BGH Beschluss v. - 5 StR 344/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 244 Abs. 2; StPO § 244 Abs. 3 Satz 2; StPO § 247 Satz 1; StPO § 247a; StPO § 247a Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz; StPO § 247a Satz 1 2. Halbsatz; StPO § 247a Satz 2; StPO § 349 Abs. 4; GVG § 189 Abs. 1 Satz 1; GVG § 189 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

Das Landgericht hat den die Tatvorwürfe bestreitenden Angeklagten wegen Vergewaltigung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision greift mit einer Verfahrensrüge durch.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beteiligte sich der Angeklagte - neben drei bisher unbekannt gebliebenen Mittätern - am an einem Überfall auf den ihm aus vorherigen Besuchen bekannten Bordellbetrieb "B. " in Ra. .

Die den Tätern die Tür öffnende Zeugin M. , der Hausmeister und die Bordellbetreiberin wurden von den unbekannt gebliebenen Tätern durch Schläge und Tritte zum Teil schwer verletzt.

Der Angeklagte fesselte daran anschließend die Zeugin M. an den Händen. Er wollte ihr auch den Mund zukleben; er ließ jedoch davon ab, als ihm die Zeugin mit Zeichen bedeutete, sie werde nicht schreien. Der Angeklagte wandte sich sodann der lediglich mit einem String-Tanga und einem kurzen Kleid bekleideten, auf einem Barhocker sitzenden Nebenklägerin zu. Diese wehrte Annäherungsversuche des Angeklagten ab. Der Angeklagte griff an den linken Oberschenkel der Zeugin und spreizte - auch mit Einsatz seines Körpers - deren Beine weit auseinander. Schließlich schob er den Slip der Zeugin zur Seite und drang mit seinem Penis in die Scheide der Nebenklägerin ein. Auf Befehl eines Mittäters ("S. njet" UA S. 12) beendete der Angeklagte den Geschlechtsverkehr und beteiligte sich an der Zerstörung von Gläsern und Flaschen und der Mitnahme von Getränken durch die Mittäter.

Im Aufenthaltsraum wandte sich der Angeklagte vier dort auf dem Sofa sitzenden Prostituierten zu. Er küsste H. und Sch. ; letzterer fasste er auch in den Schritt. Der Angeklagte ließ erst auf Ermahnung des Anführers von den Frauen ab.

2. Das Landgericht hat sich aufgrund der Zeugenaussage der Nebenklägerin von der Täterschaft des Angeklagten hinsichtlich der Vergewaltigung überzeugt. Die Zeugin habe das Wiedererkennen "mit dem auffälligen Hautbild und Rötungen und Narben, entscheidender mit dessen Augen" und dem "von ihr als besonders empfundenen Blick" (UA S. 15) begründet. Zudem habe der Kreislauf der Zeugin versagt, als sie bei einer Wahlgegenüberstellung im Polizeipräsidium Potsdam den Angeklagten erkannt habe (UA S. 16).

Von der Teilnahme des Angeklagten an dem Überfall im Übrigen hat sich das Landgericht durch weitere Zeugenaussagen überzeugt:

Die Zeugin M. habe den Angeklagten "eindeutig sowohl bei der Wahlgegenüberstellung als auch im Gerichtssaal" als denjenigen erkannt, der sie gefesselt habe und ihr den Mund habe zukleben wollen (UA S. 17). Die Zeugin W. habe bekundet, "sie sei sich zu 100 Prozent sicher", dass der Angeklagte bei dem Überfall dabei gewesen sei. Im Ermittlungsverfahren sei diese Zeugin allerdings "nicht 100%ig sicher" gewesen, den Angeklagten auf ihr vorgelegten Bildern erkannt zu haben, indes habe "sie ihn im Gerichtssaal sofort erkannt" und sei "durch diese Erkenntnis auch sichtlich betroffen" gewesen. Die Zeugin G. habe bekundet, "sie sei sich fast sicher", dass der Angeklagte die Zeuginnen H. und Sch. "betatscht" hätte. Bei der Wahlgegenüberstellung habe sie gesagt, dass der Angeklagte dem Täter "sehr, sehr ähnele" (UA S. 18).

Demgegenüber zeigte sich die Zeugin Sch. sicher, dass der Angeklagte nicht der Täter gewesen sei, der nach ihrem Eindruck jünger gewesen sei.

3. Die Revision trägt vor, dass bis zur Ablehnung eines die Ladung der Zeugin H. betreffenden Antrags im Wesentlichen Folgendes geschehen ist:

Die Zeugin wurde noch am Tattag von der Polizei vernommen und fertigte aus ihrer Erinnerung Phantombilder bezüglich des Anführers und des Täters, der sie geküsst hatte und vom Anführer S. genannt wurde. In einer späteren polizeilichen Vernehmung erklärte sie, das Phantombild des S. sei nicht so gut getroffen und "komme nicht wirklich hin". Zur Frage eines möglichen Wiedererkennens sagte sie: "Wenn es ein Foto ist, denke ich, dass ich den S. wiedererkennen könnte." Im Anschluss an diese Vernehmung verzog die Zeugin nach Österreich. Auf ihr vom Landeskriminalamt Tirol vorgelegten 72 Lichtbildern - eines davon stellte den Angeklagten dar - erkannte sie den Angeklagten nicht. Die Zeugin H. nahm weder an der polizeilichen Wahlgegenüberstellung von noch an der nach Eröffnung des Hauptverfahrens von der Strafkammervorsitzenden angeordneten weiteren Wahlgegenüberstellung vom teil. Die Zeugin wurde in Österreich zur Hauptverhandlung auf den geladen; sie erschien aber nicht. Nachdem Anregungen der Strafkammervorsitzenden, auf die Zeugin zu verzichten, erfolglos geblieben waren, kündigte die Vorsitzende den Erlass eines Ordnungsgeldbeschlusses an. Auf Vorschlag des Verteidigers telefonierte die Vorsitzende mit der Zeugin. Auch der an sie ergangene Hinweis, dass sie eine wichtige Zeugin sei, konnte sie nicht dazu umstimmen, zur Hauptverhandlung zu erscheinen.

4. Nach Verkündung eines Ordnungsgeldbeschlusses gegen die Zeugin hat der Verteidiger die Vernehmung der Zeugin "zum Beweis der Tatsache, dass der Angeklagte am nicht im B. war", beantragt und zur Begründung ausgeführt: "Bei der Zeugin handelt es sich um eine Person, die am Tattag im B. anwesend war. Ihre Aussage ist zur Aufklärung des Sachverhalts daher unverzichtbar. (...) Die Kammer hat bislang nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die Zeugin dazu zu bewegen, vor Gericht zu erscheinen."

Das Landgericht hat den Antrag wegen Unerreichbarkeit der Zeugin abgelehnt und weiter ausgeführt: "Eine kommissarische Vernehmung kommt nicht in Betracht, weil es darauf ankommt, ob sie den Angeklagten wiedererkennt. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, warum sie bekunden soll, der Angeklagte sei nicht zur Tatzeit am Tatort gewesen. Insoweit handelt es sich um eine Behauptung ins Blaue hinein. Derartiges hat die Zeugin auch im Ermittlungsverfahren nicht geäußert."

Die hierauf bezogene Verfahrensrüge greift durch.

a) Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob die Verfahrensrüge die Voraussetzungen einer Beweisantragsrüge nach den von BGHSt 45, 188, 190 aufgestellten Grundsätzen erfüllt, soweit ein ausdrücklicher Antrag zur Durchführung einer Bild-Ton-Vernehmung nach § 247a Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz StPO i.V.m. Art. 10 Abs. 1 und 2 EuRhÜbK für nicht erforderlich gehalten wird. Der Senat neigt zu der Auffassung, dass es einem ausdrücklich zu formulierenden Begehren eines Beweisantragstellers obliegt, ob er sich nach Feststellung der Unerreichbarkeit eines Zeugen für dessen von ihm begehrte Vernehmung in der Hauptverhandlung mit dem bei einer Bild-Ton-Übertragung gegebenen Defizit an Unmittelbarkeit (vgl. BGHSt 45, 188, 196) im Vergleich zur konfrontativen Vernehmung im Gerichtssaal begnügen möchte (vgl. BGHSt 22, 118, 122 zur Pflicht zur Befragung des Antragstellers, ob er sich mit einer kommissarischen Vernehmung begnügt; vgl. ferner BGHSt 46, 73, 78 zur Pflicht gemäß § 247a StPO nach Verlesung eines richterlichen Vernehmungsprotokolls bei - enger als in § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO auszulegender - Unerreichbarkeit des Zeugen nach § 251 StPO). Die Rüge greift jedenfalls als Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO i.V.m. § 247a Satz 1 2. Halbsatz StPO, Art. 10 Abs. 1 und 2 EuRHÜbK durch.

aa) Die behauptete Beweistatsache ist genügend bestimmt (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 6). Der Antrag auf Vernehmung der unter bekannter Adresse in Österreich wohnhaften Zeugin H. - eines bestimmten Beweismittels (vgl. BGHR aaO) - enthält die Behauptung mangelnder Personenidentität in dem Sinn, dass der Angeklagte nicht am Überfall auf den Bordellbetrieb beteiligt war. Dies stellt eine bestimmte Beweistatsache dar (vgl. BGH NStZ 2006, 585, 586; 2004, 99, 100; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 17). Zwar hat der Verteidiger im Tenor seines Antrags vordergründig ein bloßes Beweisziel benannt (vgl. BGHSt 39, 251, 253 f.). Indes ergibt sich vorliegend aus der weiteren Begründung des Antrags, es handele sich um eine - im Übrigen auch nach Auffassung des Landgerichts im ablehnenden Beschluss unverzichtbare - Tat- und Wiedererkennungszeugin und diese Zeugin werde ihre notwendigerweise auf konkrete Körpermerkmale des ihr erinnerlichen Täters gestützte Erinnerungsleistung in einer Weise erbringen, die mit dem (damaligen) Erscheinungsbild des Angeklagten nicht in Einklang zu bringen sei. Dies genügt in der hier vorliegenden, von gesteigertem Aufklärungsbedürfnis gekennzeichneten besonderen Beweissituation des eher komplexen und fehlerträchtigen Wiedererkennens eines Täters durch Zeugen (vgl. BVerfG - Kammer - NJW 2003, 2444, 2445; BGHR StPO § 261 Identifizierung 6; Rdn. 20) den Anforderungen, die an eine bestimmte Beweisbehauptung zu stellen sind. Der Gegenstand der Zeugenaussage ist hier nämlich in einem solchen Maß auf die Wahrnehmung von dem Zeugenbeweis unmittelbar zugänglichen Wiedererkennungsmerkmalen ausgerichtet, dass deren konkretere Benennung nicht geboten ist, um das Aufklärungsbegehren näher zu präzisieren. Das Erfordernis der Konnexität liegt bei der hier auch gegebenen Opfereigenschaft der Zeugin auf der Hand (vgl. BGH NStZ 2006, 585, 586).

bb) Die Revision macht zu Recht geltend, das Landgericht hätte sich in Erfüllung seiner Aufklärungspflicht dazu gedrängt sehen müssen, die Tat- und Wiedererkennungszeugin H. per Ton-Bild-Übertragung zu vernehmen. Die Aufklärungspflicht ist auch verletzt, wenn bei verständiger Würdigung der Sachlage durch den abwägenden Richter die Verwendung einer Aufklärungsmöglichkeit den Schuldvorwurf möglicherweise in Frage gestellt hätte (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 2 Umfang 1; BGH StV 2005, 253, 254). Dies ist bei den hier vorliegenden, nicht eindeutig übereinstimmenden, vom Landgericht zudem auch überwiegend nicht anhand konkreter Körpermerkmale dargelegten Wiedererkennungsleistungen der Zeuginnen der Fall. Das Landgericht konnte sich von seiner Aufklärungspflicht auch nicht mit der Hilfserwägung befreien, es handele sich um eine Behauptung ins Blaue hinein. Eine solche Bewertung ist angesichts des Umstandes, dass die Zeugin den Angeklagten auf Wahllichtbildern nicht erkannt hat und die Strafkammervorsitzende die Zeugin als wichtige Wiedererkennungszeugin betrachtet hat, nicht gerechtfertigt. Zudem liegt es in der Natur der Sache, dass ein Antragsteller die Aussagen der Zeugin im Vorhinein regelmäßig nicht kennt, sondern den behaupteten Inhalt lediglich für möglich hält (vgl. BGHSt 21, 118, 121, 125; BGH NStZ 2006, 585, 586).

b) Die Revision hat ferner dargelegt, dass eine audiovisuelle Vernehmung der Zeugin H. im Wege der Rechtshilfe möglich gewesen wäre. In der Republik Österreich ist das Übereinkommen vom über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EuRhÜbK) am in Kraft getreten (Schomburg/Gleß in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 4. Aufl. S. 999). Einer Bewilligung und Durchführung einer solchen in Artikel 10 Abs. 1 und 2 EuRhÜbK vorgesehenen Vernehmung hätten keine Hindernisse entgegengestanden, zumal § 247a Abs. 2 öStPO selbst die audiovisuelle Auslandsvernehmung von Zeugen durch österreichische Gerichte vorsieht (vgl. Kirchbacher in Fuchs/Ratz, Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung 55. Lfg. § 247a Rdn. 6 f.).

Eine Vernehmung der Zeugin H. durch eine Bild-Ton-Übertragung wäre trotz gewisser Einschränkungen der Unmittelbarkeit (vgl. BGHSt 45, 188, 196) auch nicht von vornherein ungeeignet gewesen, um eine Vernehmung über eine Täteridentifizierung durchzuführen, wobei der Zeugin Lichtbilder vom Angeklagten hätten vorgehalten werden können oder auch die Person des anwesenden Angeklagten im Wege der Videosimultanübertragung hätte gezeigt werden können.

c) Der Vorschrift des § 247a Satz 2 StPO lässt sich keine Einschränkung für die hier zu beurteilende Nichtentscheidung über die Bewilligung der audiovisuellen Auslandsvernehmung entgegen bestehender Aufklärungspflicht entnehmen (vgl. auch BGHSt 45, 188, 197).

5. Auf die übrigen beachtlich erscheinenden Verfahrensrügen braucht der Senat nicht mehr einzugehen. Damit erheischt der Umstand keine Entscheidung, ob bei unterlassener Vereidigung von zwei Dolmetschern entgegen § 189 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GVG Russischkenntnisse der Strafkammervorsitzenden, die den Dolmetschern freilich verborgen geblieben waren, zu einer Verneinung des Beruhens des Urteils auf diesem Rechtsfehler führen können (vgl. BGH NStZ 2005, 705, 706), was hier auch eine gewisse Konzentration der Strafkammervorsitzenden auf den schwierigen Übertragungsvorgang erfordert hätte.

Sollte erneut ein - im Einzelnen zu begründender - Ausschluss des Angeklagten von der Hauptverhandlung gemäß § 247 Satz 1 StPO erforderlich werden, wird der neue Tatrichter gehindert sein, den in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen zu entlassen, bevor der Angeklagte zuvor über den wesentlichen Inhalt der in seiner Abwesenheit erfolgten Aussage unterrichtet worden ist (vgl. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 20; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 247 Rdn. 15).

6. Aufgrund der Komplexität und der Fehleranfälligkeit bei einer Überführung aufgrund der Aussage zum Wiedererkennen durch Belastungszeugen wird der neue Tatrichter grundsätzlich gehalten sein, darzulegen, ob und in welchem Grade die Aussagen der Wiedererkennungszeuginnen zur Übereinstimmung zwischen dem Angeklagten und den seinerzeit wahrgenommenen Täter mit den in der Hauptverhandlung gewonnen übrigen Beweisergebnissen in Einklang gebracht werden können oder aber diesen zuwider läuft (vgl. Rdn. 20). Diese Pflicht könnte es gebieten, das von der Revision im Rahmen einer Verfahrensrüge vorgetragene Entlastungsindiz - DNA am Slip des Vergewaltigungsopfers ausschließlich von einem anderen Mann stammend - in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen. Der Senat weist ferner darauf hin, dass den Darlegungserfordernissen, zumal bei dem hier vorliegenden, bis viermaligen Wiedererkennen (vgl. BGHSt 16, 204, 205 f.; BGH StV 1997, 454 f.), größere Aufmerksamkeit zu widmen sein wird (vgl. dazu näher BGH StV 2004, 58).

Sollte der neue Tatrichter zu gleichen Schuldsprüchen kommen, wäre die Annahme von Tateinheit im Blick auf die identische Gewaltausübung zutreffend (Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 177 Rdn. 105).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
UAAAC-61969

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