BGH Beschluss v. - IX ZB 138/06

Leitsatz

[1] Gegen die Ablehnung seines Antrags auf Einberufung einer Gläubigerversammlung steht einem Gläubiger die sofortige Beschwerde zu, auch wenn die Ablehnung darauf gestützt worden ist, nach der Schätzung des Gerichts sei das Quorum verfehlt.

Gesetze: InsO § 75 Abs. 1 Nr. 4; InsO § 75 Abs. 3

Instanzenzug: AG Hamburg 67b IN 251/03 vom LG Hamburg 326 T 58/06 vom

Gründe

I.

In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners beantragte der weitere Beteiligte zu 1, ein Gläubiger, die Einberufung einer Gläubigerversammlung.

Das Insolvenzgericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil die Absonderungsrechte und Forderungen des Antragstellers nicht das von § 75 Abs. 1 Nr. 4 InsO geforderte Quorum von zwei Fünfteln der Summe erreichten, die sich aus dem Wert aller Absonderungsrechte und den Forderungsbeträgen aller nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger ergebe. Diese Summe betrage 812.178,00 €. Demgegenüber beliefen sich die Absonderungsrechte und Forderungen des weiteren Beteiligten zu 1 nur auf 236.616,00 €. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der weitere Beteiligte zu 1 mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist statthaft (§§ 6, 7, 75 Abs. 3 InsO), denn der weitere Beteiligte zu 1 hat die ablehnende Entscheidung des Insolvenzgerichts in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten. Auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 ZPO) sind gegeben.

1. Zum Konkursverfahren wurde ganz überwiegend die Meinung vertreten, dass die Nichteinberufung der Gläubigerversammlung wegen Verfehlens des Quorums nicht anfechtbar sei (OLG Karlsruhe ZIP 1988, 382, 383; Jaeger/Weber, KO 8. Aufl. § 93 Rn. 6; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 93 Rn. 2a; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 93 KO Anm. 2). Zu der Frage, ob ein Rechtsmittel gegen den einen Antrag nach § 75 Abs. 1 InsO ablehnenden Beschluss darauf gestützt werden kann, dass die Schätzung des Gerichts, wonach das Quorum nicht erreicht sei, unzutreffend sei, werden nunmehr unterschiedliche Auffassungen vertreten (verneinend MünchKomm-InsO/Ehricke, § 75 Rn. 15; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 75 Rn. 7; bejahend Kübler in Kübler/Prütting, InsO § 75 Rn. 11; Kind in FK-InsO, 4. Aufl. § 75 Rn. 14; Preß in HmbKomm-InsO, § 75 Rn. 14).

2. Die bejahende Auffassung erscheint zutreffend.

a) Der Senat hat bereits entschieden, dass nicht nachrangige Insolvenzgläubiger grundsätzlich auch dann berechtigt sind, einen Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung zu stellen, wenn ihre angemeldeten Forderungen noch nicht geprüft oder vom Insolvenzverwalter oder einem Gläubiger bestritten worden sind (, ZInsO 2004, 1312, 1313). Er hat in dieser Entscheidung unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 12/2443, S. 133 zu § 86 des Regierungsentwurfs der Insolvenzordnung) darauf hingewiesen, mit der Vorschrift des § 75 InsO sei bezweckt, den Einfluss der Gläubiger auf den Ablauf des Verfahrens zu stärken ( aaO). Er hat ferner ausgeführt, es könne nicht Sinn des § 75 InsO sein, die Prüfung, ob der Antragsteller Insolvenzgläubiger ist, bereits ohne mündliche Erörterung in der Gläubigerversammlung in allen Fällen vorwegzunehmen; denn die Entscheidung über die Gläubigereigenschaft müsse in erster Linie dem Insolvenzverwalter und den Gläubigern überlassen bleiben (aaO).

b) Im vorliegenden Fall geht es nicht um die - von niemandem angezweifelte - Insolvenzgläubigereigenschaft des Antragstellers, sondern um die Frage, ob seine Absonderungsrechte und Forderungen die Grenze von zwei Fünfteln gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 4 InsO erreichen. Hierüber haben - anders als bei der Frage nach der Insolvenzgläubigerschaft - nicht in erster Linie der Insolvenzverwalter und die Gläubiger zu entscheiden; vielmehr ist ausschließlich das Insolvenzgericht dazu berufen. Das Gesetz spricht in diesem Zusammenhang von einer "Schätzung". Trotz dieser Unterschiede ist auch im vorliegenden Fall der Zweck des Gesetzes maßgebend, durch ein weitgehendes Initiativrecht den Einfluss der Gläubiger auf den Gang des Verfahrens und die Art und Weise der Gläubigerbefriedigung zu stärken. Die Argumente, die für das Initiativrecht nach § 75 Abs. 1 InsO streiten, haben - falls die Einberufung der Gläubigerversammlung abgelehnt worden ist - auch für Bestehen und Umfang des Beschwerderechts nach § 75 Abs. 3 InsO Bedeutung.

c) Nach § 75 Abs. 3 InsO steht dem Antragsteller, dessen Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung abgelehnt wird, dagegen die sofortige Beschwerde zu. Eine Einschränkung des Beschwerderechts auf solche Fälle, in denen die Ablehnung nicht auf die Verfehlung des Quorums gestützt worden ist, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. In den Materialien findet sich hierzu nichts.

Dies lässt darauf schließen, dass der Gesetzgeber die Ablehnung wegen Verfehlung des Quorums ebenfalls als anfechtbar angesehen hat. Wenn ein Gläubigerantrag scheitert, wird es meist darum gehen, ob die Absonderungsrechte und Forderungen den gesetzlich vorgeschriebenen Anteil erreichen. Könnte ein Gläubiger die darauf bezogene Schätzung nicht angreifen, so wäre die durch § 75 Abs. 3 InsO eigens ausgesprochene Eröffnung der Beschwerdeinstanz in erheblichem Umfang durchbrochen. Zugleich wäre die Gläubigerautonomie, die der Gesetzgeber der Insolvenzordnung hat stärken wollen, entwertet.

Allerdings hat die Schätzung des Insolvenzgerichts über das Quorum funktional eine ähnliche Bedeutung wie eine Entscheidung über das Stimmrecht. Diese ist nach wie vor keiner Anfechtung unterworfen. Die Insolvenzordnung hat damit die Rechtslage unter der Geltung der Konkursordnung (§ 93 Abs. 1 Satz 2, § 95 Abs. 3, § 96 Abs. 2 KO) und der Vergleichsordnung (§ 71, § 121 Abs. 1 VglO) aufrechterhalten (Kübler, aaO § 77 Rn. 22; Eickmann in HK-InsO, 4. Aufl. § 77 Rn. 13; Kind in FK-InsO, § 78 Rn. 22). Indes macht es qualitativ einen Unterschied, ob das Recht der Gläubiger auf Zusammenkunft versagt oder ob nach Erörterung und Diskussion in einer solchen Zusammenkunft das Stimmrecht unanfechtbar abgelehnt wird (Kübler, aaO § 75 Rn. 11).

III.

In der Sache führt die Rechtsbeschwerde zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung zwar ausgeführt, die Absonderungsrechte und Forderungen des Antragstellers erreichten nicht die Grenze von zwei Fünfteln gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Es hat insoweit jedoch keine abschließenden Feststellungen getroffen. Damit ist die Beschwerdeentscheidung nicht mit Gründen versehen (§ 576 Abs. 3 in Verbindung mit § 547 Nr. 6 ZPO).

1. Die Forderungen der Ha. S. (H. ) haben mit einem Betrag von ca. 550.000,00 € in den Gesamtbestand der Passiva Eingang gefunden. Der Antragsteller hat geltend gemacht, es stünden nur noch Forderungen der H. von ca. 64.000,00 € offen, weil diese den im Wege eines freihändigen Grundstücksverkaufs erzielten Erlös vorrangig auf die Forderungen gegen den Schuldner hätte verrechnen müssen. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die Forderungen seien mit einem "erheblichen Schätzbetrag" zu berücksichtigen, jedoch keinen Schätzbetrag genannt.

2. Zu den bestrittenen, gleichwohl zu berücksichtigenden (vgl. aaO) Forderungen, die von dem Insolvenzverwalter W. in Höhe von ca. 20 Mio. € angemeldet worden waren, hat das Berufungsgericht ebenfalls keinen konkreten Schätzbetrag genannt, sondern lediglich ausgeführt, dass diese Anmeldung zur Verfehlung des Quorums führen "dürfte".

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
WM 2007 S. 658 Nr. 14
ZIP 2007 S. 551 Nr. 11
TAAAC-40065

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja