BVerwG Urteil v. - 5 C 46.01

Leitsatz

Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I bzw. § 86 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII setzt auch bei minderjährigen Kindern eine tatsächliche Aufenthaltsnahme voraus; diese Voraussetzung kann nicht durch den bloßen Willen eines personensorgeberechtigten Elternteils, an diesem Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt für das Kind zu begründen, oder entsprechende objektive Vorbereitungshandlungen (etwa Anmietung und Einrichtung einer Wohnung; melderechtliche Anmeldung) ersetzt werden.

Gesetze: SGB I § 30 Abs. 3 Satz 2; SGB VIII § 86; SGB VIII § 86 a; SGB VIII § 89 a; SGB VIII § 89 c

Instanzenzug: VG Regensburg VG RO 8 K 98.388 vom VGH München VGH 12 B 00.1566 vom

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über Erstattungsansprüche betreffend die Kosten der Betreuung eines Kindes in einer Vollzeitpflegestelle und die zugrunde liegenden Fragen der örtlichen Zuständigkeit für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung.

Die Mutter des am geborenen Kindes C. trennte sich im Dezember 1993 von ihrem seinerzeitigen Ehemann, der seinen Wohnsitz in der im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gelegenen Gemeinde A. behielt. Sie begab sich mit C. und dessen beiden Schwestern zunächst zu ihrer Schwester; in der Folgezeit bezog sie mit ihren Kindern in dem Hause ihres Vaters in dem im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gelegenen Ort W. eine nicht möblierte Dachwohnung. Zum mietete sie in der im Zuständigkeitsbereich des Klägers gelegenen Gemeinde P. eine Wohnung, hielt sich indes zunächst mit den Kindern noch in W. auf.

Am gegen 7.30 Uhr traf die Polizei C.'s Mutter, die Gegenstände in die angemietete Wohnung in P. hatte bringen wollen, in einem psychisch desolaten Zustand in ihrem wegen Benzinmangels liegen gebliebenen Kraftfahrzeug an und brachte sie zur freiwilligen psychiatrischen Untersuchung in das Bezirkskrankenhaus Wö.; diese ergab, dass die Mutter zwar nicht gemein- oder selbstgefährlich, wegen ihrer psychisch stark belasteten Situation aber derzeit nicht in der Lage sei, das Wohl ihrer Kinder ordnungsgemäß sicherzustellen. C. wurde von der Polizei an diesem Tage in der Wohnung in W. auf einer Decke liegend vorgefunden; seine Schwestern waren von dieser Wohnung aus zur Schule aufgebrochen.

Das Jugendamt des Beklagten verfügte die Inobhutnahme der beiden Schwestern des C., die in ein Kinderheim in Wi. im örtlichen Bereich des Beklagten verbracht wurden. Für die Schwestern wurden in der Folgezeit in diesem Kinderheim Leistungen der Jugendhilfe gewährt. C. selbst wurde zunächst in eine Kinderklinik in We. außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Beklagten verbracht, wo er bis zum verblieb. Ab dem lebte C. zusammen mit seinen beiden Schwestern in dem Kinderheim in Wi. Am wurde er in eine Pflegefamilie in der im Zuständigkeitsbereich des Klägers gelegenen Gemeinde Wa. aufgenommen, wo er in der Folgezeit in Vollzeitpflege betreut wurde.

C.'s Mutter meldete sich und ihre drei Kinder nach der Entlassung aus dem Bezirkskrankenhaus zum melderechtlich in P. an; die Dachwohnung im Hause ihres Vaters löste sie auf. Nach der Räumung der zum angemieteten Wohnung im April 1995 meldete sie sich obdachlos. Am verstarb sie bei einem Verkehrsunfall. Das Amtsgericht T. stellte durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom fest, dass C. nicht das Kind des geschiedenen Ehemannes der Mutter sei.

Bereits am hatte C.'s Mutter bei dem Kläger Hilfe zur Erziehung des Kindes beantragt, die der Kläger mit Bescheid vom rückwirkend zum bewilligte. Ziel der Jugendhilfemaßnahme war es, der Mutter Zeit zu geben, ihren Alltag neu zu organisieren, um eine baldige Rückführung ihrer drei Kinder zu ermöglichen.

Unter dem beantragte der Kläger bei dem Beklagten, die für C. zu leistenden Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe in eigener Zuständigkeit zu erbringen und die von ihm - dem Kläger - seit dem dafür aufgebrachten Kosten zu erstatten; seit diesem Zeitpunkt bestimme sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des rechtlich als Vater von C. geltenden vormaligen Ehemannes der Mutter. Der Beklagte lehnte unter dem die Kostenerstattung und die Übernahme der Jugendhilfemaßnahme für C. ab; die Zuständigkeit richte sich hier nach C.'s gewöhnlichem Aufenthalt vor Beginn der Maßnahme, der bei der Mutter im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Klägers gewesen sei.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, dem Kläger die Kosten für die dem Kind C. ab dem gewährte Jugendhilfeleistung zu erstatten. C. habe in den letzten sechs Monaten vor Aufnahme in das Kinderheim seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich des Beklagten gehabt; er habe den Umzug seiner Mutter in den Zuständigkeitsbereich des Klägers nur "auf dem Papier", nicht aber in der Realität mit vollzogen und daher im Zuständigkeitsbereich des Klägers keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet.

Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger könne nach den hier anzuwendenden Zuständigkeits- und Kostenerstattungsregelungen in der seit dem geltenden Fassung des Achten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit vom bis zum einen Kostenerstattungsanspruch nicht aus § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII herleiten; denn die Voraussetzungen des § 86 c Satz 1 SGB VIII lägen deswegen nicht vor, weil am kein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit eingetreten sei.

Für die Zeit bis zum sei für die Zuständigkeit allein auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter abzustellen. Die erfolgreiche Anfechtung der Ehelichkeit durch den seinerzeitigen Ehemann der Mutter habe das kraft Gesetzes vermutete Vater-Kindschafts-Verhältnis rückwirkend ab dem Tage der Geburt C.'s entfallen lassen; er gelte abstammungsrechtlich mithin als vaterlos, Identität und Aufenthalt des leiblichen Vaters seien nicht bekannt. Die Mutter sei am in den Zuständigkeitsbereich des Klägers verzogen und habe auch in der Folgezeit bis zu ihrem Tode am dort gewohnt. Zum sei der Kläger nach § 86 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII zuständiger Träger der Jugendhilfe geblieben, mithin kein Zuständigkeitswechsel eingetreten, weil sich ab diesem Zeitpunkt die örtliche Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes vor Beginn der Leistung richte. "Beginn der Leistung" sei hier der Beginn der Jugendhilfemaßnahme als "Gesamtmaßnahme"; diese habe nicht erst mit der Unterbringung in einer Pflegefamilie, sondern bereits mit der Aufnahme in das Kinderheim am begonnen. Zu diesem Zeitpunkt habe C. seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei seiner Mutter gehabt, die bereits in den Zuständigkeitsbereich des Klägers umgezogen gewesen sei. Ein minderjähriges Kind habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt grundsätzlich bei dem Elternteil, der das Personensorgerecht ausübe und bei dem es sich tatsächlich aufhalte. Dass die Mutter hier während des Krankenhausaufenthaltes von C. umgezogen sei, rechtfertige nicht, für das Kind einen von dem seiner allein erziehenden Mutter abweichenden gewöhnlichen Aufenthalt anzunehmen. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass das minderjährige Kind den gewöhnlichen Aufenthalt des Elternteils teile, der das Personensorgerecht ausübe, käme allenfalls dann in Betracht, wenn ein minderjähriges Kind außerhalb der eigenen Familie untergebracht sei und eine Rückkehrmöglichkeit in die Familie oder zur allein erziehenden Mutter nicht bestehe oder nicht angestrebt werde. Hiervon könne in Bezug auf den Krankenhausaufenthalt keine Rede sein; auch bei der Unterbringung in dem Kinderheim sei seinerzeit eine außerfamiliäre Unterbringung auf Dauer nicht vorgesehen gewesen, weil der Mutter lediglich Zeit zur Ordnung ihrer persönlichen Verhältnisse und Stabilisierung habe gegeben werden sollen. Für die Bestimmung seines gewöhnlichen Aufenthalts am spiele keine entscheidungserhebliche Rolle, dass C. sich selbst nie in der zum angemieteten Wohnung seiner Mutter aufgehalten habe.

Dem Kläger stehe auch für die Zeit ab dem kein Kostenerstattungsanspruch nach § 89 a Abs. 1 SGB VIII gegen den Beklagten zu, weil die Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII bei fortdauernden Jugendhilfeleistungen einen Wechsel des örtlich zuständigen Trägers der Jugendhilfe voraussetze. Ein solcher Wechsel sei hier deswegen nicht eingetreten, weil der Kläger auch nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII der örtlich zuständige Träger der Jugendhilfe wäre, er mithin als der bis zu diesem Zeitpunkt örtlich zuständig gewesene Träger der Jugendhilfe auch über den hinaus zuständig geblieben sei.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 86 Abs. 4 SGB VIII.

Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

II.

Die Revision des Klägers ist begründet. Die Klagestattgabe durch das Verwaltungsgericht ist rechtens, das Berufungsurteil ist mit Bundesrecht nicht vereinbar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und daher unter Zurückweisung der Berufung aufzuheben (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

Der Kläger hat gegen den Beklagten nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 86 c Satz 1 SGB VIII (bis ) bzw. § 89 a SGB VIII (ab dem ) den geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der für das Kind C. ab dem aufgewendeten Kosten der Jugendhilfe, weil er bis zum nicht der örtlich zuständige Träger der Jugendhilfe gewesen und erst zum nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständiger Träger geworden ist.

Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, dass die C. gewährte Leistung der Jugendhilfe erforderlich und geeignet und für deren Gewährung bis zum nach § 86 Abs. 2 Satz 1 oder 2 SGB VIII der Kläger örtlich zuständig gewesen ist. Mit dem Tod der Mutter C.'s. war die örtliche Zuständigkeit für die Gewährung der Leistung der Jugendhilfe neu zu bestimmen. Jedenfalls mit der Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts T. im Ehelichkeitsanfechtungsverfahren richtete sich die örtliche Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 4 SGB VIII nach dem gewöhnlichen bzw. tatsächlichen Aufenthalt von C. vor Beginn der Maßnahme, weil die Mutter verstorben, das vermeintliche abstammungsrechtliche Band zwischen C. und dem vormaligen Ehemann seiner Mutter nicht bestand und ein gewöhnlicher Aufenthalt des unbekannten leiblichen Vaters nicht feststellbar war. Hiervon gehen zu Recht auch die beteiligten Jugendhilfeträger und die Vorinstanzen aus. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts hatte C. zu Beginn der Jugendhilfemaßnahme indes seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Bereich des Klägers begründet.

Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, zu dem sich für den hier zu beurteilenden Fall aus dem Achten Buch Sozialgesetzbuch Abweichendes nicht ergibt (§ 37 Satz 1 SGB I), hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Zur Begründung eines "gewöhnlichen Aufenthalts" ist ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich, es genügt vielmehr, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat ( BVerwG 5 C 11.98 - FEVS 49, 434 <436>). Das Berufungsgericht ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass die Frage, ob und wo eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, für jede Person einzeln zu bestimmen ist; dies gilt auch für Kinder und Jugendliche, die einen von ihren Eltern oder einem Elternteil abweichenden gewöhnlichen Aufenthalt haben können (s. - m.w.N. - Kunkel, ZfJ 2001, 361 <363>). Der von ihm aufgestellte Grundsatz, dass ein minderjähriges Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt grundsätzlich bei dem Elternteil hat, der das Personensorgerecht ausübt und bei dem es sich tatsächlich aufhält, ist eine Regel für die nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I erforderliche eigenständige Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eines minderjährigen Kindes und steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ein Minderjähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Regel an dem Ort hat, an dem er seine Erziehung erhält, wobei es bei einer Unterbringung außerhalb der Familie darauf ankommt, ob sie nur vorübergehend oder auf Dauer erfolgen soll (BVerwGE 64, 224 <231>; 74, 206 <211>).

Hingegen ist mit § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I unvereinbar, dass das Berufungsgericht angenommen hat, C. habe hiernach gemeinsam mit seiner Mutter am seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich des Klägers ungeachtet dessen begründet, dass er sich tatsächlich - jedenfalls nach dem - nicht im Bereich des Klägers aufgehalten hat. Notwendige Voraussetzung für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts ist, dass sich die Person, die an einem Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen will, zumindest kurzfristig auch tatsächlich dort aufhält. Auch wenn zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich ist, ist nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I eine Mindestdauer eines tatsächlichen Aufenthalts unverzichtbar. Der tatsächliche Aufenthalt ist zwar nicht hinreichende, aber notwendige Bedingung für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts. Diese Voraussetzung kann auch bei Kindern nicht durch den bloßen Willen eines personensorgeberechtigten Elternteils, an diesem Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt für das Kind zu begründen, oder entsprechende objektive Vorbereitungshandlungen (etwa Anmietung und Einrichtung einer Wohnung; melderechtliche Anmeldung) ersetzt werden. Der physische Aufenthalt am Ort des (zu begründenden) gewöhnlichen Aufenthalts ist daher unabhängig von allen weiteren Indizien und dem Willen, an einem bestimmten Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, der frühest denkbare Zeitpunkt der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts. Da die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts auch bei minderjährigen Kindern rechtlich selbständig und gegebenenfalls unabhängig von dem der Eltern zu bestimmen ist, können zwar der Wille, an einem bestimmten Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, den selbständig zu bilden zumindest ein Kleinkind auch tatsächlich nicht in der Lage ist, und die erforderlichen Vorbereitungs- und Umsetzungshandlungen für die Begründung oder einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts durch die Eltern bzw. den die Personensorge ausübenden Elternteil ersetzt werden, nicht hingegen der physische Aufenthalt. Dieser wird auch nicht durch eine melderechtliche Anmeldung ersetzt.

Nach den nicht mit beachtlichen Revisionsrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich C. bis zum mit seiner Mutter im Bereich des Beklagten aufgehalten und ist in der Folgezeit zu keinem Zeitpunkt zu seiner seit dem im Bereich des Klägers wohnenden Mutter zurückgekehrt. C. hat sich ab dem Zeitpunkt, zu dem seine Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich des Klägers begründet hatte, bis zu dem Beginn der Maßnahme tatsächlich nicht am Aufenthaltsort der Mutter aufgehalten und daher im Bereich des Klägers keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Keine andere Beurteilung rechtfertigt, dass mit der am begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Auflösung der im Bereich des Beklagten gelegenen Wohnung C.'s Mutter erkennbar auch für ihren Sohn den Willen betätigt hatte, den gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich des Beklagten aufzugeben. Daraus folgte allein, dass auch C. ab dem Zeitpunkt der Wohnungsauflösung seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Bereich des Beklagten hatte. Dass C. sich zeitweilig in der Kinderklinik We. aufgehalten hat, führt nicht dazu, dass sein gewöhnlicher Aufenthalt im Bereich des Beklagten über den Zeitpunkt der endgültigen Aufgabe der Wohnung in W. durch die Mutter hinaus angedauert oder er in We. in der Kinderklinik einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hätte; dieser Aufenthalt war nicht i.S. des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I von Umständen geprägt, die erkennen ließen, dass C. an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilte.

Nach § 86 Abs. 4 SGB VIII war der Beklagte mithin jedenfalls mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts T. im Vaterschaftsprozess örtlich zuständiger Träger der Jugendhilfe geworden. Auf die zwischen den beteiligten Jugendhilfeträgern umstrittene Frage des genauen Zeitpunktes des Beginns der Maßnahme kommt es nicht entscheidungserheblich an. Denn C. hatte entweder bei Beginn bzw. in den letzten sechs Monaten vor Beginn der Maßnahme (Satz 1) seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder - wäre entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung auf den Zeitpunkt der Gewährung von Vollzeitpflege abzustellen und sollte weiter unterstellt werden, dass C. in dem Kinderheim einen gewöhnlichen Aufenthalt nicht begründet hätte - seinen tatsächlichen Aufenthalt im Bereich des Beklagten. Bei dieser Sachlage hat das Bundesverwaltungsgericht mangels Entscheidungserheblichkeit auch keinen Anlass, sich zu der zwischen den beteiligten Jugendhilfeträgern umstrittenen Frage zu äußern, ob die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft durch den geschiedenen Ehemann der Mutter von C. eine hieran anknüpfende Zuständigkeit des Beklagten nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erst mit der Rechtskraft dieses Urteils hat entfallen lassen (ex-nunc-Wirkung), so dass sich die Zuständigkeit erst ab diesem Zeitpunkt nach § 86 Abs. 4 SGB VIII beurteilt, oder ob dieses Urteil auch zuständigkeitsrechtlich auf den Zeitpunkt der Geburt mit der Folge zurückwirkt (ex-tunc-Wirkung), dass der Beklagte bereits zum nach § 86 Abs. 4 SGB VIII örtlich zuständiger Träger geworden ist. Der Kläger ist hiernach erst zum nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständiger Träger geworden.

Für die Zeit bis zum folgt der Kostenerstattungsanspruch des Klägers, der als bis zum örtlich zuständiger Träger die Leistung nach § 86 c Satz 1 SGB VIII fortgesetzt hatte, mithin aus § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, ohne dass dem § 89 SGB VIII entgegenstünde; für die Zeit ab dem gründet der Kostenerstattungsanspruch des Klägers in § 89 a SGB VIII.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 188 Satz 2 VwGO; § 188 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO in der ab dem geltenden Fassung ist nach § 194 Abs. 5 VwGO noch nicht anzuwenden, weil das Verfahren vor dem bei dem Bundesverwaltungsgericht anhängig geworden ist.

Fundstelle(n):
VAAAC-12880