Sorgfaltspflichten eines Kreditinstituts bei Auszahlung eines Guthabens an im Ausland wohnhaften Erben
Leitsatz
Gehen nach Eintritt des Erbfalls auf einem Bankkonto des Erblassers für diesen bestimmte Rentenzahlungen ein, die der Rückforderung nach § 118 Abs. 3 SGB VI unterliegen, und hat das FA der Bank mitgeteilt, sie könne das Kontoguthaben einem außerhalb des Geltungsbereichs des ErbStG wohnhaften Berechtigten bis auf einen bestimmten Betrag zur Verfügung stellen, muss sie die Rentenzahlungen zusätzlich zu diesem Betrag zurückbehalten, um eine Haftung für die Steuer nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG zu vermeiden.
Gesetze: ErbStG § 20 Abs. 6SGB VI § 118 Abs. 3BGB § 276
Instanzenzug: (EFG 2006, 1265) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die im Dezember 2001 verstorbene H unterhielt bei der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) ein Girokonto, auf dem am Todestag ein Guthaben von ca. 214 000 DM ausgewiesen war. H wurde von ihrem in Großbritannien lebenden Sohn (S) beerbt. Ein Leistungsträger (V) überwies der H noch bis April 2003 Rente auf dieses Konto.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) gestattete der Klägerin durch Unbedenklichkeitsbescheinigung vom sinngemäß, das nach Zahlung eines bestimmten Betrages an das FA auf dem Konto verbleibende Guthaben bis auf 17 000 € dem S zur Verfügung zu stellen. Die Klägerin überwies daraufhin dieses Guthaben einschließlich der Rentenzahlungen bis auf 17 000 € an S.
Mit Schriftsatz vom forderte V die für Januar 2002 bis April 2003 gezahlten Rentenbeträge von der Klägerin unter Hinweis auf § 118 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) zurück (Rentenrückruf). Die Klägerin entsprach dieser Forderung und belastete das Girokonto mit dem Rückzahlungsbetrag von 5 840 €.
Das verbliebene Guthaben reichte nicht mehr aus, um den noch nicht entrichteten Teil der Erbschaftsteuer zuzüglich der angefallenen Säumniszuschläge zu begleichen.
Da S die Restforderung des FA trotz mehrfacher Aufforderungen nicht erfüllte, nahm es die Klägerin gemäß § 20 Abs. 6 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) mit Bescheid vom für die restliche Erbschaftsteuer ohne Nebenleistungen in Höhe von 2 642,57 € in Haftung.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1265 veröffentlichte Urteil statt. Die Klägerin habe zwar nicht den in der Unbedenklichkeitsbescheinigung angegebenen Betrag von 17 000 € auf dem Konto zurückbehalten, da sie auch die dem Konto zu Unrecht gutgeschriebenen Rentenbeträge an S ausgezahlt habe. Es treffe sie hieran aber kein Verschulden. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Gutschriften auf dem Konto auf Rentenzahlungen zu überprüfen, die der Rückforderung nach § 118 Abs. 3 SGB VI unterliegen könnten. Auch wegen der Rückzahlung der Renten an V hafte die Klägerin nicht. Die Rückzahlung erfülle bereits nicht den objektiven Tatbestand des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet; die Vorentscheidung war aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat verkannt, dass die Klägerin fahrlässig gehandelt hat, als sie nur den in der Unbedenklichkeitsbescheinigung des FA vom genannten Betrag, nicht aber zusätzlich die nach dem Eintritt des Erbfalls eingegangenen Rentenzahlungen zurückbehalten hat.
1. Gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG haften Personen, in deren Gewahrsam sich Vermögen des Erblassers befindet, für die Erbschaftsteuer, soweit sie das Vermögen vorsätzlich oder fahrlässig vor Entrichtung oder Sicherstellung der Steuer —was im Streitfall allein einschlägig sein kann— außerhalb des Geltungsbereiches des ErbStG wohnhaften Berechtigten zur Verfügung stellen. Die Vorschrift soll verhindern, dass ein —da sich Nachlassvermögen im Inland befindet— zunächst realisierbarer Steueranspruch vereitelt wird. Zu diesem Zweck mutet das Gesetz dem (inländischen) Gewahrsamsinhaber eine Art Garantenstellung zu, die bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung zur Haftungsfolge führt. Zur Vermeidung der Haftungsfolge ist der Gewahrsamsinhaber gehalten, vor einer Aushändigung der Vermögensgegenstände an den Erben zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG vorliegen. Diese Garantenstellung trifft in erster Linie diejenigen, die zum Zeitpunkt des Erbfalls Gewahrsam am Vermögen des Erblassers haben (, BFHE 172, 209, BStBl II 1994, 116). Fahrlässig handelt der Gewahrsamsinhaber, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs —BGB— analog; vgl. , BFHE 80, 481, BStBl III 1964, 647). Eine Bank als Gewahrsamsinhaberin kann sich hierbei nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten und -fähigkeiten des einzelnen Bankangestellten, insbesondere auch nicht darauf berufen, der Sachbearbeiter habe die Möglichkeit der Rentenrückforderung nicht gekannt. Vielmehr muss sie sicherstellen, dass die Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG vorliegen, von ausreichend qualifizierten Mitarbeitern vorgenommen wird.
