Körperschaftsteuerbelastung des Betriebsstättengewinns einer EU-Kapitalgesellschaft
Leitsatz
Der von einer ausländischen EU-Kapitalgesellschaft im Jahre 1994 durch eine Zweigniederlassung im Inland erzielte Gewinn unterliegt einer Körperschaftsteuerbelastung von 33,5 v.H., allenfalls von 33,885 v.H. (Anschluss an „CLT-UFA”, ABlEU 2006, Nr. C 131,4).
Gesetze: EGV Art. 52EGV Art. 58KStG 1991 i.d.F. des StandOG vom § 2 Nr. 1,§ 23 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3DBA Luxemburg Art. 5DBA Luxemburg Art. 13 Abs. 1 und 2DBA Luxemburg Art. 20 Abs. 2
Instanzenzug: (EFG 2001, 651)
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Société Anonyme (S.A.) mit Sitz und Geschäftsleitung in Luxemburg. Sie unterhielt u.a. im Jahr 1994 (Streitjahr) in Deutschland eine Zweigniederlassung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) veranlagte die Klägerin entsprechend der von ihr eingereichten Steuererklärung als beschränkt steuerpflichtige Körperschaft mit ihrem durch die Zweigniederlassung erzielten Einkommen für das Streitjahr zur Körperschaftsteuer und setzte die Steuer auf 42 v.H. des zu versteuernden Einkommens —zuletzt von 39 866 444 DM— fest.
Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin geltend machte, dieser Steuersatz sei diskriminierend und verletze ihr Recht auf Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 52 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft —EGV— (nach Änderung durch den Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte —EG— jetzt Art. 43 EG) i.V.m. Art. 58 EGV (jetzt Art. 48 EG), waren erfolglos. Das ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 651 veröffentlicht.
Mit der Revision beantragt die Klägerin sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Bescheide vom für 1994 über Körperschaftsteuer 1994 und Feststellungen nach § 47 des Körperschaftsteuergesetzes 1991 in der im Streitjahr geltenden Fassung (KStG 1991) vom dahin gehend zu ändern, dass die Steuer auf 30 v.H. von 39 866 444 DM, d.h. 11 959 933 DM herabgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das dem Revisionsverfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat sich in der Sache dem FA angeschlossen, jedoch keine eigenen Anträge gestellt.
II.
Das durch Beschluss des Senats vom I R 31/01 (BFHE 202, 265, BStBl II 2003, 669) gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzte Revisionsverfahren ist durch Senatsbeschluss vom fortgeführt worden. Der Aussetzungsgrund war entfallen, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) durch Urteil vom Rs. C-253/03 „CLT-UFA” (Amtsblatt der Europäischen Union —ABlEU— 2006, Nr. C 131,4) über die ihm vom Senat durch den Beschluss in BFHE 202, 265, BStBl II 2003, 669 nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages von Nizza zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (EG) zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen entschieden hat.
III.
Die Revision richtet sich ebenso wie die Klage auf Herabsetzung der festgesetzten Körperschaftsteuer unter Änderung der Bescheide für 1994 über Körperschaftsteuer 1994 und Feststellungen nach § 47 Abs. 2 KStG 1991. Eine abweichende Feststellung des Einkommens gemäß § 47 Abs. 2 KStG 1991 wird erklärtermaßen nicht erstrebt und ist damit nicht streitgegenständlich. Die so verstandene Revision ist überwiegend begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur anderweitigen Steuerfestsetzung. Das FG hat es zu Unrecht abgelehnt, die Klägerin jenem Steuersatz zu unterwerfen, dem unter den vergleichbaren Umständen des zu beurteilenden Sachverhalts die Gewinne einer Tochtergesellschaft zu unterwerfen sind, die ihre Gewinne voll an die Muttergesellschaft ausschüttet.
