Leitsatz
[1] a) Zur Möglichkeit des beklagten Patentinhabers, sich auf eine abweichende Fassung der im Patentnichtigkeitsverfahren verteidigten Patentansprüche zurückzuziehen, wenn die zunächst verteidigte Fassung zu einer Erweiterung führen würde.
b) Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bei einer beliebigen Auswahl aus verschiedenen dem Fachmann zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (Fortführung von BGHZ 156, 179 - blasenfreie Gummibahn I).
Gesetze: PatG §§ 81 ff.; PatG §§ 110 ff.; EPÜ Art. 56; EPÜ Art. 138
Instanzenzug: Bundespatentgericht 3 Ni 35/01 (EU) vom
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Priorität einer internationalen Anmeldung vom am angemeldeten, auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 656 203 (Streitpatents), das "injectable microfoam containing a sclerosing agent" ("injizierbaren Mikroschaum, der ein Verödungsmittel enthält") betrifft und 15 Patentansprüche umfasst, die in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt lauten:
"1. An injectable micro-foam for therapeutic uses, prepared or for preparation as required, characterized in that the micro-foam is prepared with any sclerosing substance.
2. An injectable micro-foam for therapeutic uses according to claim 1, characterized in that the sclerosing substance is polidocanol.
3. An injectable micro-foam for therapeutic uses according to claim 1, characterized in that the sclerosing substance is sodium tetradecyl sulphate.
4. An injectable micro-foam for therapeutic uses according to claim 1, characterized in that the sclerosing substance is a hypertonic glucose or glucosaline solution.
5. An injectable micro-foam for therapeutic uses according to claim 1, characterized in that the substance used is chromic glycerol.
6. An injectable micro-foam for therapeutic uses according to claim 1, characterized in that the substance used is ethanolamine oleate.
7. An injectable micro-foam for therapeutic uses according to claim 1, characterized in that the substance used is sodium morrhuate.
8. An injectable micro-foam for therapeutic uses according to claim 1, characterized in that the substance used is any iodic solution.
9. An injectable micro-foam for therapeutic uses according to the preceding claims for use in phlebology.
10. An injectable micro-foam for therapeutic uses according to claims 1 to 8, for use in the tretament of oesophageal varices.
11. An injectable micro-foam for therapeutic uses according to claims 1 to 8, for the use in proctology.
12. An injectable micro-foam for therapeutic uses according to claims 1 to 8, for use in angiology.
13. A method for the preparation of an injectable micro-foam for use in therapy characterized in that it comprises producing a micro-foam with a sclerosing substance.
14. A method as claimed in claim 13 characterized in that the sclerosing substance is a polidocanol, sodium tetradecyl sulphate, hypertonic glucose or glucosaline solution, chromic glycerol, ethanolamine oleate, sodium morrhuate or iodic solution.
15. A micro-foam for use in therapy characterized in that is obtainable by beating a sclerosing solution with a micromotor rotated brush at 8.000 to 15.000 r.p.m. for 60 to 120 seconds."
In der deutschen Übersetzung der Patentschrift lauten diese Patentansprüche wie folgt:
"1. Injizierbarer Mikroschaum für therapeutische Zwecke, hergestellt oder zur Herstellung nach Bedarf, dadurch gekennzeichnet, daß der Mikroschaum mit irgendeiner sklerosierenden Substanz gebildet ist.
2. Injizierbarer Mikroschaum zur therapeutischen Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die sklerosierende Substanz Polidocanol ist.
3. Injizierbarer Mikroschaum zur therapeutischen Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die sklerosierende Substanz Natriumtetradecylsulfat ist.
4. Injizierbarer Mikroschaum zur therapeutischen Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die sklerosierende Substanz eine hypertonische Glucose oder Glucose/Salz-Lösung ist.
5. Injizierbarer Mikroschaum zur therapeutischen Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die verwendete Substanz Chromglycerin ist.
6. Injizierbarer Mikroschaum zur therapeutischen Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die verwendete Substanz Ethanolaminoleat ist.
7. Injizierbarer Mikroschaum zur therapeutischen Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die verwendete Substanz Natriummorrhuat ist.
8. Injizierbarer Mikroschaum zur therapeutischen Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die verwendete Substanz irgendeine Iodverbindung ist.
9. Injizierbarer Mikroschaum zur therapeutischen Verwendung nach einem der vorangehenden Ansprüche zur Verwendung in der Phlebologie.
10. Injizierbarer Mikroschaum zur therapeutischen Verwendung nach den Ansprüchen 1 bis 8 zur Verwendung bei der Behandlung von Ösophagusvarizen.
11. Injizierbarer Mikroschaum zur therapeutischen Verwendung nach den Ansprüchen 1 bis 8 zur Verwendung in der Proktologie.
12. Injizierbarer Mikroschaum zur therapeutischen Verwendung nach den Ansprüchen 1 bis 8 zur Verwendung in der Angiologie.
13. Verfahren zur Herstellung eines injizierbaren Mikroschaums zur Verwendung bei der Therapie, dadurch gekennzeichnet, daß es die Herstellung eines Mikroschaums mit einer sklerosierenden Substanz umfaßt.
14. Verfahren nach Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet, daß die sklerosierende Substanz ein Polidocanol, Natriumtetradecylsulfat, hypertonische Glycose oder Glucose/Salz-Lösung, Chromglycerin, Ethanolaminoleat, Natriummorrhuat oder eine Iodlösung ist.
15. Mikroschaum zur Verwendung bei der Therapie, dadurch gekennzeichnet, daß er erhältlich ist durch Aufschlagen einer sklerosierenden Lösung mit einer durch einen Mikromotor angetriebenen rotierenden Bürste mit 8.000 bis 15.000 UpM während 60 bis 120 s."
Die Klägerin hat geltend gemacht, dass der Gegenstand des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig sei. Sie hat sich dazu auf zahlreiche Veröffentlichungen der Jahre 1895 bis 1993, die deutsche Patentschrift 34 17 182 und nachveröffentlichte Schriften bezogen; wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil verwiesen. Sie hat beantragt, das Streitpatent für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten; sie hat das Streitpatent mit geänderten Patentansprüchen verteidigt, und zwar mit einem Hauptantrag und vier Hilfsanträgen, wegen derer auf das angefochtene Urteil verwiesen wird.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig erklärt.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die das Streitpatent nunmehr in erster Linie mit folgenden Patentansprüchen verteidigt, wobei sie sich damit einverstanden erklärt hat, dass in Patentanspruch 1 die entfallenen Worte "hergestellt oder zur Herstellung nach Bedarf" wieder eingefügt werden:
"1. Injizierbarer Mikroschaum für therapeutische Zwecke, erhältlich durch Aufschäumen einer sklerosierenden Lösung in einer Atmosphäre aus Sauerstoff oder einem Gemisch aus Sauerstoff und Kohlendioxid in einem sterilen luftdichten Behälter.
2. Mikroschaum nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass man das Aufschäumen durch mechanisches Schlagen durchführt.
3. Mikroschaum nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass das mechanische Schlagen das Rotieren einer Bürste umfasst.
4. Mikroschaum nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, dass man die Bürste mit 8.000 bis 15.000 UpM für einen Zeitraum von 60 bis 120 Sekunden rotiert.
5. Mikroschaum nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass die sklerosierende Lösung eine sklerosierende Substanz, ausgewählt aus Polidocanol, Natriumtetradecylsulfat, hypertonischer Glucose oder Glucose/Salz-Lösung, Chromglycerin, Ethanolaminoleat, Natriummorrhuat oder einer Iodlösung, umfasst.
6. Mikroschaum nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass die sklerosierende Lösung weiterhin eine Substanz mit Schaumbildungsfähigkeit enthält.
7. Mikroschaum nach einem der Ansprüche 1 bis 6 zur Verwendung in der Phlebologie, Proktologie oder Angiologie.
8. Verfahren zur Herstellung eines injizierbaren Mikroschaums, dadurch gekennzeichnet, dass man eine sklerosierende Lösung in einer Atmosphäre aus Sauerstoff oder einem Gemisch aus Sauerstoff und Kohlendioxid in einem sterilen luftdichten Behälter aufschäumt.
9. Verfahren nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, dass man das Aufschäumen durch mechanisches Schlagen durchführt.
10. Verfahren nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, dass das mechanische Schlagen das Rotieren einer Bürste umfasst.
11. Verfahren nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass man die Bürste mit 8.000 bis 15.000 UpM für einen Zeitraum von 60 bis 120 Sekunden rotiert.
