BFH Beschluss v. - VII B 252/06 BStBl 2009 II S. 624

Aufrechnung gegen Anspruch auf Erstattungszinsen im Insolvenzverfahren; Begründung eines Steueranspruchs im Insolvenzverfahren

Leitsatz

Der Anspruch auf Erstattungszinsen, die auf Zeiträume nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entfallen, kann vom FA nicht mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen verrechnet werden.

Gesetze: AO § 226AO § 233aInsO § 95 Abs. 1InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

I.

Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) ist Verwalter in dem im Februar 2000 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH. Nach Eröffnung des Verfahrens sind Änderungsbescheide des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt —FA—) zur Körperschaftsteuer 1994 und 1995 ergangen, in welchen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) auch Zinsen festgesetzt wurden.

Über die auf den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallenden Zinsen streiten die Beteiligten. Das FA hat gegen den Anspruch der GmbH auf Erstattungszinsen in voller Höhe auf Zeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallende Umsatzsteuer bzw. Gewerbesteuer aufgerechnet. Als der Kläger dem widersprach, hat es den angefochtenen Abrechnungsbescheid erlassen. Das Finanzgericht (FG) hat den Abrechnungsbescheid dahin geändert, dass Erstattungszinsen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefallen sind, entgegen der Aufrechnungserklärung des FA nicht zur Aufrechnung herangezogen werden dürften, so dass aus Körperschaftsteuer 1995 ein an die Insolvenzmasse auszukehrendes Guthaben verbleibe.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des FG richtet sich die Beschwerde des FA, mit der sinngemäß geltend gemacht wird, der Rechtsstreit habe grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Frage, ob das FA eine steuerliche Nebenleistung aus § 233a AO insoweit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig wird, als der Zinslauf über den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung hinaus andauert, und ob das FA dementsprechend gegen den Anspruch auf solche Erstattungszinsen aus Steuerfestsetzungen für vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegende Veranlagungszeiträume nicht aufrechnen dürfe. Diese Frage sei vom Bundesfinanzhof (BFH) bisher nur in dem Urteil vom VII R 71/04 (Steuer-Eildienst 2005, 2147) beantwortet worden, jedoch durch diese Entscheidung nicht abschließend geklärt. Es sei nämlich nicht nachzuvollziehen, dass entsprechend dem zweiten Leitsatz dieser Entscheidung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfallende Erstattungszinsen auf Steuern für einen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegenden Veranlagungszeitraum insolvenzrechtlich nicht bereits bei Verfahrenseröffnung begründet gewesen sein sollen, dass also der nach der Rechtsprechung des BFH maßgebliche wirtschaftliche Sachverhalt, der zu ihrer Entstehung führe, nicht bereits vor Verfahrenseröffnung vorhanden gewesen sein solle. Das Andauern des Zinslaufs über den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung hinaus könne nicht dazu führen, dass im Hinblick auf die Zuordnung zur Insolvenzmasse für die nach Eröffnung anfallenden Zinsen andere Grundsätze gelten als für die bis dahin angefallenen. Eine solche Trennung und unterschiedliche insolvenzrechtliche Beurteilung widerspreche den in § 95 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) zum Ausdruck gekommenen Wertungen des Gesetzgebers. Sie stelle den Fiskus schlechter als einen privaten Gläubiger.

II.

Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) ist nicht begründet. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO); denn die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage ist durch das vorgenannte Urteil des beschließenden Senats geklärt, an dessen rechtlicher Beurteilung der beschließende Senat unbeschadet der Einwände des FA festhält.

Der Anspruch auf eine Steuer ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats im insolvenzrechtlichen Sinne nur dann vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens begründet, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist (vgl. auch XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477, sowie , Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht —NJW-RR— 2005, 990). Auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer kommt es nicht an (, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226, und vom V R 29/86, BFHE 155, 475, BStBl II 1989, 434). War der den Steueranspruch begründende Tatbestand erst nach dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung erfüllt, so kommt eine Beurteilung als Masseanspruch in Betracht (, BFHE 149, 323, BStBl II 1987, 527; vgl. auch , BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602). Entsprechendes gilt für eine Steuervergütung (vgl. , BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195; vom VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193, und vom VII R 74/04, BFH/NV 2005, 1745). Diesbezügliche Ansprüche des Steuerpflichtigen sind insolvenzrechtlich vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens „begründet”, wenn der zugrunde liegende Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist (Senatsurteile in BFH/NV 2005, 1745, und in BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195).

Erstattungszinsen nach § 233a AO sind folglich nicht schon im Zeitpunkt der Leistung von Vorauszahlungen bzw. anzurechnender Steuerabzugsbeträge und anzurechnender Körperschaftsteuer unter der aufschiebenden Bedingung, dass einmal die Voraussetzungen vorgenannter Vorschrift eintreten sollten, insolvenzrechtlich begründet, sondern sie entstehen zeitabschnittsweise, so dass der Anspruch auf Erstattungszinsen, die auf Zeiträume nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallen, vom FA nicht mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen verrechnet werden kann. Der Grund einer diesbezüglichen Zinsverpflichtung ist zwar bereits in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden, indem ein Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs. 1 AO dadurch entstanden ist, dass die steuerpflichtigen Vorfälle zu einer geringeren Steuer geführt haben, als es der Summe der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, der anzurechnenden Körperschaftsteuer und der festgesetzten vorinsolvenzlichen Vorauszahlungen entspricht (§ 233a Abs. 3 AO; sog. Unterschiedsbetrag); Zinsen auf diesen Unterschiedsbetrag entstehen jedoch erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO) bzw. in dem ein rückwirkendes Ereignis eingetreten oder ein Verlust entstanden ist (§ 233a Abs. 2a AO). Deshalb können solche laufenden Zinsen nicht als bedingte (betagte) Forderungen angesehen werden, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind (vgl. , BGHZ 110, 47). Denn § 95 InsO soll nur den Gläubiger schützen, dessen Forderung in ihrem rechtlichen Kern aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder vertraglicher Vereinbarungen bereits gesichert ist (, Neue Juristische Wochenschrift 1994, 1659, und vom IX ZR 355/98, NJW-RR 2000, 1285) und fällig wird, ohne dass es einer weiteren Rechtshandlung des Anspruchsinhabers bedarf (, Betriebs-Berater 1990, 89, und vom IX ZR 147/03, BGHZ 160, 1). Der Anspruch des Steuerpflichtigen auf Erstattungszinsen indes ist nicht in diesem Sinne „gesichert”, bevor der (Monats-)Zeitraum abgelaufen ist, für den er solche Zinsen beanspruchen kann, weil in diesem Zeitraum zu seinen Gunsten ein Unterschiedsbetrag bestanden hat. Bis dahin ist rechtlich ungesichert, ob nicht dem Entstehen von (ggf. weiteren) Erstattungszinsen dadurch die Grundlage entzogen wird, dass die Steuerfestsetzung wirksam wird und mithin der Zinslauf gemäß § 233a Abs. 2 Satz 3 AO endet.

Wenn die Beschwerde meint, diese Rechtsprechung nicht nachvollziehen zu können, und sich ihr gegenüber darauf beruft, bei Erstattungsansprüchen habe es die Rechtsprechung des Senats selbst für eine Aufrechnung im Insolvenzverfahren gemäß § 95 Abs. 1 InsO ausreichen lassen, dass deren „Rechtsgrund” vor Verfahrenseröffnung gelegt sei, verkennt sie den engen inneren Zusammenhang, in dem solche Ansprüche mit der Steuerentstehung vor Verfahrenseröffnung stehen, welchem Zusammenhang die einschlägigen Steuergesetze dadurch Rechnung tragen, dass sie vorschreiben, die vor Verfahrenseröffnung entstandene Steuer zu erstatten oder zu vergüten oder dem Steuerpflichtigen in anderer Weise wieder gut zu bringen (vgl. Senatsurteil vom VII R 27/06, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). Darum handelt es sich indes bei gleichsam originären, zeitabschnittsweise neu entstehenden Ansprüchen des Steuerpflichtigen wie dem auf Erstattungszinsen nicht (vgl. auch Senatsurteil vom VII R 34/06, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). Es entspräche, anders als das FA offenbar meint, nicht der „Wertung” des Gesetzes in § 95 Abs. 1 InsO, beliebige Elemente eines steuergesetzlichen Entstehungstatbestandes zu bloßen aufschiebenden Bedingungen des Anspruches des Steuerpflichtigen zu erklären, um dadurch dem FA die Möglichkeit einer bevorzugten Befriedigung im Insolvenzverfahren zu verschaffen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BStBl 2009 II Seite 624
BB 2007 S. 1435 Nr. 26
BFH/NV 2007 S. 1395 Nr. 7
BStBl II 2009 S. 624 Nr. 16
DB 2007 S. 1394 Nr. 25
DStR 2008 S. 18 Nr. 1
DStRE 2007 S. 1194 Nr. 18
HFR 2007 S. 824 Nr. 9
SJ 2007 S. 9 Nr. 14
StB 2007 S. 286 Nr. 8
StBW 2007 S. 5 Nr. 13
StuB-Bilanzreport Nr. 19/2007 S. 752
ZIP 2007 S. 1277 Nr. 27
NAAAC-47293