1. Ausländische Gesellschaften, die wie die Klägerin als luxemburgische S.A. hinsichtlich ihrer rechtlichen Struktur einer deutschen Kapitalgesellschaft entsprechen und im Inland (= Deutschland) weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz haben, sind mit ihren inländischen Einkünften in Deutschland beschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 KStG 1991). Zu den inländischen Einkünften gehört der Gewinn aus Gewerbebetrieb, wenn für den Betrieb im Inland (mindestens) eine Betriebsstätte unterhalten wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 15 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes 1994 —EStG 1994— i.V.m. § 2 Nr. 1 und § 8 Abs. 1 KStG 1991). Betriebsstätten sind alle festen Geschäftseinrichtungen, die der Tätigkeit eines Unternehmens dienen; insbesondere gehören zu ihnen auch Zweigniederlassungen (§ 12 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 der Abgabenordnung —AO 1977—).
Die Klägerin erzielte —dies ist zwischen den Beteiligten des Revisionsverfahrens zu Recht unstreitig— aufgrund der in ihrer deutschen Zweigniederlassung ausgeübten Tätigkeiten inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
2. Die Höhe dieser Einkünfte (des sog. Betriebsstättengewinns) wird nach deutschem Steuerrecht durch Vermögensvergleich ermittelt (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG 1994 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1991; vgl. Senatsurteil vom I R 117/87, BFHE 158, 340, BStBl II 1990, 57; Wassermeyer in Debatin/ Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 7 MA Rz. 177, 180). Die Anwendung der deutschen Gewinnermittlungsvorschriften ist dabei auf den durch die inländische Zweigniederlassung erzielten Gewinn beschränkt (vgl. Senatsurteil vom I R 95/96, BFHE 185, 16, BStBl II 1998, 260). Bei der Gewinnermittlung darf die Körperschaftsteuer nicht gewinnmindernd abgezogen werden (§ 10 Nr. 2 KStG 1991).
3. Hinsichtlich des Besteuerungsrechts Deutschlands und der Abgrenzung des Betriebsstättengewinns von den durch andere Unternehmensteile der Klägerin erzielten Gewinnteilen gilt nach dem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg abgeschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom —DBA Luxemburg— (BGBl II 1959, 1270) i.d.F. des Ergänzungsprotokolls vom (BGBl II 1978, 111) Folgendes:
Deutschland hat das Besteuerungsrecht für den Gewinn der Klägerin, soweit er auf die in Deutschland befindliche Betriebsstätte entfällt (Art. 5 Abs. 1 DBA-Luxemburg). Bei der Ermittlung des auf die Betriebsstätte entfallenden Gewinns werden der Betriebsstätte diejenigen Gewinne zugerechnet, die sie erzielt hätte, wenn sie sich als selbständiges Unternehmen mit gleichen oder ähnlichen Geschäften unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen befasst und Geschäfte wie ein unabhängiges Unternehmen getätigt hätte (Art. 5 Abs. 2 DBA-Luxemburg). Grundsätzlich ist dabei von dem Bilanzergebnis der Betriebsstätte auszugehen. Alle der Betriebsstätte zurechenbaren Ausgaben einschließlich eines Anteils an den Geschäftsführungs- und allgemeinen Verwaltungskosten des Unternehmens sind zu berücksichtigen und künstliche Gewinnverlagerungen auszuschließen. In besonderen Fällen kann bei der Ermittlung des Betriebsstättengewinns der Gesamtgewinn des Unternehmens aufgeteilt werden (Schlussprotokoll zum DBA-Luxemburg i.d.F. des Ergänzungsprotokolls vom —Nr. 10 zu Art. 5—).
Auch die Höhe des Betriebsstättengewinns ist zwischen der Klägerin und dem FA unstreitig.
4. Der Betriebsstättengewinn entspricht dem der Steuerfestsetzung zugrunde gelegten zu versteuernden Einkommen der Klägerin, da der Klägerin kein Steuerfreibetrag zusteht (§ 7 Abs. 2 i.V.m. §§ 24 und 25 KStG 1991). Gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und § 2 Nr. 1 KStG 1991 beträgt die Körperschaftsteuer 42 v.H. des Betriebsstättengewinns (s. Art. 2 Nr. 5 des Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt vom —StandOG—, BGBl I 1993, 1569, BStBl I 1993, 774).
5. Der hiernach maßgebliche Steuersatz unterscheidet sich damit beträchtlich von jenem Steuersatz, dem im Streitjahr der unter vergleichbaren Umständen durch eine inländische Tochtergesellschaft erzielte Gewinn im Fall der Vollausschüttung an die Klägerin unterfiele: Eine solche Tochtergesellschaft wäre nicht mit 42 v.H., sondern mit 33,5 v.H., allenfalls jedoch mit 33,885 v.H. deutscher Körperschaftsteuer belastet worden.
a) Inländische Tochtergesellschaften sind aufgrund ihres Sitzes und/oder ihrer Geschäftsleitung in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1991). Die Körperschaftsteuer auf die von ihnen im Streitjahr erzielten Gewinne beträgt im Fall der Ausschüttung der Gewinne ohne vorherige Thesaurierung 30 v.H. des Gewinns vor Abzug der Körperschaftsteuer (§ 27 Abs. 1 KStG 1991). Steuerpflichtige und damit Schuldnerin der Steuer ist die ausschüttende Tochtergesellschaft.
Wurde der Gewinn bis zum Ablauf des an die ausländische EU-Mutterkapitalgesellschaft ausgeschüttet, wird auf die Ausschüttung eine zusätzliche Körperschaftsteuer in Form der Kapitalertragsteuer erhoben. Diese beträgt grundsätzlich 5 v.H. des Ausschüttungsbetrages (Ausschüttungsbetrag = 70/100 des Gewinns vor Abzug der Steuer von 30 v.H.). Schuldnerin der Kapitalertragsteuer ist die Muttergesellschaft als Gläubigerin des Gewinnausschüttungsanspruchs (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1 Satz 1, § 44d Abs. 1 EStG 1994 i.V.m. § 49 Abs. 1, § 50 Abs. 1 Nr. 2 KStG 1991).
Die Belastung des Gewinns mit deutscher Körperschaftsteuer beträgt somit im Fall der Vollausschüttung bis zum Ablauf des und ohne vorherige Thesaurierung insgesamt 33,5 v.H. des Gewinns vor Abzug der Körperschaftsteuer (30 v.H. auf den Gewinn vor Abzug der Steuer + 5 v.H. auf 70/100 des Gewinns vor Abzug der Steuer).
b) Wurde der Gewinn thesauriert, beträgt die Körperschaftsteuer 45 v.H. des Gewinns vor Abzug der Steuer (§ 23 Abs. 1 KStG 1991). Im Fall einer späteren Ausschüttung minderte sich die Körperschaftsteuerbelastung nachträglich auf 33,5 v.H. des Gewinns vor Abzug der Steuer, wenn die Gewinnausschüttung der Muttergesellschaft bis zum Ablauf des zufloss (§ 27 Abs. 1 KStG 1991 und § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 44d Abs. 1 EStG 1994 i.V.m. § 49 Abs. 1 KStG 1991).
c) Falls der Gewinn erst nach dem an die EU-Mutterkapitalgesellschaft ausgeschüttet wurde, minderte sich die Steuerbelastung von —aufgrund der Thesaurierung— zunächst 45 v.H. auf 30 v.H. des Gewinns vor Abzug der Steuer, da in diesem Fall auf Antrag die Kapitalertragsteuer nicht erhoben wurde (§ 44d Abs. 1 Satz 3 EStG 1994 i.V.m. § 49 Abs. 1 KStG 1991).
6. Der Senat hat durch seinen Beschluss in BFHE 202, 265, BStBl II 2003, 669 dem EuGH nach Art. 234 Abs. 3 EG zur Vorabentscheidung die Rechtsfrage vorgelegt, ob sich die aufgezeigte Ungleichbehandlung von Betriebsstätten einerseits und Tochtergesellschaften andererseits mit den gemeinschaftsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten nach Art. 52 i.V.m. Art. 58 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft —EGV— (jetzt Art. 43 und 48 EG) vereinbaren lasse. Der EuGH hat diese Frage durch Urteil in ABlEU 2006, Nr. C 131,4 verneint.
Diese Entscheidung ist aufgrund des Anwendungsvorrangs gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts (und damit der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten) vor nationalem Recht verbindlich. Abweichendes ließe sich allenfalls dann vertreten, wenn durch den EuGH der Grundrechtsstandard des Grundgesetzes (GG) verlassen würde (vgl. Bundesverfassungsgericht —BVerfG—, Beschluss vom 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 -Solange II-Entscheidung-, fortgeführt durch , BVerfGE 89, 155 -Maastricht-Entscheidung-; vgl. dazu auch Limbach, Europäische Grundrechte Zeitschrift 2000, 417; , Der Betrieb 2006, 1734, dort unter C.II.). Allerdings ist ein deckungsgleicher Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen des Grundgesetzes durch das europäische Gemeinschaftsrecht und den EuGH nicht gefordert, sondern lediglich ein Grundrechtsschutz, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen im Wesentlichen gleich zu erachten ist (Art. 23 Abs. 1 GG) und den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt (vgl. , BVerfGE 102, 147). Für die Annahme, dass im Streitfall Kernbereiche des Grundgesetzes vom EuGH in unannehmbarer Weise verletzt worden wären, besteht kein Anlass. Das betrifft auch das vom FA ins Feld geführte Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, welches gleichermaßen im Lichte des Gemeinschaftsrechts verstanden werden muss.
Der EuGH hat in seiner Entscheidung in ABlEU 2006, Nr. C 131,4 jedoch keinen Grund für eine Ungleichbehandlung vor dem Hintergrund des Art. 43 EG gesehen. Er hat insbesondere den gesellschaftsrechtlichen Unterschieden zwischen der Ausschüttung von Gewinnen einer Kapitalgesellschaft und dem Gewinntransfer von der Zweigniederlassung zum Stammhaus keine Bedeutung beigemessen (Tz. 23 ff. des Urteils). Es ist dem BMF zwar zuzugestehen, dass schon angesichts der gesellschaftsrechtlichen Unterschiede zwischen (selbständigen) Tochtergesellschaften und (unselbständigen) Betriebsstätten eine identische Steuerbelastung im unterstellten Ausschüttungsfall gleichheitsrechtlich nicht geboten erscheint und sich ohnehin allenfalls annähernd erreichen lassen wird. Dass Kapitalgesellschaften und Betriebsstätten unterschiedlichen Steuersätzen unterliegen müssten, ist aus Sicht des Art. 3 Abs. 1 GG gleichheitsrechtlich aber ebenso wenig zwingend vorgegeben. Auch dass die vom EuGH eingeforderte Besteuerung nach gleichen Steuersätzen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten unter Umständen zur Folge haben könnte, dass vergleichbare Betriebsstätten und Tochtergesellschaften in reinen Inlandsfällen, die vom Grundsatz her ebenfalls unterschiedlichen Steuersätzen unterworfen sind, steuerlich im Ergebnis schlechter als entsprechende grenzüberschreitende Sachverhalte behandelt werden, ändert daran nichts. Der Senat verweist dazu im Übrigen, um Wiederholungen zu vermeiden, auf seinen Beschluss vom I R 21/04 (BFHE 210, 43, BStBl II 2005, 716).
Es besteht vor diesem Hintergrund keine Veranlassung —wie aber vom BMF angeregt—, den EuGH im Hinblick auf etwaige, von ihm bislang nicht bedachte, vor allem gleichheitsrechtliche Folgen seiner Entscheidung abermals anzurufen. Ebenso wenig ergeben sich tragfähige Anhaltspunkte für eine Anrufung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG.
7. Der EuGH hat allerdings nicht die ihm ebenfalls vom Senat gestellte Frage danach beantwortet, welcher Steuersatz unter den gegebenen Umständen in gemeinschaftsrechtskonformer Weise für die Klägerin anzusetzen ist. Er hat dazu geurteilt, „es sei Sache des nationalen Gerichts, den Steuersatz, der auf die Gewinne einer Zweigniederlassung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden anzuwenden ist, nach Maßgabe des Steuersatzes zu ermitteln, der im Fall der Ausschüttung der Gewinne einer Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft insgesamt anzuwenden gewesen wäre”.
Der Senat ist hiernach zu der Erkenntnis gelangt, dass es geboten ist, die Klägerin einem Steuersatz von 33,5 v.H. zu unterwerfen. Er sieht sich als berechtigt an, diesen Steuersatz im Wege einer —nach Maßgabe des EuGH-Urteils in ABlEU 2006, Nr. C 131,4— gemeinschaftsrechtskonformen und normerhaltenden Auslegung der zitierten einschlägigen Tarifregelungen unbeschadet deren insofern entgegenstehenden Wortlaut unter Benennung bestimmter (höherer bzw. niedrigerer) Steuersätze anzusetzen, nicht zuletzt deshalb, um eine mangels entsprechender ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen anderweitig gänzlich entfallende Besteuerung von Betriebsstätten ausländischer EU-Kapitalgesellschaften im Streitjahr zu vermeiden.
a) Im Ausgangspunkt besteht unter den Verfahrensbeteiligten insoweit Einigkeit darüber, dass die Klägerin dem auch für Tochtergesellschaften im Vollausschüttungsfall maßgeblichen Steuersatz nach § 27 Abs. 1 KStG 1991 in Höhe von 30 v.H. zu unterwerfen ist. Dieser Steuersatz ist sodann um die Quellensteuer in Höhe von 5 v.H. auf die anzunehmende Gewinnausschüttung von 70 v.H. zu erhöhen. Bezogen auf das zu versteuernde Einkommen von 100 ergeben sich daraus rechnerisch, wie dargestellt (s. oben unter 5.a), weitere 3,5 v.H., insgesamt also 33,5 v.H.
b) Dem zu der Hinzurechnungsposition gemachten Einwand der Klägerin, eine tragfähige Vergleichsgröße könne unter den Umständen des Streitfalls nur eine „steuerplanende” inländische Tochtergesellschaft sein, welche ihre Gewinne bis zum gesetzlichen Wegfall der 5%igen Kapitalertragsteuer nach Maßgabe der § 44d Abs. 1 Satz 3 EStG 1994 i.V.m. § 49 Abs. 1 KStG 1991 zum thesauriert und erst anschließend zu 30 v.H. ausschüttet, ist nicht beizupflichten. Die selbständige Tochtergesellschaft im Verhältnis zu ihrer (ausländischen) Muttergesellschaft ist für die Vollausschüttungssituation zu der Betriebsstätte im Verhältnis zu deren (ausländischen) Stammhaus als Vergleichsgröße gewissermaßen zu simulieren. Dabei bestimmt indes nicht diese Vergleichsgröße die Vergleichsmaßstäbe. Vielmehr haben sich die Vergleichsmaßstäbe bei richtiger Betrachtung im Ausgangspunkt an den „tatsächlichen” Gegebenheiten zu orientieren (so Tz. 34 des EuGH-Urteils in ABlEU 2006, Nr. C 131,4). Diese Gegebenheiten legen die „gleichen Umstände” (s. Tz. 33 dieses Urteils) fest, an denen die fiktive Tochtergesellschaft und deren Verhalten zu messen sind, nicht umgekehrt. Eine Betriebsstätte wird aber den Transfer des im laufenden Jahr erwirtschafteten Gewinns an ihr Stammhaus gerade nicht mit Blick auf einen (für sie virtuellen) Kapitalertragsteuerabzug „steuerplanend” hinauszögern. Zudem steht der Klägerin —anders als einer Muttergesellschaft vor der Ausschüttung durch die Tochtergesellschaft— der hier in Rede stehende Gewinn unmittelbar als „eigener” zur Verfügung. Daran hat sich deswegen auch die Ermittlung des Vergleichssteuersatzes zu bemessen. Tz. 24 des hier maßgeblichen EuGH-Urteils in ABlEU 2006, Nr. C 131,4 lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen; das dort angesprochene sog. Schütt-aus-Hol-zurück-Verfahren steht ausschließlich im Kontext zu der dem EuGH vorgelegten ersten Vorlagefrage nach der „Gleichheit” von Tochtergesellschaften und Betriebsstätten im Ausschüttungsfall, nicht aber zu der vom EuGH unbeantwortet belassenen zweiten Vorlagefrage nach der Steuersatzhöhe.
c) Andererseits verbietet es sich, im Vergleich des Steuersatzniveaus mit der gedachten Tochtergesellschaft die Kapitalertragsteuer gänzlich unberücksichtigt zu belassen, weil es sich hierbei um eine Steuer der Muttergesellschaft handelt, welche bei der Tochtergesellschaft an der Quelle einbehalten wird. Ein Vergleich mit der Tochtergesellschaft bedingt vielmehr eine Gesamtbetrachtung der (objektiven) Steuerbelastung und damit den Einschluss der Quellensteuerbelastung. Das entspricht im Übrigen den Vorgaben des EuGH-Urteils in ABlEU 2006, Nr. C 131,4, das in Tz. 33 letztlich zweifelsfrei den „Gesamtsteuersatz” anspricht und deckt sich auch mit der Rechtsauffassung des Generalanwalts Léger in seinen Schlussanträgen vom zu jenem Urteil (dort Tz. 103).
d) Die Klägerin macht hilfsweise geltend, die Erhebung einer Kapitalertragsteuer als Quellensteuer verstoße gegen primäres Gemeinschaftsrecht. Zwar habe sich Deutschland in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 435/90/EWG des Rates vom (in ihrer seinerzeitigen Fassung) über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Mutter-/Tochter-Richtlinie) vorbehalten, eine solche Quellensteuer bis zum erheben zu dürfen. Dem trug § 27 Abs. 1 KStG 1991 und § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 44d Abs. 1 EStG 1994 i.V.m. § 49 Abs. 1 KStG 1991 Rechnung. Voraussetzung für einen gemeinschaftsrechtskonformen Rechtszustand sei dann indes, dass Deutschland als Quellenstaat Vorsorge dafür treffe, dass diese Steuer für den Steuerpflichtigen nicht definitiv werde. Dies könne entweder durch eigenstaatliche gesetzliche Vorkehrungen zugunsten des Anteilseigners der ausschüttenden Tochtergesellschaft geschehen oder aber durch entsprechende Vereinbarungen mit dem Ansässigkeitsstaat, wonach dieser der Muttergesellschaft trotz abkommensrechtlicher Freistellung der Dividenden der Tochtergesellschaft die Anrechnung der in dem anderen Vertragsstaat einbehaltenen Quellensteuer ermögliche. Die Klägerin verweist dazu auf die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom in der beim EuGH anhängigen Rechtssache C-170/05 „Denkavit”, abrufbar im Internet unter www.curia.europa.eu sowie auf das Urteil des EFTA-Gerichtshofs vom Rs. E-1/04 „Fokus Bank ASA” (Internationales Steuerrecht 2005, 55).
Diese europarechtlichen Bedenken sind prinzipiell nicht von der Hand zu weisen. Der Senat geht ihnen dennoch nicht weiter nach und erkennt in Anbetracht der konkreten Verfahrenssituation insbesondere keinen Anlass, wegen dieses Punktes abermals den EuGH anzurufen. Denn die skizzierte Problematik hätte vom EuGH bei seiner Entscheidung über die ihm vorgelegten Rechtsfragen in dem Senatsbeschluss in BFHE 202, 265, BStBl II 2003, 669 ohne weiteres geklärt werden können; ihm haben alle tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten als Grundlage für eine solche Entscheidung vorgelegen. Sie war auch unter dem Blickwinkel der sich beständig fortentwickelnden Diskussion um die Reichweite der Grundfreiheiten insbesondere auf den gemeinschaftsrechtlich nicht harmonisierten Bereich der direkten Steuern nicht „neu”, sondern —wie das „Océ van der Grinten” (EuGHE I 2003, 9809, dort insbesondere Tz. 87) zeigt— jedenfalls mittelbar bereits Gegenstand zumindest eines einschlägigen Verfahrens vor dem EuGH. Dieser hat sich im Urteil in ABlEU 2006, Nr. C 131,4 dazu dennoch nicht geäußert, die ihm gestellte zweite Vorlagefrage stattdessen in der Sache unbeantwortet gelassen und dem nationalen Gericht —somit auch dem Senat— weitgehende Freiheit bei der Festlegung des „richtigen” Steuersatzes nach Maßgabe der nationalrechtlichen Besonderheiten gelassen. Der Senat geht angesichts dessen davon aus, dass der Gerichtshof für den konkreten Streitfall diesem Punkt keine europarechtliche Relevanz beigemessen hat. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass es insoweit allenfalls mittelbar um die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung des ihm vorgelegten Sachverhalts geht. Denn zu beurteilen wäre ein denkbarer Verstoß gegen die Grundfreiheiten bezogen lediglich auf eine nur fiktive Tochtergesellschaft im Verhältnis zu ihrer ebenfalls fiktiven Muttergesellschaft, nicht jedoch bezogen auf die konkret in Rede stehende Beziehung der Betriebsstätte zu ihrem Stammhaus. Es erscheint überaus zweifelhaft, ob ein solches fiktives Rechtsverhältnis genügt, um einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten bezogen auf das konkret zu beurteilende Rechtsverhältnis auslösen zu können.
e) Ob der tarifliche Steuersatz nach § 27 Abs. 1 KStG 1991 um weitere 0,385 v.H. zu erhöhen ist, weil bei der vom EuGH unterstellten Vollausschüttung einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft die Körperschaftsteuer nichtabziehbar ist und deswegen nach wie vor einem Steuersatz von 42 v.H. unterfällt, kann im Streitfall dahinstehen. Eine solche weitere Hinzurechnung scheidet im Streitfall aus, weil in dem zu beurteilenden letzten Steuerbescheid des FA vom infolge Verlustrücktrags keine entsprechende nichtabzugsfähige Körperschaftsteuer erfasst wurde; eine denkbare Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes um jene 0,385 v.H. schlüge sich also unter den konkreten Vergleichsumständen und abweichend von der vom FA angestellten Prüfberechnung nicht nieder.
8. Da die Vorinstanz eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, war ihr Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Unter Berücksichtigung eines Steuersatzes von 33,5 v.H. ist die Körperschaftsteuer 1994 nach einem zu versteuernden Einkommen von 39 866 444 DM mit 13 355 258 DM zu berechnen und festzusetzen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 838
BB 2006 S. 2616 Nr. 48
BFH/NV 2007 S. 158 Nr. 1
BStBl II 2007 S. 838 Nr. 17
DStR 2006 S. 2120 Nr. 47
DStRE 2006 S. 1561 Nr. 24
DStZ 2006 S. 823 Nr. 24
DStZ 2007 S. 51 Nr. 3
EStB 2007 S. 10 Nr. 1
FR 2007 S. 184 Nr. 4
GmbH-StB 2006 S. 349 Nr. 12
GmbHR 2006 S. 1334 Nr. 24
HFR 2007 S. 57 Nr. 1
INF 2007 S. 8 Nr. 1
IStR 2006 S. 826 Nr. 23
IWB-Kurznachricht Nr. 22/2006 S. 1070
KÖSDI 2006 S. 15344 Nr. 12
KÖSDI 2007 S. 15419 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 47/2006 S. 3963
RIW 2006 S. 958 Nr. 12
SJ 2007 S. 9 Nr. 1
StB 2007 S. 3 Nr. 1
StBW 2006 S. 3 Nr. 24
StuB-Bilanzreport Nr. 23/2006 S. 936
NAAAC-19497