12. Verfahren nach einem der Ansprüche 8 bis 11, dadurch gekennzeichnet, dass die sklerosierende Lösung eine sklerosierende Substanz, ausgewählt aus Polidocanol, Natriumtetradecylsulfat, hypertonischer Glucose oder Glucose/Salz-Lösung, Chromglycerin, Ethanolaminoleat, Natriummorrhuat oder einer Iodlösung, umfasst.
13. Verfahren nach einem der Ansprüche 8 bis 12, dadurch gekennzeichnet, dass die sklerosierende Lösung weiterhin eine Substanz mit Schaumbildungsfähigkeit umfasst.
14. Verwendung eines injizierbaren Mikroschaums umfassend eine sklerosierende Substanz und Gas zur Behandlung von Krampfadern mit einem Durchmesser von gleich oder größer 7 mm durch Injektion ohne Operation, wobei das in der Vene enthaltene Blut verdrängt wird und der ganze von dem Mikroschaum eingenommene Venenabschnitt sklerosiert wird.
15. Verwendung nach Anspruch 14, dadurch gekennzeichnet, dass die sklerosierende Substanz aus Polidocanol, Natriumtetradecylsulfat, hypertonischer Glucose oder Glucose/Salz-Lösung, Chromglycerin, Ethanolaminoleat, Natriummorrhuat oder einer Iodlösung ausgewählt wird.
16. Verwendung nach einem der Ansprüche 14 oder 15, dadurch gekennzeichnet, dass das Gas Sauerstoff oder ein Gemisch aus Sauerstoff und Kohlendioxid ist.
17. Verwendung nach Anspruch 16, dadurch gekennzeichnet, dass der Mikroschaum nach einem Verfahren nach einem der Ansprüche 8 bis 13 erhältlich ist."
Hilfsweise verteidigt die Beklagte, wie sie in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, das Streitpatent in seiner erteilten Fassung.
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Im Auftrag des Senats hat Professor Dr. med. W. L. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Berufungsklägerin hat ein Parteigutachten von Prof. Dr. med. Dr. med. habil. M. M. eingereicht.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
I. 1. Infolge der Verteidigung durch die Beklagte steht das Streitpatent in der verteidigten eingeschränkten Fassung, daneben in der Fassung des Erteilungsbeschlusses zur Überprüfung. Dabei hat der Senat in der verteidigten Fassung die Worte "hergestellt oder zur Herstellung nach Bedarf" wieder eingefügt, womit sich die Beklagte einverstanden erklärt hat. Dies war schon deshalb geboten, weil durch das Weglassen dieser Worte im vorliegenden Fall die Gefahr begründet würde, dass in den Schutz des Patents nicht nur hergestellte (im Sinn eines konfektionierten Produkts) und nach Bedarf herzustellende Mikroschäume einbezogen würden, sondern auch Mikroschäume, die der einen wie der anderen Voraussetzung nicht entsprächen; dies könnte zu einer Erweiterung des Schutzbereich des Streitpatents führen, die auch im Patentnichtigkeitsverfahren ausgeschlossen ist (st. Rspr. des Senats, zuletzt Sen.Urt. v. - X ZR 149/01, GRUR 2005, 145 - elektronisches Modul). Dem kann jedoch durch Wiedereinfügung der gestrichenen Worte Rechnung getragen werden (vgl. - zum Gebrauchsmusterlöschungsverfahren - BPatGE 19, 161, 163; vgl. auch BPatGE 29, 223, 226 = GRUR 1988, 530). Der weiteren Prüfung wird somit der verteidigte Patentanspruch 1 unter Wiedereinfügung der Worte "hergestellt oder zur Herstellung nach Bedarf" zugrunde gelegt.
2. Die im verteidigten Patentanspruch 1 eingefügten Merkmale, dass das Aufschäumen in einer Atmosphäre aus Sauerstoff oder einem Gemisch aus Sauerstoff und Kohlendioxid erfolgen solle, sind in den ursprünglichen Unterlagen (PCT-Anmeldung ES94/00064) und im erteilten Patent ausreichend als zur Erfindung gehörend offenbart.
Die Beklagte kann sich auch im Nichtigkeitsverfahren auf einen Gegenstand beschränken, der in den Anmeldeunterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart worden ist (vgl. zum Einspruchsverfahren Sen.Beschl. v. - X ZB 18/88, GRUR 1991, 307, 308 - Bodenwalze). In diesem Sinn offenbart ist alles das, was in der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen schriftlich niedergelegt ist und sich dem fachkundigen Leser ohne weiteres aus dem Gesamtinhalt der Unterlagen am Anmeldetag erschließt. Die Ermittlung des Gesamtinhalts der Erstunterlagen hat dabei mit den Augen eines Fachmanns zu erfolgen; es kommt darauf an, welche Erkenntnisse ihm objektiv und ohne weiteres vermittelt worden sind. Der Fachmann orientiert sich dabei nicht an dem Wortlaut der Unterlagen, sondern an dem mit der Erfindung im Hinblick auf die Nachteile des Stands der Technik verfolgten Zweck und an dem Lösungsvorschlag mit seinen Elementen (Sen. BGHZ 111, 21, 26 - Crackkatalysator I; Sen.Beschl. v. - X ZB 4/92, GRUR 1995, 113 - Datenträger). Die entsprechende Offenbarung ist im Beispiel 1 (example 1) des Streitpatents (Beschr. Abs. 0019) wie schon in der ursprünglichen Anmeldung (PCT-Anmeldung ES94/00064 Seite 3 Z. 17 - 23) enthalten.
II. 1. Das Streitpatent betrifft einen injizierbaren Mikroschaum, insbesondere zur Verödung von Krampfadern. Als Krampfadern werden erweiterte und geschlängelte Venen des oberflächlichen Venensystems bezeichnet. Je nach der Lokalisation der Krampfaderbildung unterscheidet man zwischen Stammvarikosis, Seitenastvarikosis, retikulärer Varikosis, Perforansvarikosis und Besenreiservarikosis als pathologische Zustände. Die Stammvarikosis betrifft die Vena saphena magna oder parva (große und kleine verborgene Vene) im Bein. Die Beschreibung des Streitpatents schildert einleitend, dass die Sklerose der Varikose auf der Injektion von flüssigen Substanzen in die Venen beruht, die eine lokalisierte Entzündungsreaktion hervorruft und dadurch die Ausschaltung dieser anormalen Venen begünstigt (Beschr. Abs. 0001). Die sklerosierende Flüssigkeit werde, so die Beschreibung, mit dem in der Vene enthaltenen Blut vermischt und in unbekanntem Maß und mit ungewissem Ergebnis verdünnt (Abs. 0002). Krampfadern mit Durchmessern ab 7 mm würden chirurgisch behandelt (Beschr. Abs. 0003), die Verödungsbehandlung sei auf große Krampfadern nicht anwendbar (Beschr. Abs. 0004). Die Konzentration der sklerosierenden Substanz in der Vene, ihre homogene Verteilung im Blut und die Zeit, in der sie mit den Innenwänden des behandelten Gefäßes in Kontakt stehe, seien nicht bekannt (Beschr. Abs. 0005).
1946 habe Orbach einige (a few) Kubikzentimeter Luft in kleine Krampfadern injiziert und eine Verdrängung des Bluts durch die injizierte Luft innerhalb des Gefäßes festgestellt. Die unmittelbar danach erfolgte Injektion der sklerosierenden Lösung sei wirksamer als die Injektion in das Blut gewesen (Beschr. Abs. 0006). Bei dicken Krampfadern bilde die injizierte Luft eine Blase im Inneren der Vene, wodurch das Verfahren in diesen Gefäßen unwirksam sei (Beschr. Abs. 0007). Orbach habe einige Jahre später auch Schaum injiziert, der durch Schütteln (agitation) eines Natriumtetradecylsulfat enthaltenden Behälters hergestellt worden sei (Beschr. Abs. 0008). Das Verfahren sei nur wenig nützlich gewesen, weil die gebildeten Bläschen groß gewesen seien; es sei zudem wegen der Nebenwirkungen des atmosphärischen Stickstoffs gefährlich gewesen, der in Blut nur in geringem Maß löslich sei (Beschr. Abs. 0009).
