BVerwG Urteil v. - 6 C 05.05

Leitsatz

Die Meldebehörde darf eine einfache Melderegisterauskunft (§ 21 Abs. 1 MRRG) nicht erteilen, wenn diese erkennbar für Zwecke der Direktwerbung begehrt wird und der Betroffene einer Weitergabe seiner Daten für solche Zwecke zuvor ausdrücklich widersprochen hat.

Gesetze: MRRG § 6; MRRG § 21; BDSG § 28; HmbMG § 6; HmbMG § 34

Instanzenzug: VG Hamburg 6 VG 3795/99 vom OVG Hamburg OVG 1 Bf 176/03 vom Fachpresse: ja BVerwGE: ja

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Eintragung einer Auskunftssperre in das Melderegister der Beklagten, soweit die ihn betreffenden Daten erkennbar für Zwecke der Direktwerbung verarbeitet werden sollen. Er beantragte anlässlich der Anmeldung seiner Wohnung am eine Auskunftssperre. Unter dem wiederholte er diesen Antrag und trug vor, dass Dritte durch seine beruflich bedingte Nutzung des Internets über ihn unbemerkt ein Interessenprofil erstellen könnten. Infolgedessen erhalte er unaufgefordert Zuschriften. Er wünsche nicht, dass seine Privatanschrift bekannt werde. Sei eine Anschrift erst einmal bekannt geworden, so werde sie mittels der neuen Medien immer weiter verbreitet.

Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Einrichtung einer Auskunftssperre im Melderegister ab. Eine solche Sperre könne nur in besonders gelagerten Einzelfällen eingetragen werden. So sei es nach § 34 Abs. 5 des Hamburgischen Meldegesetzes (HmbMG) erforderlich, der Meldebehörde gegenüber das Vorliegen von Tatsachen glaubhaft zu machen, die die Annahme rechtfertigten, dass dem Kläger oder einer anderen Person bei Bekanntwerden der Anschrift eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Belange erwachsen könne. Dem Vorbringen des Klägers lasse sich eine solche Gefährdung nicht entnehmen.

Der Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid blieb erfolglos.

Auf die daraufhin vom Kläger erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht antragsgemäß die Beklagte unter Aufhebung ihrer entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, im Melderegister eine die Daten des Klägers betreffende Auskunftssperre einzutragen, soweit diese Daten erkennbar für Zwecke der Direktwerbung verarbeitet werden sollen.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Eintragung einer Auskunftssperre im Melderegister lasse sich weder aus dem Hamburgischen Meldegesetz noch aus dem Hamburgischen Datenschutzgesetz (HmbDSG) herleiten und ergebe sich auch nicht aus Art. 14 Buchst. b der Europäischen Datenschutzrichtlinie.

Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg auf § 34 Abs. 5 HmbMG berufen, denn es sei nichts dafür ersichtlich, dass aus einer Auskunft über seine Anschrift im Rahmen einer einfachen Melderegisterauskunft nach § 34 Abs. 1 HmbMG eine Gefahr für Leben, Gesundheit oder die persönliche Freiheit erwachsen könne. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ihm eine Gefahr für "ähnliche schutzwürdige Interessen" drohe. Sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung werde nicht verletzt. Die Anschrift jedes Einwohners müsse für ein gedeihliches Leben in unserer Gesellschaft grundsätzlich für jedermann feststellbar sein. Das Allgemeininteresse überwiege grundsätzlich die Interessen des Betroffenen an der Verhinderung der Weitergabe der betreffenden Daten. Es würde zudem angesichts der großen Zahl der von der Meldebehörde jährlich zu erteilenden ca. 300 000 Auskünfte zu einem hohen Verwaltungsaufwand führen, wenn die Beklagte jedes Auskunftsersuchen daraufhin überprüfen müsste, ob der Auskunftsbegehrende die erbetene Anschrift für Zwecke der Direktwerbung nutzen wolle und ob der Betroffene die Auskunft nicht wolle. Hinzu komme, dass die Direktwerbung nicht gesetzwidrig sei und sich der Betroffene nach § 28 Abs. 4 BDSG unmittelbar gegen die Zusendung weiteren Werbematerials wenden könne.

Auch auf § 6 HmbMG könne der Kläger sein Begehren nicht stützen. Die Vorschrift gewähre dem Betroffenen keinen Anspruch auf Einrichtung einer Auskunftssperre. Auch sei die hier relevante Verarbeitung durch Rechtsvorschrift - nämlich durch § 34 Abs. 1 HmbMG - vorgeschrieben. Schließlich greife auch das Hamburgische Datenschutzgesetz nicht ein, da das Hamburgische Meldegesetz für Auskunftssperren besondere Vorschriften enthalte, die gemäß § 2 Abs. 7 HmbDSG den datenschutzrechtlichen Bestimmungen vorgingen. Auch auf Art. 14 Buchst. b der Europäischen Datenschutzrichtlinie könne der Kläger sein Begehren nicht stützen. Zwar entfalte die Richtlinie unmittelbare Wirkung. Auch sei die Frist für ihre Umsetzung abgelaufen. Sie sei jedoch im Jahre 2001 in Deutschland umgesetzt worden. Es sei auch nicht überzeugend, wenn das Verwaltungsgericht beanstande, dass die Regelung nicht in das Hamburgische Melderecht umgesetzt worden sei, weil ein Widerspruchsrecht gegen die Weitergabe von Daten zu Zwecken der Direktwerbung dort nicht vorgesehen sei.

Mit der rechtzeitig eingelegten Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Zur Begründung führt er aus: Nach beiden Alternativen des Art. 14 Buchst. b der EG-Datenschutzrichtlinie ergebe sich das Recht, der Weitergabe personenbezogener Daten durch die Meldebehörde zu widersprechen, sofern die Daten erkennbar Zwecken der Direktwerbung dienen sollten. Erforderlich für die Anwendbarkeit der ersten Alternative des Art. 14 Buchst. b der EG-Datenschutzrichtlinie sei lediglich, dass die Weitergabe der Daten auch Zwecken der Direktwerbung diene, wobei es unerheblich sei, dass diese Zwecksetzung beim Empfänger der Daten bestehe. Für die Annahme einer weitergehenden Einschränkung ihres Anwendungsbereichs biete die Richtlinie keinen Anhalt.

Die Beklagte ist demgegenüber der Ansicht, aus Art. 14 Buchst. b der EG-Datenschutzrichtlinie ergebe sich kein Anspruch auf Eintragung einer Auskunftssperre. Art. 14 Buchst. b der EG-Datenschutzrichtlinie sei durch § 28 Abs. 4 des Bundesdatenschutzgesetzes umgesetzt worden. Das darin vorgesehene Widerspruchsrecht richte sich gegen die Werbung treibende verantwortliche Stelle. Dies könne nur eine Stelle sein, die dem Dritten Abschnitt des Bundesdatenschutzgesetzes über nicht-öffentliche Stellen und öffentlich-rechtliche Wettbewerbsunternehmen unterfalle. Damit sei die gesetzgeberische Wertung verbunden, dass öffentliche Stellen - und damit auch Meldeämter - keine Datenverarbeitung für Zwecke der Direktwerbung betrieben. Eine Melderegisterauskunft sei nicht auf Werbezwecke gerichtet. Der Zweck der Melderegisterauskunft bestehe allein darin, den Betroffenen für den Anfragenden identifizierbar und auffindbar zu machen. Dieser nach nationalem Recht vorhandene Zweck der Melderegisterauskunft werde durch die EG-Datenschutzrichtlinie nicht in Frage gestellt.

II

Die Entscheidung kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 i.V.m. §§ 141, 125 Abs. 1 VwGO).

Die Revision hat Erfolg. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hätte die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückweisen müssen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

1. Die Klage ist zulässig. Das auf die Einrichtung einer melderechtlichen Auskunftssperre gerichtete Begehren ist als Verpflichtungsklage statthaft (§ 42 Abs. 1 VwGO). Die Eintragung einer Auskunftssperre im Melderegister ist ein Verwaltungsakt. Es handelt sich um einen konstitutiven Rechtsakt der Meldebehörde, der die Anforderungen an eine Regelung mit Außenwirkung im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG erfüllt, da hiermit die gegenüber Dritten wirkende Anordnung verbunden ist, die Anschrift des Klägers nicht bekannt zu geben (vgl. Wollweber, in: Roßnagel <Hrsg.>, Handbuch Datenschutzrecht, 2003, Abschnitt 8.5, Datenschutz im Melde-, Ausweis- und Passwesen, Rn. 28).

