Kein Billigkeitserlass von Nachforderungszinsen nach vom Finanzamt zu vertretender überlanger Prüfungsdauer (zwei Jahre); schlüssige Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz
Gesetze: AO § 227, AO § 233a, FGO § 115 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (unten 1.) noch das Erfordernis einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (unten 2.) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (unten 3.) schlüssig dargelegt.
1. Macht der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend, so muss er u.a. substantiiert darauf eingehen, weshalb die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Zur schlüssigen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit muss er außerdem begründen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist. Dazu gehört auch, dass sich der Beschwerdeführer mit der zu dieser Rechtsfrage bereits vorhandenen Rechtsprechung auseinandersetzt und substantiiert darlegt, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung keine Klärung herbeigeführt habe (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
Hat der BFH bereits früher über die Rechtsfrage entschieden, muss der Beschwerdeführer begründen, weshalb er gleichwohl eine erneute Entscheidung zu dieser Frage für erforderlich hält. Hierzu muss er substantiiert vortragen, inwiefern und aus welchen Gründen die höchstrichterlich beantwortete Frage weiterhin umstritten ist, insbesondere welche neuen und gewichtigen, vom BFH noch nicht geprüften Argumente in der Rechtsprechung der Finanzgerichte und/oder in der Literatur gegen die Rechtsprechung des BFH vorgebracht worden sind (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 33).
Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung der Kläger nicht. Mit der von ihnen für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Rechtsfrage, „ob bei der Verzinsung von Steueransprüchen die Zinsberechnung völlig unabhängig vom Verhalten der Beteiligten ist, es mithin auf ein Verschulden nicht ankommen soll”, hat sich der BFH bereits mehrfach befasst.
So hat er schon in seinem Urteil vom I R 30/93 (BFHE 172, 304, BStBl II 1994, 81) entschieden, dass der Grundsatz von Treu und Glauben einer Festsetzung von Nachforderungszinsen grundsätzlich auch dann nicht entgegensteht, wenn der Veranlagungsbeamte die Bearbeitung der Steuererklärung schuldhaft verzögert (vgl. auch , BFH/NV 1997, 458). Mit Urteil vom X R 86/94 (BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53) hat der angerufene Senat erkannt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben einer Festsetzung von Nachforderungszinsen grundsätzlich auch dann nicht entgegensteht, wenn das Finanzamt den Steuerbescheid 14 Monate nach Eingang der Steuererklärung erlässt und der Steuerpflichtige den Nachforderungsbetrag auf seinem Girokonto bereitgehalten hat. Im Urteil vom X R 234/93 (BFHE 180, 240, BStBl II 1996, 503) hat der beschließende Senat des Weiteren ausgeführt, dass die Erhebung von Nachforderungszinsen nicht allein deswegen sachlich unbillig ist, weil die Finanzbehörde den Steuerbescheid 11 Monate nach Eingang der Steuererklärung erlassen hat und eine Erhöhung der Vorauszahlungen nach Ablauf des Veranlagungszeitraums wegen Nichterreichens der Mindestgrenze (vgl. § 37 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes) nicht möglich war. In diesem Zusammenhang hat der Senat darauf hingewiesen, mit der allgemeinen Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen habe der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen wollen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen „aus welchen Gründen auch immer” zu unterschiedlichen Zeiten festgesetzt und fällig würden. Wegen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sollten aus dem verspäteten Erlass des Steuerbescheids entstandene Liquiditätsvorteile abgeschöpft werden (vgl. BTDrucks 11/2157, S. 194). „Aus Gründen der Praktikabilität” sei am festen Zinssatz des geltenden Rechts festgehalten worden (BTDrucks 11/2157, S. 194). Diese typisierenden Grundaussagen des Gesetzgebers seien bereits bei der Auslegung der Vorschrift zu beachten und seien in gleicher Weise Maßstab für die Entscheidung der Frage, ob besondere Umstände vorlägen, die im Einzelfall die Erhebung der Nachforderungszinsen als sachlich unbillig erscheinen ließen (Senatsurteil in BFHE 180, 240, BStBl II 1996, 503, unter 3.b).
Im Urteil vom I R 7/96 (BFHE 182, 293, BStBl II 1997, 446) hat der BFH bekräftigt, dass ein Erlass von Nachforderungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht allein deswegen in Betracht kommt, weil die verspätete Festsetzung der Steuer auf einer durch das Finanzamt verzögerten Veranlagung beruht. Dem hat sich der XI. Senat im Beschluss vom XI B 91/00 (BFH/NV 2001, 1003) mit dem Hinweis angeschlossen, es entspreche dem allgemein anerkannten Zweck des § 233a der Abgabenordnung (AO), den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen bzw. den Zinsnachteil des Steuergläubigers aufgrund der verspätet bezahlten Steuerschuld auszugleichen (BTDrucks 11/2157, S. 194). Die Zinsen nach § 233a AO seien daher weder Sanktion noch Druckmittel oder Strafe, sondern laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung. Vor diesem Hintergrund könne es nicht entscheidend sein, ob der —typisierend vom Gesetz unterstellte— Zinsvorteil des Steuerpflichtigen auf einer verzögerten Einreichung der Steuererklärung durch den Steuerpflichtigen oder einer verzögerten Bearbeitung durch das Finanzamt beruhe (vgl. auch , BFH/NV 2000, 1441).
Im Urteil vom IX R 28/96 (BFHE 185, 94, BStBl II 1998, 550) hat der BFH die Finanzbehörde für verpflichtet gehalten, Nachforderungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. In diesem Fall lag eine besondere (Ausnahme-)Konstellation vor, weil der Steuerpflichtige das Finanzamt unverzüglich auf eine zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung und Steuererstattung führende offenbare Unrichtigkeit im Steuerbescheid hingewiesen und den zu wenig gezahlten Steuerbetrag zur sofortigen Rückzahlung an das Finanzamt auf einem Girokonto bereitgehalten hatte.
Im Beschluss in BFH/NV 2000, 1441 hat der BFH erneut klargestellt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben der Festsetzung von Nachforderungszinsen in der Regel auch dann nicht entgegensteht, wenn dem Finanzamt bei der Bearbeitung der Steuererklärung ein Fehler unterläuft.
Mit diesen BFH-Entscheidungen haben sich die Kläger nicht (gebührend) auseinandergesetzt und insbesondere nicht aufgezeigt, aus welchen Gründen unbeschadet der zitierten Vielzahl höchstrichterlicher Urteile und Beschlüsse ein weiterer Klärungsbedarf durch den BFH bestehe. Ihr bloßer Hinweis darauf, dass die bei ihnen durchgeführte Außenprüfung, welche zu der die streitigen Nachforderungszinsen auslösenden Steuernachzahlung führte, infolge der vom Beklagten und Beschwerdegegner zu vertretenden Umstände etwa ein Jahr länger gedauert habe als die vorhergehenden Betriebsprüfungen und hierin eine vor Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht zu rechtfertigende Benachteiligung gegenüber solchen Steuerpflichtigen liege, bei denen die Finanzbehörden die Steuerfestsetzungen rascher vornähmen, genügt hierfür schon deshalb nicht, weil sich der BFH —wie oben dargelegt— mit dem Aspekt der von den Finanzbehörden zu vertretenden zögerlichen Bearbeitung von Steuernachforderungsfällen schon mehrfach befasst und ihn für grundsätzlich nicht geeignet gehalten hat, um einen (Teil-)Erlass von Nachforderungszinsen zu legitimieren. Im Übrigen hat sich die Rechtsprechung bereits wiederholt mit der Verfassungsmäßigkeit des § 233a AO auseinandergesetzt und diese bejaht (vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53, unter 2.b bb und ee; , BFH/NV 2001, 746; vgl. ferner auch , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1992, 386; 292150K 2, EFG 1993, 361).
2. Aus denselben Gründen kommt die Zulassung der Revision auch nicht wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) in Betracht (zur Qualifikation dieses Zulassungsgrundes als speziellen Tatbestand der „Grundsatzrevision” vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 38).
3. Schließlich haben die Kläger auch nicht substantiiert dargelegt, dass eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erforderlich ist.
Die Zulassung der Revision wegen dieses Erfordernisses ist insbesondere dann geboten, wenn das angefochtene FG-Urteil in seinen tragenden Gründen von einer Entscheidung des BFH oder eines anderen Gerichts abweicht (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 41). Zur schlüssigen Darlegung einer solchen Abweichung muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den mutmaßlichen Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen.
Daran fehlt es im Streitfall, da die Kläger weder einen abstrakten und entscheidungserheblichen Rechtssatz aus dem angegriffenen FG-Urteil noch aus der mutmaßlichen Divergenzentscheidung in BFHE 185, 94, BStBl II 1998, 550 herausgearbeitet haben.
4. Im Kern richtet sich die Beschwerdebegründung —nach Art einer Revisionsbegründung— gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen FG-Entscheidung, insbesondere dagegen, dass das FG eine Vergleichbarkeit des im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalts mit der besonderen Sachlage, wie sie dem BFH-Urteil in BFHE 185, 94, BStBl II 1996, 550 zugrunde lag, verneint hat. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen indessen für sich genommen grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 24 und 45 sowie § 116 Rz 34, 38 und 42, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
5. Die weitere Begründung der Kläger im Schriftsatz vom ist verspätet, weil sie nicht innerhalb der am abgelaufenen Beschwerdebegründungsfrist beim BFH eingegangen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung nur nach den innerhalb der Begründungsfrist vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen. Spätere Darlegungen sind —abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen des fristgemäßen Vorbringens— nicht zu berücksichtigen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 116/05, BFH/NV 2006, 969).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1705 Nr. 9
TAAAC-50764