Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 14; GG Art. 19 Abs. 4; GG Art. 20 Abs. 3
Instanzenzug: VGH Baden-Württemberg 8 S 1961/05 vom VGH Baden-Württemberg 8 S 136/06 vom VG Stuttgart 1 K 811/05 vom VG Stuttgart 1 K 1851/05 vom
Gründe
I.
Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Enteignung ihrer Grundstücke für Zwecke der Landesmesse Baden-Württemberg. Nach dem baden-württembergischen Landesmessegesetz vom (GBl S. 666) wird eine Landesmesse errichtet (§ 1 Abs. 1 Satz 1). Die Landesmesse darf nur gebaut werden, wenn der Plan vorher festgestellt ist (§ 3 Abs. 1 Satz 1). Für Zwecke des Baus und des Betriebs der Messe ist die Enteignung zugunsten des Trägers des Vorhabens zulässig, soweit sie zur Ausführung eines gemäß § 3 festgestellten und vollziehbaren Plans notwendig ist (§ 7 Abs. 1 Satz 1). Der festgestellte Plan ist dem Enteignungsverfahren zugrunde zu legen; er ist für die Enteignungsbehörde bindend (§ 7 Abs. 2 Satz 1 und 2).
Die Beschwerdeführer sind Eigentümer von Grundstücken, die sich im räumlichen Geltungsbereich des Planfeststellungsbeschlusses des Regierungspräsidiums befinden, mit dem dieses den Bau einer Landesmesse feststellte. Sie haben den Planfeststellungsbeschluss nicht angefochten. Auf Antrag der Vorhabenträgerin hat das Regierungspräsidium die Grundstücke der Beschwerdeführer enteignet. Hiergegen haben die Beschwerdeführer Klage erhoben mit dem Vorbringen, § 7 Landesmessegesetz sei verfassungswidrig. Das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof haben die Klagen abgewiesen. Aufgrund der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des gegenüber den Beschwerdeführern bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses könnten diese die grundsätzliche Zulässigkeit der Enteignung und damit auch die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Enteignungsermächtigung im vorliegenden Verfahren nicht mehr in Frage stellen.
Hiergegen wenden sich die Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer zu I. rügt die Verletzung von Art. 14 GG, die Beschwerdeführer zu II. beanstanden auch einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG. Die enteignungsrechtliche Vorwirkung führe nur dazu, dass im Enteignungsverfahren keine Einwendungen mehr gegen das planfestgestellte Vorhaben als solches vorgebracht werden könnten; sie schließe jedoch nicht aus, die Verfassungswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage zu rügen. § 7 Landesmessegesetz sei verfassungswidrig, weil dem Land die Gesetzgebungskompetenz für diese Regelung fehle, weil es sich um eine unzulässige Legalplanung handele und weil das Vorhaben nicht dem Gemeinwohl diene. Deshalb verstoße auch die Enteignung gegen die Verfassung.
II.
Die Verfassungsbeschwerden werfen keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fragen auf; das Bundesverfassungsgericht hat die grundlegenden verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführern als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt.
1. Den von den Beschwerdeführern zu Art. 14 GG, Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG aufgeworfenen Fragen kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Sie sind in der vom Bundesverfassungsgericht zur enteignungsrechtlichen Vorwirkung von Planfeststellungsbeschlüssen und anderen Plänen ergangenen Rechtsprechung bereits im Grundsatz geklärt. Danach verleihen gesetzliche Vorschriften, wie hier § 7 Abs. 2 Landesmessegesetz, nach denen ein festgestellter Plan dem Enteignungsverfahren zugrunde zu legen und für die Enteignungsbehörde bindend ist, diesen Plänen, insbesondere Planfeststellungsbeschlüssen, enteignungsrechtliche Vorwirkung. Diese Verwaltungsentscheidungen befinden so verbindlich über das Vorliegen der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG. Mit ihrer Bestandskraft steht die Zulässigkeit einer für das Vorhaben erforderlichen Enteignung dem Grunde nach fest. Weiteren - nachfolgenden - Enteignungsschritten kann nicht mehr die Unzulässigkeit des Vorhabens entgegengehalten werden. Ein Planfeststellungsbeschluss, dem durch Gesetz Bindungswirkung für die Enteignungsbehörde verliehen ist, entscheidet also abschließend und für das weitere Verfahren verbindlich über die grundsätzliche Zulässigkeit der Enteignungen einzelner Grundstücke (vgl. BVerfGE 45, 297 <319 f.>; 56, 249 <264 f.>; 74, 264 <282>; 95, 1 <22>).
