BFH Urteil v. - I R 84/06

Ausschüttung aufgrund eines Gewinnverteilungsbeschlusses und vorherige Auflösung der Kapitalrücklage

Leitsatz

Der für die Herstellung der Ausschüttungsbelastung nach § 27 KStG erforderliche, den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechende Gewinnverteilungsbeschluss für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr liegt immer dann vor, wenn der Beschluss zivilrechtlich wirksam ist. Eine Gewinnausschüttung beruht auch dann auf einem solchen Beschluss, wenn die im Rahmen eines "Leg-ein-hol-zurück"-Verfahrens zur Realisierung eines Körperschaftsteuerguthabens gebildete Kapitalrücklage in dem dem Gewinnausschüttungsbeschluss zugrunde liegenden Jahresabschluss nicht zuvor förmlich zugunsten des Bilanzgewinns aufgelöst wurde.

Gesetze: KStG § 27, GmbHG § 29, GmbHG § 30, GmbHG § 46 Nr. 1, GmbHG § 42a

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Streitig ist, ob eine Ausschüttung auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss beruht und im Streitjahr 2000 zu einer Körperschaftsteuerminderung führen konnte.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine handelsrechtlich nicht prüfungspflichtige GmbH, war seit 1984 und auch im Streitjahr Organgesellschaft im Rahmen eines Organschaftsverhältnisses mit ihrer Alleingesellschafterin, der X KG. Aus vororganschaftlicher Zeit war der Klägerin körperschaftsteuerrechtlich belastetes Eigenkapital zuzurechnen; zum belief sich der Bestand des sogenannten EK 45 (Teilbetrag des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 1999 vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom , BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428 —KStG a.F.—) auf 431 958 DM.

Auf der Grundlage eines Gesellschafterbeschlusses vom erbrachte die Gesellschafterin im Dezember 2000 eine Einlage in Höhe des EK 45-Bestandes (432 000 DM), die in der am erstellten Handelsbilanz der Klägerin auf den als Kapitalrücklage ausgewiesen wurde. Am erging folgender Gesellschafterbeschluss: „1. Die ... (Klägerin) schüttet DM 549 900 vororganschaftlichen steuerlichen Gewinn des Jahres 1983 aus. Die Ausschüttung soll aus dem Jahresabschluss 2000 finanziert werden. Ein etwaiger Mehrbetrag ist aus der Kapitalrücklage zu entnehmen. 2. Die Ausschüttung erfolgt am .” In einem weiteren Gesellschafterbeschluss vom heißt es: „Der bereits formlos genehmigte Jahresabschluss der ... (Klägerin) zum wird in der durch den Wirtschaftsprüfer/Steuerberater ... erstellten Form festgestellt”.

Die Klägerin wies für das Wirtschaftsjahr 2000 unter Berücksichtigung der Gewinnabführungsverpflichtung einen Jahresüberschuss von 0 DM aus. Mit Blick auf den Ausschüttungsbeschluss wurde im Ausschüttungszeitpunkt () die Kapitalrücklage zugunsten der Ausschüttung verrechnet. Dabei ging die Klägerin davon aus, einen Teilbetrag in Höhe von 117 806 DM (431 958 DM x 15/55) aus einer Körperschaftsteuerminderung finanzieren zu können. In seinen Festsetzungen bzw. Feststellungen zur Körperschaftsteuer 2000 folgte der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) dem nicht; eine Ausschüttungsbelastung wurde nicht hergestellt.

Der dagegen gerichteten Klage hat das (abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2007, 613) stattgegeben.

Das FA rügt die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die Voraussetzungen dafür, im Streitjahr die Ausschüttungsbelastung (§ 27 Abs. 3 Satz 1 KStG a.F.; § 34 Abs. 10a Satz 1 Nr. 1 KStG a.F.) herzustellen, sind erfüllt.

1. Die Ausschüttungsbelastung ist gemäß § 27 Abs. 1 KStG a.F. herzustellen, wenn eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft Gewinn ausschüttet. Die Frage, in welchem Veranlagungszeitraum das Herstellen der Ausschüttungsbelastung erfolgen muss, beantwortet § 27 Abs. 3 KStG a.F. Dabei tritt gemäß § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG a.F. die Minderung oder Erhöhung der Körperschaftsteuer für den Veranlagungszeitraum ein, in dem das Wirtschaftsjahr endet, für das die Ausschüttung erfolgt, wenn die Ausschüttung auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr beruht.

2. Nach der Rechtsprechung des Senats zu § 19 Abs. 3 des vor 1977 geltenden Körperschaftsteuergesetzes entspricht ein Gewinnverteilungsbeschluss immer dann den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften, wenn er zivilrechtlich wirksam ist (Senatsurteil vom I R 165/73, BFHE 117, 30, BStBl II 1976, 73). Diese Rechtsprechung gilt für die Auslegung des § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG a.F., dessen Wortlaut in dem hier maßgeblichen Punkt mit demjenigen des § 19 Abs. 3 des vor 1977 geltenden Körperschaftsteuerrechts übereinstimmt, entsprechend (, BFH/NV 2002, 540; vom I R 40/05, BFH/NV 2007, 614; s. auch Senatsbeschluss vom I B 182/02, BFH/NV 2004, 815). Vorausgesetzt wird damit ein den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften (im Streitfall: § 46 Nr. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung —GmbHG—) entsprechender Gewinnverteilungsbeschluss, der nicht nichtig ist (Streck, KStG, 6. Aufl., Anh. § 27 a.F. Rz 29, Anh. § 28 a.F. Rz 4). Eine Übereinstimmung mit den gesellschaftsrechtlichen Regeln „in materieller Hinsicht” (so Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 27 KStG 1999 Rz 115; Danelsing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 27 KStG a.F. Rz 114; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 27 KStG a.F. Rz 131) ist nur insoweit von Bedeutung, als ein Verstoß gegen diese Regeln die Nichtigkeit des Beschlusses zur Folge haben würde (Senatsurteile in BFH/NV 2002, 540, und in BFH/NV 2007, 614; s.a. , EFG 1987, 139).

3. a) Die Gesellschafter einer GmbH haben nach § 29 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich einen Anspruch auf den Jahresüberschuss bzw. (bei einer Rücklagenauflösung) auf den Bilanzgewinn. Vorausgesetzt wird der Ausweis eines entsprechenden Jahresüberschusses bzw. Bilanzgewinns im Jahresabschluss, dessen Feststellung durch Gesellschafterbeschluss und die Festlegung der Ausschüttung im Ergebnisverwendungsbeschluss. § 42a Abs. 1 Satz 1 GmbHG verpflichtet dabei den Geschäftsführer, den Jahresabschluss unverzüglich nach der Aufstellung den Gesellschaftern zur Feststellung des Jahresabschlusses vorzulegen. Nach § 46 Nr. 1 GmbHG unterliegen sodann die Feststellung des Jahresabschlusses und die Verwendung des Ergebnisses der Bestimmung der Gesellschafter.

Notwendige Voraussetzung für eine Entscheidung über die Ergebnisverwendung ist die rechtswirksame Feststellung des Jahresabschlusses, die eine Bindung für die Gesellschaft und die Gesellschafter auslöst (s. z.B. Hueck/Fastrich in Baumbach/ Hueck, GmbH-Gesetz, 18. Aufl., § 29 Rz 8 f.). Der Feststellungsbeschluss und der Verwendungsbeschluss können dabei trotz der unterschiedlichen Wirkungsbereiche miteinander verbunden werden (z.B. Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, a.a.O., § 29 Rz 9, 38; Zöllner, ebenda, § 46 Rz 19; Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 16. Aufl., § 29 Rz 5; Emmerich in Scholz, GmbHG, 10. Aufl., § 29 Rz 33a). Wird der Ergebnisverwendungsbeschluss auf der Grundlage des aufgestellten Jahresabschlusses gefasst, kann dies als konkludente Feststellung angesehen werden (Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, a.a.O., § 29 Rz 43; Zöllner, ebenda, § 46 Rz 16; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, 5. Aufl., GmbHG § 42a Rz 48; Emmerich in Scholz, a.a.O., § 29 Rz 80).

b) Die Würdigung des FG, dass im Streitfall eine konkludente Feststellung des (im Mai 2001 erstellten) Jahresabschlusses im Zeitpunkt des Beschlusses über die Ergebnisverwendung (vom ) vorliegt, bindet den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO. Das FG hat dabei in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise darauf geschlossen, dass die Klägerin im Vorgriff auf die Reform der Unternehmensbesteuerung das im verwendbaren Eigenkapital abgebildete Körperschaftsteuer-Guthaben realisieren wollte (s. allgemein zum „Leg-ein-hol-zurück-Verfahren” z.B. Senatsurteil vom I R 25/00, BFHE 196, 485, BStBl II 2003, 923; Bauschatz in Gosch, KStG, Vor §§ 36-40 Rz 16; zur Einschätzung als Gestaltungsmaßnahme, um mit der Umgliederung verbundene Nachteile zu vermeiden, s. z.B. Senatsurteil vom I R 107/04, BFHE 210, 256, BStBl II 2005, 884). Eine solche Maßnahme setzte allerdings, da angesichts der Gewinnabführungsverpflichtung ein ausschüttungsfähiger Jahresüberschuss nicht erzielt werden konnte, eine vorherige Einlage liquider Mittel in Höhe des verwendbaren Eigenkapitals voraus, die im Jahresabschluss auch abgebildet wurde. Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass im Beschluss vom der Jahresabschluss ausdrücklich festgestellt wurde; durch den Hinweis auf die frühere „formlose Genehmigung” wurde in ausreichender Weise klargestellt, dass dem späteren Beschluss nur deklaratorische Wirkung beigemessen wurde, es damit nicht um den Versuch einer Heilung eines Formverstoßes ging.

4. Inhaltlich bezieht sich ein Gewinnverwendungsbeschluss auf den in dem festgestellten Jahresabschluss ausgewiesenen Jahresüberschuss bzw. Bilanzgewinn. Entgegen der Revision liegt im Streitfall aber kein Verstoß gegen § 29 Abs. 1 GmbHG darin, dass der Posten „Kapitalrücklage” in dem dem Ausschüttungsbeschluss zugrunde liegenden Jahresabschluss nicht förmlich zugunsten des Bilanzgewinns aufgelöst wurde.

a) Zur Finanzierung der Ausschüttung des „vororganschaftlichen steuerlichen Gewinn(s) des Jahres 1983” wurde die im Jahresabschluss (zum ) gebildete Kapitalrücklage herangezogen. Bildung und Auflösung einer Kapitalrücklage nach „anderen Zuzahlungen, die Gesellschafter in das Eigenkapital leisten” (s. § 266 Abs. 3 A. II. des HandelsgesetzbuchsHGB— und § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB) erfolgt zwar grundsätzlich im Rahmen der Aufstellung des Jahresabschlusses. Die Verfügung über diesen Posten unterliegt aber keinen besonderen Bindungen; die Gesellschafterversammlung kann diesen Posten jederzeit auflösen (s. z.B. Beater in Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, § 272 Rz 53; Förschle/Hoffmann in Beck'scher Bilanzkommentar, 6. Aufl., § 272 HGB Rz 72; Adler/Düring/ Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., § 272 HGB Rz 134). Eine solche Rücklagenauflösung kann auch im Rahmen eines Gewinnverwendungsbeschlusses erfolgen, wie auch allgemein anerkannt ist, dass die Gesellschafterversammlung nicht gehindert ist, in dem Verwendungsbeschluss in den durch § 30 GmbHG gezogenen Grenzen „sonstiges Vermögen” der GmbH zu verteilen (z.B. Emmerich in Scholz, a.a.O., § 29 Rz 80; zur Rücklagenauflösung s. etwa Lutter/ Hommelhoff, a.a.O., § 29 Rz 30).

b) Im Streitfall ist der Gewinnausschüttungsbeschluss, der zur Finanzierung auf die zuvor gebildete Kapitalrücklage zurückgreift, zugleich als Gesellschafterbeschluss über die Auflösung der Rücklage anzusehen. Da in der konkreten Situation des „Leg-ein-hol-zurück-Verfahrens”, das handelsrechtliches Ausschüttungspotential generieren soll, ein Verstoß gegen Kapitalerhaltungsvorschriften nicht vorliegt, ist es jedenfalls nicht notwendig, die Kapitalrücklage in dem der Gewinnausschüttung zugrunde liegenden Jahresabschluss zuvor förmlich zu Gunsten des Bilanzgewinns aufzulösen (so im Ergebnis auch , EFG 2003, 880; zustimmend Neu, EFG 2003, 881 f.; Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/ Witt, a.a.O., KStG n.F. § 36 Rz 38; Lornsen-Veit/Odenbach in Erle/Sauter, Körperschaftsteuergesetz, 2. Aufl., § 37 KStG Rz 150; wohl auch Bott in Ernst & Young, KStG, § 37 Rz 62 [Fußnote 3]; a.A. Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 36 Rz 58 und § 27 a.F. Rz 177).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1925 Nr. 10
GmbHR 2007 S. 1058 Nr. 19
HFR 2008 S. 52 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2007 S. 16
StuB-Bilanzreport Nr. 20/2007 S. 785
KAAAC-53680