BFH Urteil v. - IX R 51/04

Niedrigere Festsetzung eines zunächst vorläufig höher vereinbarten Kaufpreises führt als rückwirkendes Ereignis zu einer entsprechenden Korrektur der Sonderabschreibung; Anwendungsbereich des § 173 Abs. 2 AO

Leitsatz

Nach § 4 Abs. 2 FördG können Sonderabschreibungen bereits für Anzahlungen auf Anschaffungskosten beansprucht werden. Dies setzt indes voraus, dass die Anzahlungen nur bis zur Höhe des geschuldeten Kaufpreises geleistet werden, diesen also nicht übersteigen. Wird der im Kaufvertrag nur vorläufig vereinbarte Kaufpreis später endgültig niedriger festgesetzt, stellt diese Vereinbarung eines verringerten Kaufpreises ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar, das zur entsprechenden Korrektur der Sonderabschreibungen für die geleisteten Anzahlungen führt.

Gesetze: AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; EStG § 7a; FördG § 4 Abs. 2; AO § 173

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein geschlossener Immobilienfonds in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft und erzielte in den Streitjahren 1992 bis 1994 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Sie erwarb 1992 ein noch zu errichtendes Wohn- und Geschäftshaus. Hinsichtlich des Kaufpreises wurde in Ziffer V.1. des Kaufvertrages u.a. folgende Vereinbarung getroffen:

„Der Kaufpreis…ermittelt sich auf der Grundlage des für den Kaufgegenstand in Anlage 3…festgelegten monatlichen Mietzinses…Er beträgt das 180-fache der im Rahmen der Erstvermietung tatsächlich erzielten Netto-Monatsmiete für das gesamte Objekt…Entsprechend der in Anlage 3 garantierten Netto-Monatsmiete in Höhe von DM 113 133,30 gehen die Vertragsparteien vorläufig von einem Kaufpreis von DM 20 363 994…aus. Der endgültige Kaufpreis wird…festgestellt, sobald der endgültige…Netto-Monatsmietzins für den Monat Juli 1994…feststeht und dieser von den Mietern…entrichtet wird; ...”

Die im Kaufvertrag in Bezug genommene Anlage 3 enthält unter der Ziffer 3 folgende Vereinbarung:

„Sollte nach Vollvermietung des Kaufgegenstandes der vom Verkäufer…garantierte monatliche Netto-Gesamtmietbetrag für den Kaufgegenstand nicht erreicht werden, ist der vorläufige Kaufpreis... entsprechend zu reduzieren.”

In Ziffer V.5. des Kaufvertrages trafen die Kaufvertragsparteien u.a. folgende Abrede:

„Reduziert sich nach Feststellung des endgültigen Kaufpreises der Kaufpreis unter die Höhe des Anzahlungsbetrages…ist der Verkäufer zur Erstattung der zuviel erhaltenen Anzahlung auf den vorläufigen Kaufpreis verpflichtet.”

Als Anzahlung waren 90 % des Kaufpreises Ende Dezember 1992 fällig und wurden termingemäß bezahlt; der restliche Kaufpreis wurde Ende Dezember 1994 beglichen.

Das Gebäude wurde 1995 fertiggestellt und von der Klägerin abgenommen. Im Kalenderjahr 1996 kam es wegen Flächen- und Nutzungsverschiebungen sowie geringerer Mieteinnahmen zu einer Kaufpreisrückzahlung in Höhe von 2 481 885 DM. Unter Zugrundelegung einer monatlichen Nettomiete in Höhe von 60 178,38 DM bestimmten die Kaufvertragsparteien im Oktober 1998 den endgültigen Kaufpreis in Höhe von 10 832 108,40 DM, so dass sich zugleich eine weitere Kaufpreisrückzahlung in Höhe von 7 050 000,60 DM ergab.

Gemäß § 4 Abs. 2 des Fördergebietsgesetzes i.d.F. vom (BGBl I 1991, 1322, 1331) —FördG— wurden die möglichen Sonderabschreibungen auf Anzahlungen in den Feststellungszeiträumen 1992 bis 1994 zunächst in vollem Umfang ausgeschöpft.

Nach einer ersten, Ende 1994 abgeschlossenen Außenprüfung blieb dies für die Streitjahre 1992 und 1993 unbeanstandet.

Im Ergebnis einer zweiten, die Jahre 1994 bis 1997 betreffenden, Außenprüfung beurteilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Kaufpreisrückzahlungen in den Jahren 1996 und 1998 als rückwirkende Ereignisse und legte den verringerten Kaufpreis bei der Bemessung der Sonderabschreibungen in den Streitjahren 1992, 1993 und 1994 zu Grunde.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 167 veröffentlichten Urteil führte das Finanzgericht (FG) aus, dass die Kaufpreisminderungen rückwirkende Ereignisse i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) seien, so dass die in Anspruch genommenen Sonderabschreibungen entsprechend zu ändern wären.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Vorschriften des Verfahrensrechts und des materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil hinsichtlich der Streitjahre aufzuheben und die Werbungskostenüberschüsse bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung entsprechend dem Klageantrag höher festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Zu Recht hat das FG die Rückerstattungen des Kaufpreises in den Jahren 1996 und 1998 als rückwirkende Ereignisse i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beurteilt, die die Höhe der Sonderabschreibungen beeinflussen.

