige ein Honorar für ihre Leistungen nach Stundensätzen zwischen 50,00 und 85,00 EUR abhängig von der Honorargruppe. Die Abrechnung erfolgt auch für Reise- und Wartezeiten bis zur jeweils angefangenen halben Stunde.

  • § 9 Abs. 3 JVEG: Das Honorar eines Dolmetschers beträgt für jede Stunde 55,00 EUR.

  • § 10 JVEG: Honorar für besondere Leistungen § 11 JVEG: Das Honorar für eine Übersetzung beträgt 1,25 EUR für jeweils angefangene 55 Anschläge des schriftlichen Textes. Ist die Übersetzung, insbesondere wegen der Verwendung von Fachausdrücken oder schwerer Lesbarkeit des Textes, erheblich erschwert, erhöht sich das Honorar auf 1,85 EUR, bei außergewöhnlich schwierigen Texten auf 4,00 EUR. Maßgebend für die Anzahl der Anschläge ist der Text in der Zielsprache; werden jedoch nur in der Ausgangssprache lateinische Schriftzeichen verwendet, ist die Anzahl der Anschläge des Textes in der Ausgangssprache maßgebend.

  • § 12 JVEG: Ersatz für besondere Aufwendungen

  • §§ 5, 6 JVEG: Fahrtkostenersatz und Aufwandsentschädigung

  • § 7 JVEG: Ersatz für sonstige Aufwendungen

5.2.3 Im Gegensatz zur Entschädigung des Auskunftspflichtigen ist die auf die Entschädigung des Sachverständigen entfallende Umsatzsteuer erstattungsfähig, sofern sie nicht nach § 19 Abs. 1 UStG unerhoben bleibt (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG).

6 Verfahren

6.1 Von Auskunftspflichtigen und Sachverständigen ist der Entschädigungs- bzw. Vergütungsanspruch innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten geltend zu machen. Die Frist beginnt mit der Abgabe der erbetenen Auskunft gegenüber bzw. mit Eingang des Gutachtens bei der ersuchenden Stelle, bei der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen mit Beendigung der Vernehmung, mit der Übergabe der herauszugebenden Gegenstände an die ersuchende Strafverfolgungsbehörde oder mit der Beendigung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs. Wird die Frist überschritten, erlischt der Anspruch (§ 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG). Bei der Fristberechnung ist § 108 AO anzuwenden. Die Frist ist verlängerbar. War der Berechtigte ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert, kann auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (§ 2 Abs. 2 JVEG).

6.2 Im Übrigen verjährt der Anspruch auf Entschädigung bzw. Vergütung der Auskunftspflichtigen und Sachverständigen drei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Pflicht erfüllt wurde (§ 2 Abs. 3 JVEG i. V. m. § 195 BGB). Die Vorschriften der Abgabenordnung über die Zahlungsverjährung (§§ 228 ff. AO) sind nicht anwendbar, weil es sich bei den Entschädigungsansprüchen nach § 107 AO nicht um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) handelt.

6.3 Für die Überprüfung und Entscheidung über die Entschädigungsansprüche nach § 107 AO ist die Dienststelle im Finanzamt zuständig, die die Auskunft verlangt oder das Gutachten angefordert hat. Der/die Sachgebietsleiter/in bescheinigt die sachliche und rechnerische Richtigkeit und leitet den Antrag bzw. die Rechnung an die Geschäftstelle zur Anordnung der Zahlung weiter. Soweit Entschädigungsansprüche dem Grunde und der Höhe nach feststehen, sind die Ausgaben bei Titel 547 75 (Zeugenentschädigung) bzw. 526 75 (Sachverständigenentschädigung) zu buchen.

6.4 Lehnt das Finanzamt den Entschädigungsantrag ganz oder teilweise ab, so ist gegen diesen Verwaltungsakt der Rechtsschutz nach der AO/FGO (Einspruch; Verpflichtungsklage, § 40 Abs. 1 FGO) gegeben.

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Fundstelle(n):
HAAAC-64843