Leitsatz
Für die Ermittlung des Zollwerts von Erntesaatgut, zu dessen Erzeugung vom Käufer geliefertes Basissaatgut verwendet wurde, sind dem gezahlten oder zu zahlenden Preis gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1224/80 Lizenzgebühren für die Vermehrung des Basissaatguts, die der Käufer an den Zuechter des Basissaatguts zu entrichten hat, auch dann hinzuzurechnen, wenn die zuechterische Leistung im Zollgebiet der Gemeinschaft erarbeitet worden ist.
Zum einen sind die Lizenzgebühren nämlich dem Erwerb des Basissaatguts, das anschließend in die eingeführten Waren eingeht, zuzurechnen und Teil des für das Basissaatgut zu zahlenden Preises. Zum anderen gibt es keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem die im Zollgebiet der Gemeinschaft erbrachten Leistungen und erzeugten Waren vom Zollwert auszunehmen wären.
Gesetze: EWGV Art. 177; Zollwertverordnung Art. 8 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i ; Zollwertverordnung Art. 3 Abs. 1
Gründe
1 Das beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 des Rates vom über den Zollwert der Waren (ABl. L 134, S. 1; im folgenden: Zollwertverordnung) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der deutschen BayWa AG und dem Hauptzollamt Weiden (im folgenden: HZA) über einen Zollbescheid im Zusammenhang mit der Einfuhr von Erntesaatgut.
3 Die BayWa AG kauft von deutschen Zuechtern Basissaatgut, das sie an Vermehrungsbetriebe in Polen und der Tschechoslowakei weiterverkauft, die Erntesaatgut herstellen. Dieses Erntesaatgut wird wiederum von der BayWa AG gekauft, in die Gemeinschaft eingeführt und auf dem Markt der Gemeinschaft abgesetzt. Aufgrund der mit den deutschen Zuechtern geschlossenen Verträge ist die BayWa AG verpflichtet, im Regelfall bis zum 31. Mai des auf die Ernte folgenden Jahres Lizenzgebühren zu zahlen, die sich nach der Menge des im Drittland erzeugten Erntesaatguts berechnen.
4 Mit Bescheid vom bezog das HZA die von der BayWa AG für das Erntesaatgut an die deutschen Zuechter entrichteten Lizenzgebühren in den Zollwert des Erntesaatguts ein. Es stützte sich dabei auf Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Zollwertverordnung, wonach dem für die eingeführten Waren tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis der entsprechend aufgeteilte Wert "der in den eingeführten Waren enthaltenen Materialien, Bestandteile, Teile und dergleichen" hinzuzurechnen ist, wenn diese "unmittelbar oder mittelbar vom Käufer unentgeltlich oder zu ermässigten Preisen für die Verwendung im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Verkauf zur Ausfuhr der zu bewertenden Waren geliefert beziehungsweise erbracht wurden, soweit dieser Wert nicht im tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis enthalten ist".
5 Die BayWa AG erhob gegen diesen Bescheid Klage vor dem Finanzgericht München, das das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:
Sind bei einem Kaufgeschäft über Erntesaatgut, zu dessen Erzeugung vom Käufer geliefertes Basissaatgut verwendet wurde, für die Ermittlung des Zollwerts dem gezahlten oder zu zahlenden Preis Lizenzgebühren, die der Käufer an den Zuechter des Basissaatguts für das Erntesaatgut zu entrichten hat, auch dann hinzuzurechnen, wenn die zuechterische Leistung innerhalb der Gemeinschaft erarbeitet worden ist?
6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
7 Gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Zollwertverordnung ist zur Ermittlung des Zollwerts der Waren der Transaktionswert entsprechend Artikel 8 zu berichtigen. Artikel 8 Absatz 1 nennt hierzu eine Reihe von Faktoren, die dem für die Waren tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis hinzuzurechnen sind, darunter insbesondere der Wert der in den eingeführten Waren enthaltenen Materialien.
8 Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der Zollwert des Saatguts sowohl den Wert des Basissaatguts als auch die den Vermehrungsbetrieben in den Drittländern entstandenen Vermehrungs- und Zertifizierungskosten umfasst. Die BayWa AG macht allerdings geltend, die Lizenzgebühren könnten nicht als Teil des Wertes der in den eingeführten Waren enthaltenen Materialien angesehen werden, da diese Gebühren anhand der Menge des erzeugten, eingeführten und anschließend in der Gemeinschaft verkauften Erntesaatguts berechnet würden. Die Pflicht zur Zahlung der Lizenzgebühren entstehe erst in dem Augenblick, in dem die BayWa AG das Erntesaatgut in Deutschland in den Verkehr bringe; diese Gebühren seien daher nicht als Bestandteil des Wertes des Basissaatguts anzusehen.
9 Zur Stützung ihrer Auffassung verweist die BayWa AG darauf, daß nach den zwischen ihr und den deutschen Zuechtern geschlossenen Verträgen keine Lizenzgebühr anfalle, wenn das Erntesaatgut im Drittland vernichtet werde. Im übrigen ergebe sich die Pflicht zur Zahlung der Lizenzgebühren ausschließlich aus den vertraglichen Beziehungen zwischen der BayWa AG und den Zuechtern; der Vertrag zwischen der BayWa AG und den Vermehrungsbetrieben in den Drittländern dagegen enthalte keinerlei Hinweis auf eine derartige Verpflichtung, und ein Sortenschutzrecht werde weder in Polen noch in der Tschechoslowakei anerkannt.
10 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Es steht fest, daß die Lizenzgebühren die zuechterische Leistung vergüten und dem Zuechter einen angemessenen Anteil an den Gewinnen sichern sollen, die sich aus der Zuechtung des Basissaatguts ergeben. Aus diesem Grunde steht den Zuechtern neben dem für das Basissaatgut verlangten Grundpreis eine Lizenzgebühr zu, die sich nach der Menge des eingeführten Erntesaatguts bemisst und nach dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Erntesaatguts festgelegt wird. Auch der Zuechter trägt also in gewissem Masse die Risiken des Vermehrungsvorgangs und des Inverkehrbringens. So wird etwa keine Lizenzgebühr fällig, wenn die Saatguternte in den Drittländern mißlingt. Desgleichen wird der Zeitpunkt der Fälligkeit der Gebühren hinausgeschoben, wenn die BayWa AG das Erntesaatgut nicht bis zum 31. Mai des auf die Ernte folgenden Jahres verkauft.
11 Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich überdies, daß die Verträge zwischen den deutschen Zuechtern und der BayWa AG einerseits sowie zwischen der BayWa AG und den polnischen und tschechoslowakischen Vermehrungsbetrieben andererseits eng miteinander verbunden sind. Die Verträge über den Kauf des Basissaatguts kommen nur bei Vorlage des zwischen der BayWa AG und dem Drittlandsunternehmen geschlossenen Vermehrungsvertrags zustande. Sie geben ferner die Verpflichtungen wieder, die die Vermehrungsbetriebe eingehen müssen. Auf diese Weise stellen die Zuechter sicher, daß - vorbehaltlich einer Genehmigung von ihrer Seite - das gesamte Erntesaatgut nach Deutschland eingeführt und dort in den Verkehr gebracht wird, wodurch die Lizenzgebühren fällig werden.
12 Somit ist festzustellen, daß die Lizenzgebühren dem Erwerb des Basissaatguts zuzurechnen und Teil des hierfür zu zahlenden Preises sind. Da das Basissaatgut anschließend in die eingeführten Waren eingeht, müssen diese Gebühren gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i dem für das eingeführte Saatgut tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis hinzugerechnet werden.
13 Aufgrund dessen brauchen die auf die Auslegung des Artikels 8 Absatz 1 Buchstabe c und Absatz 5 Buchstabe b der Zollwertverordnung sowie des Artikels 1 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3158/83 der Kommission vom über die Auswirkung von Lizenzgebühren auf den Zollwert (ABl. L 309, S. 19) gestützten Argumente der BayWa AG nicht geprüft zu werden.
14 In der mündlichen Verhandlung hat die BayWa AG vorgetragen, die Einbeziehung der Lizenzgebühren in den Zollwert des Erntesaatguts verstosse gegen die allgemeinen Grundsätze des Zollrechts der Gemeinschaften, da die zuechterische Leistung, durch die das Basissaatgut entstanden sei, vollständig im Zollgebiet der Gemeinschaft erbracht worden sei.
15 Auch dieses Argument ist zurückzuweisen. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem die im Zollgebiet der Gemeinschaft erbrachten Leistungen und erzeugten Waren vom Zollwert auszunehmen wären. Hierzu genügt ein erneuter Hinweis auf Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Zollwertverordnung, der in keiner Weise darauf abstellt, ob die Kosten für die Herstellung der in den eingeführten Waren enthaltenen Teile in der Gemeinschaft oder anderswo angefallen sind.
16 Es trifft zu, daß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer iv bestimmte geistige Leistungen, etwa Techniken, Entwicklungen und Entwürfe, nur dann in den Zollwert einbezieht, wenn sie ausserhalb des Gebiets der Gemeinschaft erbracht wurden.
17 Diese Vorschrift erwähnt allerdings die zuechterische Leistung nicht. Im übrigen betrifft sie nur die "für die Herstellung der eingeführten Waren notwendigen" Leistungen. In dem dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Fall waren jedoch im Verlauf der Herstellung des Erntesaatguts keine geistigen Leistungen, etwa Techniken, notwendig; die geistige Leistung, die zur Erzeugung des Basissaatguts geführt hatte, war vielmehr bereits abgeschlossen und spielte für den Vorgang der Vermehrung keine Rolle.
18 Auf die vom Finanzgericht München gestellte Frage ist daher zu antworten, daß bei einem Kaufgeschäft über Erntesaatgut, zu dessen Erzeugung vom Käufer geliefertes Basissaatgut verwendet wurde, für die Ermittlung des Zollwerts dem gezahlten oder zu zahlenden Preis gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 des Rates vom über den Zollwert der Waren Lizenzgebühren für die Vermehrung des Basissaatguts, die der Käufer an den Zuechter des Basissaatguts für das Erntesaatgut zu entrichten hat, auch dann hinzuzurechnen sind, wenn die zuechterische Leistung im Zollgebiet der Gemeinschaft erarbeitet worden ist.
Kostenentscheidung:
Kosten
19 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
QAAAC-43248
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg