BGH Urteil v. - RiZ(R) 1/07

Leitsatz

[1] Eine Schwangerschaft begründet das Entlassungsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchVB NW i.V. mit § 4 Abs. 1 Satz 1 LRiG NW nur, wenn sie im Zeitpunkt der Entlassungsverfügung besteht. Eine zwischen der Entlassungsverfügung und dem Widerspruchsbescheid eingetretene, dem Dienstvorgesetzten mitgeteilte Schwangerschaft ist von der Widerspruchsbehörde bei der Ausübung des in § 22 Abs. 3 DRiG eingeräumten Ermessens zu berücksichtigen.

Gesetze: DRiG § 22 Abs. 3; LRiG NW § 4 Abs. 1; MuSchVB NW § 11 Abs. 1

Instanzenzug: LG Düsseldorf DG 3/05 vom OLG Hamm 1 DGH 2/06 vom

Tatbestand

Die am geborene Antragstellerin wurde am unter Berufung in das Richterverhältnis auf Probe zur Richterin ernannt. Sie war bis Mitte Mai 1999 beim Landgericht E. , anschließend bis zum beim Amtsgericht E. , vom 1. Januar bis zum im Laufbahnwechsel als Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft M. , vom 1. Januar bis zum beim Amtsgericht M. , vom 23. Juli bis zum beim Amtsgericht L. und vom bis zum Beginn des Mutterschutzes Mitte März 2002 erneut beim Amtsgericht M. tätig. Nach der Geburt einer Tochter und dem Ende des Mutterschutzes im Juli 2002 befand sie sich bis Ende März 2003 im Erziehungsurlaub ohne Bezüge. Danach war sie unter Ermäßigung des Dienstes aufgrund der ElternzeitVO mit halber Stelle beim Amtsgericht D. tätig. Die Elternzeit endete am .

Der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm entließ die Antragstellerin durch Verfügung vom gemäß § 22 Abs. 3 DRiG aus dem Richterverhältnis auf Probe. Zur Begründung führte er aus, nach der gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 LRiG NW durchgeführten Untersuchung habe sich die Antragstellerin eines Verhaltens schuldig gemacht, das bei Richtern auf Lebenszeit eine im gerichtlichen Verfahren zu verhängende Disziplinarmaßnahme zur Folge hätte. Sie habe beim Amtsgericht L. in zwei Strafsachen den Vorsitz in Hauptverhandlungen geführt, die am 6. und mit der Verurteilung der Angeklagten zu Geldstrafen endeten. Die Urteile seien nicht spätestens fünf Wochen nach Verkündung zu den Akten gelangt. Die Akten seien in Verlust geraten und nicht mehr auffindbar. Der Verlust der Akten beruhe nach den nicht zu widerlegenden Angaben der Antragstellerin darauf, dass sie sie in der Wohnung ihres ehemaligen, drogenabhängigen Freundes vergessen habe. Bevor sie dies gegenüber ihrem Dienstvorgesetzten, dem Präsidenten des Landgerichts Münster, bei ihrer Anhörung im Vorermittlungsverfahren am offenbart habe, habe sie mehrmals wahrheitswidrige Angaben über den Verbleib der Akten gemacht. Gegenüber der Geschäftsstellenverwalterin des Amtsgerichts L. habe sie telefonisch erklärt, die Akten seien bereits auf dem Weg nach L. . Später habe sie angegeben, die Akten seien aus unerklärlichen Gründen wieder an das Amtsgericht M. zurückgelangt. Sie wolle sie mit den abgesetzten Urteilen erneut übersenden. Auf wiederholte Rückfrage der Geschäftsstellenverwalterin habe sie angekündigt, die Akten persönlich zu überbringen. Später habe sie angegeben, die Akten mit der Post versandt zu haben. Gegenüber dem Präsidenten des Landgerichts Münster habe sie zunächst schriftlich angegeben, die Akten einkuvertiert und in den Postausgang des Amtsgerichts M. gelegt zu haben. Zugleich habe sie Urteilsabschriften übersandt. In einem weiteren Schreiben an den Präsidenten des Landgerichts Münster habe sie ihre Angaben dahingehend präzisiert, sie habe beide Akten in einem großen Umschlag in der Poststelle des Amtsgerichts M. in das Abtragefach für Umschlagpost gelegt. Die am 6. und verkündeten Urteile seien auf die Rechtsmittel der Angeklagten aufgehoben worden. Die Strafverfahren seien sodann gemäß § 153a Abs. 2 StPO bzw. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Kurz vor Beendigung ihrer Abordnung an die Staatsanwaltschaft M. am habe sie sieben Verfahrensakten zur weiteren Bearbeitung an sich genommen und erst nach mehrfacher Aufforderung des Abteilungsleiters und des Dezernatsnachfolgers im Laufe des Jahres 2001, eine Akte erst am zurückgegeben. In zwei dieser Verfahren habe sie ihre Amtsgeschäfte während ihrer Abordnung an die Staatsanwaltschaft M. nicht unverzögert geführt.

Nach diesen Feststellungen habe die Antragstellerin mehrfach schuldhaft ihre Dienstpflichten verletzt: Hinsichtlich der in Verlust geratenen Strafakten habe sie ihre Pflicht gemäß § 275 Abs. 1 StPO verletzt, die Urteile unverzüglich, spätestens fünf Wochen nach der Verkündung, zu den Akten zu bringen. Der Verlust der Akten beruhe zumindest auf mangelnder Sorgfalt. Die Antragstellerin habe sich nicht ausreichend um den Rückerhalt der Akten bemüht und unter Verletzung ihrer Beratungs- und Unterstützungspflicht gegenüber ihrem Dienstvorgesetzten den Verlust der Akten nicht unverzüglich angezeigt. Sie habe gegenüber ihrem Dienstvorgesetzten, dem Personaldezernenten und der Geschäftsstellenverwalterin des Amtsgerichts detailreiche unwahre Angaben über den Verbleib der Akten gemacht und die dienstlichen Nachforschungen bewusst in eine falsche Richtung gelenkt. Ferner habe sie pflichtwidrig gehandelt, indem sie sieben Verfahrensakten nach dem Ende ihrer Abordnung an die Staatsanwaltschaft M. über lange Zeit nicht zurückgegeben habe. Die Pflichtverletzungen stellten ein einheitliches Dienstvergehen im Sinne des § 4 LRiG NW, §§ 57, 58, 83 LBG NW dar. Das Schwergewicht der Verfehlungen liege in den wahrheitswidrigen Angaben über den Verbleib der in Verlust geratenen Akten und dem damit einhergehenden Versuch, eigene Versäumnisse zu vertuschen. Die Schwere dieses Dienstvergehens hätte auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Antragstellerin letztlich ihre wahrheitswidrigen Angaben korrigiert und Einsicht in ihr Fehlverhalten gezeigt habe, zumindest eine Geldbuße zur Folge gehabt, die bei einem Richter auf Lebenszeit nur im Disziplinarklageverfahren durch das Gericht (§ 48 Abs. 4 LRiG NW) verhängt werden könnte.

Im Rahmen des gemäß § 22 Abs. 3 DRiG auszuübenden Ermessens seien keine besonderen Gründe zu erkennen, von einer Entlassung abzusehen. Dass die Antragstellerin ihren Beruf im Übrigen, auch nach Wiederaufnahme der Tätigkeit in Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit, unbeanstandet ausgeübt habe und ihre Leistungen vor Bekanntwerden des Dienstvergehens als "überdurchschnittlich" beurteilt worden seien, rechtfertige keine andere Beurteilung. Die durch die wahrheitswidrigen Angaben verursachte Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zum Dienstherrn stehe einer Übertragung eines Richteramtes auf Lebenszeit entgegen. Zum Zeitpunkt des Dienstvergehens sei die Statusdienstzeit gemäß § 12 Abs. 2 DRiG noch nicht abgelaufen gewesen. Eine frühere Beendigung des Entlassungsverfahrens sei wegen der Entlassungssperre aufgrund der Elternzeit nicht möglich gewesen. Die persönliche Situation der Antragstellerin und ihre möglicherweise unsichere berufliche Zukunftsperspektive rechtfertigten ein Absehen von der Entlassung nicht.

Die Antragstellerin erhob am Widerspruch gegen die Entlassungsverfügung. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, da sie spätestens Ende Juli 2004 zur Richterin auf Lebenszeit hätte ernannt werden müssen, habe sie im Mai 2005 nicht mehr aufgrund eines für Richter auf Probe geltenden gesetzlichen Tatbestandes entlassen werden können. In der Sache selbst sei zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, dass sie die Verfahrensakten am Ende ihrer Abordnung an die Staatsanwaltschaft M. an sich genommen habe, um sie noch zu bearbeiten. Dies sei ihr aber nicht möglich gewesen, weil sie zunächst erkrankt sei und sodann beim Amtsgericht M. ein ungeordnetes Dezernat mit großen Rückständen vorgefunden habe. Als im Dezember 2001 zwei Akten in Verlust geraten seien, sei sie schwanger und in einer unklaren und sehr belastenden persönlichen Situation gewesen. Im Rahmen der Ermessensausübung sei der erhebliche Zeitablauf seit diesen Vorkommnissen zu berücksichtigen. Der Antragsgegner habe keine Bedenken gehabt, sie während des Erziehungsurlaubs bzw. der Elternzeit weiterhin als Richterin einzusetzen. In der Entlassungsverfügung werde zu Unrecht die Auffassung vertreten, von einer Entlassung sei nur bei Vorliegen besonderer Gründe abzusehen. Da ein mit einer Geldbuße zu ahndendes Dienstvergehen die tatbestandliche Voraussetzung für die Entlassung eines Richters auf Probe sei, bedürfe die Entlassung besonderer Gründe, die nicht vorlägen. Dies gelte auch im Vergleich zu Beamten auf Probe, bei denen die Verhängung einer Geldbuße kein förmliches Disziplinarverfahren erfordere.

Der Präsident des Oberlandesgerichts wies den Widerspruch gegen die Entlassungsverfügung am zurück. Am selben Tag ging ihm ein Schreiben der Antragstellerin zu, in dem sie ihre erneute Schwangerschaft und als voraussichtlichen Geburtstermin den anzeigte.

Auf einen entsprechenden Antrag der Antragstellerin hat das Dienstgericht durch Urteil vom die Entlassungsverfügung vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf das Entlassungsverbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchVB NW verwiesen und ausgeführt, maßgeblich sei nicht der Zeitpunkt der Entlassungsverfügung, in dem die Antragstellerin noch nicht schwanger gewesen sei, sondern der der letzten Verwaltungsentscheidung, d.h. des Widerspruchsbescheides.

Dieses Urteil hat der Dienstgerichtshof auf die Berufung des Antragsgegners durch Beschluss vom aufgehoben und den Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Dienstgerichtshof ausgeführt, die Entlassung der Antragstellerin gemäß § 22 Abs. 3 DRiG sei nicht zu beanstanden. § 22 Abs. 3 DRiG sei anwendbar, obwohl ein Richter auf Probe nach § 12 Abs. 2 Satz 1 DRiG spätestens fünf Jahre nach seiner Ernennung zum Richter auf Lebenszeit zu ernennen sei und diese Statusdienstzeit bei der Antragstellerin bereits am abgelaufen sei. § 22 Abs. 3 DRiG knüpfe allein an die Rechtsstellung als Richter auf Probe an. Der Regelung des § 12 Abs. 2 Satz 1 DRiG sei bei der Ausübung des Ermessens gemäß § 22 Abs. 3 DRiG Rechnung zu tragen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 DRiG seien gegeben. Die Antragstellerin habe nach den im Untersuchungsverfahren gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 DRiG getroffenen Feststellungen, deren Richtigkeit sie nicht in Zweifel ziehe, ihre Dienstpflichten gemäß § 4 Abs. 1 LRiG NW, §§ 83, 57, 58 LBG NW mehrfach schuldhaft verletzt. Sie habe pflichtwidrig gehandelt, indem sie zum Ende ihrer Abordnung an die Staatsanwaltschaft M. sieben Akten, für deren Bearbeitung sie nicht mehr zuständig gewesen sei, mitgenommen und erst nach sechseinhalb bzw. elfeinhalb Monaten zurückgegeben habe. Zudem habe sie zwei dieser Verfahren während ihrer Abordnung an die Staatsanwaltschaft nicht unverzüglich bearbeitet. Hinsichtlich der beiden in Verlust geratenen Akten habe sie ihre Pflicht gemäß § 275 Abs. 1 StPO, die Urteile fristgerecht zu den Akten zu bringen, verletzt. Außerdem habe sie ihre Beratungs- und Unterstützungspflicht verletzt, indem sie den Verlust der Akten nicht angezeigt habe. Sie habe auch keine ausreichenden Anstrengungen zur Rückerlangung der Akten unternommen, sondern durch vorsätzliche Falschauskünfte den Verlust der Akten zunächst verheimlicht. Diese als einheitliches Dienstvergehen zu wertenden Pflichtverletzungen hätten bei einem Richter auf Lebenszeit mindestens eine Geldbuße und damit eine im gerichtlichen Disziplinarverfahren zu verhängende Disziplinarmaßnahme zur Folge gehabt. Das Schwergewicht der Verfehlung liege in den wahrheitswidrigen Angaben über den Verbleib der in Verlust geratenen Akten und in den Versäumnissen bei der Mitwirkung an der Schadensbehebung bzw. -begrenzung. Schon die besonders schwerwiegende Verletzung der Dienstpflicht nach dem Verlust der beiden Strafakten hätte, auch unter Berücksichtigung der im Übrigen von der Antragstellerin gezeigten überdurchschnittlichen Leistungen und ihrer besonderen persönlichen Situation, bei einem Richter auf Lebenszeit mindestens eine Geldbuße und damit eine im förmlichen Disziplinarverfahren zu verhängende Maßnahme zur Folge gehabt. Der Antragsgegner habe sein Ermessen gemäß § 22 Abs. 3 DRiG nicht fehlerhaft ausgeübt. Das Entlassungsermessen sei durch den Ablauf der Statusdienstzeit des § 12 Abs. 2 Satz 1 DRiG am nicht eingeengt gewesen, weil das Dienstvergehen bereits zuvor begangen worden sei und der Antragsgegner die Aufklärung des Sachverhalts und die Entscheidung über die Entlassung nicht ungebührlich verzögert habe. Der Ermessensspielraum sei auch nicht deshalb verkürzt, weil der Antragsgegner am der Antragstellerin ab dem im Rahmen der Elternzeit eine Teilzeitbeschäftigung auf der Basis einer halben Stelle bewilligt habe. Das besondere Gewicht ihres Fehlverhaltens sei erst nach dieser Bewilligung durch ihr Eingeständnis am bekannt geworden. Außerdem habe die Weiterbeschäftigung der Antragstellerin bis zur Entlassungsentscheidung nur ein vergleichsweise geringes Risiko mit sich gebracht, während bei einer Übernahme in das Richterverhältnis auf Lebenszeit im Hinblick auf die durch diesen Status gewährleistete Unabhängigkeit die Gefahr bestanden hätte, dass die Antragstellerin der damit verbundenen Verantwortung nicht gerecht werden würde. Zudem sei die Antragstellerin auf die Möglichkeit einer Entlassung rechtzeitig hingewiesen worden. Soweit der Antragsgegner in der Entlassungsverfügung ausgeführt habe, die Antragstellerin sei zu entlassen, wenn nicht besondere Ausnahmegründe vorlägen, habe er im Widerspruchsbescheid klargestellt, sich seines uneingeschränkten Ermessens bewusst gewesen zu sein. Die Entlassung verstoße nicht gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchVB NW i.V. mit § 4 Abs. 1 LRiG NW, § 86 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 LBG NW. Maßgeblich sei nicht der Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides, sondern der der Entlassungsverfügung, in dem die Antragstellerin noch nicht schwanger gewesen sei. Der maßgebliche Zeitpunkt richte sich in erster Linie nach dem einschlägigen materiellen Recht. § 11 Abs. 1 MuSchVB NW knüpfe den Beginn des Schutzes vor Entlassung an die Kenntnis des Dienstherrn von der Schwangerschaft im Zeitpunkt des Ausspruchs der Schwangerschaft. Eine ohne diese Kenntnis ausgesprochene Entlassung sei zurückzunehmen, wenn dem Dienstvorgesetzten die Schwangerschaft binnen zwei Wochen nach Zustellung der Entlassungsverfügung mitgeteilt werde. Der Gesetzeswortlaut enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, dass im Falle eines Widerspruches auch ein späterer Zeitpunkt des Eintretens der Schwangerschaft ausreiche. Auch bei einer Entlassung gemäß § 22 Abs. 1 und 2 DRiG könnten Leistungen nach der Entlassungsverfügung bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides die Rechtmäßigkeit der Entlassung als eines rechtsgestaltenden Aktes grundsätzlich nicht mehr beeinträchtigen.

Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Wegen ihres Vorbringens wird auf die Revisionsbegründungsschrift vom Bezug genommen.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Dienstgerichtshofes vom aufzuheben und die Berufung des Antragsgegners gegen das Urteil des Dienstgerichts vom zurückzuweisen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Wegen seines Vorbringens wird auf die Revisionserwiderung vom verwiesen.

Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Gründe

I.

Die zulässige (§ 79 Abs. 2, § 80 Abs. 2 DRiG) Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der unrichtigen Anwendung einer Rechtsvorschrift (§ 80 Abs. 3 DRiG). Die Auffassung des Dienstgerichtshofes, die Entlassung der Antragstellerin gemäß § 22 Abs. 3 DRiG sei rechtlich nicht zu beanstanden, ist rechtsfehlerhaft.

1. Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings die Auffassung des Dienstgerichtshofes, es verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass ein Richter auf Probe, anders als ein Beamter auf Probe, gemäß § 22 Abs. 3 DRiG bereits wegen eines Verhaltens, das bei einem Richter auf Lebenszeit mindestens mit einer Geldbuße zu ahnden wäre, entlassen werden kann. Dies entspricht der Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes ( RiZ(R) 3/66, DRiZ 1967, 132, 133 und vom - RiZ(R) 6/86, BGHZ 100, 287, 288 f. = NJW 1987, 2516). Dasselbe gilt für die Auffassung des Dienstgerichtshofes, § 22 Abs. 3 DRiG sei auch in Fällen anwendbar, in denen die sogenannte Statusdienstzeit gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 DRiG im Zeitpunkt der Entlassungsverfügung bereits abgelaufen ist ( RiZ(R) 6/86, BGHZ 100, 287, 289 f. = NJW 1987, 2516).

2. Auch die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 DRiG ist nicht zu beanstanden. Insoweit unterliegt im richterdienstgerichtlichen Verfahren in vollem Umfang der Nachprüfung, ob dem Richter auf Probe das ihm von seinem Dienstherrn vorgeworfene Verhalten tatsächlich zur Last fällt und ob es bei einem Richter auf Lebenszeit eine im förmlichen Disziplinarverfahren zu verhängende Disziplinarmaßnahme, d.h. mindestens eine disziplinarrechtliche Geldbuße, zur Folge hätte ( RiZ(R) 6/86, BGHZ 100, 287, 290 = NJW 1987, 2516). Beides hat der Dienstgerichtshof ohne Rechtsfehler bejaht. Er hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen, die die Revision in tatsächlicher Hinsicht nicht in Zweifel zieht, rechtsfehlerfrei alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt und insbesondere die Pflichtverletzungen und Täuschungshandlungen der Antragstellerin nach dem Verlust der beiden Strafakten als so schwerwiegend angesehen, dass bei einem Richter auf Lebenszeit zumindest eine disziplinarrechtliche Geldbuße zu verhängen gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund musste der Dienstgerichtshof entgegen der Auffassung der Revision weder eine mündliche Verhandlung durchführen, um sich ein persönliches Bild von der Antragstellerin zu machen, noch anhand ihrer dienstlichen Beurteilungen prüfen, ob sie während ihrer bisherigen richterlichen Tätigkeit die hierfür erforderlichen charakterlichen Eigenschaften unter Beweis gestellt hat. Die dienstlichen Beurteilungen sind in Unkenntnis des Dienstvergehens erstellt worden und enthalten deshalb keine vollständige Würdigung der Persönlichkeit der Antragstellerin. Dass der Dienstgerichtshof davon abgesehen hat, in einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Antragstellerin zu gewinnen, ist angesichts der Schwere des Dienstvergehens rechtlich nicht zu beanstanden.

3. Rechtsfehlerfrei ist ferner die Auffassung des Dienstgerichtshofes, die Entlassung der Antragstellerin verstoße nicht gegen das Entlassungsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchVB NW i.V. mit § 4 Abs. 1 Satz 1 LRiG NW, § 86 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 LBG NW. In dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entlassungsverfügung vom war die Antragstellerin nach den rechtsfehlerfreien und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Dienstgerichtshofes nicht schwanger.

Die Frage, auf welche Sach- und Rechtslage abzustellen ist, beurteilt sich nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (BVerwGE 82, 260, 261; 97, 214, 220; NVwZ 1991, 360, 361; DVBl 1998, 201, 202; Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl. § 113 Rdn. 41). Bei der Anwendung des § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchVB NW ist nach Wortlaut und Regelungszweck auf den Zeitpunkt der Entlassungsverfügung und nicht auf den des Widerspruchsbescheides abzustellen. Der Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchVB NW verbietet eine Entlassung während der Schwangerschaft und setzt damit eine Schwangerschaft in dem Zeitpunkt, in dem die Entlassung - durch die Entlassungsverfügung - ausgesprochen wird, voraus. Hinzu kommt, dass eine Entlassungsverfügung, die der Dienstvorgesetzte ohne Kenntnis der Schwangerschaft erlassen hat, zurückzunehmen ist, wenn dem Dienstvorgesetzten die Schwangerschaft binnen zwei Wochen nach Zustellung der Entlassungsverfügung mitgeteilt wird. Diese Regelung hätte keinen sinnvollen Anwendungsbereich, wenn ohnehin jede bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides eintretende Schwangerschaft ein Entlassungsverbot zur Folge hätte. Der Regelungszweck des § 11 Abs. 1 MuSchVB NW rechtfertigt keine andere Auslegung. Der Zweck des Entlassungsverbotes besteht darin, der (werdenden) Mutter wegen ihres besonderen Zustandes während der Schwangerschaft und in der ersten Zeit nach der Entbindung den Arbeitsplatz zu erhalten, sie vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu bewahren und gegen die mit einer Entlassung verbundene psychische Belastung zu schützen (Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß, Mutterschutzgesetz - Mutterschaftsleistungen 9. Aufl. MuSchG § 9 Rdn. 1; Dieterich/Müller-Glöge/Preis/Schaub, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht 7. Aufl. MuSchG § 9 Rdn. 1). Diese Schutzintention erstreckt sich nur auf (werdende) Mütter und nicht auf Frauen, die im Zeitpunkt der Entlassung noch nicht schwanger sind.

Die Auslegung des § 11 Abs. 1 MuSchVB NW erfordert entgegen der Auffassung der Revision keine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Kündigungsverbots gemäß Art. 10 Nr. 1 der Richtlinie 92/85 EWG des Rates vom (ABl. Nr. L 348/1). Diese Vorschrift erfasst nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur eine "Kündigung ... während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschutzurlaubs" und setzt mithin das Bestehen der Schwangerschaft im Zeitpunkt der Entlassungsverfügung voraus. Das Kündigungsverbot soll nach dem 15. Erwägungsgrund der Richtlinie der Gefahr begegnen, dass eine Arbeitnehmerin aus Gründen entlassen wird, die mit ihrem Zustand in Verbindung stehen. Ein solcher Entlassungsgrund ist nur denkbar, wenn die Arbeitnehmerin bereits im Zeitpunkt der Entlassungsverfügung schwanger ist. Die richtige Auslegung der Richtlinie ist mithin derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. EuGH NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG NJW 1988, 1456; , WM 2007, 373, 374 f.).

4. Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Auffassung des Dienstgerichtshofes, der Antragsgegner habe das in § 22 Abs. 3 DRiG eröffnete Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die Ermessensentscheidung gemäß § 22 Abs. 3 DRiG ist gerichtlich nur eingeschränkt, nämlich nur daraufhin überprüfbar, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 Satz 1 VwGO, §§ 83, 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG; RiZ(R) 6/86, BGHZ 100, 287, 293 = NJW 1987, 2516, 2518). Ein solcher Ermessensfehlgebrauch liegt vor, weil, wie die Revision zu Recht rügt, der Antragsgegner bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom die ihm in diesem Zeitpunkt bereits angezeigte Schwangerschaft der Antragstellerin nicht in seine Ermessenserwägungen einbezogen hat.

a) Der Antragsgegner hatte im Widerspruchsbescheid gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Entlassungsverfügung nachzuprüfen. Bei der Nachprüfung der Zweckmäßigkeit war das in § 22 Abs. 3 DRiG eingeräumte Ermessen erneut und selbständig auszuüben (vgl. Geis, in: Sodan/Ziekow, VwGO 2. Aufl. § 68 Rdn. 201). Maßgeblich war dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides (vgl. BVerwG NVwZ-RR 1997, 132, 133; Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl. § 68 Rdn. 15; Geis, in: Sodan/Ziekow, VwGO 2. Aufl. § 68 Rdn. 196; jeweils m.w.Nachw.). Zu der danach zu berücksichtigenden Sachlage gehört auch die Schwangerschaft der Antragstellerin. Die Anzeige der Schwangerschaft durch die Antragstellerin ist am , d.h. am Tag des Widerspruchsbescheides, beim Präsidenten des Oberlandesgerichts eingegangen und zur Personalakte der Antragstellerin genommen worden. Der in einem Sonderheft verfügte Widerspruchsbescheid ist am gefertigt und am abgesandt worden. Der Präsident des Oberlandesgerichts hat die Schwangerschaft in dem Widerspruchsbescheid nicht berücksichtigt, weil er bis zu diesem Zeitpunkt, wie er in seinem Schriftsatz vom ausgeführt hat, noch keine Kenntnis von ihr erlangt hatte.

b) In der Nichtberücksichtigung der Schwangerschaft liegt eine Außerachtlassung eines wesentlichen Gesichtspunktes, die die Ermessensausübung rechtsfehlerhaft macht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl. § 114 Rdn. 12 m.w.Nachw.). Wesentliche Gesichtspunkte, die bei einer Ermessensausübung berücksichtigt werden müssen, sind außer dem unmittelbaren, durch öffentliche Interessen bestimmten Zweck, dem eine Regelung dient, auch die Rechtsschutzzwecke sonst einschlägiger Rechtssätze, insbesondere die Wertentscheidungen des Verfassungsrechts (Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl. § 114 Rdn. 9 m.w.Nachw.). Dazu gehört auch der durch Art. 6 Abs. 4 GG gewährleistete Schutz der (werdenden) Mutter (vgl. hierzu BVerfGE 85, 360, 372), den alle staatlichen Stellen bei der Gesetzesanwendung und -auslegung zu beachten haben (Schmitt-Kammler, in: Sachs, Grundgesetz 3. Aufl. Art. 6 Rdn. 81). Dem steht nicht entgegen, dass das Entlassungsverbot gemäß § 11 Abs. 1 MuSchVB NW, wie dargelegt, im vorliegenden Fall nicht eingreift. Diese Vorschrift dient, wie ausgeführt, ausschließlich dem Schutz der (werdenden) Mutter und kann deshalb nicht zu ihrem Nachteil dahin ausgelegt werden, dass sie die unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten gebotene Berücksichtigung der Schwangerschaft ausschließt.

Die Außerachtlassung der Schwangerschaft kann nicht damit gerechtfertigt werden, die Entscheidung gemäß § 22 Abs. 3 DRiG sei eine sogenannte intendierte Entscheidung (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl. § 114 Rdn. 21 b m.w.Nachw.), für die, ähnlich wie bei "Soll"-Vorschriften, für den Regelfall eine bestimmte Entscheidung vorgegeben sei. § 22 Abs. 3 DRiG ist eine "Kann"-Vorschrift, die keine bestimmte Entscheidung für den Regelfall vorgibt. Die Entlassung gemäß § 22 Abs. 3 DRiG ist keine disziplinarrechtliche, sondern eine richterdienstrechtliche Entscheidung (vgl. für das Beamtenrecht: BVerwGE 66, 19, 20), bei der weder im Zeitpunkt der Entlassungsverfügung noch im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides von einem verkürzten Ermessensspielraum ausgegangen werden kann ( RiZ(R) 6/86, BGHZ 100, 287, 297 f. = NJW 1987, 2516, 2519). Die Entlassung der Antragstellerin beruht auf der fehlerhaften Ermessenserwägung des Präsidenten des Oberlandesgerichts. Es ist nicht auszuschließen, dass der Präsident des Oberlandesgerichts zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn er die Schwangerschaft der Antragstellerin, auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 Abs. 4 GG, berücksichtigt hätte.

c) Ob eine Heilung des Ermessensfehlers gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG NW, § 114 Satz 2 VwGO möglich gewesen wäre, bedarf keiner Entscheidung. Eine solche Heilung ist jedenfalls nicht erfolgt. Der Präsident des Oberlandesgerichts hat noch mit Schriftsatz vom die Auffassung vertreten, die Schwangerschaft der Antragstellerin sei für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung unbeachtlich.

II.

Die angefochtene Entscheidung war demnach aufzuheben und, da die Sache zur Endentscheidung reif ist, die Berufung des Antragsgegners gegen das Urteil des Dienstgerichts zurückzuweisen (§ 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 154 Abs. 1 und 2 VwGO).

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren entsprechend § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG auf 32.779,63 € festgesetzt.

Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 3726 Nr. 51
JAAAC-53099

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja