BVerfG Urteil v. - 2 BvR 1977/06

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 6; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4

Instanzenzug:

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.

1. Der 1967 geborene, türkische Beschwerdeführer kam 1981 im Wege des Familiennachzugs zu seinen in Deutschland erwerbstätigen türkischen Eltern. Seit 1992 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Der Beschwerdeführer hat mit einer deutschen Staatsangehörigen, die er nach islamischem Ritus geheiratet hatte, drei Kinder, die in den Jahren 1994, 1996 und 1998 geboren wurden und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Mitte 1998 reiste der Beschwerdeführer in die Türkei. Nach der Geburt seiner jüngsten Tochter im September 1998 kehrte er für zwei Wochen nach Deutschland zurück und reiste im Oktober 1998 erneut in die Türkei. Dort wurde er am wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung festgenommen. Er wurde im April 2000 vom türkischen Staatssicherheitsgericht Nr. 2 Istanbul wegen terroristischer Aktivitäten für die AFID (Föderierter Islamischer Staat Anatolien) zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Bei der AFID handelt es sich um einen militanten Ableger des "Kalifatstaats"; die Organisation ist in Deutschland seit Dezember 2001 verboten. Aus der übersetzten Urteilsabschrift ergibt sich, dass der Beschwerdeführer bei seiner polizeilichen Vernehmung die ihm vorgeworfenen Taten eingeräumt haben soll. Gegenüber der Staatsanwaltschaft, dem Bereitschaftsrichter und dem Staatssicherheitsgericht hat er seine Beteiligung jedoch bestritten. Er hat geltend gemacht, sein Geständnis sei durch polizeiliche Folter erzwungen worden. Ein gerichtsmedizinisches Gutachten vom November 1998 stellte Hämatome und Schlagspuren am Körper des Beschwerdeführers fest.

Die Imam-Ehe des Beschwerdeführers wurde nach eineinhalb Jahren Inhaftierung geschieden. Im Folgenden heiratete die Kindesmutter erneut. Aus dieser Ehe sind drei weitere Kinder hervorgegangen; die Eheleute leben inzwischen wieder getrennt.

Der Beschwerdeführer kam nach sechsjähriger Haft frei. Er reiste im Dezember 2004 wieder nach Deutschland ein und meldete seinen Wohnsitz bei seinen Eltern an. Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer von der Ausländerbehörde unter Verweis auf die Regelausweisungsgründe des § 54 Nr. 5 und 6 AufenthG - ohne Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit - ausgewiesen; zugleich wurde die beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, da diese nach § 44 AuslG erloschen sei, und es wurde die Abschiebung in die Türkei angedroht.

2. Der Beschwerdeführer erhob Klage und beantragte Eilrechtsschutz. Das Verwaltungsgericht wies die Klage zunächst mit Gerichtsbescheid ab; auch der Eilantrag blieb erfolglos. Ende März 2005 - unmittelbar nach der Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts - wurde der Beschwerdeführer abgeschoben.