1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid u.a. zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat.

a) Das Ereignis muss nachträglich, d.h. nach Erlass des Steuerbescheides eingetreten sein und darf deshalb —anders als bei § 173 AO— zur Zeit des Ergehens des Steuerbescheides noch nicht bestanden haben (vgl. , BFHE 153, 485, BStBl II 1988, 863, und vom IV R 10/83, BFHE 141, 488, BStBl II 1984, 786).

b) Das Ereignis muss ferner den Sachverhalt verändern und dabei derart in die Vergangenheit zurückwirken, dass ein Bedürfnis besteht, eine schon endgültige (bestandskräftig getroffene) Regelung i.S. der §§ 118, 157 AO an die Sachverhaltsänderung anzupassen (, BFHE 162, 355, BStBl II 1991, 55; vom VIII R 432/83, BFHE 155, 83, 89, BStBl II 1989, 225, 228, m.w.N.).

Bei den laufend veranlagten Steuern wie der Einkommensteuer sind die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert. Dies gilt jedoch nur insoweit, als die einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften nicht bestimmen, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; , BFH/NV 2004, 154). Eine solche Rechtslage ist insbesondere bei Steuertatbeständen gegeben, die an ein einmaliges, punktuelles Ereignis anknüpfen, wie z.B. die Veräußerung eines nach § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) begünstigten Anlagegutes (, BFHE 193, 129, BStBl II 2001, 641) oder die Veräußerung eines ganzen Gewerbebetriebs nach § 16 EStG (BFH-Urteile in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. d; vom IV R 84/86, BFHE 154, 85).

c) Nach § 4 Abs. 2 FördG können Sonderabschreibungen bereits für Anzahlungen auf Anschaffungskosten beansprucht werden. Dies setzt indes voraus, dass die Anzahlungen nur bis zur Höhe des geschuldeten Kaufpreises geleistet werden (vgl. , BFH/NV 2005, 49, und vom IX R 33/03, BFHE 205, 84, BStBl II 2004, 750), diesen also nicht übersteigen.

2. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das FG unter Beachtung dieser Rechtsgrundsätze der Bestimmung eines verringerten Kaufpreises bei der Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen auf Anzahlungen Rückwirkung beigemessen.

a) Die Vereinbarung eines um 9 486 885 DM verringerten Kaufpreises ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.

Die Festlegung des endgültigen Kaufpreises im Oktober 1998 ist ein sachverhaltsänderndes Ereignis. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), haben die Klägerin und der Verkäufer des Grundstücks in Ziffer V.1. und V.5. des Kaufvertrages den Kaufpreis lediglich vorläufig bemessen und dessen Reduzierung bereits in der Anlage 3 dieses Vertrages für den Fall vorgesehen, dass der Mietertrag nicht den ursprünglichen Erwartungen entsprechen sollte. Die Anschaffungskosten konnten auf dieser Grundlage aus der Sicht beider Vertragsparteien endgültig erst nach Fertigstellung und Entrichtung der ersten Miete ermittelt werden. Dies wird auch durch die weitere, vom FG in Bezug genommene Vereinbarung vom 2./ bestätigt. Denn erst hiermit haben die Klägerin und der Verkäufer des Grundstücks die endgültige Höhe des Kaufpreises festgelegt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Anschaffungskosten der Klägerin der Höhe nach unbestimmt, weil nur vorläufig.

Dieses Ereignis hat auch steuerliche Wirkung für die Vergangenheit. Denn Sonderabschreibungen nach § 4 Abs. 2 FördG können nur für Anzahlungen bis zur Höhe der Anschaffungskosten in Anspruch genommen werden. Die Anschaffungskosten übersteigende

Anzahlungen bleiben für die Bemessungsgrundlage der Sonderabschreibungen unberücksichtigt.

b) Aus § 7a EStG folgt entgegen dem Vortrag der Klägerin nichts Gegenteiliges. Dabei können die Einwände der Klägerin gegen die vom FG vorgenommene Bestimmung des Beginns des Begünstigungszeitraums i.S. des § 7a Abs. 1 Satz 1 EStG dahinstehen. Entscheidend ist, dass die Norm nur eine Regelung für die AfA-Bemessungsgrundlage in den Fällen einer nachträglichen Erhöhung oder Minderung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten trifft. Dies aber setzt —woran es im Streitfall ermangelt— betragsmäßig feststehende Kosten voraus.

c) Entgegen der Ansicht der Klägerin steht die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO der Änderung der Feststellungsbescheide nach Maßgabe des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht entgegen. Bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des § 173 Abs. 2 AO ist ersichtlich, dass die Änderungssperre auf solche Fälle beschränkt ist, in denen es sonst zu einer Korrektur nach § 173 Abs. 1 AO käme (von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 173 AO Rz 316, 350). Darüber hinaus verdeutlicht § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO, dass die einzelnen Korrekturtatbestände Teil eines in sich geschlossenen Korrektursystems sind und daher einer analogen Anwendung grundsätzlich nicht zugänglich sind (von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 13, m.w.N.).

3. Da sich die Änderung der angegriffenen Feststellungsbescheide für die Streitjahre 1992, 1993 und 1994 jedenfalls auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO stützen lässt, kommt es nicht darauf an, ob hinsichtlich des Feststellungsbescheides 1994 auch die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO vorliegen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1456 Nr. 8
HFR 2007 S. 1212 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2008 S. 3684
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2007 S. 4
VAAAC-49136