BAG Urteil v. - 3 AZR 304/05

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BAT-O § 62 Abs. 1; BAT-O § 62 Abs. 2 Buchst. h; ATV vom § 3; ATV vom § 5; ATV vom § 6

Instanzenzug: ArbG Berlin 91 Ca 11495/04 vom LAG Berlin 8 Sa 21/05 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung von Übergangsgeld nach § 62 BAT-O.

Der am geborene Kläger war vom bis zum und vom - mit befristeten Arbeitsvertrag - bis zum als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Die Parteien haben die Anwendung des BAT-O auf das Arbeitsverhältnis vereinbart. Der Kläger hat eine Anwartschaft auf Betriebsrente nach dem Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vom (ATV) erworben.

§ 62 BAT-O lautet in der Fassung des Tarifvertrages vom zur Einführung der Zusatzversorgung im Tarifgebiet Ost (TV EZV-O) auszugsweise:

"§ 62 Voraussetzungen für die Zahlung des Übergangsgeldes

(1) Der Angestellte, der am Tage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses

a) das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat und

b) in einem ununterbrochenen Angestelltenverhältnis von mindestens einem Jahr bei demselben Arbeitgeber gestanden hat, erhält beim Ausscheiden ein Übergangsgeld.

(2) Das Übergangsgeld wird nicht gewährt, wenn

...

h) dem Angestellten aufgrund Satzung, Gesetzes, Tarifvertrages oder sonstiger Regelung im Falle des Ausscheidens vor Eintritt eines Versicherungsfalles im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung eine Versorgungsrente oder vergleichbare Leistung gewährt wird oder die Anwartschaft auf eine dieser Leistungen gesichert ist, ..."

Nach dieser Vorschrift hätte der Kläger ein Übergangsgeld in Höhe von 3.500,55 Euro zu beanspruchen.

Der Kläger verlangt dieses Übergangsgeld und vertritt dazu die Ansicht, sein Anspruch sei nicht nach § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O ausgeschlossen. Die ihm zustehende Anwartschaft auf Betriebsrente nach dem ATV stehe dem nicht entgegen, weil es sich um keine Leistung im Sinne des Ausschlusstatbestandes handele.

Er hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.500,55 Euro nebst 5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Anwartschaft des Klägers auf Betriebsrente nach dem ATV schließe einen Anspruch auf Übergangsgeld aus. Zwar sei mit dem ATV das bisherige Versorgungssystem des öffentlichen Dienstes abgelöst, das Gesamtversorgungssystem geschlossen und die betriebliche Altersversorgung auf ein Punktemodell umgestellt worden. Mit der Betriebsrentenanwartschaft nach dem ATV stehe dem Kläger aber eine gesicherte Anwartschaft auf Versorgungsrente, zumindest aber auf eine vergleichbare Leistung iSd. § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O zu. Die Betriebsrente nach dem ATV erfülle die Funktion der Versorgungsrente nach dem früheren Versorgungssystem des öffentlichen Dienstes. Zumindest ergebe dies eine Auslegung des Ausschlusstatbestandes, die die geänderte Rechtslage bei der Versorgung des öffentlichen Dienstes berücksichtige.

Das Arbeitsgericht hat der Klage, soweit sie noch Gegenstand der Revision ist, stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel einer vollständigen Klageabweisung weiter.

Gründe

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übergangsgeld in der vom Arbeitsgericht zuerkannten Höhe gem. § 62 Abs. 1 BAT-O. Dieser ist nicht nach § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O ausgeschlossen.

I. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am hatte der Kläger das 21. Lebensjahr vollendet (§ 62 Abs. 1 Buchst. a BAT-O) und stand zu diesem Zeitpunkt länger als ein Jahr in einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis zu der Beklagten (§ 62 Abs. 1 Buchst. b BAT-O). Daher steht ihm gem. § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 BAT-O in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag ein Übergangsgeld in unstreitiger Höhe von 3.500,55 Euro zu.

II. Dieser Anspruch ist nicht deshalb gem. § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O ausgeschlossen, weil der Kläger eine Anwartschaft auf Betriebsrente nach dem ATV erworben hat.

1. Die Tarifparteien haben den Begriff "Versorgungsrente" eng im Sinne der früheren Versorgungstarifverträge des öffentlichen Dienstes verstanden. Er ist gegen den komplementären Begriff der "Versicherungsrente" abzugrenzen, nicht jedoch generell auf alle Versorgungs- oder Zusatzversorgungsleistungen oder -anwartschaften auszudehnen.

a) Verwenden die Tarifparteien einen Fachbegriff, den sie schon in anderen Tarifverträgen eingeführt haben und der in seiner inhaltlichen Bedeutung hinlänglich klar ist, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass er mit diesem Inhalt auch in dem neuen Tarifwerk gelten soll. Zum Zeitpunkt der Einführung des Ausnahmetatbestandes des § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O war "Versorgungsrente" in der Bedeutung durch § 4 des Tarifvertrages über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder vom , durch §§ 19 ff. des Tarifvertrages über die Versorgung der Arbeitnehmer kommunaler Verwaltungen und Betriebe vom sowie durch die §§ 36, 37 der VBL-Satzung in der bis zum geltenden Fassung beschrieben (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Stand April 2006 § 62 BAT Rn. 39). Nach § 37 Abs. 1 Buchst. a VBL-Satzung aF erhielt ein Versicherter, der die Wartezeit erfüllt hat und bei dem ein Versicherungsfall eingetreten ist, in der Regel nur dann Versorgungsrente, wenn er in diesem Zeitpunkt pflichtversichert war, dh. wenn er in einem Arbeitsverhältnis stand (§ 26 VBL-Satzung aF). Als Versorgungsrente wurde der Betrag gewährt, um den die Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung hinter der Gesamtversorgung zurückblieben, wie sie sich im Versorgungsfall aus dem versorgungsfähigen Entgelt und der versorgungsfähigen Dienstzeit ergab (§§ 39 bis 43 VBL-Satzung aF). Dagegen erhielten der freiwillig Weiterversicherte oder der beitragsfrei Versicherte nach § 37 Abs. 1 Buchst. b VBL-Satzung aF im Versorgungsfall nur eine Versicherungsrente. Diese wurde nach einem Prozentsatz der für den Versicherten erbrachten Beiträge und Umlagen berechnet (§ 44 VBL-Satzung aF). Diese beiden Leistungen der Zusatzversorgung wurden stets in den Tarifverträgen unterschieden (vgl. zB §§ 19 ff. VersTV-G) und von der Rechtsprechung gegeneinander abgegrenzt ( - AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 28; - 3 AZR 605/99 - AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 59, zu II 2 b bb der Gründe). Auch die Literatur ging während der bis zum dauernden Geltung der Zusatzversorgung alten Rechts davon aus, dass nur die Versorgungsrente, nicht aber die Versicherungsrente zum Ausschluss des Anspruchs auf Übergangsgeld führt (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr § 62 BAT Rn. 39; sa. Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau BAT Stand April 2006 § 62 BAT Erl. 8).

b) Das am Tarifwortlaut ausgerichtete Auslegungsergebnis, das zu einem engen Verständnis des Begriffs "Versorgungsrente" führt, wird durch systematische und tarifgeschichtliche Argumente gestützt und entspricht auch dem Sinn und Zweck des Übergangsgeldes.

aa) Wollen die Tarifparteien generell auf Versorgungs- oder Zusatzversorgungsleistungen verweisen, so bedienen sie sich einer entsprechenden Begrifflichkeit. § 46 BAT-O spricht zum Beispiel von einer "zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung". In § 62 Abs. 2 Buchst. i BAT-O, also bei anderen Ausschlusstatbeständen für das Übergangsgeld, verwenden die Tarifparteien ebenfalls den weiteren Begriff der "Leistungen aus einer ... Versorgung" und nennen keine konkrete Leistungsart, wie sie dies mit der "Versorgungsrente" in § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O getan haben (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr § 62 BAT Rn. 39c).

bb) Auch die Entwicklung des Wortlauts von § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O spricht für ein enges Verständnis des Begriffs "Versorgungsrente". Bei Einfügung der Tarifvorschrift mit dem Änderungstarifvertrag Nr. 1 vom BAT-O stellten die Tarifparteien zunächst allgemein und weiter auf "laufende Versorgungsleistungen" ab. Mit der Einführung der Zusatzversorgung im Tarifgebiet Ost durch den TV EZV-O vom ersetzten die Tarifparteien diesen Begriff durch die Begriffe der "Versorgungsrente oder vergleichbare Leistung", so dass der Ausnahmetatbestand des BAT-O im Wortlaut dem des BAT angeglichen wurde. Nunmehr sollte nicht mehr jede laufende Versorgungsleistung, sondern nur noch die nunmehr auch im Tarifgebiet Ost eingeführte Versorgungsrente den Ausschlusstatbestand erfüllen. Angesichts der zuvor verwendeten weiter gefassten Begriffe bietet der neue Wortlaut des § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O nur noch Anhaltspunkte für ein enges, konkret auf den TV EZV-O bezogenes Begriffsverständnis.

cc) Das Übergangsgeld soll dem ausscheidenden Angestellten als Überbrückungs- und Umstellungshilfe dienen und die Aufrechterhaltung des bisherigen sozialen Status für einen bestimmten Zeitraum sicherstellen, bis er eine andere Erwerbsgrundlage gefunden hat ( - AP BGB § 242 Ruhegehalt Nr. 188, zu II 1 der Gründe; - 6 AZR 406/89 - BAGE 67, 264, zu II 3 d der Gründe; - 6 AZR 547/91 -, zu I 3 c bb der Gründe). Wird dem ausgeschiedenen Angestellten dagegen eine Versorgungsrente oder eine vergleichbare Leistung gewährt, so besteht der das Übergangsgeld rechtfertigende Überbrückungs- oder Umstellungsbedarf nicht.

2. Zu keinem anderen Auslegungsergebnis führt die Tatsache, dass es für den Ausschluss des Übergangsgeldes nach § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O ausreicht, dass die "Anwartschaft auf eine dieser Leistungen gesichert ist". Denn nur ausnahmsweise wurde die Anwartschaft auf eine Versorgungsrente oder vergleichbare Leistung gesichert (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr § 62 BAT Rn. 39). Schied ein Arbeitnehmer vor Eintritt des Versicherungsfalles aus, so verlor er grundsätzlich die Anwartschaft auf eine Versorgungsrente; er behielt nur die Anwartschaft auf eine Versicherungsrente (§ 37 Abs. 1 Buchst. b VBL-Satzung aF). Bei vorzeitig ausgeschiedenen Angestellten fand der Ausnahmetatbestand des § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O grundsätzlich keine Anwendung, weil sich Versicherungsrente und Versorgungsrente erheblich unterscheiden. Da der Versicherungsfall noch nicht eingetreten war, bestand im Anschluss an das vorzeitige Ausscheiden des Angestellten der vom Übergangsgeld zu deckende Überbrückungs- oder Umstellungsbedarf. Eine Anwartschaft auf eine Versorgungsrente blieb dagegen nur Ausnahmefällen erhalten; vor allem dann, wenn Angestellte auf Grund einer aus betrieblichen Gründen ausgesprochenen Kündigung oder auf Grund eines von dem beteiligten Arbeitgeber aus nicht verhaltensbedingten Gründen veranlassten Auflösungsvertrags aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden, im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 58. Lebensjahr vollendet und mindestens 240 Umlagemonate zurückgelegt hatten (sog. "58er Regelung", § 37 Abs. 4 Unterabs. 2 VBL-Satzung aF). Diese galten als bei Eintritt des Versicherungsfalles pflichtversichert, erwarben also trotz des vorzeitigen Ausscheidens entgegen der Grundregel des § 37 Abs. 1 Buchst. a VBL-Satzung aF eine gesicherte Anwartschaft auf Versorgungsrente ohne diese oder eine vergleichbare Leistung unmittelbar im Anschluss an das Ausscheiden zu erhalten. Dabei handelt es sich um eine Rückausnahme, die im Hinblick auf die vom Regelfall abweichenden vorteilhaften Versorgungsregelungen für solche vorzeitig ausgeschiedenen Angestellten getroffen wurde (Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau § 62 BAT Erl. 8).

III. Die Betriebsrente nach § 5 ATV in Verb. mit § 33 VBL-Satzung nF ist keine Versorgungsrente und keine vergleichbare Leistung im Sinne des Ausschlusstatbestandes des § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O, die zum Ausschluss des Anspruchs auf Übergangsgeld führt. Entsprechendes gilt für die Anwartschaft auf eine solche Betriebsrente.

1. Die Betriebsrente nach dem ATV ist keine "Versorgungsrente" oder eine dieser vergleichbare Leistung. Nach wie vor erfasst § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O nach Wortlaut und Zweck nicht sämtliche Versorgungsleistungen oder Versorgungsanwartschaften, die auf Grund eines Versorgungstarifvertrages gewährt werden. Zwar gibt es eine Versorgungsrente - von Übergangsbestimmungen abgesehen, vgl. §§ 30 ff. ATV - nicht mehr. Jedoch haben die Tarifparteien aus Anlass der Einführung des neuen Versorgungssystems die Ausschlusstatbestände des § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O und des § 62 Abs. 2 Buchst. i BAT-O nicht geändert.

2. Eine Erstreckung des Ausnahmetatbestandes des § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O auf alle Fälle, in denen der Arbeitnehmer mit einer unverfallbaren Anwartschaft auf eine Betriebsrente nach dem ATV ausscheidet, lag fern. Der ATV hat die Unterscheidung von Versorgungsrente und Versicherungsrente aufgegeben. Endet die Pflichtversicherung, bevor der Versicherungsfall eintritt, beginnt automatisch die beitragsfreie Versicherung (§ 3 Abs. 1 ATV). Nach Erfüllung der Wartezeit von 60 Monaten (§ 6 Abs. 1 ATV) hat der Angestellte eine gesicherte Anwartschaft auf die Betriebsrente (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr § 6 ATV Rn. 4; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Januar 2006 ATV/ATV-K Erl. 6.1.1). Wie die Anwartschaft auf eine Versicherungsrente lässt auch die auf eine ATV-Betriebsrente den Überbrückungs- oder Umstellungsbedarf des Angestellten, an den das Übergangsgeld anknüpft, nicht entfallen. Ließe man dagegen die gesicherte Anwartschaft auf die Betriebsrente für die Erfüllung des Tatbestandes von § 62 Abs. 2 Buchst. h BAT-O ausreichen, entfiele für alle Angestellten das Übergangsgeld, die nach Erfüllung der Wartezeit von 60 Monaten (§ 6 Abs. 1 ATV) ausscheiden, obwohl der Bedarf, den das Übergangsgeld decken soll, weiterbesteht. Dies machte aus der Ausnahmebestimmung einen Regeltatbestand für solche Angestellten. Das widerspräche dem Sinn der Ausnahmebestimmung.

IV. Auch eine ergänzende Auslegung des Tarifvertrages kommt entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung nicht in Betracht. Bei bewussten Regelungslücken ist eine ergänzende richterliche Auslegung ausgeschlossen ( - BAGE 77, 94, 98 ff.). Bei unbewussten Regelungslücken ist sie dann zulässig, wenn ausreichende Anhaltspunkte für den Regelungswillen der Tarifvertragsparteien bestehen ( - BAGE 110, 277). Andernfalls würde in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie eingegriffen. Geht man von einer unbewussten Regelungslücke aus, so fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten dafür, wie die Tarifparteien die Lücke hätten schließen wollen.

Fundstelle(n):
DB 2007 S. 408 Nr. 7
NAAAC-32304

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein