BFH Urteil v. - IX R 58/06 BStBl 2008 II S. 322

Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch Steuerbescheid festzusetzen

Leitsatz

1. Die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist auch dann Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Steuerpflicht noch andauert, obschon der Insolvenzverwalter keine Kenntnis von der Existenz des Fahrzeugs hat (Ergänzung zum ).

2. Auch wenn der Insolvenzverwalter die Unzulänglichkeit der Masse nach § 210 InsO anzeigt, ist das FA nicht daran gehindert, ihm gegenüber nach Insolvenzeröffnung entstehende Kraftfahrzeugsteuer durch Steuerbescheid festzusetzen.

Gesetze: AO § 251 Abs. 2KraftStG § 5 Abs. 1 Nr. 1KraftStG § 7 Nr. 1InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1InsO §§ 209, 210

Instanzenzug:  Kfz (EFG 2006, 1704) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Auf die Firma F.R. GmbH (im Folgenden: GmbH) waren bis zur verkehrsrechtlichen Abmeldung () zwei Anhänger mit den amtlichen Kennzeichen X und Y zugelassen. Über das Vermögen der GmbH wurde durch Beschluss des Amtsgerichts am das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger und Revisionskläger (Kläger) zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger zeigte am dem Insolvenzgericht die Unzulänglichkeit der Insolvenzmasse an. Das Gericht machte diese Anzeige öffentlich bekannt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte gegenüber dem Kläger ab Insolvenzeröffnung für beide Anhänger die Kraftfahrzeugsteuer vom bis zum auf 71 € und für die Zeit ab dem auf jährlich 96 € fest, und zwar für das Fahrzeug X mit Bescheid vom und für das Fahrzeug Y mit Bescheid vom . Nach der Abmeldung der Fahrzeuge setzte das FA im Juli 2004 durch Änderungsbescheide die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom bis zum auf jeweils 52 € fest.

Hiergegen wandte sich der Kläger. Er habe in seiner Person den Steuertatbestand nicht verwirklicht; er habe die Fahrzeuge nicht in Gebrauch genommen und von ihrer Existenz erst durch Schriftwechsel mit einer anderen Firma erfahren. Überdies dürfe das FA die Steuer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht mehr festsetzen.

Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seines in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1704, veröffentlichten Urteils aus, die Kraftfahrzeugsteuer entstehe unabhängig davon, ob das Fahrzeug bewusst zugelassen bleibe. Das FA sei auch berechtigt gewesen, die Steuer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit und deren Veröffentlichung durch einen Bescheid gegenüber dem Kläger festzusetzen.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Er schulde mangels Verwaltung der Anhänger keine Kraftfahrzeugsteuer. Diese Steuer sei ihm gegenüber nach Anzeige der Masseinsuffizienz auch nicht mehr festsetzbar. Die Regelungen in § 210, § 209 Abs. 1 Nr. 3 der Insolvenzordnung (InsO) sollten verhindern, dass überhaupt Titel geschaffen würden.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom , vom (X), vom , vom (Y) sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie ist nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend das FA als berechtigt angesehen, den Kläger für die ab Insolvenzeröffnung bis zur verkehrsrechtlichen Abmeldung der Anhänger entstandene Kraftfahrzeugsteuer (1.) durch Erlass der angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheide in Anspruch zu nehmen (2.).

1. Die Kraftfahrzeugsteuer entsteht für die Fahrzeuge, um die es hier geht, auch für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Steuerpflicht dauert nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) bei —wie hier— inländischen Fahrzeugen, solange sie zum Verkehr zugelassen sind; Steuerschuldner ist die Person, für die die Fahrzeuge zum Verkehr zugelassen sind (§ 7 Nr. 1 KraftStG).

Der Kläger muss als Insolvenzverwalter nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) die Steuer aus der Insolvenzmasse bezahlen. Dagegen sprechen entgegen der Revision nicht die fehlende tatsächliche Verfügungsbefugnis des Klägers und seine fehlende Kenntnis von der Existenz der Anhänger.

Nach der zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung des erkennenden Senats vom heutigen Tag in der Sache IX R 4/07, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, ist die nach der Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer auch dann Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn sich das Kraftfahrzeug nicht mehr im Besitz des Schuldners befindet, die Steuerpflicht aber noch andauert. Der Senat folgt damit der Entscheidung des (BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49), wonach dem Gesetz die rechtlich unwiderlegliche Vermutung zu entnehmen ist, dass das Fahrzeug von demjenigen, für den es zugelassen ist, bis zur Außerbetriebssetzung gehalten wird. Das unwiderlegbar rechtsvermutete Halten führt zu einer gesetzlich unterstellten Verwendungsmöglichkeit und Verfügungsgewalt „im Geschäft” des Schuldners und damit im Rahmen der Insolvenzmasse. Da es mithin nicht auf die tatsächliche Verfügungsgewalt des Insolvenzverwalters ankommt, ist auch unerheblich, ob er Kenntnis von der Existenz der Fahrzeuge hat.

2. Dem FG ist auch darin beizupflichten, dass die vom Kläger angezeigte Masseunzulänglichkeit die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer nicht hindert. Das FA muss die nach Insolvenzeröffnung entstehende Kraftfahrzeugsteuer gegenüber dem Insolvenzverwalter festsetzen (vgl. , BFHE 207, 371, BStBl II 2005, 309). Daran ändert sich nichts, soweit diese Masseverbindlichkeiten nach § 210 InsO nicht vollstreckt werden dürfen. Diese Vorschrift stellt ein Vollsteckungsverbot für Masseverbindlichkeiten i.S. des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO auf, sobald der Insolvenzverwalter —wie hier— die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat.

Unbeschadet des Umstands, dass die nach der Anzeige (also ab dem ) entstehende Kraftfahrzeugsteuer als sog. Neumasseverbindlichkeit (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ohnehin nicht unter das Vollstreckungsverbot fällt (vgl. , BFHE 181, 202, BStBl II 1996, 511, unter II. 2.; zur Problematik eingehend —MünchKommInsO-Hefermehl—, § 210 Rz 19 ff.), bleibt davon auch für die Kraftfahrzeugsteuer als Altmasseverbindlichkeit (vom 1. bis zum ) die sich aus § 12 KraftStG, § 155 Abs. 1 AO ergebende Verpflichtung des FA unberührt, die Kraftfahrzeugsteuer durch einen Steuerbescheid festzusetzen. Dieser Steuerbescheid ist nach § 218 Abs. 1 AO die Grundlage für die Verwirklichung der Kraftfahrzeugsteuer. Ob er vollstreckt werden kann, ergibt sich aus den §§ 249 ff. AO. Das bei angezeigter Masseunzulänglichkeit bestehende Vollstreckungsverbot (§ 210 InsO) schränkt i.V.m. § 251 Abs. 2 AO lediglich die Befugnis des FA ein, den Verwaltungsakt zu vollstrecken, nicht aber, ihn zu erlassen (dies voraussetzend z.B. , BFHE 194, 338, BStBl II 2001, 525, für nach der Anzeige eingereichte, als Steuerfestsetzung geltende Umsatzsteuervoranmeldung).

Wegen dieser in der Abgabenordnung angelegten Trennung des Festsetzungs- vom Erhebungsverfahren verhält es sich anders als im Zivilprozess, wo umstritten ist, in welcher Weise sich das Vollstreckungsverbot auswirkt und ob der Altmassegläubiger zum Feststellungsantrag übergehen muss (vgl. dazu MünchKommInsO-Hefermehl, § 210 Rz 18; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 210 Rz 6; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl., Rz 14.26, jeweils m.w.N. zu den unterschiedlichen Auffassungen).

Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 322
BB 2007 S. 2446 Nr. 45
BFH/NV 2007 S. 2428 Nr. 12
BStBl II 2008 S. 322 Nr. 8
DB 2007 S. 2578 Nr. 47
DStRE 2008 S. 128 Nr. 2
HFR 2007 S. 1223 Nr. 12
KÖSDI 2008 S. 15924 Nr. 3
StB 2007 S. 445 Nr. 12
StBW 2007 S. 6 Nr. 23
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2007 S. 873
UVR 2008 S. 8 Nr. 1
ZIP 2007 S. 2083 Nr. 44
CAAAC-61547