Ist das FA der Ansicht, dass das Guthaben auf einem vom Erblasser herrührenden Bankkonto nicht in vollem Umfang zur Sicherstellung der Erbschaftsteuer erforderlich ist, kann es der Bank auf deren Bitte mitteilen, dass sie das Guthaben bis auf einen bestimmten Betrag den außerhalb des Geltungsbereichs des ErbStG wohnhaften Berechtigten (Erben) zur Verfügung stellen kann (BFH-Urteil in BFHE 80, 481, BStBl III 1964, 647). Macht die Bank von einer solchen Unbedenklichkeitsbescheinigung Gebrauch, handelt sie regelmäßig nicht schuldhaft i.S. des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG.
Das gilt allerdings nicht ausnahmslos. Sind auf dem Konto nach dem Eintritt des Erbfalls Rentenzahlungen eingegangen, die nach den vom Leistungsträger bei der Überweisung gemachten Angaben für den Erblasser bestimmt waren und die der Leistungsträger wegen zu Unrecht erfolgter Zahlung nach § 118 Abs. 3 SGB VI von der Bank zurückfordern kann (vgl. , BSGE 82, 239; vom B 4 RA 126/00 R, Sozialversicherung 2002, 334), und hatte die Bank dies dem FA vor der Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht mitgeteilt, muss die Bank die überwiesenen Renten zusätzlich zu dem vom FA in der Bescheinigung bestimmten Betrag zurückbehalten, um die durch § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG bezweckte Sicherstellung der Steuer zu gewährleisten. Das gilt auch dann, wenn die Rückforderung noch nicht ausgesprochen worden war. Entspricht die Bank diesen Anforderungen nicht, lässt sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht und handelt trotz formaler Beachtung der Unbedenklichkeitsbescheinigung des FA bei der Auskehrung des Guthabens an die Berechtigten fahrlässig i.S. des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG. Unter diesen Umständen ist es nämlich für die Bank ohne weiteres ersichtlich, dass der nach der Unbedenklichkeitsbescheinigung zurückzubehaltende Betrag allein für die Sicherstellung der Steuer und nicht auch für die Rückzahlung der zu Unrecht überwiesenen Rentenbeträge bestimmt ist. Das muss die Bank bei der Auskehrung von Guthaben an im Ausland wohnhafte Berechtigte beachten.
Diese sich aus § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG ergebenden Anforderungen sind nicht unverhältnismäßig. Es ist der Bank zumutbar, das Konto vor Auskehrung des Guthabens auf solche Zahlungen hin zu überprüfen, die nach dem Tod eines Erblassers und in offensichtlicher Unkenntnis von seinem Tod geleistet worden sind. Es handelt sich dabei nicht um Zahlungsvorgänge im Massenverfahren, sondern um einen Sonderfall, in dem die Klägerin bei sorgfältiger und qualifizierter Bearbeitung in der Lage gewesen wäre, die Sicherungsinteressen des FA vollständig zu wahren.
2. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klägerin haftet nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG für die Erbschaftsteuer, die aus dem bei ihr geführten Konto nicht entrichtet werden konnte, weil sie fahrlässig die Rentenzahlungen, die 16 Monate über den Tod der H hinaus weiter geleistet worden waren, nicht zusätzlich zu dem Betrag zurückbehalten hatte, der vom FA in der Unbedenklichkeitsbescheinigung bestimmt worden war.
Die Inanspruchnahme der Klägerin durch Haftungsbescheid (§ 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung —AO—) lag zwar im Ermessen des FA (§ 5 AO). Da S die restliche Erbschaftsteuer trotz wiederholter Aufforderungen nicht entrichtet hatte und im Ausland wohnhaft war, hat das FA jedoch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten und von seinem Ermessen auch in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 102 Satz 1 FGO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 788
BB 2007 S. 2051 Nr. 38
BFH/NV 2007 S. 2016 Nr. 10
BStBl II 2007 S. 788 Nr. 16
DStRE 2007 S. 1390 Nr. 21
DStRE 2007 S. 1390 Nr. 21
EStB 2007 S. 368 Nr. 10
EStB 2007 S. 368 Nr. 10
FR 2008 S. 149 Nr. 3
GStB 2007 S. 47 Nr. 12
HFR 2007 S. 1209 Nr. 12
IWB-KN Nr. 189/2007 (Haftung des Vermögensverwahrers für Erbschaftsteuer)
NWB-Eilnachricht Nr. 38/2007 S. 3321
StB 2007 S. 364 Nr. 10
StBW 2007 S. 5 Nr. 19
StuB-Bilanzreport Nr. 18/2007 S. 711
UVR 2007 S. 367 Nr. 12
WM 2007 S. 2102 Nr. 45
HAAAC-54144