Aussetzung des Streits um die Rechtmäßigkeit eines Folgebescheids nach § 74 FGO; Auslegung eines unklaren Tenors
Gesetze: FGO § 74; ZPO § 251; AO § 175
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wenden sich mit der vor dem Finanzgericht (FG) anhängigen Klage wegen Einkommensteuer 1997 u.a. gegen den Ansatz von Gewinnen aus Beteiligungsverkäufen als laufende Gewinne.
Das Betriebsstättenfinanzamt I hatte einen Gewinn des Klägers aus dem Verkauf einer Beteiligung zuerst als tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn, im Änderungsbescheid vom dann aber als laufenden Gewinn festgestellt. Über den hiergegen eingelegten Einspruch wurde bislang noch nicht bestandskräftig entschieden. Den Gewinn aus der Veräußerung eines Kommanditanteils hat das Betriebsstättenfinanzamt II als tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn gewertet; der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hat ihn in einen laufenden Gewinn umqualifiziert.
Das FG setzte nach vorheriger Anhörung der Beteiligten das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zum Abschluss des Rechtsstreits über den Grundlagenbescheid des Betriebsstättenfinanzamts I aus.
Mit der Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluss des FG machen die Kläger geltend, der Feststellungsbescheid des Betriebsstättenfinanzamts II könne nicht mehr geändert werden, weil unstreitig Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Das anhängige Einspruchsverfahren gegen den Feststellungsbescheid des Betriebsstättenfinanzamts I habe keinen Einfluss auf das Klageverfahren. Soweit ein begünstigter Veräußerungsgewinn nicht festgestellt werde, verbleibe es bei der bisherigen Qualifizierung. Soweit der Gewinn als tarifbegünstigter Veräußerungsgewinn eingestuft werde, sei die Einkommensteuerfestsetzung 1997 nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) zu ändern.
Das FA weist im Beschwerdeverfahren darauf hin, dass im Streitfall vorrangig zu klären sei, ob ein Wohnsitzfinanzamt bei der Einkommensteuerveranlagung einen vom Betriebsstättenfinanzamt als tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn festgestellten Gewinn in einen laufenden Gewinn umqualifizieren könne. Diese Frage würde sich hinsichtlich des Grundlagenbescheids I nicht stellen, wenn das Betriebsstättenfinanzamt bestandskräftig einen laufenden Gewinn feststellen würde.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat das Verfahren in der Einkommensteuersache 1997 rechtsfehlerfrei bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen den Grundlagenbescheid I ausgesetzt.
1. Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Entscheidung über die Aussetzung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Dabei ist es regelmäßig geboten und zweckmäßig, dass das FG den Streit um die Rechtmäßigkeit eines Folgebescheids aussetzt, solange noch unklar ist, ob und wie der angefochtene Grundlagenbescheid geändert wird (vgl. , BFHE 163, 309, BStBl II 1991, 368, m.w.N.). Dass sich der Erlass eines zukünftigen oder geänderten Grundlagenbescheids über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ohnehin auf den Folgebescheid auswirkt, steht dem nicht entgegen (Thürmer in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 74 FGO Rz 55).
2. Der Grundsatz, dass das Verfahren über einen Folgebescheid auszusetzen ist, solange unklar ist, ob die Anfechtung des Grundlagenbescheids Erfolg haben wird, gilt jedoch nicht ausnahmslos (vgl. z.B. , BFHE 155, 454, BStBl II 1989, 343). Im Einzelfall können besondere Umstände vorliegen, die eine Aussetzung des Verfahrens ausnahmsweise als ermessenswidrig erscheinen lassen (so auch der , BFH/NV 1989, 525).
Derartige Umstände liegen im Streitfall nicht vor. Zwar hat das FG unabhängig vom Ausgang des Einspruchsverfahrens gegen den Feststellungsbescheid I zu entscheiden, ob das FA den vom Betriebsstättenfinanzamt II bestandskräftig festgestellten Veräußerungsgewinn in einen laufenden Gewinn umqualifizieren konnte. Dieser Umstand lässt aber die Aussetzung des Verfahrens nicht ausnahmsweise ermessenswidrig erscheinen. Falls das Betriebsstättenfinanzamt I dem Begehren des Klägers im Einspruchsverfahren entspricht und einen tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn feststellt, stellt sich auch insoweit die Frage, ob das FA diesen Gewinn in einen laufenden Gewinn umqualifizieren kann. Es war daher zweckmäßig, dass sich das FG für die Aussetzung des Verfahrens entschieden hat, um den Ausgang des Verfahrens gegen den Grundlagenbescheid I abzuwarten und erst dann zu entscheiden, ob das FA den vom Betriebsstättenfinanzamt II und ggf. auch vom Betriebsstättenfinanzamt I festgestellten Veräußerungsgewinn in einen laufenden Gewinn umqualifizieren konnte.
3. Dass das FG den Tenor des Aussetzungsbeschlusses missverständlich abgefasst hat, führt nicht zur Begründetheit der Beschwerde. Aus den zur Auslegung des Tenors ergänzend heranzuziehenden Gründen (vgl. Senatsbeschluss vom X B 106/05, BFH/NV 2006, 580) des Beschlusses ist ersichtlich, dass das Gericht das Verfahren nach § 74 FGO ausgesetzt hat und zudem ist die Ruhensanordnung nach § 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung lediglich ein Sonderfall der Aussetzung des Verfahrens (, BFHE 176, 435, BStBl II 1995, 415).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1532 Nr. 8
YAAAC-48497