"Ständige Wohnstätte" i.S. des DBA-Schweiz
Leitsatz
Eine Wohnung ist „ständige Wohnstätte” i.S. des DBA-Schweiz 1971, wenn sie nach Art und Intensität ihrer Nutzung eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern in den allgemeinen Lebensrhythmus des Steuerpflichtigen einbezogene Anlaufstelle darstellt.
Gesetze: DBA Schweiz 1971 Art. 4 Abs. 3
Instanzenzug: FG Baden-Württemberg (Außensenate Karlsruhe) vom 13 K 166/01 (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob Einkünfte und Vermögen des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom (BGBl II 1972, 1021, BStBl I 1972, 519) —DBA-Schweiz 1971— in Deutschland besteuert werden dürfen.
Der Kläger wohnte in den Streitjahren (1989 bis 1994) in der Schweiz und bestritt seinen Lebensunterhalt —zumindest überwiegend— aus Kapitalerträgen. Er besaß zudem im Inland —und zwar in B— eine Eigentumswohnung, die er nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) u.a. aus Anlass von Arztbesuchen und Bankgeschäften sowie zu Reinigungszwecken aufsuchte. Diese Wohnung wurde ab 1995 vermietet. Im September 1994 hat der Kläger in B eine Schweizer Staatsangehörige geheiratet; in einer Anlage zur Einkommensteuererklärung des Klägers für 1994 heißt es, Wohnsitz und ständiger Aufenthalt des Klägers seien am in die Schweiz verlegt worden.
Im Zuge einer Steuerfahndungsprüfung wurde festgestellt, dass der Kläger in den Streitjahren sowohl bei deutschen als auch bei Schweizer Kreditinstituten erhebliche Kapitalbeträge angelegt und daraus Zinsen erzielt hatte. Ferner hatte er vereinzelt Spekulationsgeschäfte i.S. des § 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG) getätigt. Auf Grund dieser Feststellungen erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) für die Streitjahre 1989, 1990 und 1992 bis 1994 Einkommensteuerbescheide sowie für alle Streitjahre Vermögensteuerbescheide, in denen die betreffenden Vermögenswerte und Erträge der deutschen Besteuerung unterworfen wurden. Die gegen diese Bescheide gerichtete Klage hatte Erfolg; das FG entschied, dass der vom FA vorgenommenen Besteuerung das DBA-Schweiz 1971 entgegenstehe, da der Kläger in den Streitjahren im Inland keine ständige Wohnstätte i.S. des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 besessen habe. Dagegen wendet sich das FA mit seiner vom FG zugelassenen Revision.
Das FA rügt eine Verletzung des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971. Es beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die von diesem getroffenen Feststellungen lassen eine abschließende Beurteilung des Streitfalls nicht zu.
1. Das FG ist davon ausgegangen, dass der Kläger in den Streitjahren in B einen Wohnsitz i.S. des § 8 der Abgabenordnung (AO) hatte und deshalb gemäß § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war. Diese Beurteilung greift der Kläger nicht an. Der Senat sieht ebenfalls keinen Anlass, an ihrer Richtigkeit zu zweifeln. Die unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers führt dazu, dass dieser für die Streitjahre mit seinen Welteinkünften der Einkommensteuer unterliegt.
2. Das FG hat ferner zutreffend erkannt, dass der Kläger in den Streitjahren aus abkommensrechtlicher Sicht in der Schweiz ansässig war, da sich dort der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befand (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 DBA-Schweiz 1971). Das hat im Grundsatz zur Folge, dass die aus Deutschland stammenden Zinseinkünfte nur in der Schweiz besteuert werden können (Art. 11 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971); dasselbe gilt für die vom Kläger erzielten Spekulationsgewinne (Art. 13 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971).
3. Ungeachtet der vorstehend genannten Regelungen darf jedoch gemäß Art. 4 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971 eine natürliche Person, die nach Art. 4 Abs. 2 DBA-Schweiz 1971 als in der Schweiz ansässig gilt, unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland nach den Vorschriften über die unbeschränkte Steuerpflicht besteuert werden. Das FG hat diese Vorschrift nicht für durchgreifend erachtet, da der Kläger in den Streitjahren nicht —wie von Art. 4 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz vorausgesetzt— in Deutschland eine ständige Wohnstätte oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Diese Beurteilung greift die Revision mit Erfolg an. Das Urteil des FG lässt nicht mit hinreichender Klarheit erkennen, ob sie auf einer zutreffenden Auslegung des Begriffs „ständige Wohnstätte” beruht.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats setzt Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 zunächst das Vorhandensein einer „Wohnstätte” voraus. Diesem Begriff unterfallen alle Räumlichkeiten, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind (Senatsurteil vom I R 40/97, BFHE 187, 544, BStBl II 1999, 207). Das FG hat ersichtlich angenommen, dass die Wohnung des Klägers in B in den Streitjahren diese Voraussetzung erfüllte; das stellt auch der Kläger nicht in Abrede.
b) Eine Wohnstätte ist „ständige” i.S. des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971, wenn sie auf Grund einer langfristigen Rechtsposition ständig genutzt werden kann und tatsächlich regelmäßig genutzt wird. Dabei ist einerseits weder ein ständiges Bewohnen noch ein Mindestmaß an Nutzung Voraussetzung für das Vorliegen einer ständigen Wohnstätte; ebenso muss sich dort nicht der Mittelpunkt der Lebensinteressen des betreffenden Steuerpflichtigen befinden. Andererseits reicht eine nur gelegentliche Nutzung nicht aus (Senatsurteil in BFHE 187, 544, BStBl II 1999, 207). Erforderlich ist vielmehr eine Art und Intensität der Nutzung, welche die Wohnung als eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern in den allgemeinen Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle des Steuerpflichtigen erscheinen lässt. Darin liegt die Qualifizierung der „ständigen Wohnstätte” gegenüber dem „Wohnsitz” i.S. des § 8 AO, für dessen Begründung es ausreichen kann, dass eine Wohnung ständig zur Nutzung bereitgehalten und tatsächlich nur von Fall zu Fall genutzt wird (Senatsurteil vom I R 100/99, BFH/NV 2001, 1402).
Diese Beurteilung wird, bezogen auf Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971, durch das Verhandlungsprotokoll zu diesem Abkommen vom (BStBl I 1975, 504) bestätigt. Danach gelten als ständige Wohnstätte nicht eine Wohnung oder Räumlichkeiten, die nach Charakter und Lage ausschließlich Kur-, Studien- oder Sportzwecken dienen und nachweislich nur gelegentlich und nicht zum Zweck der Wahrnehmung wirtschaftlicher und beruflicher Interessen verwendet werden. Daraus lässt sich zwar —entgegen der Ansicht des FA— nicht ableiten, dass eine Wohnung stets „ständige Wohnstätte” i.S. des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz ist, wenn sie anlässlich der Erledigung wirtschaftlicher Angelegenheiten genutzt wird; denn die genannte (norminterpretierende) Bestimmung enthält nur eine Beschreibung von Vorgängen, die nicht zur Begründung einer ständigen Wohnstätte führen, nicht aber eine positive Aussage des vom FA angenommenen Inhalts. Jedoch lässt sich aus der dort enthaltenen Negativausgrenzung ein gewisses begriffliches Vorverständnis ableiten, das dahin geht, dass jedenfalls die regelmäßige Nutzung einer Wohnung im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Begründung einer „ständigen Wohnstätte” führt (Senatsurteil in BFHE 187, 544, 548, BStBl II 1999, 207, 209). Darüber hinaus macht die genannte Vereinbarung deutlich, dass es —abweichend von der Auffassung des FG— für die im Einzelfall vorzunehmende Abgrenzung nicht nur auf den Zweck, sondern auch auf die Häufigkeit und Regelmäßigkeit des Bewohnens der Räumlichkeiten ankommt.
Wie häufig und intensiv eine Wohnung genutzt werden muss, um zur „ständigen Wohnstätte” i.S. des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 zu werden, lässt sich nicht in abstrakter Weise abschließend bestimmen. Der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 187, 544, BStBl II 1999, 207 eine Wohnung, die an ca. 50 Tagen im Jahr im Zusammenhang mit einer Berufstätigkeit an dem betreffenden Ort genutzt wurde, als ständige Wohnstätte angesehen. Andererseits wird eine stets nur an wenigen Tagen im Jahr genutzte Wohnung auch dann, wenn die Nutzung aus Anlass einer wirtschaftlichen Betätigung erfolgt, hierdurch nicht zur ständigen Wohnstätte werden. Das Erfordernis eines zeitlichen Mindestaufenthalts lässt sich jedoch dem Abkommen nicht entnehmen (ebenso Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 4 Rz 34; Hardt in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 4 Schweiz Rz 70); in Grenzfällen ist letztlich eine wertende Betrachtung geboten, die darauf abstellt, ob die Intensität der Nutzung bei objektiver Betrachtung auf eine Einbindung der Wohnung in das übliche Leben des Steuerpflichtigen hindeutet. In diesem Sinne kann auch auf die persönliche Bindung des Steuerpflichtigen zu der Wohnung abgestellt werden (so z.B. Lehner in Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 4. Aufl., Art. 4 Rz 74; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 4 MA Rz 58), ohne dass es aber darauf ankommt, ob dieser eine positive Einstellung zu der Wohnung hat oder ihre Nutzung nur als notwendiges Übel ansieht.
c) Ob nach diesen Kriterien die Wohnung in B dem Kläger in den Streitjahren als ständige Wohnstätte diente, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Das FA hat unter Berufung auf Indizien vorgetragen, dass der Kläger sich an mindestens 50 Tagen pro Jahr in dieser Wohnung aufgehalten habe. Das FG ist dem nicht nachgegangen, da es die Ansicht vertreten hat, dass es im Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 auf den zeitlichen Umfang der Nutzung nicht ankomme. Richtigerweise ist indessen jedenfalls dann, wenn der Kläger die Wohnung in B in dem vom FA behaupteten Umfang aufgesucht hat und sich diese Aufenthalte jeweils gleichmäßig auf das Jahr verteilt haben, diese Wohnung als „ständige Wohnstätte” i.S. des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 anzusehen. Anders ist es hingegen, wenn der Kläger —wie er selbst vorträgt— sich an nur wenigen Tagen im Jahr in B aufgehalten haben sollte.
4. Dieselben Grundsätze gelten, soweit es um die Heranziehung des Klägers zur Vermögensteuer geht. Insoweit war der Kläger in den Streitjahren ebenfalls unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. l des Vermögensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung), weshalb sein gesamtes Vermögen der inländischen Besteuerung unterliegt. Speziell das Kapitalvermögen darf zwar, da es sich nicht um Vermögenswerte i.S. des Art. 22 Abs. 1 bis 5 DBA-Schweiz 1971 handelt, gemäß Art. 22 Abs. 6 DBA-Schweiz 1971 nur in der Schweiz besteuert werden. Das gilt aber wiederum nur unter dem Vorbehalt des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971, der —wie dessen Satz 2 klarstellt— auch auf die Besteuerung des Vermögens anwendbar ist (ebenso Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Kempermann, a.a.O., Art. 4 Rz 64). Insoweit kommt es daher ebenfalls auf die Frage an, ob der Kläger in den Streitjahren im Inland eine ständige Wohnstätte innehatte.
5. Zur Prüfung dieser Frage bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen, die im Revisionsverfahren nicht getroffen werden können. Zu diesem Zweck wird deshalb die Sache an das FG zurückverwiesen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 812
BB 2007 S. 2166 Nr. 40
BFH/NV 2007 S. 2195 Nr. 11
BFH/NV 2007 S. 2195 Nr. 11
BStBl II 2007 S. 812 Nr. 17
DB 2007 S. 2290 Nr. 42
DStRE 2007 S. 1449 Nr. 22
EStB 2007 S. 404 Nr. 11
GStB 2007 S. 47 Nr. 12
HFR 2007 S. 1082 Nr. 11
IStR 2007 S. 713 Nr. 19
IWB-Kurznachricht Nr. 18/2007 S. 958
IWB-Kurznachricht Nr. 19/2007 S. 1015
KÖSDI 2007 S. 15734 Nr. 10
NJW 2007 S. 3375 Nr. 46
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2007 S. 3403
StB 2007 S. 406 Nr. 11
StuB-Bilanzreport Nr. 19/2007 S. 751
IAAAC-58393