BSG Urteil v. - B 12 AL 1/05 R

Leitsatz

Der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge entsteht und verjährt nicht, solange dem Berechtigten gegenüber durch Verwaltungsakt verbindlich das Bestehen von Versicherungspflicht festgestellt ist.

Gesetze: SGB IV § 26 Abs 2; SGB IV § 26 Abs 3; SGB IV F. § 27 Abs 3 S 1 ; SGB IV F. § 27 Abs 3 S 2 ; SGB IV F. § 27 Abs 3 S 3 ; BGB § 194 Abs 1; BGB F. § 204 Abs 1 Nr 1; BGB F. § 209 Abs 1; SGG § 77; BGBEG Art 229 § 6 Abs 2

Instanzenzug: SG Landshut S 10 AL 381/00 vom LSG München L 8 AL 39/03 vom

Gründe

I

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung.

Der Kläger zu 1) war Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin zu 2). In der Zeit vom bis zum wurden für ihn Sozialversicherungsbeiträge ua zur Arbeitslosenversicherung entrichtet. Telefonisch teilte die Beigeladene dem Kläger zu 1) am die Entscheidung über das Vorliegen seiner Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung mit.

Auf Grund der Insolvenz der Klägerin zu 2) beantragte der Kläger zu 1) im Juli 1999 bei der Beklagten die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom und Widerspruchsbescheid vom mit der Begründung ab, der Kläger zu 1) sei in seiner Eigenschaft als Gesellschafter-Geschäftsführer nicht versicherungspflichtig gewesen. Die Beigeladene stellte mit Bescheiden vom und vom 16. Februar 2000 gegenüber der Beklagten fest, dass der Kläger seit dem nicht versicherungspflichtig gewesen sei. Die Feststellung der AOK-Direktion Deggendorf vom über das Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht sei unrichtig gewesen und habe auf einem fehlerhaften Verwaltungshandeln beruht.

Am beantragten die Kläger die Erstattung zu Unrecht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge. Die zunächst angegangene Beigeladene leitete die Anträge unter Hinweis auf die teilweise Verjährung zuständigkeitshalber an die Beklagte weiter. Mit Bescheiden vom stellte die Beklagte fest, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu Unrecht gezahlt worden seien und setzte den Erstattungsbetrag für die Zeit vom bis zum 30. Juni 1999 auf 4.734,52 DM fest. Der Erstattungsanspruch sei zwar für die Zeit vom bis zum verjährt, doch werde die Einrede der Verjährung für die Zeit ab Februar 1994 nicht geltend gemacht, da die Beitragszahlungen ab diesem Zeitpunkt durch ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln der Beigeladenen veranlasst worden seien. Dagegen habe die Beitragszahlung für die Zeit bis zum lediglich auf der Unkenntnis der Kläger beruht. Die hiergegen gerichteten Widersprüche der Kläger wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom als unbegründet zurück.

Mit Urteil vom hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, auch die in der Zeit vom bis zum geleisteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erstatten. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts <LSG> vom ). Die Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte sei rechtsmissbräuchlich. Hätte die Beigeladene nicht mit Verwaltungsakt vom das Bestehen von Versicherungspflicht beim Kläger zu 1) festgestellt, hätten die Kläger bereits zum damaligen Zeitpunkt einen Antrag auf Erstattung der Beiträge gestellt.

Mit ihrer vom zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 27 Abs 2 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV). Sie vertritt die Rechtsauffassung, dass sie berechtigt gewesen sei, die Einrede der Verjährung auch für die Zeiten vor dem fehlerhaften Verwaltungshandeln der Beigeladenen zu erheben. Der erkennende Senat habe in seiner Entscheidung vom (B 12 AL 1/02 R, SozR 4-2400 § 27 Nr 1) offen gelassen, ob ein vorangegangenes fehlerhaftes Verwaltungshandeln unter dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium die Erhebung der Verjährungseinrede bereits tatbestandsmäßig ausschließe oder aber nur im Rahmen des vom Versicherungsträger auszuübenden Ermessens hinsichtlich der Einredeerhebung zu berücksichtigen sei. Das Urteil habe den Grundsatz bestätigt, dass eine Unkenntnis des Berechtigten von einem Anspruch auf Beitragsrückerstattung bei der Verjährung grundsätzlich unbeachtlich bleiben müsse.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom und das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom abzuweisen.

Der Kläger zu 1) beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Erhebung der Verjährungseinrede sei grob unbillig. Ohne das fehlerhafte Verwaltungshandeln der Beigeladenen hätte er die im streitigen Zeitraum geleisteten Beiträge rechtzeitig zurückfordern können. Auf Grund der falschen Auskunft sei er von seiner Beitragspflicht und seinem Leistungsanspruch im Versicherungsfalle ausgegangen. Es könne keinen Unterschied machen, ob falsches Verwaltungshandeln erst dazu führe, dass Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet würden oder aber dass bisher entrichtete Beiträge vor Eintritt der Verjährung nicht zurückgefordert würden.

Die Klägerin zu 2) hat sich im Verfahren vor dem BSG - wie bereits in der Berufungsinstanz - nicht geäußert. Die beigeladene AOK hat keine eigene Stellungnahme abgegeben.

II

Die auf die Erhebung der Verjährungseinrede als einzigen revisionsrechtlichen Streitgegenstand begrenzte Revision der Beklagten ist unbegründet.

Im Ergebnis zutreffend hat das LSG insofern das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG bestätigt, mit dem dieses die Bescheide der Beklagten vom jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom abgeändert und die Beklagte zur Erstattung auch der Beiträge für die Zeit vom bis verurteilt hatte. Der Urteilsausspruch des Berufungsgerichts war schon deshalb zu bestätigen, weil bereits die Voraussetzungen der Verjährung nicht vorliegen.

Gegenstand der Verjährung ist stets ein "Anspruch" iS von § 194 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), das heißt, das Recht, von einem anderen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu verlangen. Ein derartiges Recht muss zumindest entstanden sein. Der hier in Frage stehende Anspruch auf Erstattung "zu Unrecht" entrichteter Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (§ 26 Abs 2, 3 SGB IV) konnte jedenfalls nicht entstehen, solange durch den auch im Namen der beklagten Bundesagentur ergangenen Verwaltungsakt der beigeladenen Krankenkasse vom für diese bzw die Kläger zu 1) und 2) verbindlich (§ 77 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) gerade die "Versicherungspflicht" des Klägers zu 1) rückwirkend ab dem festgestellt war und damit ein Rechtsgrund für die jeweilige Tragung von Beiträgen bestand. Dies änderte sich frühestens, als die Kläger durch den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom mittelbar von der dieser gegenüber im Schreiben der Beigeladenen vom schlüssig verlautbarten Aufhebung des Verwaltungsakts vom in Kenntnis gesetzt wurden und der neu entstandenen Rechtslage gemäß am die Beitragserstattung beantragten. Erstmals mit dieser Entscheidung der Beigeladenen als actus contrarius konnten die Voraussetzungen der Beitragsentrichtung entfallen bzw konnte umgekehrt der Anspruch der Kläger auf Beitragserstattung auf der Grundlage von § 26 Abs 2 SGB IV entstehen und fällig werden bzw geltend gemacht werden (s bereits Urteil des Senats vom , 12 RK 19/83, SozR 2100 § 27 Nr 3; vgl zur regelmäßigen Koinzidenz von Entstehung und Fälligkeit Heinrichs in Palandt, Kommentar zum BGB, 65. Aufl, § 271 RdNr 1, entsprechend zur Rechtslage bei Sozialleistungen s § 41 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch).

Die damit erstmals und frühestens im Jahre 1999 entstandenen Erstattungsansprüche der Kläger sind nicht verjährt. Insofern ist zunächst durch deren schriftlichen Erstattungsantrag vom bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Widerspruch eine Unterbrechung der Verjährung eingetreten (§ 27 Abs 3 Satz 2, 3 SGB IV in der bis geltenden Fassung). Dieselbe Wirkung kam nach § 27 Abs 3 Satz 1 SGB IV iVm § 209 Abs 1 BGB - beide ebenfalls noch in der bis geltenden Fassung - der am erhobenen Klage der Kläger zu. Seit dem ist gemäß § 27 Abs 3 Satz 1 (idF durch Art 6 Nr 3 des Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetzes vom 21. Juni 2002, BGBl I 2167) iVm § 204 Abs 1 Nr 1 BGB (idF durch Art 1 Abs 1 Nr 3 des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom , BGBl I 3138) das Rechtsinstitut der Verjährungsunterbrechung durch dasjenige der Hemmung ersetzt. Dies gilt seither gemäß Art 229 § 6 Abs 2 des Einführungsgesetzes zum BGB auch für die Ansprüche der Kläger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Fundstelle(n):
SJ 2007 S. 40 Nr. 8
SJ 2009 S. 44 Nr. 19
YAAAC-32293