2. Die Verfassungsbeschwerden bedürfen auch nicht der Annahme zur Entscheidung zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Das Regierungspräsidium und die Verwaltungsgerichte haben in den angefochtenen Entscheidungen § 7 Abs. 2 Landesmessegesetz dahin ausgelegt, dass er eine umfassende enteignungsrechtliche Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses über die Landesmesse anordnet. Danach stehe mit der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses die Zulässigkeit einer für das Vorhaben erforderlichen Enteignung dem Grunde nach fest. Weiteren Enteignungsschritten könne nicht mehr die Unzulässigkeit des Vorhabens entgegengehalten werden. Die Bindungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses für die Landesmesse gegenüber dem Enteignungsverfahren gilt nach der insoweit für das Bundesverfassungsgericht zunächst maßgeblichen Auslegung des § 7 Abs. 2 Landesmessegesetz durch die Fachgerichte auch im Hinblick auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Enteignungsermächtigung in § 7 Abs. 1 Landesmessegesetz. Diese Auslegung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Eine Enteignung ist nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Der durch eine behördliche Maßnahme betroffene Eigentümer kann sich auf das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berufen, das ihm die "Rechtsmacht" verleiht, Eingriffe auf die durch die Eigentumsgarantie geschützten Gegenstände abzuwehren (vgl. BVerfGE 45, 63 <76>). Aus Art. 14 GG unmittelbar ebenso wie aus Art. 19 Abs. 4 GG folgt die Pflicht der Gerichte, bei Eingriffen in das Eigentum einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. BVerfGE 45, 297 <333>; 46, 325 <334>; 89, 340 <342>). Diese Rechtsschutzgarantie erfordert, dass die Enteignung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch die rechtsprechende Gewalt in vollem Umfang auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden kann. Sie gewährleistet eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.>; 103, 142 <156>; stRspr). Zur verbürgten Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG gehört auch, dass die Gerichte über eine zureichende Entscheidungsmacht verfügen, um einer erfolgten oder drohenden Rechtsverletzung wirksam abzuhelfen (vgl. BVerfGE 61, 82 <111>).
Sofern - wie hier - der Enteignung andere, sie bindende Hoheitsakte vorangehen, darf dies daher nicht dazu führen, dass die volle Überprüfbarkeit der Rechtmäßigkeit der aufeinander bezogenen Hoheitsakte gehindert ist oder der Rechtsschutz durch diese "Aufspaltung" der Enteignung auf mehrere Verfahrensschritte unzumutbar erschwert wird. So muss auch die Rüge der Beschwerdeführer, die gesetzliche Grundlage für die Enteignung in § 7 Abs. 1 Landesmessegesetz sei verfassungswidrig, einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden können.
b) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
aa) Ein wirksamer und hinreichend effektiver Rechtsschutz gegen die angeordnete Enteignung ist für die Beschwerdeführer auf der Grundlage der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in den angegriffenen Entscheidungen gewährleistet. Danach sind mit Blick auf Art. 14 Abs. 3 GG die eigentumsentziehenden Auswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses bereits bei seinem Erlass zu berücksichtigen und folglich im Rahmen seiner Anfechtung zu prüfen. Das Vorhaben muss im enteignungsrechtlichen Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG erforderlich und im allgemeinen Interesse objektiv vernünftigerweise geboten sein. Das Interesse des Eigentümers am Erhalt seines Eigentums muss in die planerische Abwägung eingestellt werden. Auf Klage des enteignungsbetroffenen Eigentümers gegen den Planfeststellungsbeschluss unterliegt dieser der gerichtlichen Überprüfung am Maßstab des Art. 14 Abs. 3 GG. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Schutzes des Eigentums ist damit Genüge getan. Eine Enteignung, die den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG nicht genügt, kann der Eigentümer abwenden, indem er bereits den Planfeststellungsbeschluss anficht.
Das gilt auch im Hinblick auf die von den Beschwerdeführern geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der Enteignungsermächtigung in § 7 Abs. 1 Landesmessegesetz. Sowohl das Verwaltungsgericht als auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg haben in den angefochtenen Entscheidungen ausdrücklich betont, dass mit der Bestandskraft der enteignungsrechtlichen Planungsentscheidung auch die Zulässigkeit einer für das Vorhaben erforderlichen Enteignung dem Grunde nach feststehe, und dass sich die gerichtliche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses deshalb auch auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Landesmessegesetz bezogen habe. Dies trifft zu. Die von den Beschwerdeführern vorgelegten Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Stuttgart und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom - 8 S 902/04 - NuR 2005, 250), die auf Rechtsbehelfe von anderen Planbetroffenen gegen den Planfeststellungsbeschluss ergangen sind, belegen, dass die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit des Landesmessegesetzes und dabei auch seines § 7 geprüft und sich dabei eingehend mit den nunmehr von den Beschwerdeführern auch im Enteignungsverfahren hiergegen vorgebrachten Einwänden fehlender Gesetzgebungskompetenz des Landes, einer unzulässigen Legalenteignung und mangelnder Gemeinwohlbelange für das Vorhaben auseinandergesetzt haben.