Im Oktober 2005 entschied das Verwaltungsgericht aufgrund mündlicher Verhandlung und nach Anhörung der Kindesmutter in der Hauptsache zu Gunsten des Beschwerdeführers. Diesem stehe ein Aufenthaltsrecht aufgrund des Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 (ARB 1/80) zu. Die langjährige Inhaftierung in der Türkei habe diesen Status ebenso wenig entfallen lassen wie die mehrmaligen Auslandsaufenthalte. Dem Umstand, dass sich ein Ausländer für mehr als sechs Monate andauernd im Ausland aufgehalten habe, komme zwar Indizwirkung für die Frage zu, ob dieser damit seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland aufgegeben habe; eine feste zeitliche Grenze ergebe sich aus dem Assoziationsrecht aber nicht. § 44 AuslG bzw. § 51 AufenthG überlagerten den gemeinschaftsrechtlichen Rechtsstatus nicht. Aufgrund der Inhaftierung könne von einer Indizwirkung nicht ausgegangen werden. Die Abwesenheit von Anfang Oktober 1998 bis habe sich zwar über einen erheblichen Zeitraum erstreckt; die Dauer dieses Aufenthalts habe sich jedoch seinen Einwirkungsmöglichkeiten entzogen. Der Annahme, dass der Beschwerdeführer die Verlegung seines Lebensmittelpunktes in die Türkei beabsichtigt habe, stünden die glaubhaften Angaben der als Zeugin vernommenen Kindesmutter entgegen. Auch aus den Zielsetzungen des "Kalifatstaats" lasse sich nicht die zwingende Schlussfolgerung ziehen, dass der Beschwerdeführer Deutschland dauerhaft habe verlassen wollen. Da der assoziationsrechtliche Aufenthaltsstatus unmittelbar aus dem ARB 1/80 folge, könne die Ausweisungsentscheidung auch nicht auf das Fehlen eines Aufenthaltstitels gestützt werden. Die Ausweisungsentscheidung sei zudem ausdrücklich ohne Ermessensausübung aufgrund der Bejahung eines Regelfalles erfolgt, was den Anforderungen des Art. 14 ARB 1/80 nicht genüge. Die Ermessensentscheidung könne auch nach § 114 Satz 2 VwGO nicht nachgeholt werden, da die Vorschrift nur die Ergänzung unzureichender Ermessenserwägungen zulasse; eine gänzliche Nachholung komme danach nicht in Betracht.

3. Im Juni 2006 erteilte die Ausländerbehörde dem Beschwerdeführer wegen schwerer Erkrankungen seiner Eltern eine Betretenserlaubnis. Er reiste am für zunächst eine Woche ein. Am beantragte er, den weiteren Aufenthalt zu erlauben, was die Ausländerbehörde ablehnte. Der Beschwerdeführer beantragte daher am beim Oberverwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Er berief sich auf die Notwendigkeit seiner Anwesenheit zur Pflege seiner Eltern und darauf, dass er drei Kinder habe, denen durch die Anwesenheit des Vaters nach den Jahren der Trennung wieder seelische Stabilität gegeben werde.

4. Mit Beschluss vom ließ das Oberverwaltungsgericht auf Antrag der Ausländerbehörde die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, da die Frage des Verlusts des Rechtsstatus aus Art. 7 ARB 1/80 im konkreten Fall rechtliche und die vom Verwaltungsgericht ermittelten Beweggründe für die Entscheidung des Beschwerdeführers, im Oktober 1998 Deutschland zu verlassen, tatsächliche Fragen besonderer Schwierigkeit aufwürfen.

5. Den Eilantrag des Beschwerdeführers lehnte das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom als unbegründet ab. Der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache sei offen. Die familiären Verhältnisse seien im Rahmen der angeordneten Regelausweisung gewürdigt worden. Es sei darauf abgestellt worden, dass das durch die Unterstützung gewaltbereiten Terrorismus durch den Beschwerdeführer gegebene öffentliche Interesse an der Ausweisung die privaten Belange seiner Familie überwiege und dass der Beschwerdeführer durch die Inhaftierung schon sechs Jahre von der Familie getrennt gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe keine besondere familiäre Situation vorgetragen, die seine Anwesenheit im Bundesgebiet dringend erfordere. Selbst wenn die Behörde verpflichtet sein sollte, nach pflichtgemäßem Ermessen erneut eine Entscheidung über die Ausweisung zu treffen, müsste sie voraussichtlich von einer Ausweisung nicht absehen.

6. Die Ausländerbehörde forderte den Beschwerdeführer auf, bis zum auszureisen. Mit Schreiben von diesem Tag beantragte der Beschwerdeführer bei der Behörde die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Er machte geltend, dass sich die familiäre Lage nunmehr grundlegend geändert habe; er habe am eine notarielle Sorgerechtserklärung abgegeben und seit Mitte Juli täglichen Umgang mit den Kindern. Die Behörde erklärte daraufhin, die Abschiebung eingeleitet zu haben.