Dem Kläger fehlt auch nicht das Rechtsschutzinteresse. Er muss sich nicht darauf verweisen lassen, anstatt der Einrichtung einer Auskunftssperre im Melderegister den Eingang von Werbepost abzuwarten und dann unter Berufung auf § 28 Abs. 4 des Bundesdatenschutzgesetzes - BDSG - bei der verantwortlichen Stelle der Nutzung oder Übermittlung seiner Daten für Zwecke der Werbung oder der Markt- oder Meinungsforschung zu widersprechen. Der Kläger möchte nämlich weitergehend bereits von der ersten Zusendung von Werbepost verschont werden. Ebenso wenig entfällt sein Rechtsschutzinteresse, weil er sich zwecks Abwehr von Direktwerbung in die sog. "Robinson-Liste" (vgl. dazu etwa Breinlinger, in: Roßnagel <Hrsg.>, Handbuch Datenschutzrecht, 2003, Abschnitt 7.6, Datenschutz im Marketing, Rn. 88) eintragen lassen könnte. Es handelt sich insoweit um eine freiwillige Selbstbeschränkung der Werbewirtschaft, deren Reichweite zudem begrenzt ist. Auf diesem Weg würde er allenfalls verhindern können, dass die dem Listenverbund angeschlossenen Firmen seine Daten zu Werbezwecken benutzen. Demgegenüber verspricht die Auskunftssperre eine größere Wirksamkeit.

2. Die Klage ist auch begründet. Die Ablehnung der Auskunftssperre im Melderegister durch die Beklagte ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Zwar hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der Kläger die begehrte Auskunftssperre nicht nach § 34 Abs. 5 Satz 1 des Hamburgischen Meldegesetzes, hier anwendbar in der Fassung des Änderungsgesetzes vom (GVBl S. 527), - HmbMG - verlangen kann (a). Es hat aber zu Unrecht einen Anspruch aus § 6 HmbMG verneint (b).

a) Nach § 34 Abs. 5 Satz 1 HmbMG hat die Meldebehörde auf Antrag oder von Amts wegen eine Auskunftssperre im Melderegister einzutragen, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass dem Betroffenen oder einer anderen Person durch eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen kann. Diese Bestimmung stimmt - da der Freien und Hansestadt Hamburg insoweit kein eigener Regelungsspielraum verblieb - wörtlich überein mit § 21 Abs. 5 Satz 1 des das Meldewesen der Länder regelnden Melderechtsrahmengesetzes des Bundes - MRRG -. Infolgedessen unterliegt die Auslegung und Anwendung des Landesmelderechts der uneingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht anhand des genannten bundesrechtlichen Maßstabs (vgl. BVerwG 6 C 12.01 - Buchholz 402.43 § 12 MRRG Nr. 5 = NJW 2002, 2579 m.w.N.).

Das Berufungsgericht hat zutreffend aus dem Inhalt und der Entstehungsgeschichte der Auskunftssperre nach § 21 Abs. 5 Satz 1 MRRG gefolgert, dass sie für jede Art der Melderegisterauskunft gilt und unbeschadet des etwaigen Vorliegens der Voraussetzungen nach § 6 Satz 1 und 2 MRRG insbesondere dann eingreift, wenn der Meldebehörde einer der genannten Gefährdungstatbestände vom Betroffenen, auch unabhängig von einem konkreten Auskunftsersuchen, mitgeteilt worden ist (vgl. BTDrucks 8/3825 S. 25). Eine solche, aus schwerwiegendem Grund eingerichtete Auskunftssperre führt grundsätzlich - vorbehaltlich eines zuverlässigen Gefährdungsausschlusses nach Anhörung des Betroffenen im Einzelfall (§ 21 Abs. 5 Satz 2 MRRG, § 34 Abs. 5 Satz 2 HmbMG) - zu einer Verweigerung jedweder Melderegisterauskunft. Ihrer Wirkung nach ginge diese Sperre mithin hier wesentlich über das hinaus, was der Kläger ausdrücklich - nur - beantragt und das Verwaltungsgericht auch nur zugesprochen hat, nämlich "eine die Daten des Klägers betreffende Auskunftssperre einzutragen, soweit diese Daten erkennbar für Zwecke der Direktwerbung verarbeitet werden sollen". § 21 Abs. 5 Satz 1 MRRG (§ 34 Abs. 5 Satz 1 HmbMG) rechtfertigt daher das Klagebegehren nicht.

b) Die vom Kläger begehrte Auskunftssperre kann aber entgegen dem Berufungsurteil auf § 6 HmbMG gestützt werden.

Nach dieser Vorschrift dürfen schutzwürdige Interessen der Betroffenen durch die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht beeinträchtigt werden (Satz 1). Schutzwürdige Interessen werden insbesondere beeinträchtigt, wenn die Verarbeitung, gemessen an ihrer Eignung und ihrer Erforderlichkeit zu dem vorgesehenen Zweck, den Betroffenen unverhältnismäßig belastet (Satz 2). Die Prüfung, ob schutzwürdige Interessen der Betroffenen beeinträchtigt werden, entfällt, wenn die Verarbeitung durch Rechtsvorschrift vorgeschrieben ist (Satz 3). § 6 HmbMG entspricht inhaltlich vollständig § 6 MRRG, so dass auch insoweit eine uneingeschränkte Kontrolle der Auslegung und Anwendung des Landesmelderechts durch das Revisionsgericht stattfindet. Dass in § 6 HmbMG - im Gegensatz zu dem auch die Erhebung und Nutzung von Daten erwähnenden § 6 MRRG - lediglich von "Verarbeitung" personenbezogener Daten die Rede ist, ist unerheblich, weil der landesrechtliche Verarbeitungsbegriff das Erheben, Übermitteln und Nutzen personenbezogener Daten einschließt (§ 1 Abs. 3 Satz 2 HmbMG).

aa) Die Ansicht des Berufungsgerichts, § 6 HmbMG gewähre dem Betroffenen generell keinen Anspruch auf Einrichtung einer Auskunftssperre, steht mit Sinn und Zweck des § 6 MRRG nicht in Einklang. Die Vorschrift will der Meldebehörde gerade bei Melderegisterauskünften nach § 21 MRRG eine "Feinsteuerung" immer dann ermöglichen, wenn sie zwar die Voraussetzungen für eine (einfache) Melderegisterauskunft grundsätzlich als erfüllt ansieht, aber dennoch konkrete Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen des Betroffenen hat (vgl. Medert/Süßmuth, Melderecht des Bundes und der Länder, Teil I, Stand März 2005, § 6 MRRG Rn. 9). Die nach § 6 MRRG zu beachtenden schutzwürdigen Interessen des Betroffenen gehen über die schutzwürdigen Interessen hinaus, die zu einer Auskunftssperre nach § 21 Abs. 5 MRRG führen, denn § 6 MRRG verlangt nicht, dass sie ein ähnliches Gewicht haben wie die Rechtsgüter Leben, Gesundheit und persönliche Freiheit. Werden schutzwürdige Interessen des Betroffenen durch eine einfache Melderegisterauskunft im Einzelfall beeinträchtigt, so ist sie nach § 6 MRRG unzulässig. Lässt sich eine Fallgruppe feststellen, in der es stets zu einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen des Betroffenen kommt, so muss die Meldebehörde für die gesamte Fallgruppe von Melderegisterauskünften absehen. In derartigen Fällen ist zur Vermeidung der Beeinträchtigung und zum Schutz des Betroffenen eine Übermittlungssperre in das Melderegister einzutragen (vgl. Medert/ Süßmuth, a.a.O. § 6 Rn. 9b). Hierbei handelt es sich der Sache nach um eine Auskunftssperre, die allerdings - anders als die Auskunftssperre nach § 21 MRRG - nicht umfassend, sondern auf die Fallgruppe beschränkt ist. Eine solche Sperre wird vom Kläger mit der vorliegenden Klage beansprucht.