2. Nach den Angaben in der Beschreibung, die freilich insoweit in Patentanspruch 1 in seiner verteidigten Fassung keinen Niederschlag gefunden hat, kann ein Mikroschaum eines pharmakologisch inerten, sterilen, physiologischen Serums bei Injektion in horizontaler Lage auch in großen Krampfadern das in ihnen enthaltene Blut auf Grund dessen geringen Drucks in horizontaler Lage verdrängen (Beschr. Abs. 0012). Dabei verringere das Anheben des Glieds, in das die Injektion erfolge, den Venendruck noch mehr und erleichtere so die Füllung der Vene ausschließlich mit Mikroschaum, der in der Vene verbleibe, solange der Patient nicht vom Operationstisch aufstehe (Beschr. Abs. 0013). Wenn der mit physiologischem Serum gebildete Mirkoschaum durch mit einer sklerosierenden Substanz gebildeten Mikroschaum ersetzt werde, verdränge er das in der Vene enthaltene Blut und stelle - anders als der Einsatz von flüssigen Sklerosierungsmitteln - sicher, dass das unverdünnte sklerosierende Mittel in homogener Verteilung mit dem Endothel (d.h. den zum Lumen hin gerichteten Zellen der innersten Wandschicht) des Gefäßes in einer bekannten Konzentration und für eine kontrollierbare Zeit in Kontakt komme, wodurch eine Sklerosierung des gesamten eingenommenen Segments eintrete (Beschr. Abs. 0014/0015).
Das Streitpatent beschreibt sodann zwei Herstellungsverfahren für den Mikroschaum je in einem sterilen, hermetisch verschlossenen Behälter, wobei nach dem einen Verfahren der Behälter mit einer Druckflasche mit Sauerstoff oder einem Gemisch aus Sauerstoff und Kohlendioxid oder anderen physiologischen Gasen verbunden sein kann und das Aufschlagen mit einer in die sklerosierende Lösung eingetauchten Bürste mittels eines Mikromotors bei 8.000 bis 15.000 UpM über eine Zeit zwischen 60 und 120 Sekunden erfolgt (Beschr. Abs. 0019 bis 0022). Nach dem zweiten Verfahren wird die sklerosierende Substanz in einen Druckbehälter eingeführt und der Schaum wird durch Rühren der Lösung erzeugt.
3. a) Der verteidigte Patentanspruch 1 soll einen Schaum unter Schutz stellen,
1 bei dem es sich um einen injizierbaren Mikroschaum handelt,
2 der entweder hergestellt (d.h. ein Fertigprodukt)
2' oder nach Bedarf herstellbar ist,
3 erhältlich ist
3.1 durch Aufschäumen
3.2 einer sklerosierenden Lösung
3.3 in einer Atmosphäre
3.3.1 aus Sauerstoff
3.3.1' oder einem Gemisch aus Sauerstoff und Kohlendioxid
3.4 in einem Behälter, der
3.4.1 steril
3.4.2 und luftdicht ist.
b) Dies bedarf hinsichtlich einiger Merkmale näherer Erläuterung:
aa) Der Begriff des Mikroschaums ist nicht als feststehender Terminus definiert. Im Sinn des Streitpatents ist unter Mikroschaum ein Schaum zu verstehen, der mit einem Sklerosierungsmittel insbesondere nach den Beispielen 1 und 2 des Streitpatents erzeugt wird, wobei das Beispiel 2 das Herstellungsverfahren schon deshalb nicht abschließend beschreibt, weil durch bloßes Rühren nicht ohne Weiteres Schaum entsteht. Unter injizierbarem Mikroschaum ist aber ein Schaum zu verstehen, dessen Bläschen klein sind und dessen Oberfläche im Verhältnis zur Menge des sklerosierenden Mittels deshalb groß ist und der von einer Konsistenz ist, die dazu führt, dass sich aus dem Blut und dem Schaum nicht eine Emulsion oder Suspension bildet, sondern dass das in der Vene enthaltene Blut durch den Schaum verdrängt wird.
bb) Die Atmosphäre aus Sauerstoff oder aus einem Gemisch aus Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid (Kohlendioxid), in der das Aufschlagen erfolgen soll, bleibt hinter der Offenbarung in der Beschreibung des Streitpatents zurück. Erfasst ist jedenfalls nicht eine Atmosphäre aus reinem Kohlenstoffdioxid (Kohlendioxid); erfasst sind weiter nicht Atmosphären, die nur aus (Umgebungs)luft oder etwa aus reinem Stickstoff bestehen. Die Erörterung in der mündlichen Verhandlung, insbesondere die Befragung des gerichtlichen Sachverständigen, hat jedoch zur Überzeugung des Senats ergeben, dass auch Atmosphären erfasst sind, die Luft oder auch Stickstoff als Bestandteile aufweisen können. Dies ergibt sich zum einen schon daraus, dass der Sauerstoff, das Kohlendioxid oder andere physiologische Gase in ein Behältnis eingeführt werden sollen, das im Regelfall zuvor Luft (mit einem Anteil von rund 80% molekularen Stickstoffs (N2)) enthalten wird, über deren (völlige) Verdrängung keine Aussage gemacht wird und die somit auch nicht notwendig zum beschriebenen Herstellungsverfahren gehört. Zum anderen hat die fakultative Zuführung anderer physiologischer Gase auch die Möglichkeit zum Inhalt, dass diese physiologischen Gase Luft- oder Stickstoffanteile aufweisen, wie dies auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, ohne dass eine der Parteien dem widersprochen hätte.
4. Der nebengeordnete verteidigte Patentanspruch 14 soll die Verwendung eines injizierbaren Mikroschaums schützen, der
1. eine sklerosierende Substanz und Gas umfasst
2. zur Behandlung von Krampfadern mit einem Durchmesser von gleich oder größer 7 mm
3. durch Injektion ohne Operation,
4. wobei das in der Vene enthaltene Blut verdrängt und
5. der ganze vom Mikroschaum eingenommene Venenabschnitt sklerosiert wird.
III. Die Lehre des verteidigten Patentanspruchs 1 ergab sich für den Fachmann, einen Pharmakologen oder Pharmazeuten, der sich die erforderlichen Kenntnisse auf den Gebieten der Phlebologie und der Angiologie in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fachmedizinern erschließt, in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Art. 56 EPÜ).
1. Die Verödung von Varizen war an sich seit den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts bekannt. Davon geht auch das Streitpatent aus (Beschr. Abs. 0006 - Orbach). Seinerzeit erfolgte allerdings keine Injektion von Mikroschaum, sondern zunächst von Luft und dann einer sklerosierenden Lösung. Die Verwendung eines kleinblasigen Schaums ist jedoch bereits in den Aufsätzen von Flückiger, Nicht-operative retrograde Varicenverödung mit Varsylschaum, Schweizerische Medizinische Wochenschrift 1956, S. 1368 - 1370 (Anl. K1), und Beitrag zur Technik der ambulanten Varizenbehandlung, Med. Welt 1963, S. 617 - 621 (Anl. K4) beschrieben. Während das von Flückiger (K1) verwendete und beschriebene Varsyl nicht sicher identifiziert werden konnte, hat Flückiger (K4) später 5%iges Sotradecol (Natriumtetradecylsulfat entsprechend Patentanspruch 3 des Streitpatents) verwendet. Auch die 1988 veröffentlichte deutsche Patentschrift 34 17 182 (Anl. K 11 - Hess) verwendet einen homogenen und dichten Schaum, der einem Mikroschaum im Sinn des Streitpatents zumindest nahe kommt. Somit waren die Merkmalsgruppen 1 und 2 des verteidigten Patentanspruchs vorbeschrieben. Dass der Schaum als Fertigschaum vorliegen wie für die einzelne Anwendung hergestellt werden kann, ist dabei eine Selbstverständlichkeit, auch wenn das Fertigpräparat möglicherweise nur über eine begrenzte Standzeit verfügt. Fertigpräparate oder die Herstellung nach Bedarf sind die nächstliegenden Möglichkeiten in der pharmazeutischen Technologie. All dies zieht auch die beklagte Patentinhaberin nicht mehr ernsthaft in Zweifel.
2. Dass das Aufschäumen in einer (oben unter III. 3. a näher bestimmten) Atmosphäre aus Sauerstoff oder aus Sauerstoff und Kohlendioxid erfolgen soll (Merkmalsgruppe 2.3), war ebenfalls naheliegend.
Dem Fachmann standen verschiedene Atmosphären zur Verfügung, in denen er das Aufschäumen vornehmen konnte. Zunächst bot sich dafür die atmosphärische Luft an, die etwa von Flückiger (K1 und K4) verwendet worden ist und, wie der gerichtliche Sachverständige zur Überzeugung des Senats ausgeführt hat, trotz des an sich nicht ganz unproblematischen Stickstoffanteils bei den den Schaum bildenden Luftmengen unkritisch war; dies entspricht auch den Ausführungen von Flückiger (K1) sowie von Sigg, der allerdings die Air-Block-Technik angewandt und nicht mit Mikroschaum verödet hat (Therapeutische Umschau 1949, 127, 130 - Anl. K12). Daneben kamen andere Gase für die Atmosphäre in Betracht, vor allem das bekannte, gut verfügbare und auf Grund seiner Eigenschaften völlig unproblematische Kohlenstoffdioxid (Kohlendioxid). Aber auch eine Sauerstoffatmosphäre musste dem Fachmann auf Grund der Eigenschaften des Sauerstoffs als geeignet erscheinen, wenngleich sich nicht ohne weiteres aufdrängen. Gleiches galt für Atmosphären aus Gasgemischen, z. B. aus Sauerstoff und Kohlendioxid, aber auch aus Sauerstoff und anderen physiologischen Gasen. Wie sich aus den Bekundungen des gerichtlichen Sachverständigen ergibt, ist die Auswahl der Gasatmosphäre nach dem Beispiel 1 des Streitpatents, aus dem der verteidigte Patentanspruch 1 für einen Ausschnitt Schutz beansprucht, damit letztlich nahezu völlig willkürlich und beliebig möglich. Wie der Senat bereits für die Bereichsauswahl entschieden hat, kann die willkürliche Auswahl aus einem größeren Bereich - anders als die gezielte Auswahl zum Erreichen eines bestimmten Ergebnisses - das Kriterium des Naheliegens erfüllen (BGHZ 156, 179 - blasenfreie Gummibahn I; Sen.Urt. v. - X ZR 199/00, im Druck nicht veröffentlicht), denn einen Rechtssatz, dass nur die Lösungsalternative, die der Fachmann voraussichtlich zunächst ausprobieren würde, naheliegend ist, gibt es nicht (s. nur Sen. BGHZ 133, 57, 65 - Rauchgasklappe; Sen.Urt. v. - X ZR 25/95, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, Bd. 1, S. 445, 452 f. - Zerstäubervorrichtung m.w.N.; v. - X ZR 93/95, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, Bd. 3, S. 119, 127, insoweit in Mitt. 2002, 16 - Filtereinheit nicht abgedruckt). Kommen für den Fachmann Alternativen in Betracht, können daher mehrere von ihnen nahliegend sein (vgl. Sen.Urt. v. - X ZR 113/00, im Druck nicht veröffentlicht). So verhält es sich auch hier. In welcher Atmosphäre das Aufschäumen vorgenommen wird, ist, solange ein physiologisch ausreichend verträgliches Gas zum Einsatz kommt, völlig gleichgültig. Die Auswahl des Gases ist in diesem Rahmen beliebig. Dass gegen eines der von Patentanspruch 1 in seiner verteidigten Fassung erfassten Atmosphären von der Anwendbarkeit her Bedenken bestehen konnten, erscheint ausgeschlossen und trifft nicht einmal für Luft zu, wie der gerichtliche Sachverständige zur Überzeugung des Senats bekundet hat. Auf dieser Grundlage begründet die Vorgabe der Atmosphäre im verteidigten Patentanspruch 1 eine erfinderische Leistung nicht.
Den übrigen hierzu ins Spiel gebrachten Argumenten kommt demgegenüber allenfalls bestätigender Charakter zu. So könnte verschiedenen Entgegenhaltungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken (insbesondere den Aufsätzen von Steffey et al., Nitrous Oxide Intensifies the Pulmonary Arterial Pressure Response to Venous Injection of Carbon Dioxide in the Dog, Anesthesiology 1980, 52 - 55 [Anl. E 17], Moore/Braselton, Injections of Air and of Carbon Dioxide into a Pulmonary Vein, Ann. Surg. 1940, 212 [Anl. E18] und Graff et al., Gas Embolism: A Comparative Study of Air and Carbon Dioxide as Embolic Agents in the Systemic Venous System, An. J. Obst. & Gynec. 1959, 259 [Anl. E 19] sowie dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Aufsatz von Hess, Digitale Subtraktionsarteriographie mit Kohlendioxid ..., in Fortschr. Röntgenstr. 1990, 233 [Anl. D 4]) allenfalls - wenn man dem gerichtlichen Sachverständigen nicht folgen wollte - entnommen werden, dass gegen stickstoffhaltige Atmosphären wegen deren geringerer Bioverträglichkeit (die etwa auch aus Phänomenen wie der "Taucherkrankheit" bekannt ist), in Fachkreisen Bedenken bestehen konnten. Die Beklagte hat zudem selbst darauf hingewiesen, dass der Einsatz einer stickstoffhaltigen Atmosphäre in Patientenkreisen wegen möglicher Assoziationen etwa mit Erscheinungen nach Art einer Luftembolie auf Vorbehalte stoßen konnte. Unterstellt man das eine oder das andere hiervon als zutreffend, musste dies für den Fachmann ein Anlass dafür sein, die Verwendung von Stickstoff einzuschränken, wenn nicht zu vermeiden, und böte damit einen zusätzlichen Anreiz dahin, mit Gasen zu arbeiten, die keinen Stickstoff enthalten.
3. Bei der Herstellung des Schaums in einem Behälter, der steril und luftdicht ist, handelt es sich um eine geläufige Anordnung zur Herstellung pharmazeutischer Produkte, für die Sterilität und Luftabschluss immer wünschenswert sind und etwa nach der deutschen Patentschrift 34 17 182 (Anl. K11) schon praktiziert wurde; bei der dort beschriebenen Zwillingsspritze zur Schaumbereitung handelt es sich ersichtlich um einen sterilen und luftdichten Behälter, wie dies auch der gerichtliche Sachverständige - von den Parteien nicht angegriffen - bestätigt hat.
4. Auch eine Zusammenschau der verschiedenen Merkmale zeigt nichts, was eine erfinderische Tätigkeit zu stützen geeignet wäre.
IV. 1. Der verteidigte Patentanspruch 4 enthält nicht mehr als einen - noch dazu relativ weiten - Wertebereich, in dem ein Mikroschaum der gewünschten Konsistenz erhalten werden kann. Diese Werte zu bestimmen, bedurfte es, wie auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, nur weniger und einfacher Versuche.
2. Ein eigenständiger erfinderischer Gehalt der verteidigten Unteransprüche ist weder geltend gemacht noch sonst für den Senat ersichtlich.
V. 1. Die Lehre des verteidigten Patentanspruchs 14 unterscheidet sich grundsätzlich nicht von dem von Flückiger (Anl. K1) beschriebenen Verfahren. Flückiger diskutiert auch schon seine Anwendung bei sehr großen Venen, sagt dazu allerdings aus, dass er dem Patienten eine kombinierte Behandlung vorschlage. Schon daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass die Verwendung des Mikroschaums ohne Operation bereits angedacht und damit naheliegend war. Auch Sigg (Neue Gesichtspunkte zur Technik der Varizenbehandlung, Therapeutische Umschau 1949, 127 ff., Anl. K12) hat bereits großkalibrige Varizen nur mit Flüssigkeitsverödung behandelt (so Parteigutachten Prof. M. , S. 19). Dies bei der Schaumverödung ebenso zu machen, bedurfte keiner erfinderischen Tätigkeit. Auch wenn die therapeutischen Anweisungen, die Patentanspruch 14 enthält, als Eigenschaften des Schaums bei der Prüfung der Schutzfähigkeit mit herangezogen werden, wie dies die Beklagte in Anspruch nimmt, enthalten sie doch nichts, was gegenüber den Entgegenhaltungen eine erfinderische Tätigkeit zu begründen geeignet wäre.
2. Der verteidigte Patentanspruch 15 reichert Patentanspruch 14 lediglich mit bekannten Verödungsmitteln an.
3. Der verteidigte Patentanspruch 16 ergänzt den verteidigten Patentanspruch 14 dadurch, dass er das von dem injizierbaren Mikroschaum umfasste Gas näher als Sauerstoff oder ein Sauerstoff-Kohlendioxid-Gemisch definiert. Hierzu gelten die zum verteidigten Patentanspruch 1 genannten Gesichtspunkte gleichermaßen.
VI. Die hilfsweise verteidigten Patentansprüche des Patents in seiner erteilten Fassung enthalten nichts über die verteidigten Patentansprüche Hinausgehendes; sie können daher nicht zu einer für die Patentinhaberin günstigeren, abweichenden Beurteilung der Patentfähigkeit führen.
VII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 97 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
UAAAC-51445
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja