BFH Beschluss v. - V B 116/05

Zu den Voraussetzungen der Wiederaufnahme eines rechtskräftig beendeten Verfahrens in Form der Restitutionsklage; Ausschluss von der Ausübung des Richteramts nur bei Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung

Gesetze: FGO § 134, FGO § 51, FGO § 115; ZPO § 41 Nr. 6, ZPO § 580 Nr. 7

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt die Wiederaufnahme eines vor dem Finanzgericht (FG) unter dem Az. 5 K 532/99 geführten Klageverfahrens wegen Umsatzsteuer 1995, das mit Urteil vom rechtskräftig abgeschlossen wurde.

Unternehmensgegenstand der Klägerin war im Streitjahr 1995 u.a. die Entwicklung und Produktion von Messgeräten. Sie hatte in dem Verfahren 5 K 532/99 vergeblich den Abzug eines Vorsteuerbetrags in Höhe von 52 500 DM aus einem (angeblichen) Leistungsbezug von der Firma M (Rechnung vom über 350 000 DM netto) geltend gemacht. Inhaberin dieses Unternehmens war die Frau des Geschäftsführers der Klägerin. Bei dem Leistungsbezug soll es sich um den Verkauf einer „Konzepterstellung für Mini-Sensoren zur Erfassung von Körperfunktionen, einschließlich Beratung zur Beurteilung und wirtschaftlichen Verwertung unter Einbeziehung externer weltweiter Markt- und Patentrecherchen” gehandelt haben. Schriftliche Vereinbarungen (Verträge etc.) existieren nicht.

In seinem Urteil vom 5 K 532/99 hat das FG (rechtskräftig) entschieden, dass die Klägerin den behaupteten Leistungsbezug von der Firma M nicht nachgewiesen habe.

Nach einem ersten erfolglosen Wiederaufnahmeverfahren beantragte die Klägerin am erneut die Wiederaufnahme des Verfahrens 5 K 532/99, weil (nachträglich) eine Urkunde aufgefunden worden sei. Die Urkunde (Ausdruck eines Word-Dokuments) ist die Anlage zu der Ausgangsrechnung der Firma M, in der das „Konzeptprinzip einer Verfahrens- und Produktinnovation für die Anwendung neuartiger Miniatur-Sensoren zur Erfassung von Körperfunktionen” beschrieben wird. Hierzu trug die Klägerin vor, ihr Geschäftsführer habe erstmals am Kenntnis von dieser Urkunde erhalten.

Das FG hat Beweis erhoben zu der Frage, ob der Geschäftsführer der Klägerin (erst) am Kenntnis von dieser Urkunde erhalten hat.

Mit dem vorliegend angefochtenen Urteil vom entschied das FG, die Wiederaufnahmeklage in Gestalt einer Restitutionsklage nach § 134 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 578 Abs. 1, § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) sei zulässig. Die Klägerin habe die einmonatige Klagefrist des § 134 FGO i.V.m. § 586 ZPO gewahrt, wie die Beweisaufnahme ergeben habe.

Die Restitutionsklage sei jedoch unbegründet, weil die aufgefundene Urkunde in dem früheren Verfahren 5 K 532/99 keine für die Klägerin günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde (§ 134 FGO i.V.m. § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO).

Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil sie von der Begründung des FG-Urteils überrascht worden sei.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.

1. Die Revision kann nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zugelassen werden. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel der Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nicht vor.

Eine verfahrensfehlerhafte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—; § 96 Abs. 2 FGO) ist zwar auch bei sog. Überraschungsentscheidungen gegeben (vgl. z.B. , BFH/NV 2004, 805). Die Vorentscheidung ist jedoch keine derartige Überraschungsentscheidung.

a) Die Klägerin hatte ihre Restitutionsklage auf die Vorschrift des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO (i.V.m. § 155 FGO) gestützt. Danach findet die Restitutionsklage statt, wenn die Partei eine Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand versetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Es war daher für die Klägerin vorhersehbar, dass das FG dieses Kausalitätserfordernis (vgl. dazu z.B. , BFH/NV 1988, 275) prüfen würde.

b) Auch die vom FG gegebene Begründung konnte die Klägerin nicht überraschen. Das FG hat zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO seien im Streitfall nicht erfüllt. Im Ausgangsverfahren 5 K 532/99 sei das FG in seinem Urteil vom zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin den Erhalt der in der Rechnung vom ausgewiesenen Leistung „Konzepterstellung” nicht nachgewiesen habe.

Die nunmehr im vorliegenden Verfahren vorgelegte Anlage zu dieser Rechnung räume nach Überzeugung des Gerichts die bestehenden Zweifel an der Leistungserbringung nicht aus. Da schon die im Ausgangsverfahren vorgelegte Rechnung nicht die Erbringung einer Leistung zur Überzeugung des Gerichts bewiesen habe, vermöge auch die Anlage zu dieser Rechnung den Beweis darüber nicht zu erbringen. Entscheidend sei, dass auch nach dem Inhalt der Anlage noch immer Zweifel an der Leistungserbringung bestünden. Durch die Anlage würden selbst bei Rechnungserteilung nicht die ansonsten bei einem Vertrag über die Überlassung einer Konzeptidee für 350 000 DM üblicherweise vorvereinbarten wesentlichen Vertragspflichten —wie etwa die Überlassung von Unterlagen oder Schweigeverpflichtungen gegenüber Dritten— festgelegt.

Das FG hat also nicht —wie die Klägerin zur Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde vorträgt— nunmehr den Zugang der Leistung als erwiesen angesehen und jetzt „den Inhalt der dargetanen Leistung als nicht ausreichend für die behauptete Leistungserbringung (hingestellt)”. Das Urteil des FG hat deshalb keine —für die Klägerin „völlig überraschende"— Wendung genommen.

c) Schließlich trifft auch die Auffassung der Klägerin nicht zu, die in dem Beweisbeschluss vom FG aufgeworfene Frage nach dem Zeitpunkt, in dem ihr Geschäftsführer Kenntnis von den nunmehr aufgefundenen Unterlagen erlangt habe, habe „nur noch relevant sein” können, „wenn das innerliche Genügen der Leistung unterstellt wurde”.

Denn die Beweisaufnahme diente der —vorrangigen— Klärung der Frage, ob die Monatsfrist des § 155 FGO i.V.m. § 586 ZPO —und damit eine Zulässigkeitsvoraussetzung der vorliegenden Restitutionsklage (vgl. dazu , BFH/NV 1997, 52)— vorlag.

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

3. Der Senat entscheidet in der Besetzung, die nach seinem Mitwirkungsplan vorgesehen ist, unter Beteiligung von Richter am BFH X. Dieser ist nicht deshalb von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen, weil er seinerzeit —als Richter am FG— an dem in dem Verfahren 5 K 532/99 mitgewirkt hat.

Gemäß § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes in Sachen ausgeschlossen, in denen er in einem früheren Rechtszuge bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Dieser Ausschließungsgrund trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Richter am BFH X hat zwar im Ausgangsverfahren 5 K 532/99, dessen Wiederaufnahme die Klägerin erstrebt, mitgewirkt, nicht aber bei dem Erlass der mit der vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenen Entscheidung des . Nach dem Wortlaut des § 41 Nr. 6 ZPO greift diese Vorschrift nur ein, wenn der Richter gerade „beim Erlass der angefochtenen Entscheidung” mitgewirkt hat (vgl. , BFH/NV 2000, 1108; Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 51 Rz. 13).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 2277 Nr. 12
DAAAC-17996