bb) Auch die Auffassung des Berufungsgerichts, die einfache Melderegisterauskunft sei "durch Rechtsvorschrift vorgeschrieben", steht mit Bundesrecht nicht im Einklang. Die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten ist nur dann im Sinne des § 6 Satz 3 MRRG vorgeschrieben, wenn eine "Mussvorschrift" vorliegt, mithin der Behörde kein Ermessensspielraum verbleibt (vgl. Medert/Süßmuth, a.a.O. § 6 Rn. 10). Nur dann kann angenommen werden, der Normgeber habe die nötige Interessenabwägung bereits selbst abschließend vorgenommen, so dass diese von der Verwaltung im Einzelfall nicht mehr vorgenommen werden muss (vgl. BTDrucks 8/3825 S. 18). Die Auskunftserteilung nach § 34 Abs. 1 HmbMG bzw. § 21 MRRG steht jedoch im behördlichen Ermessen, so dass Raum für eine ergänzende Abwägung nach § 6 HmbMG bzw. § 6 MRRG verbleibt.

cc) Der Kläger hat einen Anspruch auf Eintragung der im Klageantrag näher umschriebenen Auskunftssperre, weil er durch die entsprechenden Auskünfte in seinen durch § 6 MRRG (§ 6 HmbMG) geschützten Interessen beeinträchtigt wird.

§ 6 MRRG (§ 6 HmbMG) ist, wie Satz 2 verdeutlicht, eine einfachrechtliche Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Vorschrift verlangt daher eine Interessenabwägung, bei der das Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung seiner Daten gegen das Interesse der Meldebehörde oder eines Dritten an der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung abzuwägen ist (vgl. Medert/Süßmuth, a.a.O. § 6 MRRG Rn. 4a). Die hiernach vorzunehmende Abwägung fällt zugunsten des Klägers aus.

(1) Der in § 6 MRRG (§ 6 HmbMG) verwendete Begriff der "schutzwürdigen Interessen" umfasst vor allem das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und das daraus abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen ( - BVerfGE 65, 1 <43>) und wird durch die Erteilung von Melderegisterauskünften an Dritte beeinträchtigt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Der Betroffene muss grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen ( a.a.O. S. 43 ff.; BVerwG 6 C 23.02 - BVerwGE 119, 123 <127>). Diese Beschränkungen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Ferner ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ( a.a.O. S. 44). Ein Zwang zur Angabe personenbezogener Daten setzt grundsätzlich voraus, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und dass die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind. Die Verwendung der Daten ist grundsätzlich auf den gesetzlich bestimmten Zweck begrenzt; ferner ist grundsätzlich ein - amtshilfefester - Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote erforderlich ( a.a.O. S. 46). Hiernach ist auch die Weitergabe von Meldedaten grundsätzlich zulässig, sofern durch eine im überwiegenden Allgemeininteresse liegende gesetzliche Übermittlungsermächtigung eine zweckgebundene Verwendung der Daten sichergestellt ist ( BVerwG 1 B 58.91 - Buchholz 403.1 Allgemeines Datenschutzrecht Nr. 12 S. 15).

Das Melderegister ist zwar in erster Linie ein behördeninternes Register, das sowohl dem innerdienstlichen Gebrauch der Meldebehörden dient als auch das Informationsinteresse anderer Behörden befriedigen soll. Es hat jedoch, wie sich aus § 21 MRRG (§ 34 HmbMG) ergibt, außerdem den Zweck, dem Informationsbedürfnis des privaten Bereichs, insbesondere der Wirtschaft, Rechnung zu tragen (vgl. Medert/Süßmuth, a.a.O. § 21 MRRG Rn. 5). Darin kommt, wie das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat, die gesetzliche Wertung zum Ausdruck, dass sich der Einzelne nicht ohne triftigen Grund seiner Umwelt gänzlich entziehen kann, sondern erreichbar bleiben und es hinnehmen muss, dass andere - auch mit staatlicher Hilfe - mit ihm Kontakt aufnehmen. Was die im Recht auf informationelle Selbstbestimmung angelegte Interessenabwägung anbelangt, ist das vom Gesetz unterstellte Informationsbedürfnis hinsichtlich der Basisdaten Vor- und Familienname, Doktorgrad und Anschrift grundsätzlich ein überwiegendes, die Grundrechtseinschränkung rechtfertigendes Allgemeininteresse, falls nicht die in § 21 Abs. 5 MRRG (§ 34 Abs. 5 HmbMG) genannten Voraussetzungen einer Auskunftssperre gegeben sind und soweit nicht eine ergänzende Abwägung nach Maßgabe des § 6 MRRG (§ 6 HmbMG) im Einzelfall oder in einer Gruppe von Einzelfällen etwas anderes ergibt.

Da der Kläger - wie bereits festgestellt - keine generelle, sondern nur eine auf bestimmte Anfragen beschränkte Auskunftssperre begehrt, liegt seiner Klage ein über das allgemeine Interesse an der Herrschaft über die eigenen Daten hinausgehendes spezielles Geheimhaltungsinteresse zugrunde, das darauf gerichtet ist, die Zusendung unerwünschter Werbung abzuwehren. Auch dieses Interesse, das durch die allgemeine gesetzgeberische Interessenbewertung in § 21 MRRG (§ 34 HmbMG) nicht erfasst ist und daher im Rahmen der Abwägung nach § 6 MRRG (§ 6 HmbMG) zusätzlich zugunsten des Klägers berücksichtigt werden muss, unterliegt dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Dies ist bereits vom Bundesgerichtshof in einem zivilrechtlichen Rechtsstreit festgestellt worden, der den Einwurf von unerwünschtem Werbematerial in den Briefkasten betraf ( - BGHZ 106, 229). Der Bundesgerichtshof hat zur Begründung seiner Entscheidung, in der er dem Empfänger der Werbung einen Unterlassungsanspruch gegen das werbende Unternehmen zuerkannte, u.a. Folgendes ausgeführt: Der Wille des Bürgers, einer Konfrontation mit der Suggestivwirkung der Werbung zu entgehen und seinen Lebensbereich von jedem Zwang zur Auseinandersetzung mit Werbung nach Möglichkeit freizuhalten, sei als Ausfluss seines personalen Selbstbestimmungsrechts schutzwürdig. Jedenfalls für den Bereich der Privatsphäre setze sich das Recht des Einzelnen, Aktivitäten entgegenzutreten, die unter gegenständlichem Eindringen in seine Privatsphäre Einfluss auf seine Konsumentscheidungen zu gewinnen suchten, angesichts des Stellenwerts dieses Bereichs für eine individuelle Lebensgestaltung ohne Fremddiktat gegenüber den entgegenstehenden Interessen der Werbewirtschaft grundsätzlich durch. Dem könne nicht entgegengehalten werden, der Einwurf von Werbematerial in Briefkästen bewege sich noch unterhalb der Schwelle einer rechtlich erheblichen Beeinträchtigung, weil sich eine solche Werbemaßnahme - gerade in einer Großstadt - unter den heutigen Bedingungen des Wirtschaftslebens als ein sozialtypischer Vorgang darstelle, dem der Einzelne als Mitglied der Gemeinschaft sich auch nicht unter Berufung auf sein Persönlichkeitsrecht entziehen könne. Notwendigkeit, Üblichkeit und Bedeutung der Werbung im heutigen Wirtschaftsleben stünden nicht in Frage. Vielmehr gehe es darum, dass der Bürger einem unerwünschten Eindringen der Werbung in seinen rechtlich geschützten Eigenbereich, das sich über seinen erklärten Willen hinwegsetze, entgegentreten könne. Wenn sich der Einzelne in diesen Grenzen gegen Maßnahmen der Werbewirtschaft behaupten könne, so werde damit weder die Wirtschaftswerbung als solche noch auch nur die Werbemethode der Wurfwerbung in Frage gestellt. - Zwar betreffen diese Ausführungen des Bundesgerichtshofs eine andere Werbemethode als die (personalisierte) Direktwerbung und überdies nicht das Verhältnis des Bürgers zu der Registerauskünfte erteilenden Meldebehörde, sondern das Verhältnis des Betroffenen zu dem werbenden Unternehmen. Sie lassen sich aber insoweit auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragen, als es um die Schutzwürdigkeit der vom Kläger verfolgten Interessen geht. Dass seine Interessen nicht wegen des Widerspruchsrechts nach § 28 Abs. 4 BDSG entfallen, ist bereits in anderem Zusammenhang festgestellt worden.

(2) Die dargelegten grundrechtlich geschützten Interessen des Klägers an der Geheimhaltung seiner Daten werden nicht durch hinreichend gewichtige Interessen der werbenden Unternehmen und/oder der Allgemeinheit an der Datenübermittlung aufgewogen.

Zwar hat das Berufungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass Direktwerbung als solche nicht gesetzwidrig ist. Richtig ist auch, dass nicht von vornherein angenommen werden kann, ein möglicher Adressat von Direktwerbung werde deren Zusendung auf alle Fälle für unerwünscht halten; zumindest wiegt die darin liegende Belästigung, wenn sie als solche empfunden wird, nicht schwer. Anders verhält es sich jedoch dann, wenn der umworbene Bürger - wie hier - eindeutig zu erkennen gibt, dass er das Werbematerial nicht zu erhalten wünscht. Eine solche Willensäußerung verlangt grundsätzlich Beachtung durch den Werbenden. Das folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen, das sich gegenüber dem Interesse des Unternehmers an der Werbung durchsetzt (vgl. a.a.O.).

Die vom Berufungsurteil in Bezug genommenen "Interessen der Allgemeinheit" können dem Schutzbegehren des Klägers ebenfalls nicht mit Erfolg entgegengesetzt werden. Das in § 21 Abs. 1 Satz 1 MRRG und § 34 Abs. 1 Satz 1 HmbMG vorausgesetzte allgemeine Informationsbedürfnis hinsichtlich der dort genannten Basisdaten Vor- und Familienname, Doktorgrad und Anschrift stellt sich zwar grundsätzlich als ein das etwaige private Geheimhaltungsinteresse überwiegendes, die Grundrechtseinschränkung rechtfertigendes Allgemeininteresse dar. Ein Interesse des Einzelnen, sich gegenüber jedermann persönlich unerreichbar zu machen, ist vorbehaltlich der in § 21 Abs. 5 Satz 1 MRRG (§ 34 Abs. 5 Satz 1 HmbMG) geregelten Ausnahmefälle nicht schutzwürdig. Darauf ist das Rechtsschutzziel im vorliegenden Fall aber nicht gerichtet. Der Kläger will seine Erreichbarkeit für andere Zwecke als die der Direktwerbung nicht verhindern. Die von ihm abgelehnte Direktwerbung ist indes durch kein "Interesse der Allgemeinheit" gedeckt, sondern lediglich Ausdruck eines anderen privaten Interesses, das seinem privaten Interesse entgegengesetzt ist und keine höhere Geltung beanspruchen kann als dieses; im Gegenteil muss aus den dargelegten Gründen das Werbeinteresse des Unternehmers im Falle des Widerspruchs des umworbenen Bürgers hinter dessen Interesse an der Verschonung von Werbung zurückstehen.

Dem Interesse des einzelnen Bürgers, unerwünschte Werbung nicht erst durch Widerspruch gegenüber dem Werbenden (§ 28 Abs. 4 BDSG) abzuwehren, sondern im Wege einer meldebehördlichen Übermittlungssperre gewissermaßen schon an der Quelle abzufangen, lässt sich unter den hier vorliegenden Umständen die Schutzwürdigkeit auch nicht deshalb absprechen, weil dies mit einem unverhältnismäßigen, die Meldebehörde überfordernden Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Zwar ist die Beklagte, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mehrere Hunderttausend Auskünfte im Jahr erteilt, von denen der größte Teil auf einfache Melderegisterauskünfte entfällt, offensichtlich nicht in der Lage, eigene Ermittlungen darüber anzustellen, welche Zwecke die Auskunftssuchenden im Einzelfall verfolgen. Derartige Ermittlungen sinnt ihr der Kläger aber auch nicht an. Er will die Übermittlungssperre vielmehr ausdrücklich auf die Fälle beschränkt wissen, in denen der Werbezweck im Auskunftsersuchen offen gelegt wird. Wenn die Meldebehörde in derart offenkundigen Fällen auf den vorab geäußerten Widerspruch des Betroffenen hin von einer Übermittlung der zu Werbezwecken erbetenen Daten absieht, ist dies mit keinem unzumutbaren Aufwand verbunden. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist daher das in dem vorliegenden Rechtsstreit verfolgte Interesse des Klägers schutzwürdig im Sinne von § 6 Satz 1 MRRG und muss von der Beklagten beachtet werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird auf 5 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG).

Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 3367 Nr. 46
ZAAAC-15919