7. Der Beschwerdeführer beantragte sodann beim Oberverwaltungsgericht erneut, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Seit der Rückkehr des Beschwerdeführers aus der Türkei sei der nie abgerissene Kontakt zu den Kindern behutsam aufgebaut worden. Während der eineinhalbjährigen Abwesenheit des Beschwerdeführers nach seiner Abschiebung habe Kontakt durch Telefonate, Briefverkehr und Chat im Internet - sogar mittels Webcam - stattgefunden. Seit etwa zwei Wochen finde ein immer intensiverer Umgang statt. Der Mutter und den Kindern sei die Ausreise in die Türkei nicht zumutbar.

Das Oberverwaltungsgericht lehnte den Antrag - mit hier angegriffenem Beschluss vom - ab. Der Beschwerdeführer habe mit seinem erneuten Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO das Vorliegen für eine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses nicht glaubhaft gemacht. Es hätten sich keine für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ausweisungsverfügung vom bedeutsamen Tatsachen nachträglich geändert. Treffe die Auffassung der Ausländerbehörde zu, dass dem Beschwerdeführer kein Ausweisungsschutz nach ARB 1/80 zukomme und die Regel-Ausweisungsgründe des § 54 Nrn. 5 und 6 AufenthG verwirklicht seien, komme es auf den Vortrag des Beschwerdeführers zur Entwicklung seiner familiären Situation nicht an, weil für die Beurteilung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung maßgeblich sei.

Selbst wenn die Ausländerbehörde verpflichtet sein sollte, nach pflichtgemäßem Ermessen erneut eine Entscheidung über die Ausweisung zu treffen, müsste sie wegen des neuen Sachvortrags voraussichtlich nicht von einer Ausweisung absehen. Die Sorgerechtserklärung und der von dem Beschwerdeführer vorgetragene und von der Mutter bestätigte Umgang dienten lediglich dazu, dem Beschwerdeführer ein Bleiberecht zu sichern. Sein Verhalten lasse einen Rückschluss auf das Bestehen einer verantwortungsvoll gelebten Vater-Kind-Beziehung, die vom Schutzzweck des Art. 6 GG erfasst sei, nicht zu. Die Chronologie der Ereignisse nach dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom belege diese Sicht der Dinge. Aus dem Ablauf könne nur geschlossen werden, dass der Beschwerdeführer seine Ausreise verzögert habe, um den Notartermin wahrnehmen zu können. Dafür spreche auch, dass der Beschwerdeführer laut Vermerk einer Mitarbeiterin der Behörde vom gegenüber der Betreuerin seiner Mutter erklärt habe, dass es für ihn und seinen weiteren Aufenthalt gut aussehe. Davon abgesehen reiche der Vortrag nicht aus, um eine gelebte Vater-Kind-Beziehung zu belegen. Die eidesstattliche Versicherung der Kindesmutter vom , nach der der Beschwerdeführer täglich etwa zwei Stunden Umgang mit seinen Kindern habe und inzwischen ein enges Verhältnis festzustellen sei, sei angesichts des kurzen Zeitraumes von zwei Wochen, auf den sie sich beziehe, nicht aussagekräftig. Die Sorgerechtserklärung alleine entfalte keine ausländerrechtliche Schutzwirkung, weil es auf die tatsächliche Verbundenheit ankomme. Der Ausweisungsbescheid würdige die persönlichen Lebensumstände; es sei nicht wahrscheinlich, dass die im Rahmen einer Ermessensausweisung zu berücksichtigenden persönlichen Belange rechtlich anders als in der angegriffenen Entscheidung, nämlich als nicht überwiegend, bewertet würden. Soweit sich der Beschwerdeführer auf die Entscheidung des - (InfAuslR 2006, S. 122 ff.) berufe, übersehe er, dass selbst das Vorliege n einer Vater-Kind-Beziehung nicht automatisch zur Anerkennung eines Aufenthaltsrechts führe, was das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom - 2 BvR 1935/05 - (NVwZ 2006, S. 682) betone.

8. Mit seiner fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 6 GG und sinngemäß eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG. Das Oberverwaltungsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass es nur um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gehe, die grundsätzlich eine Abwägung der gegenläufigen Interessen erfordere, wobei vor allen Dingen die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels eine wichtige Rolle spielten. Der Klageerfolg vor dem Verwaltungsgericht sei zu berücksichtigen. Die Berufung sei nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, sondern wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten des Falles zugelassen worden, die nicht im Zulassungsverfahren geklärt werden könnten. Das familiäre Interesse überwiege hier das Interesse am Sofortvollzug der Ausweisung. Eine Abwägung nehme das Oberverwaltungsgericht nicht vor; es nehme vielmehr die Entscheidung in der Hauptsache vorweg. Eine verantwortungsvoll gelebte Vater-Kind-Beziehung sei zu Unrecht verneint worden. Das Oberverwaltungsgericht verkenne, dass der Beschwerdeführer bis zu seiner Inhaftierung mit den Kindern zusammengelebt habe und mit ihnen in Kontakt geblieben sei. Übersehen worden sei zudem, dass sich der Kontakt nach seiner Rückkehr erst mit der Zeit immer mehr intensiviert und die Kindesmutter sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht dafür ausgesprochen habe, dass der Beschwerdeführer sich um die Kinder kümmern könne. Das Oberverwaltungsgericht stelle auch nicht auf die Sicht der Kinder ab; ob eine tatsächliche Verbundenheit bestehe, sei nicht untersucht worden. Die Folgen einer endgültigen oder vorübergehenden Trennung für die Kinder seien nicht gewürdigt worden. Die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Kindesmutter erfüllten die Darlegungserfordernisse an eine Glaubhaftmachung im Eilverfahren, nämlich tägliche Kontakte und das Bestehen emotionaler Bindungen, die seelische Stabilität vermittelten.

Wegen der von der Ausländerbehörde beabsichtigten Abschiebung hat der Beschwerdeführer, der sich in Abschiebungshaft befindet, den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

9. Das Niedersächsische Justizministerium hat sich dahingehend geäußert, dass eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden sei; der Beschwerdeführer habe sich auf eine Rüge der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG beschränkt. Der auf Art. 6 GG bezogene Vortrag müsse außer Betracht bleiben, soweit dieser schon im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom gewürdigt worden sei. Von einer weiteren Stellungnahme wurde abgesehen.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung verletzt Art. 19 Abs. 4 GG.

1. Der Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Der Beschwerdeführer hat deutlich gemacht, dass er bereits durch die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes in verfassungsmäßigen Rechten verletzt ist (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfGE 35, 382 <397 f.>; 53, 30 <53 f.>; 59, 63 <83 f.>; 76, 1 <40>). Er greift die Versagung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage und damit eine spezifische Besonderheit des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes an. Gerade hierin liegen die gerügten grundrechtsrelevanten Nachteile. Er war daher nicht gehalten, vor der Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts zunächst den Rechtsweg in der Hauptsache zu durchlaufen.

2. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum effektiven Rechtsschutz bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

3. Der angegriffene Beschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Entscheidung verkennt die grundrechtliche Bedeutung des Rechtsschutzbegehrens des Beschwerdeführers und die daran anknüpfenden Erfordernisse an die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

a) Die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen; sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder Akt der Exekutive, der Rechte des Bürgers verletzen kann, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt ist; vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 67, 43 <58>; stRspr).

Der in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Garantie eines umfassenden und effektiven Rechtsschutzes kommt wesentliche Bedeutung bereits für den vorläufigen Rechtsschutz zu, dessen Versagung vielfach irreparable Folgen hat. Die nach § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung von Widerspruch und verwaltungsgerichtlicher Klage ist insoweit eine adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie (vgl. BVerfGE 37, 150 <153>). Andererseits gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe im Verwaltungsprozess nicht schlechthin. Überwiegende öffentliche Belange können es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes ist daher nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 220 <227 f.>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, AuAS 1996, S. 62 <63>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des -, BVerfGK 5, 328 <334>). Geltung und Inhalt dieser Leitlinien sind nicht davon abhängig, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO) oder einer behördlichen Anordnung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entspringt (vgl. BVerfGE 69, 220 <228 f.>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des -, NVwZ 2004, S. 93 <94>).

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung auch dann nicht gerecht, wenn man in Fällen des kraft Gesetzes angeordneten Sofortvollzugs einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses in Rechnung stellt und daraus folgert, dass die Gerichte - neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten sind, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des -, a.a.O.).

aa) Die angegriffene Entscheidung ist bereits in ihrem rechtlichen Ansatz nicht nachvollziehbar. Das Oberverwaltungsgericht befasst sich ausschließlich mit der Frage, ob die Ausländerbehörde erneut eine Ausweisungsverfügung erlassen könnte, und verfehlt damit das Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Das Oberverwaltungsgericht geht von einer Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vom aus und stützt seine Entscheidung darauf, dass sich die für die Ausweisung bedeutsamen Tatsachen nicht nachträglich geändert haben. Gegen die Ausweisungsverfügung, für die ein Sofortvollzug nicht angeordnet war, richtete sich allerdings der Eilrechtsschutzantrag des Beschwerdeführers nicht. Auch wenn das Oberverwaltungsgericht dies nicht ausdrücklich erwähnt, ist anzunehmen, dass es auf die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung im Hinblick auf die von einer Ausweisung gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ausgehende Sperrwirkung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eingegangen ist (vgl. zur Inzidentprüfung der Ausweisung in der vorliegenden Fallgestaltung -, NVwZ-RR 1996, S. 112 <113>; -, NVwZ 1992, S. 700 <701>). Das Oberverwaltungsgericht hat aber die Ausweisungsverfügung vom nicht in sachlicher und rechtlicher Hinsicht gewürdigt, sondern nur festgestellt, dass bei unterstellter Rechtmäßigkeit der Verfügung das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet sei, seinem Antrag zum Erfolg zu verhelfen. Für die gesamte weitere Würdigung hat das Oberverwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung vom unterstellt. Der Erwägung des Gerichts, selbst wenn die Ausländerbehörde verpflichtet sein sollte, nach pflichtgemäßem Ermessen erneut eine Entscheidung über die Ausweisung zu treffen, müsste sie wegen des neuen Sachvortrags des Beschwerdeführers voraussichtlich nicht von einer Ausweisung absehen, bedürfte es nicht, wäre das Gericht nicht von der Aufhebung der Ausweisungsverfügung vom ausgegangen. Damit war der Anlass für eine weitere Befassung mit der Ausweisungsverfügung entfallen, denn mit der Unterstellung ihrer Rechtswidrigkeit geht zwangsläufig einher, dass für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis die Sperrwirkung der Ausweisung unberücksichtigt bleiben muss. Auf die Frage, ob die Ausländerbehörde eine neue Ausweisungsverfügung erlassen kann, kommt es danach nicht an, so dass es keiner Erörterung bedarf, ob oder unter welchen Voraussetzungen es im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG überhaupt zulässig ist, vorläufigen Rechtsschutz deshalb zu versagen, weil das Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass die Behörde nach Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsakts einen entsprechenden neuen - zudem ermessensabhängigen - Verwaltungsakt erlassen könnte.

bb) Die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts genügen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG aber auch dann nicht, wenn seine Ausführungen zur Sache in Bezug zum Rechtsschutzbegehren des Beschwerdeführers gemäß § 80 Abs. 7 VwGO gestellt werden. Ausgehend von der Erkenntnis, dass der Fall schwierige, im Berufungsverfahren zu klärende Sach- und Rechtsfragen aufwirft und deshalb die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache abhängig gemacht werden kann, hätte das Oberverwaltungsgericht sich mit den substantiiert vorgetragenen familiären Belangen des Beschwerdeführers in einer der Bedeutung dieser Umstände für die Aussetzungsentscheidung angemessenen Weise auseinandersetzen müssen. Daran fehlt es. Zwar ist es grundsätzlich Sache der Fachgerichte, den Sachverhalt zu ermitteln und rechtlich zu würdigen; die Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ist auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; stRspr). Eine solche Verletzung liegt hier jedoch vor. Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorbringen des Beschwerdeführers einer abschließenden Würdigung in der Art einer Hauptsacheentscheidung unterzogen, ohne nahe liegende Einwände zu berücksichtigen und auf die Vorläufigkeit seiner Würdigung sowie den interimistischen Charakter seiner Entscheidung Bedacht zu nehmen, und damit das Gebot effektiven Rechtsschutzes verfehlt.

Das Oberverwaltungsgericht verneint eine vor Art. 6 GG schützenswerte Bindung zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Kindern, weil es an einer verantwortungsvoll gelebten Vater-Kind-Beziehung fehle. Diese Feststellung ist nicht in einer die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes rechtfertigenden Weise begründet. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts lässt sich allein aus der Chronologie der Ereignisse nicht ableiten, dass die Sorgerechtserklärung und der von der Kindesmutter in ihren eidesstattlichen Erklärungen bestätigte Umgang mit den Kindern lediglich dazu dienten, dem Beschwerdeführer ein Bleiberecht zu sichern. Allein aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer versucht, seinen Aufenthalt zu sichern, lässt sich offenkundig nicht herleiten, dass er an einem verantwortungsvollen Umgang mit seinen Kindern kein Interesse hat - nicht weniger nahe liegt es, von seinen Bemühungen um Aufenthaltssicherung auf ein Interesse am Umgang mit seinen Kindern zu schließen. Weder die Sorgerechtserklärung noch etwaige Äußerungen des Beschwerdeführers zum Stand seiner Bemühungen um ein Aufenthaltsrecht stützen daher die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts.

Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht begründet, weshalb die Kindesmutter, die sich von dem Beschwerdeführer getrennt hat, wahrheitswidrig einen verantwortungsvollen Umgang des Beschwerdeführers mit seinen Kindern behaupten sollte. Soweit das Oberverwaltungsgericht den Äußerungen der Kindesmutter zur emotionalen Verbundenheit zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Kindern unter Verweis auf den kurzen Zeitraum des Kontaktes die Aussagekraft abspricht, übergeht es, dass der Beschwerdeführer mit den beiden älteren Kindern bis zu seiner Inhaftierung zusammenlebte und daher hier keine erstmalige Anbahnung einer Beziehung in Rede steht; diesen offenkundigen Umstand durfte das Oberverwaltungsgericht im Rahmen der vorläufigen Würdigung des Sachverhalts gemäß § 80 Abs. 7 VwGO nicht außer Acht lassen.

Die einseitige, erkennbar den Wertungen der Ausländerbehörde verhaftete und diese zum Teil sogar vorwegnehmende Würdigung der familiären Belange des Beschwerdeführers und seiner Kinder hat das Oberverwaltungsgericht daran gehindert, erneut in eine Abwägung des gemäß § 80 Abs. 7 VwGO zu berücksichtigenden Vorbringens des Beschwerdeführers mit den gegenläufigen öffentlichen Interessen an sofortiger Vollziehbarkeit einzutreten. Vor dem Hintergrund, dass die Aufrechterhaltung der durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützten Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Kindern für die Dauer des Hauptsacheverfahrens Vorrang vor dem abstrakten Anliegen sofortiger Vollziehung nach Versagung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) haben dürfte, fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob überwiegende staatliche Sicherheitsinteressen die sofortige Vollziehbarkeit erforderlich machen. Aus den beigezogenen Akten ergibt sich nicht, dass bislang mit der gebotenen Sorgfalt geprüft worden ist, ob die der Verurteilung des Beschwerdeführers in der Türkei zugrunde gelegten Feststellungen des Staatssicherheitsgerichts eine verlässliche Basis für die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland begründen; eine unkritische Übernahme dieser Feststellungen verbietet sich schon wegen Zweifeln an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der inzwischen aufgelösten Staatssicherheitsgerichte (vgl. EGMR, Urteil der Großen Kammer vom - 46221/99 - Fall Öcalan, NVwZ 2006, S. 1267 <1269>) und wegen des im Raum stehenden Foltervorwurfs.

4. Der angegriffene Beschluss beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG den angegriffenen Beschluss auf und verweist die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurück.

III.

Mit dieser Entscheidung erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

IV.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Fundstelle(n):
AAAAC-42679