Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3; GG Art. 19 Abs. 4; ArbGG § 9 Abs. 5; ArbGG § 66 Abs. 1 (in der bis zum und in der ab dem geltenden Fassung); ZPO § 233; ZPO § 236 Abs. 2
Instanzenzug: ArbG Köln 17 Ca 7175/03 vom LAG Köln 8 Sa 796/04 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechtigung der Klägerin, am Request-Verfahren teilzunehmen.
Die Klägerin ist seit dem bei der Beklagten als Flugbegleiterin beschäftigt. Ihr Beschäftigungsumfang beträgt 25 % der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft. Nach der Betriebsvereinbarung vom über das Request-Verfahren können Mitarbeiter bis zum 30. des Vormonats Wünsche für die Planung von freien Tagen (Off-Tage) und von Einsatztagen äußern.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr die Planung dienstlicher Einsätze und dienstfreier Tage gemäß der Handhabung über das Request-Verfahren im anteiligen Verhältnis zur Teilzeitarbeit zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom stattgegeben. Das Urteil ist der Beklagten in vollständig abgefasster Form am zugestellt worden. Es enthielt folgende Rechtsmittelbelehrung: "Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
Berufung
eingelegt werden. ...
Die Berufung muss
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
beim Landesarbeitsgericht Köln, Blumenthalstraße 33, 50670 Köln eingegangen sein.
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung. § 9 Abs. 5 ArbGG bleibt unberührt.
...
*Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden."
Die zuvor nicht anwaltlich vertretene Beklagte hat mit Schriftsatz ihres nun mehrigen Prozessbevollmächtigten vom gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt und diese am begründet.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Berufungsfrist sei gewahrt, da bei Fehlen der Zustellung einer Rechtsmittelbelehrung mit Ablauf der Fünf-Monats-Frist im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht die Berufungsfrist zu laufen beginne, sondern die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG. Zumindest sei ihr wegen des durch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung des Arbeitsgerichts geschaffenen Vertrauenstatbestands Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO zu gewähren.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen und ihren Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Mit ihrer vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiedereinsetzung in die Berufungs- sowie die Berufungsbegründungsfrist und die Abweisung der Klage.
Gründe
A. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht als unzulässig verworfen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Berufung sei weder fristgerecht eingelegt noch fristgerecht begründet worden. Das ist zutreffend.
1. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG in der seit dem geltenden Fassung beträgt die Berufungsfrist einen Monat. Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG beginnen die Fristen zur Einlegung der Berufung und zur Begründung der Berufung spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils, soweit dieses noch nicht in vollständig abgefasster Form zugestellt worden ist. Die Berufungsfrist endet in diesem Fall mit Ablauf von sechs Monaten, die Berufungsbegründungsfrist mit Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung.
Die unterbliebene Rechtsmittelbelehrung führt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gem. § 9 Abs. 5 Satz 3 und 4 ArbGG zu einer Verlängerung der Berufungsfrist. Nach der zum neuen Recht ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beginnen der Lauf der Berufungsfrist und der Lauf der Berufungsbegründungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bereits nach fünf Monaten. Die zum alten Recht ergangene Rechtsprechung (zB - BAGE 95, 73) nach der die Frist erst 17 Monate seit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen begann ( - BAGE 112, 286; - 4 AZR 531/03 -; - 2 AZR 611/03 - AP ArbGG 1979 § 66 Nr. 30 = EzA ZPO 2002 § 233 Nr. 3) ist überholt. Sie ist mit der vom Gesetzgeber mit der Novellierung beabsichtigten Verfahrensbeschleunigung nicht vereinbar.
2. Die Beklagte hat diese Fristen nicht gewahrt. Das Urteil des Arbeitsgerichts Köln ist am verkündet worden. Der Lauf von Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist begann damit gem. § 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbGG am . Die einmonatige Berufungsfrist endete mit Ablauf des , die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist mit Ablauf des . Tatsächlich gingen die Berufung der Beklagten am und die Berufungsbegründung am beim Landesarbeitsgericht ein.
11. Das Landesarbeitsgericht hat die von der Beklagten beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht abgelehnt.
1. Nach § 233 ZPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden oder ohne ein ihr zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) verhindert war, die Berufungsfrist und/oder die Frist für die Begründung der Berufung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbGG einzuhalten.
