Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs und Weiterveräußerung in einer Vertragsurkunde
Leitsatz
Ein Erwerbsvorgang ist i. S. des § 16 Abs. 1 GrEStG rückgängig gemacht, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wieder erlangt. Erfolgt im Zusammenhang mit der "Rückgängigmachung" des Erwerbsvorgangs eine Weiterveräußerung des Grundstücks, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG entscheidend, ob für den früheren Erwerber trotz formaler Aufhebung des ursprünglichen tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem "rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben und der Verkäufer demgemäß nicht aus seinen Bindungen entlassen war. War dem ursprünglichen Erwerber eine solche Rechtsposition verblieben und hat er diese im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung des Grundstücks auch tatsächlich im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet, ist die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG ausgeschlossen. Dem früheren Erwerber verbleibt die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem "rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition in jedem Fall dann, wenn die Aufhebung des ursprünglichen tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts und das die Weiterveräußerung betreffende Rechtsgeschäft in einer einzigen Vertragsurkunde zusammengefasst sind.
Gesetze: GrEStG § 16
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom erwarben der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Lebensgefährtin Frau F von der B-GmbH & Co. KG (Verkäuferin) in Miteigentum zu gleichen Teilen das Wohnungseigentum an einer noch zu errichtenden Eigentumswohnung. Der Kaufpreis betrug 429 500 DM. Für den Kläger und F wurde eine Auflassungsvormerkung bewilligt und beantragt. Das vormals zuständige Finanzamt setzte gegen den Kläger für seinen Erwerb durch Bescheid vom Grunderwerbsteuer in Höhe von 7 516 DM fest.
Mit notariell beurkundetem und als „Nachtrag zum Kaufvertrag vom ” bezeichnetem Vertrag vom hoben die Verkäuferin und der Kläger den Kaufvertrag vom bezüglich des vom Kläger erworbenen Miteigentumsanteils auf und bewilligten und beantragten, eine für den Kläger etwa schon eingetragene Auflassungsvormerkung zu löschen. In derselben Vertragsurkunde verkaufte die Verkäuferin diesen Miteigentumsanteil an F; für diesen Verkauf sollten die gleichen Bedingungen wie für den vorherigen Erwerb des Klägers gelten.
Die vom Kläger beantragte Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom lehnte der nunmehr zuständige Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) mit der Begründung ab, die Verkäuferin habe im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung des Miteigentumsanteils ihre ursprüngliche Rechtsstellung nicht wieder erlangt.
Das Finanzgericht (FG) führte in seinem klageabweisenden Urteil aus, die Aufhebung des Kaufvertrags über den Miteigentumsanteil des Klägers stelle sich als Weiterveräußerung dieses Anteils durch den Kläger dar. Die Weiterveräußerung sei auf seine Veranlassung und in seinem persönlichen Interesse, die Wohnung gemeinsam mit F zu bewohnen, erfolgt.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 16 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG). Das FG habe keine konkreten Feststellungen über eine ihm aus dem aufgehobenen Kaufvertrag verbliebene Rechtsposition getroffen und damit gegen die Entscheidungsgrundsätze des (BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770) verstoßen. Eine solche Rechtsposition habe nach der Aufhebung des Kaufvertrags nicht mehr bestanden, so dass sein persönliches Interesse an einem Erwerb des Miteigentumsanteils durch F ohne grunderwerbsteuerrechtliche Bedeutung sei.
Der Kläger beantragt, das FA unter Aufhebung der Vorentscheidung, des Ablehnungsbescheids vom und der Einspruchsentscheidung vom zu verpflichten, den Grunderwerbsteuerbescheid vom aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zutreffend die Voraussetzungen einer Rückgängigmachung des zwischen dem Kläger und der Verkäuferin geschlossenen Grundstückskaufvertrags i.S. des § 16 Abs. 1 GrEStG verneint.
1. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird eine Steuerfestsetzung auf Antrag aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang vor dem Übergang des Eigentums am Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird.
a) „Rückgängig gemacht” ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wieder erlangt (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen in BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770; vom II B 67/05, BFH/NV 2006, 615; vom II R 60/04, BFH/NV 2006, 1700). Der Wegfall der Verfügungsmöglichkeit des Erwerbers über das Grundstück einerseits und die Wiedererlangung der ursprünglichen Rechtsstellung des Veräußerers andererseits stehen —dem systematischen Verhältnis der Steuertatbestände des § 1 GrEStG zu der gegenläufigen Korrekturvorschrift des § 16 GrEStG entsprechend— in einem sachlichen Zusammenhang (BFH-Entscheidungen vom II R 86/90, BFHE 173, 568, BStBl II 1994, 413, und in BFH/NV 2006, 1700).
b) Erfolgt im Zusammenhang mit der „Rückgängigmachung” des Erwerbsvorgangs eine Weiterveräußerung des Grundstücks, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG entscheidend, ob für den früheren Erwerber trotz formaler Aufhebung des ursprünglichen tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem „rückgängig gemachten” Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben und der Verkäufer demgemäß nicht aus seinen Bindungen entlassen war. War dem ursprünglichen Erwerber eine solche Rechtsposition verblieben und hat er diese im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung des Grundstücks auch tatsächlich im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet, ist die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG ausgeschlossen (BFH-Urteile in BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770, und in BFH/NV 2006, 1700). Zur Bejahung einer dem Ersterwerber aus dem Erwerbsvorgang verbliebenen Möglichkeit, eine ihm verbliebene Rechtsposition zu verwerten, bedarf es konkreter Feststellungen unter Berücksichtigung des Einzelfalls.
c) Dem früheren Erwerber verbleibt die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem „rückgängig gemachten” Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition in jedem Fall dann, wenn die Aufhebung des ursprünglichen tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts und das die Weiterveräußerung betreffende Rechtsgeschäft in einer einzigen Vertragsurkunde zusammengefasst sind. In diesem Fall hat der Ersterwerber die rechtliche Möglichkeit, die Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrags zum Zwecke des anschließenden Erwerbs des Grundstücks durch eine von ihm ausgewählte dritte Person zu nutzen. Denn der Veräußerer wird aus seiner Übereignungsverpflichtung gegenüber dem früheren Erwerber erst mit der Unterzeichnung des Vertrages durch alle Vertragsbeteiligten und damit erst in dem Augenblick entlassen, in dem er bereits wieder hinsichtlich der Übereignung des Grundstücks an den Zweiterwerber gebunden ist. Für die Annahme der Revision, der Verkäufer habe jedenfalls „für eine juristische Sekunde” nach Aufhebung des tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts seine ursprüngliche Rechtsstellung zurückerlangt, ist daher kein Raum.
2. Das FG hat für den Streitfall die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 GrEStG zutreffend verneint. Die in einer einzigen Vertragsurkunde zusammengefasste Aufhebungs- und Weiterveräußerungsvereinbarung vom erfolgte nach den mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des FG auf Veranlassung des Klägers. Dieser wollte der F über den zunächst erfolgten Erwerb eines hälftigen Miteigentumsanteils hinaus nunmehr Alleineigentum an der fraglichen Eigentumswohnung verschaffen und hat dazu die ihm aus dem Erwerbsvorgang vom erwachsene Rechtsposition durch Einflussnahme auf die Weiterveräußerung an F tatsächlich ausgeübt. Der Kläger handelte insoweit auch im eigenen Interesse, wie er selbst eingeräumt hat.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 273 Nr. 2
EStB 2007 S. 48 Nr. 2
HFR 2007 S. 568 Nr. 6
KÖSDI 2006 S. 15311 Nr. 11
KÖSDI 2006 S. 15311 Nr. 11
NWB-Eilnachricht Nr. 6/2007 S. 14
JAAAC-33432