BVerwG Beschluss v. - 7 VR 1.04

Leitsatz

Bei der Anfechtung einer Beförderungsgenehmigung durch ein von dem Transport betroffenes Land bietet § 4 Abs. 2 Nr. 6 AtG keine Grundlage für die Annahme eines nichtverfassungsrechtlichen Bund-Länder-Streits i.S. des § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.

Ein offensichtlich rechtswidriger und den Rechtszug verkürzender Verweisungsbeschluss bindet das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, nicht.

Gesetze: AtG § 4 Abs. 2 Nr. 6; VwGO § 83 Satz 1; GKG § 17 a Abs. 2 Satz 3

Instanzenzug: VG Braunschweig VG 1 B 200/04 vom

Gründe

I.

Der Antragsteller verlangt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine atomrechtliche Beförderungsgenehmigung, die das Bundesamt für Strahlenschutz den Beigeladenen zu 1 und 2 erteilt hat. Genehmigt wurden maximal 18 Transporte bestrahlter Brennelemente aus der Anlage des Beigeladenen zu 3 in Rossendorf (Sachsen) zum Zwischenlager Ahaus (Nordrhein-Westfalen) auf der Straße. In den der Beförderungsgenehmigung beigefügten "Nebenbestimmungen und Hinweise(n)" heißt es unter Nr. II, dass die Beförderungstermine mit den Innenministerien der vom Transport berührten Länder abzustimmen, eine höchstmögliche Bündelung der Transporte anzustreben und die Streckenführung im Einzelnen in Einsatzkoordinierungsgesprächen zwischen den Innenministerien der vom Transport betroffenen Länder und der Beigeladenen zu 1 unter Federführung des Antragstellers festzulegen seien.

Der Antragsteller sieht sich durch die für sofort vollziehbar erklärte Beförderungsgenehmigung in seinen rechtlich geschützten Interessen verletzt. Die Genehmigung verstoße gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Nr. 6 AtG, die voraussetzt, dass überwiegende öffentliche Interessen der Wahl der Art, der Zeit und des Weges der Beförderung nicht entgegenstehen. In der Genehmigung von 18 Einzeltransporten auf der Straße liege ein unverhältnismäßiger Eingriff, weil die Transporte gegenüber einem gebündelten Schienentransport erhebliche Sicherheitsnachteile hätten, vermeidbare Kosten in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags zu Lasten des Landeshaushalts des Antragstellers verursachten und dessen polizeiliche Ressourcen im Übermaß beanspruchten. Die Antragsgegnerin habe verkannt, dass das Interesse der Beigeladenen an einem Transport auf der Straße den öffentlichen Interessen des Antragstellers an einem ohne weiteres möglichen Schienentransport eindeutig nachzuordnen seien.

Das Verwaltungsgericht hat sich nach Anhörung der Beteiligten für unzuständig erklärt und die Sache an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und einem Land handele (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts rechtfertigende Eigenart der Streitigkeit bestehe darin, dass der Antragsteller nicht Adressat der Entscheidung sei, sondern bei einer Betrachtung staatlichen Handelns als Einheit gewissermaßen im Lager der Antragsgegnerin stehe. Die Antragsgegnerin habe bei der Erteilung der Beförderungsgenehmigung die Interessen des vom Transport betroffenen Landes zu berücksichtigen. Da durch die Inanspruchnahme der Beförderungsgenehmigung die Wahrnehmung anderer polizeilicher Aufgaben des Antragstellers nicht unerheblich beeinträchtigt werde, unterscheide sich seine Rechtsstellung deutlich von derjenigen eines Bürgers, der als Drittbetroffener eine Genehmigung anfechte.

II.

Die Verweisung der Sache an das Bundesverwaltungsgericht ist offensichtlich rechtswidrig. Die Fehlerhaftigkeit der Verweisung führt zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht.

1. Gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in erster und letzter Instanz über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern und zwischen verschiedenen Ländern. Eine solche Streitigkeit ist nicht schon dann anzunehmen, wenn der Bund und ein Land als Beteiligte einander gegenüberstehen. Die Sonderregelung des § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO schließt von den sonst geltenden Zuständigkeitsbestimmungen nur diejenigen Verfahren aus, deren Gegenstände durch die Eigenart der Bund-Länder-Beziehung geprägt sind ( BVerwG 7 A 2.79 - BVerwGE 60, 162 <173 f.>; BVerwG 3 A 1.02 - BVerwGE 117, 244 f.). Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ist demgemäß nur bei Streitigkeiten begründet, "die sich in ihrem Gegenstand einem Vergleich mit den landläufigen Verwaltungsstreitigkeiten entziehen" ( BVerwG 4 A 1.75 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 6). Um Fälle dieser Art handelt es sich namentlich dann, wenn die Abgrenzung von Hoheitsbefugnissen oder die vertragliche Rechtsstellung von Bund und Land im Streit steht.

Der hier vorliegende Streit zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin betrifft offensichtlich keine Meinungsverschiedenheiten über die jeweiligen Kompetenzen oder über vertraglich geregelte Rechte und Zuständigkeiten. Der Antragsteller bezweifelt nicht die Verwaltungskompetenz der Antragsgegnerin für die Erteilung der Genehmigung für die Beförderung von Kernbrennstoffen (§ 23 Abs. 1 Nr. 3 AtG). Ebenso wenig steht die Wahrnehmungskompetenz des Antragstellers für die polizeirechtliche Sicherung der genehmigten Beförderung in Frage (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AtG). Die Beteiligten streiten auch nicht ansatzweise über verwaltungsrechtliche Rechtsfragen, die ihre Grundlage im föderativen Bund-Länder-Verhältnis finden. Dass sich die Beigeladene zu 1 nach Nr. II der "Nebenbestimmungen und Hinweise(n)" der Beförderungsgenehmigung mit dem Innenministerium des Antragstellers ins Benehmen zu setzen hat, ist eine Folge der Achtung der polizeilichen Wahrnehmungskompetenz durch die Antragsgegnerin.

Der Antragsteller stellt zur gerichtlichen Prüfung "ausschließlich die Beachtung des § 4 Abs. 2 Nr. 6 AtG". Er vertritt die Auffassung, dass diese Vorschrift auch die rechtlichen Interessen des von einem Beförderungsvorgang betroffenen Landes schütze und ihm infolgedessen einen Rechtsanspruch auf Berücksichtigung seiner Interessen und Belange bei Erteilung der Beförderungsgenehmigung im Hinblick auf Art, Zeit und Weg der Beförderung vermittle. Um Fragen der Haftung für ordnungsgemäße Verwaltung im Bund-Länder-Verhältnis geht es ersichtlich nicht. Gegenstand des Rechtsstreits ist ausschließlich eine einem Dritten erteilte Genehmigung, durch die sich der Antragsteller in Rechten verletzt sieht, die ihm seiner Meinung nach durch die genannte Norm des Atomgesetzes eingeräumt werden. Dass diese vermeintlichen Rechte anders als bei einem privaten Drittbetroffenen im öffentlichen Interesse wahrgenommen werden, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten; denn Fragen, die im Bund-Länder-Verhältnis wurzeln, werden dadurch nicht aufgeworfen. Angesichts dessen kann von einer nichtverfassungsrechtlichen Bund-Länder-Streitigkeit keine Rede sein. Davon gehen übrigens auch alle Beteiligten aus, die sich zu dem Hinweis des Verwaltungsgerichts auf eine Verweisung geäußert haben (Antragsteller, Antragsgegnerin und Beigeladene zu 1).

2. Ein Beschluss, durch den sich ein Verwaltungsgericht für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das nach seiner Auffassung zuständige Gericht verweist, hat für das Gericht, an das verwiesen worden ist, grundsätzlich bindende Wirkung (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG). Ausnahmen von der Bindungswirkung sind indessen bei schweren und offensichtlichen Rechtsverstößen anerkannt (vgl. BVerwG 7 A 4.92 - Buchholz 407.3 VerkPBG Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil die Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts grob fehlerhaft ist und darüber hinaus bewirkt, dass den Beteiligten der in der Prozessordnung vorgesehene Instanzenzug genommen wird.

Der Verweisungsbeschluss ist grob fehlerhaft, weil er sich entscheidungstragend darauf stützt, dass die aus der Inanspruchnahme der Beförderungsgenehmigung resultierenden Beeinträchtigungen des Antragstellers bei der Wahrnehmung seiner polizeilichen Aufgaben es nicht zuließen, seine Position mit der eines "Staatsbürgers im Allgemeinen" zu vergleichen, der sich als Drittbetroffener gegen eine behördliche Genehmigung wende. Das Verwaltungsgericht blendet die Frage, ob der Streit seine Grundlage im föderativen Bund-Länder-Verhältnis findet, vollständig aus; vielmehr ist es der Auffassung, allein der Umstand, dass der sich als Dritter in seinen Rechten betroffen sehende Antragsteller ebenfalls staatliche Interessen vertritt, rechtfertige die "Hochzonung" des Streits zum Bundesverwaltungsgericht. Diese Rechtsauffassung, die in der bisherigen Rechtsprechung keine Grundlage findet, hätte die Konsequenz, dass Anfechtungsklagen, die Bundesländer als vermeintlich Drittbetroffene gegen bundesbehördliche Bescheide erheben, immer schon dann erstinstanzlich vor dem Bundesverwaltungsgericht zu verhandeln sind, wenn die Länder sich, wie es regelmäßig der Fall sein wird, auf Rechte berufen, die sie im öffentlichen Interesse wahrnehmen. Geradezu paradox wird die Situation, wenn das Bundesland nicht einmal den Eingriff in Rechte rügt, sondern sich - wie hier - durch die Ausnutzung einer einem Dritten erteilten Genehmigung allein in der ihm obliegenden Wahrnehmung staatlicher Aufgaben gestört sieht; denn in diesen Fällen würde immer der die Unzulässigkeit der Klage begründende Umstand, dass lediglich öffentliche Interessen und keine Rechte geltend gemacht werden, wegen der Unvergleichbarkeit dieser Situation mit der eines seine subjektiven Rechte verteidigenden Privaten die erstinstanzliche Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts rechtfertigen.

Zusätzliches Gewicht erhält der Rechtsverstoß dadurch, dass er den den Beteiligten nach § 80 Abs. 5 i.V.m. § 146 VwGO zustehenden Rechtszug verkürzt. Angesichts der gesetzwidrigen Rechtszugverkürzung aufgrund grob fehlerhafter Rechtsanwendung ist dem unanfechtbaren Verweisungsbeschluss die Bindungswirkung abzusprechen und der Rechtsstreit an das zuständige Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
EAAAC-13340