BGH Beschluss v. - 3 StR 459/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 206 aStPO § 349 Abs. 4BtMG § 30 a Abs. 2 Nr. 1

Instanzenzug: LG Aurich vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer Serie von Betäubungsmittelstraftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat einen vorläufigen Erfolg.

1. Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung hat ergeben, dass es mangels ausreichender Konkretisierung und Individualisierung der Tatvorwürfe an der Verfahrensvoraussetzung wirksamer Anklageerhebung und demzufolge auch an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt. Der Senat stellt daher das Verfahren ein.

Wird durch den Eröffnungsbeschluss die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen, so führen schwere Mängel des Anklagesatzes zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses. Solche Mängel liegen vor, wenn unklar bleibt, auf welchen konkreten Sachverhalt sich die Anklage bezieht und welchen Umfang die Rechtskraft eines daraufhin ergehenden Urteils haben würde (st. Rspr.; vgl. z. B. BGHSt 10, 137; BGH NStZ 1984, 133; 1985, 464, 465 m. w. N.).

So ist es hier: Die Anklage legt dem Angeklagten 18 Fälle der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (in Tateinheit mit Handeltreiben in nicht geringer Menge und mit Abgabe an Minderjährige) sowie 3 Fälle des Bestimmens eines Minderjährigen zum Handeltreiben zur Last (unzutreffend ist deshalb bereits die Angabe, der Angeklagte habe 22 Taten begangen). Im konkreten Anklagesatz wird hinsichtlich der Einfuhrtaten lediglich eine Tat geschildert (Einfuhr von 500 g Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von "weit über 7,5 g THC", Weiterverkauf dieser Menge, soweit nicht Abgabe an einen Minderjährigen in Form täglicher Konsumeinheiten). An der Konkretisierung der verbleibenden 17 Taten fehlt es. Dass der Angeklagte dabei jeweils eine der ersten Tat vergleichbare Tat begangen haben soll, bei der lediglich der genaue Zeitpunkt im Unklaren geblieben ist, kann ausgeschlossen werden: Unter den Taten sollen auch Drogenankäufe in Deutschland sein, demnach kann die angeklagte Einfuhr in einer unklaren Zahl von Fällen gar nicht stattgefunden haben. Wegen der "Größenordnung von jeweils 100 Gramm" der "Weichdroge" und der fehlenden Angabe eines Wirkstoffgehalts ist nicht klar, ob der Angeklagte eine nicht geringe Menge von Betäubungsmitteln eingeführt oder mit ihr Handel getrieben hat. Soweit die Anklage einzelne (mehr als 80) Betäubungsmittelverkäufe des Angeklagten auflistet, handelt es sich dabei um Veräußerungsgeschäfte, die Teilmengen des zuvor erworbenen Rauschgifts betreffen. Diese tragen zur Konkretisierung der Ankaufstaten nicht bei. Als Einzelverkäufe sind sie nicht angeklagt. Auch bezüglich der drei Taten des Bestimmens eines Minderjährigen zum Handeltreiben fehlt es an der Konkretisierung.

Diese an eine Anklageschrift zu stellenden Anforderungen können auch nicht unter dem Gesichtspunkt abgeschwächt werden, dass der Angeklagte aufgrund von geständigen Angaben nun wegen 21 Betäubungsmittelstraftaten zu einer für den dort festgestellten Schuldumfang angemessen erscheinenden Strafe verurteilt worden ist.

Der Senat stellt wegen der gravierenden Mängel der Anklage das Verfahren auch insoweit ein, als der Anklage eine Einfuhrtat als hinreichend konkretisiert entnommen werden kann. Damit kann dem Verfahren insgesamt eine neue, tragfähige Grundlage geschaffen werden. Das Aussageverhalten des Angeklagten wird die beschleunigte Erhebung einer neuen Anklage und Durchführung einer erneuten Hauptverhandlung ermöglichen.

2. Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:

a) Der Verurteilung des Angeklagten wegen Bestimmens einer Person unter 18 Jahren zum Betäubungsmittelhandel stünden auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen auch materiellrechtliche Bedenken entgegen. Der Zeuge M. war mit dem Konsum von Haschisch und Marihuana schon im Alter von 12 Jahren vertraut. Es erscheint nicht fern liegend, dass er zur Finanzierung seines Eigenverbrauchs auch bereits mit Betäubungsmitteln gehandelt hat, ehe er den bis dahin nicht wegen Betäubungsmitteldelikten in Erscheinung getretenen Angeklagten kennen lernte, der nach seiner Einlassung ins Rauschgiftgeschäft eingestiegen ist, um sich die Freundschaft des Zeugen zu erhalten (UA S. 7). Es sind deshalb genauere Feststellungen dazu erforderlich, auf welche Weise und zu welchen Geschäften der Angeklagte den Jugendlichen "bestimmt" hat.

Im Falle einer erneuten Verurteilung wegen § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG empfiehlt es sich, dieses Delikt als das im Vergleich zu den anderen verwirklichten Tatbeständen schwerste an den Anfang des Schuldspruchs zu stellen.

b) Sämtliche Betätigungen, die sich auf den Vertrieb derselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittel beziehen, sind als eine Tat des Handeltreibens anzusehen, weil bereits der Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln, die zum Zweck gewinnbringender Weiterveräußerung bereitgehalten werden, den Tatbestand des Handeltreibens in Bezug auf die Gesamtmenge erfüllen; zu dieser Tat gehören als unselbständige Teilakte im Sinne einer Bewertungseinheit auch die späteren Veräußerungsgeschäfte, soweit sie dasselbe Rauschgift betreffen (BGHR BtMG Bewertungseinheit 15 m. w. N.). Dies gilt auch, soweit die Veräußerungsgeschäfte den Tatbestand der Abgabe an Minderjährige (§ 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG) erfüllen. Mehrere Abgaben an einen Minderjährigen aus derselben Rauschgiftmenge stellen nur eine Abgabe (Bewertungseinheit) dar, die tateinheitlich mit dem Handeltreiben zusammentrifft (vgl. BGH aaO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
XAAAC-42184

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