BGH Urteil v. - 1 StR 378/02

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 344 Abs. 2 Satz 2; StGB § 21; StGB § 20; StGB § 46a Nr. 1; StGB § 49 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

Die Jugendkammer hat den Angeklagten zu drei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, weil er im Zustande alkoholbedingt erheblich verminderter Schuldfähigkeit die 14 Jahre alte B. G. vergewaltigt hat. Seine auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision macht im wesentlichen geltend, die Jugendkammer habe nicht rechtsfehlerfrei eine alkoholbedingte Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) des Angeklagten ausgeschlossen. Auch der Generalbundesanwalt hält das Urteil für rechtsfehlerhaft.

Die Revision bleibt erfolglos. Die Revisionsangriffe versagen, auch im übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

I.

1. Folgendes ist festgestellt:

a) Am Mittag des überredete der Angeklagte in der Nähe seines Wohnhauses auf der Straße die Geschädigte, deren zehn Jahre alte Schwester und ein weiteres, ebenfalls zehn Jahre altes Mädchen, mit ihm in seinem Schrebergarten Blumen zu gießen. Er bestellte telefonisch ein Taxi und fuhr mit ihnen zu der unweit gelegenen Anlage, wobei er der Taxifahrerin den ihr unbekannten Weg wies. Der Angeklagte, der "zumindest eines der Mädchen in seiner Gartenhütte sexuell missbrauchen" wollte, forderte zunächst eine der Zehnjährigen auf, mit ihm in die Hütte zu kommen. Als sie ablehnte, zerrte er sie am Oberarm; sie konnte sich aber befreien. Die beiden zehnjährigen Mädchen entfernten sich, nachdem ihnen der Angeklagte 50 DM gegeben und sie aufgefordert hatte, "alles, was sie gesehen hätten zu vergessen und zu verschwinden". Anschließend zog der Angeklagte B. G. gegen ihren Widerstand in die Hütte, die er von innen versperrte. Obwohl sie sich wehrte und schrie, warf er sie auf ein Sofa, zog sie und sich vollständig aus und legte sich auf sie. Zum Geschlechtsverkehr kam es nicht, sein wiederholter Versuch scheiterte, weil er keine "ausreichend starke" Erektion hatte. Statt dessen führte er über etwa fünf Minuten immer wieder seinen Finger in ihre Scheide ein. Als sie Übelkeit vortäuschte und an die Luft wollte, bot er ihr 100 DM an, wenn er weitermachen könne. Letztlich schloß er aber die Tür auf und B. G. konnte fliehen.

b) Eine etwa sechs Stunden nach der Tat entnommene Blutprobe des Angeklagten ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,80 %o. Auf der Grundlage der Angaben des Angeklagten, vor der Tat in erheblichem Umfang Wodka und nach der Tat eine Flasche Bier getrunken zu haben, errechnet die Jugendkammer ohne einen den Angeklagten benachteiligenden Fehler einen theoretischen Maximalblutalkoholwert von 3,87 %o zur Tatzeit.

2. Die Jugendkammer stützt ihre Annahme, beim Angeklagten hätten wegen vorangegangenen Alkoholkonsums zwar die Voraussetzungen von § 21 StGB, nicht aber die des § 20 StGB vorgelegen, auf die im einzelnen rechtsfehlerfrei dargelegte sehr hohe Alkoholgewöhnung des Angeklagten sowie auf sein Verhalten vor und bei der Tat. Darüber hinaus weist sie darauf hin, daß die Taxifahrerin den Angeklagten "als betrunken, aber nicht volltrunken" beschrieben hat und er bei der Blutprobe (Ergebnis: 2,80 %o) dem Arzt nur "leicht alkoholisiert" erschien.

II.

1. Mit einer Aufklärungsrüge macht die Revision geltend, die Jugendkammer hätte einen Sachverständigen "zum etwaigen Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB" hören müssen. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) ist damit schon nicht zulässig gerügt, da entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO das erwartete Beweisergebnis nicht klar genug mitgeteilt ist. Das genannte Vorbringen der Revision ist nicht anders zu bewerten als ein Vorbringen, das ein bestimmtes Ergebnis nur als möglich bezeichnet, oder das behauptet, weitere Ermittlungen hätten vielleicht ein anderes Beweisergebnis erbracht (vgl. hierzu nur BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 1; ; w. Nachw. bei Kuckein in KK 4. Aufl. § 344 Rdn. 51).

2. Im übrigen ist auch nicht erkennbar, daß sich die Jugendkammer sachverständiger Beratung hätte bedienen müssen (vgl. auch Maatz/Wahl BGH - FS S. 531, 553). Ohne daß dies bei der vorliegenden, eher einfach gelagerten Fallgestaltung gesonderter Darlegung bedurft hätte, belegen ihre Ausführungen genügend eigene Sachkunde. Weder ist die Jugendkammer von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen, noch hat sie wesentliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen:

a) Bei einer Blutalkoholkonzentration der genannten Höhe ist die Möglichkeit von Schuldunfähigkeit zu erörtern. Einen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration regelmäßig von Schuldunfähigkeit auszugehen sei, gibt es jedoch nicht. Entscheidend ist vielmehr eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen. Die Blutalkoholkonzentration ist in diesem Zusammenhang ein zwar gewichtiges, aber keinesfalls allein maßgebliches Beweisanzeichen, wobei deren Bedeutung auch von der - hier sehr hohen - Alkoholgewöhnung des Täters beeinflußt sein kann (vgl. nur BGH NStZ 1998, 591, 592; StV 1997, 257; insgesamt eingehend zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Schild in NK - StGB < 9. Lieferung 2001 > § 20 Rdn. 143 f. m. zahlr. Nachw.).

Die Ausführungen der Jugendkammer lassen erkennen, daß sie von diesen Grundsätzen ausgegangen ist (zum Maßstab revisionsrechtlicher Überprüfung tatrichterlicher Entscheidungen zum Einfluß von Alkohol auf die Schuldfähigkeit vgl. auch Maatz/Wahl aaO). Es ist auch nicht ersichtlich, daß eine der im einzelnen von der Jugendkammer angestellten Erwägungen ungeeignet wäre, zur Stützung des gefundenen Gesamtergebnisses herangezogen zu werden.

b) Soweit geltend gemacht ist, die Jugendkammer hätte wesentliche Gesichtspunkte, die sich zwar nicht aus dem Urteil, wohl aber aus dem Akteninhalt ergeben, bei der Prüfung der Schuldfähigkeit außer acht gelassen, ist das Vorbringen der Revision schon nicht zulässig.

(1) Die Revision macht geltend, die Taxifahrerin (vgl. oben I 2) habe den Angeklagten bei der Polizei als "total betrunken" bezeichnet.

Verfahrensrügen, die auf einen Abgleich des Urteils mit der Aktenlage gerichtet sind, sind jedoch nicht zulässig (vgl. nur BGH NStZ 2000, 156; Wahl in NJW - Sonderheft für G. Schäfer 2002, S. 73 jew. m. w. Nachw.). Die Taxifahrerin wurde in der Hauptverhandlung gehört und hat den Angeklagten ausweislich der maßgeblichen Urteilsgründe gerade nicht als volltrunken bezeichnet.

(2) Weiter macht die Revision geltend, die Geschädigte habe bei der Polizei angegeben, daß der Angeklagte, "als er die Tür aufschloss, irgendwie nicht mehr bei der Sache war. Er saß offensichtlich völlig apathisch auf dem Sofa und war geistig entrückt". Die Revision führt weiter aus, daß diese Beobachtung der Geschädigten auf ausgeschlossene Schuldfähigkeit hindeute.

Ausweislich der Urteilsgründe wurde die Geschädigte in der Hauptverhandlung nicht vernommen; ihre polizeiliche Aussage wurde verlesen. Eine Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, eine solche Aussage habe einen anderen Inhalt, als er dem Urteil zu Grunde gelegt wurde, ist unter diesen Umständen möglich, ebenso eine Rüge, wesentliche Erkenntnisse, die sich aus der verlesenen Aussage ergeben, seien unbeachtet geblieben (vgl. nur BGHR StPO § 261 Inbegriff 7, 15, 22, 30; Wahl aaO m. w. Nachw.).

Nach der verlesenen polizeilichen Aussage hat die Geschädigte am Tattag auf die Frage, ob der Angeklagte betrunken war, erklärt: "Meiner Meinung nach war er nicht stark betrunken. Man roch zwar den Alkohol, aber er hatte keinen unsicheren Gang, lallte nicht und ich glaube, er wusste, was er tat". Bei einer - ebenfalls verlesenen - ergänzenden Vernehmung vom nächsten Tag sagte sie: " Danach (gemeint: nach dem Aufschließen der Tür) setzte sich Herr N. wieder auf das Sofa und war irgendwie nicht mehr bei der Sache. In diesem Moment konnte ich mich schnell anziehen... Danach konnte ich ... davonlaufen".

Daraus ergibt sich, daß diese Rüge schon an entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzutreffendem und unvollständigem Vortrag scheitert. Die Geschädigte hat weder ausdrücklich noch sinngemäß erklärt, nach ihrer Beobachtung sei der Angeklagte "völlig apathisch ... und geistig entrückt" gewesen. Dem gegenüber verschweigt die Revision die Aussage der Geschädigten vom Tattag, die jedenfalls nicht für eine besonders intensive Trunkenheit spricht. Solch unvollständiger Vortrag führt dazu, daß sich die Revision nicht mit Umständen auseinander setzen muß, die gegen ihr Vorbringen sprechen (BGHSt 40, 218, 240; ).

Im übrigen wurde dem Angeklagten erheblich verminderte Schuldfähigkeit zugebilligt, weil er vor der Tat viel Alkohol konsumiert hatte. Allein daraus, daß Auswirkungen dieses Alkoholkonsums auch äußerlich erkennbar waren, ergibt sich jedoch nicht, daß der Angeklagte alkoholbedingt nicht nur erheblich vermindert schuldfähig, sondern schuldunfähig war. Besonders intensive oder ungewöhnliche Alkoholauswirkungen, die eine andere Beurteilung nahe legen könnten, ergeben sich aus der Aussage, der Angeklagte sei nach der Tat "irgendwie nicht bei der Sache" gewesen, jedenfalls nicht.

c) Schließlich ist auch nicht ersichtlich, daß die Jugendkammer wesentliche, im Urteil getroffene Feststellungen im Rahmen der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten außer acht gelassen hätte:

(1) Der Senat teilt nicht die Auffassung, es könne ein hier möglicherweise für Schuldunfähigkeit sprechendes Indiz sein, daß der Angeklagte mit den Mädchen mit einem Taxi zum Tatort fuhr. Insbesondere belegt dies nicht, daß sich der Angeklagte ohne vernünftigen Grund einem erheblichen Entdeckungsrisiko ausgesetzt hätte. Die Taxifahrerin konnte allenfalls bekunden, daß der Angeklagte und die Mädchen zur Kleingartenanlage gefahren sind, nicht aber, was dort geschehen ist. Wäre der Angeklagte im übrigen am frühen Nachmittag aus Richtung seiner Wohnung in E. in Begleitung von drei Mädchen zu Fuß zu der Kleingartenanlage gelaufen, wäre die Möglichkeit, daß dies beob-achtet worden wäre, auch nicht erkennbar geringer gewesen. Daß der Angeklagte auch sonst keine unverständlichen Entdeckungsrisiken einging, wird im übrigen auch daran deutlich, daß er vor der Tat die beiden jüngeren Mädchen mit Geld dazu veranlaßte, sich zu entfernen und er später der Geschädigten Geld anbot, mit dem er sie offensichtlich auch zum Schweigen veranlassen wollte.

(2) Schließlich ist, zumal im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, auch nicht erkennbar, daß die nicht "ausreichend stark(e)" Erektion des Angeklagten ein Gesichtspunkt sein könnte, der den Ausschluß der Schuldfähigkeit des Angeklagten nahe legt und daher in diesem Zusammenhang zu erörtern gewesen wäre (vgl. auch oben II. 2 b).

3. Auch im übrigen ist der Schuldspruch rechtsfehlerfrei.

III.

Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.

1. Die Jugendkammer hat festgestellt, der Angeklagte - monatliches Einkommen: 1.000 € - habe mit der Geschädigten "ein Schmerzensgeld von 3.0000 €" vereinbart. Näheres zu diesem ausdrücklich strafmildernd berücksichtigten Umstand ist nicht ausgeführt.

Der Generalbundesanwalt hält auch unbeschadet der Frage, ob damit 3.000 € oder 30.000 € gemeint sind, jedenfalls für rechtsfehlerhaft, daß die Anwendbarkeit von §§ 46a Nr. 1, 49 Abs. 1 StGB nicht erörtert ist.

Der Senat, dem im übrigen eine Schmerzensgeldzusage über 30.000 € unrealistisch erschiene, sieht - unabhängig von der Höhe der Zusage - keinen durchgreifenden Rechtsfehler:

Auf die Vernehmung der Geschädigten war allseits verzichtet worden. Die Jugendkammer hat, ersichtlich auf Grund der Vernehmung der Mutter der Geschädigten festgestellt, daß diese noch immer unter den Folgen der Tat erheblich zu leiden hat. Sie hat Probleme im Umgang mit Erwachsenen, insbesondere mit Männern, hat Schlafstörungen und macht sich wegen der Tat Selbstvorwürfe. Sie fürchtet, die Familie des Angeklagten denke schlecht über sie. Sie ist noch immer in psychologischer Behandlung; wann diese beendet werden kann, ist noch nicht absehbar. Trotz der nicht sehr klaren Feststellung der Jugendkammer zu einer Vereinbarung zwischen dem Angeklagten und der minderjährigen Geschädigten über vermögensrechtliche Ansprüche drängt sich jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen die Annahme, es sei zu einem kommunikativen, auf einen umfassenden, friedenstiftenden Ausgleich gerichteten Prozeß zwischen der Geschädigten und dem Angeklagten gekommen, nicht auf.

2. Auch im übrigen sind Rechtsfehler bei der Strafzumessung nicht ersichtlich. Das Vorbringen der Revision beschränkt sich letztlich darauf, auch von der Jugendkammer nicht übersehene Gesichtspunkte anders zu gewichten.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
HAAAC-11852

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