2. Nach diesen Maßstäben kommt eine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist nicht in Betracht (§§ 233, 236 Abs. 2 Satz 2 2. Halbs. ZPO).
a) Die Beklagte beruft sich zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags darauf, ein etwaiger Irrtum über die zu wahrenden Fristen sei nicht verschuldet.
aa) Das Vorbringen der Beklagten genügt nicht den Begründungsanforderungen für einen Wiedereinsetzungsantrag nach § 233 ZPO. Dazu müssen alle tatsächlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit und die Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrags angeführt werden. Die Umstände, die für die Frage von Bedeutung sind, auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist, müssen substantiiert dargelegt werden (Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 236 Rn. 6). Die Beklagte hat nicht dargelegt, welcher zuständige Sachbearbeiter sich auf Grund welcher Umstände über die einzuhaltenden Fristen geirrt haben soll. Ein Irrtum der Beklagten selbst als juristische Person ist ausgeschlossen.
bb) Die behauptete fehlerhafte Rechtsansicht über die Bedeutung der Änderung des § 66 Abs. 1 ArbGG schließt ohnehin ein Verschulden nicht aus. Die Beklagte beruft sich deshalb ohne Erfolg darauf, sie habe sich auch nach der Änderung des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG auf die Rechtsprechung zu § 66 Abs. 1 ArbGG aF verlassen können. Die fehlerhafte Rechtsansicht der Beklagten entsprach auch vor den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu der Neufassung des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nicht der herrschenden Meinung (vgl. - LAGE ArbGG 1979 § 66 Nr. 18; -; - LAGE ArbGG 1979 § 66 Nr. 20; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 66 Rn. 15a; Hauck in Hauck/Helml ArbGG 2. Aufl. § 66 Rn. 10; Ostrowicz/Künzel/Schäfer Der Arbeitsgerichtsprozess 3. Aufl. Rn. 486; Schwab FA 2003, 258; Schmidt/Schwab/Wildschütz NZA 2001, 1217, 1218). Es ist fahrlässig, davon auszugehen, auch nach einer derartig weitgehenden Gesetzesänderung wie der Reform des Zivilprozessrechts habe sich die Rechtslage nicht geändert. Ein entschuldbarer Rechtsirrtum liegt deshalb nicht vor. Ob diese Kenntnis bei einer juristisch nicht bewanderten Partei auch vorausgesetzt werden kann, muss hier nicht entschieden werden. Die Beklagte trägt selbst vor, sie sei rechtlich bewandert.
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Fristversäumung nicht schon deshalb unverschuldet, weil die Rechtsmittelbelehrung des Arbeitsgerichts fehlerhaft war.
aa) In Fällen, in denen die Fristversäumung auf Fehlern des Gerichts beruht, sind bei der Entscheidung über die Wiedereinsetzung vor allem die Grundrechte der Partei aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG und aus Art. 19 Abs. 4 GG zu berücksichtigen ( - BVerfGE 93, 99, 112 f.; - 1 BvR 1892/03 - BVerfGE 110, 339, 341 ff.). Nach dem Gebot eines fairen Verfahrens darf das Gericht aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern, Unklarheiten oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten. Beruht die Fristversäumung auf einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung, sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben, es sei denn die Rechtsmittelbelehrung ist offensichtlich falsch ( - AP ArbGG 1979 § 66 Nr. 30 = EzA ZPO 2002 § 233 Nr. 3).
bb) Die Rechtsmittelbelehrung des Arbeitsgerichts ist fehlerhaft. Danach soll § 9 Abs. 5 ArbGG unberührt bleiben. Hierdurch wird der Eindruck erweckt, dass die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG neben der Frist des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG Anwendung findet. Das ist, wie bereits dargestellt, nicht der Fall.
cc) Die Beklagte hat allerdings die Frist zur Einlegung der Berufung nicht wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung versäumt. Das Urteil mit der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung ist der Beklagten erst am , also nach Ablauf der Berufungsfrist am , zugestellt worden. Deshalb beruft sich die Beklagte ohne Erfolg (unter Hinweis auf - AP ArbGG 1979 § 66 Nr. 30 = EzA ZPO 2002 § 233 Nr. 3) darauf, ihr Verhalten sei gemessen an der höchstrichterlichen Rechtsprechung als unverschuldet anzusehen. In dem dort entschiedenen Fall beruhte die Fristversäumung auf einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung durch das zuständige Gericht.
B. Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 862 Nr. 12
GAAAC-37224
1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein