BFH Beschluss v. - IX R 41/05

Keine Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsfrist für das Finanzamt bei Organisationsverschulden; Besetzung des Senats bei Entscheidung über die Verwerfung der Revision als unzulässig durch Beschluss

Gesetze: FGO § 56; FGO § 120; FGO § 10 Abs. 3

Instanzenzug:

Gründe

I. Streitig ist, ob dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) wegen unverschuldeter Versäumnis der Revisionsfrist um einen Tag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

Das Finanzgericht (FG) hat der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 480 veröffentlichten Urteil stattgegeben. Das FA hat gegen das am zugestellte Urteil Revision eingelegt, die am Dienstag, dem , beim Bundesfinanzhof (BFH) einging. Nach Hinweis auf die Fristversäumnis hat das FA rechtzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung beantragt, es habe den Revisionsschriftsatz am zur Post gegeben und darauf vertrauen dürfen, dass dieser bis zum Ablauf der Revisionsfrist am beim BFH eingehen würde. Die ungeklärte Verzögerung in der Beförderung durch die Post dürfe nicht zu seinen Lasten gehen. Gegebenenfalls müsse der Poststempel geprüft werden; sofern dieser nicht bei den Akten sei, könne dies dem FA nicht zum Nachteil gereichen.

Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Der Senat hat Beweis erhoben über den Zeitpunkt der Absendung der Revisionsschrift des FA durch Vernehmung des Regierungsdirektors X, der Steueramtfrau Z sowie der Verwaltungsangestellten Y. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Beweisaufnahme vom verwiesen, in der die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.

II. Die Revision ist unzulässig (§ 124 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung —FG0—) und deshalb nach § 126 Abs. 1 FGO zu verwerfen.

1. Der Senat entscheidet über die Revision durch Beschluss in der Besetzung mit fünf Richtern; § 10 Abs. 3 FGO steht dem nicht entgegen (vgl. , BFH/NV 2003, 183; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 10 Rz 2, m.w.N.). Der für eine solche Besetzung sprechende Grundsatz der Prozessökonomie, den Spruchkörper nur einmal mit der Frage der Zulässigkeit zu belasten und unterschiedliche Auffassungen in derselben Sache zwischen der Vollbesetzung des Senats und der Dreier-Besetzung zu vermeiden (vgl. , BFHE 124, 309, BStBl II 1978, 312), gilt im besonderen Maße für das vorliegende Verfahren, nachdem der Senat aufgrund seiner Sitzung vom in der Vollbesetzung durch den ergangenen Beweisbeschluss die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme über die tatsächlichen Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung im Streitfall bejaht hat.

2. Die Revision ist unzulässig. Denn das FA hat die einmonatige Frist nach § 120 Abs. 1 FGO für die Einlegung der Revision gegen das am zugestellte FG-Urteil mit dem am Dienstag, dem , bei dem BFH eingegangenen Schriftsatz versäumt, ohne dass insoweit die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach Maßgabe des § 56 Abs. 1 FGO gegeben sind.

a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung in eine Rechtsmittelfrist —wie hier die um einen Tag versäumte Revisionsfrist— (nur) zu gewähren, wenn der Rechtsmittelführer ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war, den Wiedereinsetzungsantrag innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnisnahme von der Fristversäumnis gestellt und die zur Begründung des Antrags vorgetragenen Tatsachen glaubhaft gemacht hat (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO).

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie von der Rechtsprechung für das Wiedereinsetzungsgesuch eines Steuerpflichtigen entwickelt worden sind (vgl. BFH-Entscheidungen vom IV R 100/80, BFHE 134, 220, BStBl II 1982, 131; vom VII R 136/97, BFH/NV 1999, 73, m.w.N.). Danach ist auch eine Behörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet (, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229). Dabei muss die Kontrolle der Erledigung und tatsächlichen Absendung, d.h. der tatsächlichen Übergabe des Schriftstücks an die Post durch Jemanden erfolgen, der den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann (BFH-Beschlüsse vom VII R 11/96, BFH/NV 1998, 70, und vom VII 113/97, BFH/NV 1998, 709, m.w.N.). Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne Postausgangsstelle reichen hierfür ebenso wenig aus wie ein bloßer Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese Postausgangsstelle weiterleitet, weil dadurch noch nicht ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück auch tatsächlich unmittelbar zur Weiterbeförderung an die Post gelangt (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 73, m.w.N.). Vielmehr ist erforderlich, dass die ordnungsgemäße Absendung eines fristwahrenden Steuerbescheides durch einen Absendevermerk der Poststelle in den Akten festgehalten wird. Liegt ein solcher Vermerk vor, ist der Finanzbehörde die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises für die ordnungsgemäße Absendung von die Festsetzungsfrist wahrenden Steuerbescheiden zuzubilligen; anderenfalls muss das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung beurteilen, ob es die rechtzeitige Absendung für nachgewiesen hält oder nicht (vgl. , BFH/NV 2003, 138, m.w.N.); die Regeln des Anscheinsbeweises sind insoweit nicht anwendbar (, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211).

b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat das FA die dargestellten Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung im Streitfall nicht erfüllt.

Auf der Grundlage der Zeugenaussagen ist zwar davon auszugehen, dass die Zeugin Z als Sachbearbeiterin des FA den Revisionsschriftsatz am Freitag, dem , vorentworfen und dem Zeugen X als Vertretungsbefugten des FA i.S. des § 62a FGO zur Unterschrift zugeleitet hat. Ebenso kann zugunsten des FA aufgrund der Aussage der Zeugin Y angenommen werden, dass sie in ihrer Eigenschaft als Angestellte der (Verwaltungs-)Geschäftsstelle des FA den —vom Zeugen X unterschriebenen— Revisionsschriftsatz am in einen Briefumschlag eingelegt, nach Eintragung dieses Datums in der Absendeverfügung des FA („zPA ”) zur Postausgangsstelle gebracht und dort in das Fach für die zum Postversand bestimmten Sendungen geworfen hat.

Da aber der erforderliche Absendevermerk der Poststelle des FA fehlt und nach den Aussagen der Zeugen sonstige Umstände über die tatsächliche Absendung des Schriftsatzes durch die Postausgangsstelle nicht bekannt sind, kommt eine Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsfrist nicht in Betracht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), nach der ein Abhandenkommen der Briefumschläge zu fristwahrenden Schriftsätzen im Einflussbereich der Justiz nicht zum Nachteil der Rechtsmittelführer gereichen darf. Danach kann Wiedereinsetzung nur gewährt werden, wenn der Rechtsmittelführer —anders als im Streitfall, in dem lediglich die Tatsache der Übergabe an die Poststelle glaubhaft gemacht wurde— ein konkretes Absendedatum behauptet und glaubhaft macht (vgl. ; Neue Juristische Wochenschrift 1995, 2545; , BFH/NV 2004, 1106).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1508 Nr. 8
RAAAC-49133