bb) Es bedeutet keine unzumutbare Erschwerung des Rechtsschutzes, dass die Grundeigentümer gehalten sind, bereits den Planfeststellungsbeschluss anzufechten, wenn sie geltend machen wollen, die Enteignung stehe nicht im Einklang mit Art. 14 Abs. 3 GG. Es dient einem legitimen Gemeinwohlzweck, dass für die Zulässigkeit der späteren Enteignung maßgebliche Fragen, von denen zugleich die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses abhängt und die deshalb im Rahmen der Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung sind, nicht erneut in dem nachfolgenden Enteignungsverfahren vor Gericht aufgeworfen werden können. Die Verfahrensstufung gewährleistet, dass die im Planfeststellungsverfahren getroffene komplexe Abwägungsentscheidung und ihre Grundlagen nicht später im Enteignungsverfahren ohne weiteres erneut in Frage gestellt werden können, vermeidet damit unnötige Doppelprüfungen von entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen sowie die Gefahr widersprüchlicher Ergebnisse und schafft so Rechtssicherheit für alle Beteiligten.
Der Ausschluss von Rügemöglichkeiten im Rahmen der gegen die Enteignungsbeschlüsse ergriffenen Rechtsbehelfe für bereits im Planfeststellungsbeschluss entschiedene Fragen führt auch nicht etwa deshalb zu einer unzumutbaren Erschwerung des Rechtsschutzes für die Enteignungsbetroffenen, weil sie mit diesen Folgen der enteignungsrechtlichen Vorwirkung nicht hätten rechnen müssen. Die in den angegriffenen Gerichtsentscheidungen vertretene Abschichtung der Rechtsschutzmöglichkeiten zwischen Planfeststellungs- und Enteignungsverfahren war für die Beschwerdeführer durchaus erkennbar. Die Bindungswirkung des festgestellten Plans für das Enteignungsverfahren ist in § 7 Abs. 2 Landesmessegesetz ausdrücklich angeordnet. Die Regelung entspricht im Übrigen zahlreichen anderen Bestimmungen zu raumbedeutsamen Infrastrukturmaßnahmen (vgl. z.B. § 19 Abs. 2 FStrG, § 22 Abs. 2 AEG, § 30 Satz 2 PBefG, § 28 Abs. 2 LuftVG) und konnte daher auch für die Beschwerdeführer nicht überraschend sein. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und in der Rechtswissenschaft ist dementsprechend bereits seit langem geklärt, dass alle Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung, insbesondere auch solche grundsätzlicher Art gegen das Vorhaben, im Planfeststellungsverfahren und gegebenenfalls in einem nachfolgenden gerichtlichen Anfechtungsverfahren vorgebracht werden können, aber zur Vermeidung entstehender Bindungswirkungen auch vorgebracht werden müssen (vgl. 4 C 80.79, BVerwGE 67, 74 <76 ff.>; 7 C 21.89, BVerwGE 85, 44 <50>; , NVwZ-RR 1999, S. 485 <486>; , NVwZ 2002, S. 1119 <1120>; vgl. ferner Fischer, in: Ziekow <Hrsg.>, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 437; Hoppe/Schlarmann/Buchner, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen und anderen Verkehrsanlagen, 3. Aufl. 2001, Rn. 181). Dass für den grundsätzlichen Einwand der Verfassungswidrigkeit der Enteignungsermächtigung in § 7 Abs. 1 Landesmessegesetz anderes gelten sollte, ist nicht erkennbar und konnten die Beschwerdeführer auch nicht erwarten. Die von ihnen nunmehr vorgebrachten Einwände erfassen die Verfassungsmäßigkeit des Landesmessegesetzes und damit notwendig auch die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses insgesamt.
cc) Dem Verweis auf eine Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses können die Beschwerdeführer auch nicht entgegenhalten, sie würden so ohne Not zu einer schwierigen und weniger Erfolg versprechenden Klage gegen die komplexe Planungsentscheidung gezwungen, obwohl sie nur Einwände gegen ihre Enteignung hätten. Haben die Beschwerdeführer nur Einwände gegen Modalitäten der Enteignung ihrer Grundstücke, insbesondere gegen die Höhe der Enteignungsentschädigung, können und müssen sie sich damit auf Rechtsbehelfe gegen die Enteignungsmaßnahmen beschränken. Im Übrigen jedoch, bei Angriffen gegen die grundsätzliche Zulässigkeit der Enteignung, sind sie zumutbar auf die Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses verwiesen.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Fundstelle(n):
PAAAC-39337