BFH Beschluss v. - I B 41/06

Verhältnis von Rechtskraft zu § 164 Abs. 1 AO und Auslegung von DDR-Recht

Gesetze: AO § 164

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) liegen nicht vor.

1. Das Finanzgericht (FG) ist nicht von einem Rechtssatz im (BFHE 120, 1, BStBl II 1977, 126) abgewichen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Dieses Urteil ist zu § 100 der Reichsabgabenordnung ergangen, der nach seinem Wortlaut und Regelungsinhalt § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht entspricht. Zu der Frage, ob ein rechtskräftiges Urteil, das zu einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO 1977 stehenden Steuerbescheid ergangen ist, einer erneuten Entscheidung über dieselbe Rechtsfrage entgegensteht, enthält das Urteil daher keine Aussage. Eine Divergenz liegt auch nicht zum (BFH/NV 1998, 817) vor. Diese Entscheidung befasst sich mit der Frage, inwieweit „von einer Einspruchsentscheidung, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand, eine Beschwer ausgeht, wenn später der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wird”. Einen entscheidungserheblichen Rechtssatz zu der Frage des Verhältnisses von Rechtskraft einerseits und Veranlagung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO 1977 andererseits enthält dieser Beschluss nicht. Eine Divergenz ist jedoch nur anzunehmen, wenn der Entscheidung des FG und den angeblich hiervon divergierenden Entscheidungen jeweils entscheidungserhebliche einander widersprechende Rechtssätze zugrunde liegen (Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz. 62).

2. Der Frage, ob die Rechtskraft eines Urteils, das zu einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO 1977 stehenden Bescheid ergangen ist, einer erneuten Entscheidung über dieselbe Rechtsfrage entgegensteht, kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Sie ist durch die Rechtsprechung geklärt.

Nach der Senatsentscheidung vom I R 145/87 (BFHE 161, 387, BStBl II 1990, 1032) steht die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung einer Änderung eines Bescheides, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, entgegen, solange kein neuer Sachverhalt festgestellt wird. Der IX. Senat des BFH, der im Urteil vom IX R 255/84 (BFH/NV 1987, 751) noch eine abweichende Auffassung vertreten hatte, hat dieser Abweichung zugestimmt und damit seine entgegenstehende Rechtsprechung aufgegeben. Die Grundsätze im Senatsurteil in BFHE 161, 387, BStBl II 1990, 1032 werden in der Literatur für zutreffend gehalten (Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 110 Rz. 160; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 FGO Rz. 53; von Groll in Gräber, a.a.O., § 110 Rz. 25; Tipke in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 110 FGO Tz. 32) und wurden im (BFH/NV 1997, 407) bestätigt. Anlass zu einer erneuten Entscheidung dieser Rechtsfrage besteht daher nicht.

3. Es liegt auch keine Abweichung zum (BFHE 133, 60, BStBl II 1981, 505) vor. Nach dieser Entscheidung kann ein ungerechtfertigtes Verhalten von Behörden als Ursache für das Entstehen des Steueranspruchs Anlass zu einer Billigkeitsmaßnahme aus sachlichen Gründen sein. Ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln anderer als Finanzbehörden führt aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit der Folge, dass der Billigkeitsmaßnahme stets zu entsprechen wäre. Vielmehr handelt es sich nur um einen Gesichtspunkt, der bei der Entscheidung über den Erlassantrag einzubeziehen und zu gewichten ist. Das FG hat seiner Entscheidung keinen hiervon abweichenden Rechtssatz zugrunde gelegt. Es hat fehlerhaftes Verhalten anderer als Finanzbehörden nicht generell als unbeachtliches Kriterium für eine Ermessensentscheidung angesehen, sondern nur, ungeachtet der Frage, ob überhaupt ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln im Reprivatisierungsverfahren vorliegt und sich die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hierauf berufen kann, im Streitfall einen Ermessensfehler des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) verneint und dies im Einzelnen begründet.

4. Ebenso wenig liegt eine Divergenz zum (BFHE 176, 130, BStBl II 1996, 609) vor. Nach diesem Urteil folgt aus Art. 8 des Einigungsvertrages, dass das Recht der DDR und damit auch das Gewerbesteuergesetz der DDR auf den Veranlagungszeitraum 1990 weiter anzuwenden ist, ab dem Veranlagungszeitraum 1991 aber bundesdeutsches Recht gilt.

Das FG ist vom selben Rechtssatz ausgegangen und hat den Gewerbeertrag 1990 nach § 10 Abs. 4 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG DDR) ermittelt. Nach dieser Vorschrift war das mutmaßliche Ergebnis der ersten 12 Monate des Gewerbebetriebes als Gewerbeertrag anzusetzen, wenn im Laufe des Erhebungszeitraums ein Gewerbebetrieb neu gegründet oder ein bereits bestehender Gewerbebetrieb infolge Wegfalls der Befreiungsgründe gewerbesteuerpflichtig wurde. Das FG hat daraus geschlossen, dass im Streitfall, in dem die ersten 12 Monate des Gewerbebetriebes bis zum liefen, das mutmaßliche Betriebsergebnis, auch soweit es im Jahr 1991 erzielt wurde, nach Maßgabe des Gewerbesteuergesetzes der DDR ermittelt werden müsse. Da das BFH-Urteil in BFHE 176, 130, BStBl II 1996, 609 keine entscheidungserheblichen Aussagen dazu enthält, wie der Gewerbeertrag 1990 nach § 10 Abs. 4 GewStG DDR zu ermitteln ist, streitig aber allein der Veranlagungszeitraum 1990 war, liegt eine Abweichung nicht vor.

5. Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen,

- ob der Finanzminister der DDR berechtigt gewesen sei, aufgrund der in § 12 der Abgabenordnung der Deutschen Demokratischen Republik enthaltenen Ermächtigung normsetzende Regelungen zu erlassen,

- ob, falls die vorstehende Rechtsfrage zu bejahen sein sollte, die Anordnungen der Besteuerungsrichtlinie mit dem wirkungslos geworden sind und

- ob, falls dies nicht der Fall sein sollte, sich aus § 13 Abs. 7 i.V.m. § 1 der Besteuerungsrichtlinie zu den §§ 16 und 18 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes DDR ergibt, dass die Gewerbesteuerfreiheit für Gewinne aus der Veräußerung oder Aufgabe eines Betriebes auch für Kapitalgesellschaften gelte,

sind nicht von grundsätzlicher Bedeutung.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Ein Interesse der Allgemeinheit an einer Entscheidung des Revisionsgerichts besteht nicht, wenn sich die Bedeutung der Sache lediglich in der Entscheidung des konkreten Einzelfalls erschöpft oder nur für einige wenige Fälle von Bedeutung ist und für die Zukunft nicht richtungsweisend sein kann (Ruban in Gräber, a.a.O., § 115 Rz. 25, 35). Das ist hier der Fall.

Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen sind nur für 1990 gegründete oder gewerbesteuerpflichtig gewordene Unternehmen im Beitrittsgebiet relevant, deren Veranlagung zur Gewerbesteuer 1990 noch offen ist, für deren Ermittlung des Gewerbeertrages gemäß § 10 Abs. 4 GewStG DDR auch der mutmaßliche Gewerbeertrag des Jahres 1991 einbezogen werden muss und bei denen sich bei Anwendung des Gewerbesteuerrechts der DDR ein anderer Gewerbeertrag 1991 ergibt als sich bei Anwendung bundesdeutschen Rechtes ergeben würde. Diese (kumulativen) Voraussetzungen erfüllen allenfalls noch eine sehr geringe Anzahl von Unternehmen, so dass den aufgeworfenen Fragen keine zukunftsweisende Bedeutung zukommt. Durch das Senatsurteil vom I R 38/98 (BFHE 189, 179, BStBl II 1999, 674) ist geklärt, dass Gewinne und Verluste des ersten Halbjahres 1991 jeweils nur Berechnungsgrößen für das mutmaßliche Ergebnis 1990 sind.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 206 Nr. 2
OAAAC-33426