BFH Beschluss v. - IX B 219/06

Abgrenzung zwischen Pkw und Lkw bei der Kraftfahrzeugsteuer nach Wegfall des § 23 Abs. 6a StVZO; keine alleinige Maßgeblichkeit des Europäischen Gemeinschaftsrechts; kraftfahrzeugsteuerliche Einordnung eines Pick-Up mit Doppelkabine

Gesetze: KraftStG § 8, KraftStG § 2

Instanzenzug:

Gründe

I. Auf den Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist ein Kraftfahrzeug (Kfz) der Marke Mitsubishi (THA) vom Typ L 200 K60T zugelassen. Es handelt sich dabei um einen sog. Pick-up mit Doppelkabine (und Hardtop), der ein zulässiges Gesamtgewicht von über 2,8 t (2 830 kg bei einem Leergewicht von 1 860 kg) aufweist und mit einem Dieselmotor (Hubraum 2 477 ccm) ausgerüstet ist. Das Kfz hat insgesamt fünf Sitzplätze und eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 152 km/h. Im Fahrzeugbrief wird es als „LKW offener Kasten” bezeichnet.

Im August 2005 erließ der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) einen Änderungsbescheid, mit dem das bisher als LKW nach Gewicht besteuerte Fahrzeug ab dem nach § 8 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) als PKW eingestuft und dementsprechend nach Hubraum und Schad-stoffausstoß besteuert wurde. Das FA begründete die Neueinstufung mit der Aufhebung der in § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) getroffenen Sonderregelung für Kombinationskraftwagen mit Wirkung vom . Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Antragsteller Klage, über die noch nicht entschieden ist.

Seinem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheids gab das Finanzgericht (FG) mit der Begründung statt, dass die vom FA vorgenommene Einstufung als PKW unzutreffend sei. Der Begriff „Personenkraftwagen” im Kraftfahrzeugsteuergesetz richte sich nach den geltenden verkehrsrechtlichen Vorschriften. Nach Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO mit Wirkung vom seien die geltenden gemeinschaftsrechtlichen Regelungen heranzuziehen; im Streitfall einschlägig sei die Richtlinie 2001/116/EG (RL 2001/116/EG) der Kommission vom zur Anpassung der Richtlinie 70/156/EWG (RL 70/156/EWG) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger an den technischen Fortschritt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002 Nr. L 18/1). Nach den im Anhang II der RL 2001/116/EG vorgenommenen Begriffsbestimmungen für Fahrzeugklassen und Fahrzeugtypen seien Fahrzeuge als PKW in die Klasse M 1 einzustufen, wenn sie für die Personenbeförderung ausgelegt und ausgebaut seien und außer dem Fahrersitz höchstens acht Sitzplätze aufwiesen. Mehrzweckfahrzeuge (Kfz zur Beförderung von Fahrgästen und deren Gepäck oder von Gütern in einem einzigen Innenraum) würden dann nicht als PKW der Klasse M 1 gelten, wenn sie außer dem Fahrersitz nicht mehr als sechs Sitzplätze aufwiesen und außerdem folgende Bedingung erfüllten: P (M + N x 68) > N x 68 (P = technisch zulässige Gesamtmasse in kg, M = Masse in fahrbereitem Zustand in kg, N = Zahl der Sitzplätze außer dem Fahrersitz). Unter Zugrundelegung dieser Formel sei das streitbefangene Fahrzeug nicht der Klasse M 1 zuzuordnen, so dass es als „anderes Fahrzeug” i.S. von § 8 Nr. 2 KraftStG nach Gewicht und nicht nach Hubraum zu besteuern sei.

Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA geltend, dass an der Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids und an der Besteuerung als PKW keine Zweifel bestünden, so dass die AdV zu Unrecht erfolgt sei. Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen und schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an; zudem sei entgegen dem Vorbringen des FA die zur Personenbeförderung dienende Bodenfläche kleiner als die Hälfte der gesamten Nutzfläche des Fahrzeugs. Außerdem wolle sich der Gesetzgeber auch zukünftig am Gemeinschaftsrecht orientieren.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vor-entscheidung und Ablehnung des Antrags auf AdV.

1. Das FG hat die Beschwerde gegen seinen AdV-Beschluss aus-drücklich im Tenor zugelassen und diese Zulassung auch in sei-nen Gründen (unter II.4.) mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet (vgl. Bergkemper in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 128 FGO Rz 108, m.w.N.). Die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung (nur drei Zeilen später) am Ende des Beschlusses, nach der gegen den Beschluss „die Beschwerde nicht gegeben” sein soll, ändert daran nichts (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFHvom I B 97/04, juris-web Nr.STRE 200451506; vom VII B 22/99, BFH/NV 2000, 77, jeweils für den umgekehrten Fall).

2. Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen keine ernstlichen Zweifel an der vom FA vorgenommen Einstufung des Kfz als PKW.

a) Das Kraftfahrzeugsteuergesetz enthält keine eigenständigen Definitionen der Kraftfahrzeugarten. Ob ein Fahrzeug als der Hubraumbesteuerung unterliegender PKW anzusehen ist (§ 8 Nr. 1 KraftStG), bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 KraftStG grundsätzlich nach verkehrsrechtlichen Vorschriften. Ob ein PKW oder LKW vorliegt, ist nach der ständigen BFH-Rechtsprechung anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu beurteilen. Dabei obliegt es dem Tatsachengericht, unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Merkmale eine Bewertung der objektiven Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs vorzunehmen. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers. Dabei kann kein Merkmal von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs als von vornherein alleinentscheidend angesehen werden, mag auch einzelnen Merkmalen ein besonderes Gewicht zukommen und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahe legen. Weder der Einstufung eines Fahrzeugs durch die Verkehrsbehörde noch der Fahrzeugklassifikation des Herstellers und der darauf beruhenden verkehrsrechtlich orientierten Beurteilung durch das Kraftfahrtbundesamt kommt eine kraftfahrzeugsteuerrechtliche Bindungswirkung zu (, BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721).

b) Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage vermag der erkennende Senat der Rechtsansicht des FG, dass mit der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO die einzige nationale PKW-Begriffsbestimmung weggefallen sei und dass infolgedessen nur eine unmittelbare Anwendung der in der RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG für Fahrzeugklassen und Fahrzeugtypen festgelegten Begriffsbestimmungen in Betracht komme, nicht zu folgen. Maßgebend für die Einordnung eines Kfz als PKW ist demnach die in § 4 Abs. 4 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) festgelegte Definition, die einer richtlinienkonformen Auslegung nicht bedarf. Entsprechend bestimmt sich entgegen der Ansicht des FG die Besteuerung des streitgegenständlichen Kfz auch nicht allein nach den in der RL 2001/116/EG getroffenen Festlegungen, wie im Streitfall etwa die im Anhang II C 1 b der RL 2001/116/EG festgelegte Bedingung P - (M + N x 68) > N x 68 (zum Ganzen ausführlich: BFH-Beschluss in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721 unter II. 2.).

3. Im Streitfall begegnet die vom FA vorgenommene Einstufung des Fahrzeugs als PKW nach der gebotenen summarischen Prüfung unter Berücksichtigung der BFH-Rechtsprechung keinen rechtli-chen Bedenken (so bereits: , Umsatzsteuer- und Verkehrssteuer-Recht 1996, 348; , BFH/NV 1998, 87 betr. Mitsubishi Pick-up mit Doppelkabine, Dieselmotor und 2 477 ccm Hubraum). Neben anderen technischen Merkmalen kommt der Größe der Ladefläche und der verkehrsrechtlich zulässigen Zuladung wegen der Möglichkeit einer Nutzung des Kfz zur Lastenbeförderung gegenüber seiner Eigenschaft zur Personenbeförderung eine besondere, wenn auch nicht allein ausschlaggebende Bedeutung zu. Nach den Angaben des FA, die sich auf eine Überprüfung anlässlich der Vorführung des Fahrzeugs stützen, weist der Pick-up im Streitfall eine Ladefläche von weniger als der Hälfte der gesamten Nutzfläche auf; auch die Zuladungsmöglichkeit ist mit ca. 34 v.H. des Gesamtgewichts des Fahrzeugs nicht als besonders hoch einzustufen. Zwar hat der Antragsteller Einwände gegen die Ermittlung der Ladefläche erhoben, sie wurden aber nicht konkret belegt; zudem kann trotz einer relativ großen Ladefläche die Zuordnung zum Typ PKW erfolgen, wenn die Ladefläche bei der gebotenen Gesamtwürdigung von Bauart und Ausstattung des Fahrzeugs dessen Charakter —wie hier— nicht entscheidend prägt (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII B 65/03, BFH/NV 2004, 536; vom VII B 171/05, BFH/NV 2006, 1352). Da demnach ernstliche Zweifel angesichts einer überwiegenden Bestimmung und Eignung zum Personentransport nicht bestehen, war der FG-Beschluss aufzuheben und der AdV-Antrag abzulehnen.

Fundstelle(n):
JAAAC-41532