Leitsatz
[1] Die Rücknahme eines Rechtsmittels ist bedingungsfeindlich; sie kann auch nicht von einer innerprozessualen Bedingung abhängig gemacht werden.
Sie ist ferner grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar. Dies gilt auch dann, wenn sie aufgrund eines für das Gericht und den Verfahrensgegner offensichtlichen Irrtums des Rechtsmittelführers über tatsächliche oder rechtliche Umstände erklärt wurde.
Gesetze: ZPO § 516; ZPO § 565; ZPO § 621 a Abs. 1
Instanzenzug: AG Darmstadt 52 F 2260/04 vom OLG Frankfurt in Darmstadt 6 UF 200/06 vom
Gründe
I.
Gegen den ihm am zugestellten Beschluss des Familiengerichts, mit dem seinem Antrag auf Regelung des Umgangs mit seinem Kind nur eingeschränkt stattgegeben wurde, legte der Antragsteller mit Faxschreiben seiner damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom Beschwerde ein.
Nach erstmaliger Verlängerung der Begründungsfrist bis zum verlängerte der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Begründungsfrist auf den weiteren, am eingegangenen Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers im Einverständnis mit der Beteiligten zu 2 erneut bis zum .
Mit am bei Gericht eingegangenem Schreiben vom erklärte der Antragsteller, er nehme seine Beschwerde zurück, weil seine Verfahrensbevollmächtigte versäumt habe, die Beschwerde innerhalb der gesetzlichen Frist zu begründen. Ferner teilte er mit, seiner Verfahrensbevollmächtigten deshalb das Mandat entzogen zu haben. Da er sich nunmehr nur noch selbst vertrete, sei Schriftwechsel nur noch mit ihm zu führen.
Mit weiterem, am bei Gericht eingegangenem Schreiben vom erklärte der Antragsteller, er wolle an seiner Beschwerde festhalten. Vorsorglich fechte er seine Rücknahmeerklärung an, weil er irrtümlich davon ausgegangen sei, die "am ablaufende" Beschwerdebegründungsfrist sei versäumt. Von den beiden beantragten und gewährten Fristverlängerungen habe er erst jetzt erfahren. Zugleich begründete er seine Beschwerde.
Das Oberlandesgericht verwarf die Beschwerde als unzulässig. Die Rücknahmeerklärung des Antragstellers sei wirksam und könne weder durch Widerruf noch durch Anfechtung rückgängig gemacht werden. Soweit das Schreiben vom als erneute befristete Beschwerde auszulegen sei, sei die Rechtsmittelfrist abgelaufen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers.
II.
Die nach §§ 621e Abs. 3 Satz 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil es - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - an einem Zulassungsgrund nach § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Ein solcher ist auch erforderlich, soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen einen ein Rechtsmittel als unzulässig verwerfenden Beschluss richtet (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 155, 21, 22).
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Denn sämtliche von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Fragen sind bereits höchstrichterlich im Sinne der angefochtenen Entscheidung geklärt. Insbesondere hat das Berufungsgericht dem Antragsteller auch nicht den Zugang zur Beschwerdeinstanz aufgrund überspannter Anforderungen versagt (vgl. BGHZ 151, 221, 226 f.).
1. Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass das eine Beschwerdebegründung enthaltende Schreiben des Antragstellers vom zwar als erneute Beschwerdeeinlegung angesehen werden kann, aber nicht geeignet war, die am abgelaufene Frist zur Einlegung der Beschwerde zu wahren. Zutreffend ist ferner, dass die Erklärung der Rücknahme der am eingelegten Beschwerde in der vorliegenden Familiensache der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 621 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) gemäß § 78 Abs. 3 ZPO nicht dem Anwaltszwang unterlag und die Rücknahme eines Rechtsmittels grundsätzlich weder widerrufen noch angefochten werden kann (Senatsbeschluss vom XII ZB 71/04 FamRZ 2007, 375). Insoweit erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.
2. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde allein geltend, ein die Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigender Rechts- und Verfahrensfehler des Beschwerdegerichts bestehe darin, dass es die Auslegungsbedürftigkeit der Rücknahmeerklärung nicht erkannt habe. Es sei für das Gericht und für die Beteiligte zu 2 offensichtlich gewesen, dass die Rücknahme nur für den - in Wirklichkeit nicht vorliegenden - Fall einer bereits eingetretenen Versäumung der Begründungsfrist habe erklärt werden sollen. Zumindest aber könne die Beteiligte zu 2 sich hier wegen des offensichtlichen Irrtums des Antragstellers nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht auf die Rücknahme der Beschwerde berufen. Die angefochtene Entscheidung verstoße daher gegen den Anspruch des Antragstellers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Artt. 2, 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG), demzufolge die Prüfung der materiellen Rechtslage, soweit irgend möglich, nicht beeinträchtigt werden dürfe.
a) Rücknahmeerklärungen unterliegen als Prozesshandlungen der uneingeschränkten Nachprüfung - auch auf ihre Auslegung hin - durch das Rechtsbeschwerdegericht (vgl. Senatsurteil vom XII ZR 14/95 FamRZ 1996, 1142). Dieses hat verfahrensrechtliche Erklärungen frei zu würdigen und dabei unter Heranziehung aller für das Beschwerdegericht erkennbaren Umstände und unter Beachtung der durch die gewählten Bezeichnungen bestehenden Auslegungsgrenzen darauf abzustellen, welcher Sinn ihnen aus objektiver Sicht beizumessen ist (vgl. IV ZB 38/05 MDR 2006, 1126 m.w.N.).
Hier hat das Beschwerdegericht jedoch zu Recht keinen Anlass gesehen, der Rücknahmeerklärung des Antragstellers einen vom Wortlaut abweichenden Sinn beizulegen. Die Formulierung "nehme ich die durch meine Verfahrensbevollmächtigte ... eingelegte Beschwerde vom gegen den Beschluss des Amtsgericht Darmstadt, Familiengericht vom (52 F 2260/04 UG) hiermit zurück", wobei das Wort "zurück" durch Fettdruck in der Mitte einer neuen Zeile hervorgehoben ist, ist aus objektiver Sicht eindeutig.
Die Erklärung der Rücknahme wird auch nicht durch die nachfolgende Begründung ("weil meine Verfahrensbevollmächtigte versäumt hat, die Beschwerde innerhalb der gesetzlichen Frist zu begründen") relativiert.
Zwar war für das Gericht und auch für die Beteiligte zu 2 offensichtlich, dass der Antragsteller einem Irrtum unterlag, soweit er davon ausging, die Begründungsfrist sei bereits versäumt. Dies stellt jedoch lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum dar, nicht jedoch einen Irrtum über den Inhalt oder die Tragweite seiner Rücknahmeerklärung.
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt auch eine Auslegung oder Umdeutung der Rücknahmeerklärung dahingehend, dass die Beschwerde nur für den Fall tatsächlich versäumter Begründungsfrist zurückgenommen werde, nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass eine solche Auslegung bereits angesichts des Wortlauts der Erklärung ("nehme ich ... zurück, weil ..." und nicht etwa: "nehme ich ... zurück, falls ...") fern liegt, wäre dies, wie auch die Rechtsbeschwerde nicht verkennt, eine bedingte Rücknahme. Die Rücknahme eines Rechtsmittels ist aber bedingungsfeindlich; sie kann nicht einmal, was in Bezug auf andere Prozesshandlungen ausnahmsweise zulässig sein kann, von einer innerprozessualen Bedingung abhängig gemacht werden (Senatsbeschluss vom IVb ZB 135/88 FamRZ 1990, 147, 148 f. m.N.). Andernfalls könnte der Rechtsmittelkläger beispielsweise seine Erklärung, das Rechtsmittel zurückzunehmen, in ein Hilfsverhältnis zu seinem Rechtsmittelantrag stellen und auf diese Weise eine ihm nachteilige rechtskraftfähige Entscheidung von vornherein vermeiden.
Ist aber eine bedingte Rücknahmeerklärung unzulässig und deshalb wirkungslos, verbietet sich eine solche Auslegung, weil sie dem wirklichen Willen der Partei, das Verfahren zu beenden, zuwiderliefe. Dies gilt auch dann, wenn dieser Wille - wie hier - auf einem Motivirrtum beruhte.
Aus den gleichen Gründen verbietet sich auch eine Umdeutung der erklärten Rücknahme in eine bedingte Rücknahme. Die Umdeutung einer Prozesshandlung in eine andere setzt nämlich stets voraus, dass sie als solche unwirksam ist (vgl. Senatsbeschluss vom XII ZB 176/03 FamRZ 2007, 375), während die Voraussetzungen der Wirksamkeit einer anderen, dem gleichen Zweck dienenden Prozesshandlung erfüllt sind (vgl. Senatsbeschluss vom XII ZB 46/02 FuR 2002, 432; Senatsurteil vom XII ZR 219/98 ZIP 2001, 305, 307 m.w.N.). Hier ist das Gegenteil der Fall: Die vom Antragsteller erklärte Rücknahme ist wirksam; als bedingte Rücknahme wäre sie es nicht.
c) Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde ferner darauf, dass Verfahrensvorschriften kein Selbstzweck seien und die Klärung materieller Rechtsfragen möglichst nicht an Formalien scheitern solle. Denn die unwiderruflich verfahrensbeendende Wirkung der Rücknahme einer Klage oder eines Rechtsmittels ist kein Formalismus, sondern unerlässlich, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Prozesshandlungen der Parteien, die die Einleitung oder Beendigung eines Verfahrens betreffen, vertragen keinen Schwebezustand (Senatsbeschluss vom IVb ZB 135/88 FamRZ 1990, 147, 148 f. m.N.). Die Klärung materieller Rechtsfragen muss aufgrund der Parteimaxime zurückstehen, wenn die das Verfahren betreibende Partei ihren darauf gerichteten Antrag wirksam zurückgenommen hat.
d) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde vermag auch der Grundsatz von Treu und Glauben hier keine andere Entscheidung zu rechtfertigen.
Lediglich für den Fall, dass eine durch einen Prozessbevollmächtigten erklärte Rücknahme zu dem wirklichen Willen des Rechtsmittelführers in Widerspruch stand und der Irrtum des Prozessbevollmächtigten, auf dem diese Erklärung beruhte, für den Rechtsmittelgegner und das Gericht offensichtlich war, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Gegner sich nach Treu und Glauben nicht auf die Rücknahme berufen kann und diese als unwirksam zu behandeln ist ( II ZB 5/77 VersR 1977, 574; vgl. auch Senatsbeschluss vom IVb ZB 125/87 FamRZ 1988, 496).
Damit ist der vorliegende Fall indes nicht vergleichbar. Denn hier hat nicht ein Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigter die Rücknahme entgegen dem wirklichen Willen des Rechtsmittelführers erklärt. Vielmehr hat der Antragsteller die Rücknahme selbst erklärt, und dies entsprach auch seinem wirklichen, wenn auch auf einem offensichtlichen Motivirrtum beruhenden Willen. In einem solchen Fall kann die Frage, ob das Verfahren durch die Rücknahme beendet wurde, entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht davon abhängig gemacht werden, ob dies bei vernünftiger Betrachtung aus der Sicht eines sachkundigen Dritten dem objektiven Interesse des Antragstellers entsprochen hätte. Denn andernfalls würde die Frage der Beendigung des Verfahrens letztlich von der Zulässigkeit des Rechtsmittels abhängen, die aber nur im Rahmen eines (noch) anhängigen Rechtsmittelverfahrens geprüft werden darf.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2007 S. 2540 Nr. 47
HFR 2008 S. 287 Nr. 3
YAAAC-63005
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja