Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug:
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und acht Monaten verurteilt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechtes rügt. Er erstrebt eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge, hilfsweise die Bejahung eines minder schweren Falles des Totschlags sowie die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger beanstanden die Verletzung materiellen Rechtes mit dem Ziel einer Verurteilung wegen Mordes.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet; die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben in vollem Umfang Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der Tat Streitigkeiten des Angeklagten mit der später getöteten Z. Ö., mit der er eine Beziehung unterhalten hatte, vorausgegangen. Diese wollte sich von ihm endgültig trennen und hatte ihm dies deutlich gemacht. Der Angeklagte glaubte - zu Unrecht -, daß Z. Ö. ihn betrüge. Im Rahmen eines Streites forderte er von ihr die Herausgabe von Schlüsseln für ein Auto, das einem Bekannten gehörte. Z. Ö. verlangte dagegen von ihm Übergabe ihrer Wohnungsschlüssel, was er seinerseits ablehnte. Um Z. Ö. zur Herausgabe der Pkw-Schlüssel zu bewegen, ohne selbst die Wohnungsschlüssel aufgeben zu müssen, richtete der Angeklagte eine geladene Pistole auf Z. Ö.. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch nicht vor, Z. Ö. zu erschießen. Nach seiner einen vorrangigen Stellenwert einnehmenden Vorstellung, daß sich Z. Ö. einem anderen Mann zugewandt habe und deshalb sich von ihm trennen wolle, was der Angeklagte verstärkt durch seine Persönlichkeitsstruktur mit narzißtischen Persönlichkeitszügen als erhebliche Kränkung empfand, war er - zudem unter Drogeneinfluß stehend - affektiv äußerst angespannt und erregt. Gleichwohl nahm Z. Ö. die Drohung nicht ernst, da der Angeklagte über Jahre hinweg immer wieder solche - ohne Folgen - ausgestoßen hatte. Da sie sich sicher wähnte, daß der Angeklagte nicht abdrücken werde, sah sie davon ab, nach der Waffe zu greifen und so die mögliche Schußrichtung von sich abzuwenden, was ihr aufgrund der Entfernung von nur ca. 1 m und der Tatsache, daß er die Waffe mit ausgestrecktem Arm vor ihr Gesicht hielt, möglich war. Dementsprechend erklärte sie dem (11jährigen) Zeugen Ö. auf dessen Flehen, daß er keine Angst zu haben brauche, es werde nichts passieren. Unmittelbar nach dieser Äußerung schoß der Angeklagte jedoch mit direktem Tötungsvorsatz aus einer Entfernung von maximal 2 cm Z. Ö. ins Gesicht, die tödliche Verletzungen erlitt. Bei der Schußabgabe kam es dem Angeklagten darauf an, Z. Ö. für die durch ihre Abkehr von ihm beigebrachte Kränkung sowie ferner für die von ihm als Kränkung empfundene Aussage, er werde sowieso nicht schießen, zu sanktionieren.
Die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten war zum Tatzeitpunkt nicht beeinträchtigt. "Es ist aber nicht auszuschließen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung infolge des Zusammenwirkens einer erheblichen affektiven Anspannung, der Wirkung des genossenen Kokains und der Wirkung des genossenen Alkohols, die in ihrer Auswirkung auf das Hemmungsvermögen des Angeklagten durch das genossene Kokain verstärkt worden sein kann, sowie des Schlafdefizits bei einer nur sehr kurzen Schlafphase von maximal 45 Minuten am Vormittag vor der Tat und der hiermit einhergehenden möglichen Absenkung der Reizschwelle erheblich eingeschränkt war" (UA S. 25/26).
2. Das Landgericht hat zwar (direkten) Tötungsvorsatz angenommen, aber eine Verurteilung wegen Mordes (§ 211 StGB) abgelehnt.
Der Angeklagte habe allerdings in objektiver Hinsicht das Mordmerkmal der Tötung aus niedrigen Beweggründen verwirklicht, da die gegebenen Tatmotive Eifersucht, Zorn und Wut ihrerseits auf niedriger Gesinnung beruhten. Vorliegend sei aber nicht mit Sicherheit festzustellen, daß der Angeklagte in der Lage gewesen sei, seine niedrigen Motive gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern. Auch das Mordmerkmal Heimtücke habe er nur in objektiver, nicht jedoch in subjektiver Hinsicht verwirklicht. Es sei nicht auszuschließen, daß der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit der Z. Ö. nicht erfaßt und ihm das notwendige Ausnutzungsbewußtsein gefehlt habe.
II.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Weder die - bereits unzulässigen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) - Verfahrensrügen noch die Sachrügen haben Erfolg. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom Bezug.
III.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger greifen jedoch durch; das angefochtene Urteil ist aufzuheben.
1. Die Verneinung der subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe ist rechtlich zu beanstanden. Der Tatrichter ist hierbei von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen.
Der Täter muß die Mordmerkmale subjektiv in ihren tatsächlichen Voraussetzungen erfassen. Bei der Prüfung der niedrigen Beweggründe gehört dazu, daß er die Umstände kennt und mit seinem Bewußtsein erfaßt, welche die Bewertung seines Handlungsantriebes als niedrig begründen. Die als niedrig zu bewertenden Handlungsantriebe dürfen nicht lediglich unbewußte Handlungsantriebe gewesen sein, denn das Schuldprinzip setzt voraus, daß die die Tat charakterisierenden Motive und Absichten als Merkmale des subjektiven Tatbestandes nur dann berücksichtigt werden, wenn sie in das Bewußtsein des Täters getreten sind (vgl. u.a. BGH NStZ 2004, 332 m.w.N.). Die rechtliche Bewertung der Handlungsantriebe als niedrig braucht der Täter nicht vorzunehmen oder nachzuvollziehen, auf seine eigene Einschätzung kommt es nicht an; er muß nur zu einer zutreffenden Wertung in der Lage sein (vgl. BGH aaO). Soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen (wie Wut, Haß oder Zorn) als Handlungsantriebe in Betracht kommen, muß der Täter diese - über die Erkenntnis ihrer handlungsleitenden Wirkung hinaus - auch gedanklich beherrschen und mit seinem Willen steuern können (vgl. BGH aaO). Diesen Erfordernissen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Auf UA S. 77 führt der Tatrichter aus: "Auf dieser Grundlage einer spontan durchgeführten Tat ist die Verwerflichkeit der über die Tötung als solche hinausgehenden Handlungsweise des Angeklagten als nicht so offensichtlich einzuordnen, daß an die Feststellung, der Angeklagte sei sich ihrer bewußt gewesen, aus Rechtsgründen keine hohen Anforderungen zu stellen wären."
Diese Ausführungen, die auf das Bewußtsein des Angeklagten von der Verwerflichkeit seiner Handlung abstellen, lassen besorgen, daß der Tatrichter unzutreffend von dem Erfordernis ausgegangen ist, der Angeklagte müsse selbst seine Handlungsantriebe als niedrig bewerten.
Hinzu kommt, daß sich die tatrichterliche Prämisse, es habe sich um eine spontan durchgeführte Tat gehandelt, von den Feststellungen nicht ohne weiteres getragen wird. So hat das Landgericht an anderer Stelle festgehalten, daß der Angeklagte die Tötung der Z. Ö. schon vorher gegenüber Zeugen angekündigt hatte, was der psychiatrische Sachverständige als "Vorkonstituierung der Handlung" bezeichnete (UA S. 70). Demgemäß ist das Landgericht auch davon ausgegangen, daß es sich beim Vorgehen des Angeklagten "nicht um eine klassische Spontantat" in dem Sinne handelte, daß er in impulsartiger Erregung bei spontan gefaßtem und sofort ausgeführten Tatentschluß zu einer schnellen, in ihren Auswirkungen nicht klar bedachten Handlung hingerissen worden wäre (UA S. 74). Die Kammer hat vielmehr angenommen, daß der Angeklagte die Tat in seiner Phantasie derart vorgestaltet hat, daß er sie als eine zumindest in Betracht kommende Option der Konfliktlösung in seinem Bewußtsein anlegte (UA S. 74). Danach durfte der Tatrichter der Verneinung der subjektiven Voraussetzungen dieses Mordmerkmals nicht ohne weiteres eine spontane Tat des Angeklagten zugrundelegen. Im übrigen würde auch ein spontaner Tötungsentschluß niedrige Beweggründe nicht von vornherein ausschließen (vgl. Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 211 Rdn. 12).
Einer gedanklichen Beherrschung der Handlungsantriebe steht auch nicht entgegen, daß beim Angeklagten die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Zeit der Tat angenommen wurden. Denn seine Einsichtsfähigkeit war in keiner Weise eingeschränkt, so daß er in der Lage war, die die Tat charakterisierenden Motive und Absichten in sein Bewußtsein aufzunehmen.
2. Auch die Verneinung der subjektiven Elemente des Mordmerkmals der Heimtücke durch den Tatrichter begegnet rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt und ohne hinreichende Begründung ein bewußtes Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch den Angeklagten verneint.
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewußt zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, daß der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das Opfer muß gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (st. Rspr. vgl. u.a. m.w.N.).
Der Tatrichter ist davon ausgegangen, daß Z. Ö. bei Abgabe des Schusses arg- und wehrlos war. Denn sie versah sich - trotz der Drohungen des Angeklagten (vgl. auch Tröndle/Fischer aaO § 211 Rdn. 17) - keines Angriffs von Seiten des Täters, da dieser jahrelang "leere" (UA S. 24) Todesdrohungen ausgestoßen hatte. Arg- und Wehrlosigkeit sind faktische, aber keine normativen Begriffe (vgl. insoweit aber BGHSt 48, 207, 210 ff.). Anders als in dem vom 4. Strafsenat entschiedenen Fall (Urt. vom - 4 StR 319/03 = BGH NStZ-RR 2004, 234 = StraFo 2004, 249) rechnete Z. Ö. nach den Urteilsfeststellungen mit keinem tätlichen Angriff. Objektiv ist das Mordmerkmal Heimtücke daher gegeben.
b) Der Tatrichter erörtert jedoch bei der Verneinung des Ausnutzungsbewußtseins des Angeklagten rechtsfehlerhaft einen wesentlichen Umstand nicht. Für das bewußte Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfaßt, daß er sich bewußt ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. ).
Z. Ö. hatte unmittelbar vor der Schußabgabe gegenüber dem 11jährigen Tatzeugen Ö. "auf sein Flehen erklärt, daß er keine Angst zu haben brauche, es werde nichts passieren" (UA S. 24). Der Angeklagte schoß nach den Feststellungen unter anderem deshalb, weil er die Aussage der Geschädigten Z. Ö., "daß er sowieso nicht schießen werde, als Kränkung empfand" (UA S. 24). Mit dieser Feststellung ist die Annahme der Kammer, es sei mit der erforderlichen Sicherheit nicht feststellbar, daß der Angeklagte sich bewußt war, daß die Geschädigte Z. Ö. nicht mit einem Schuß rechnete (UA S. 25), nicht - jedenfalls nicht ohne nähere Begründung - zu vereinbaren. Denn der Angeklagte hatte von dem Opfer gerade vernommen und dies realisiert, daß dieses nicht mit einer Tätlichkeit rechnete, vielmehr arg- und wehrlos war. Gerade den Umstand, daß das Opfer seine Drohung nicht ernst nahm, hatte er als Kränkung empfunden. Es hätte daher näherer Darlegung durch den Tatrichter unter Berücksichtigung des aufgezeigten wichtigen Umstandes bedurft, daß der Angeklagte gleichwohl sich der Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage nicht bewußt war.
Denn wenn das Landgericht meint, Zweifel nicht überwinden zu können, obwohl die subjektiven Merkmale der Heimtücke aufgrund des äußeren Tathergangs naheliegen, müssen bei der Beweiswürdigung alle wesentlichen Tatumstände in die Betrachtung einbezogen werden, die gegen diese Zweifel sprechen können (vgl. u.a. Senatsurteil vom - 2 StR 159/01). Dies ist hier nicht geschehen.
Beim Angeklagten konnte zwar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB nicht ausgeschlossen werden, seine Einsichtsfähigkeit war aber in keiner Weise eingeschränkt. Auch eine affektive Erregung, selbst wenn sie zu einer im Sinne von § 21 StGB erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit führt, steht einem Ausnutzungsbewußtsein nicht grundsätzlich entgegen (vgl. u.a. Tröndle/Fischer aaO § 211 Rdn. 34 a m.w.N.).
c) Daß der Angeklagte den Tötungsentschluß möglicherweise auch in die Tat umgesetzt hätte, wenn er das Opfer nicht im Zustand der Ahnungs- und Schutzlosigkeit angetroffen hätte, stellt die Erfüllung des Mordmerkmals nicht in Frage (vgl. hierzu = NStZ-RR 2004, 139).
Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Der Senat hat auch die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben (§ 353 Abs. 2 StPO), da diese im subjektiven Bereich von den Rechtsfehlern berührt sind und nicht ausschließbar ist, daß hierzu auch objektive Umstände in der neuen Hauptverhandlung anders festgestellt werden. So liegt es in der konkreten Situation - trotz der von der Kammer hierfür gegebenen Begründung - nicht nahe, daß Z. Ö. nicht mit einem tätlichen Angriff durch den Angeklagten rechnete.
IV.
Der neue Tatrichter wird näher darzulegen haben, weshalb beim Angeklagten bei Begehung der Tat die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war. Da der Tatrichter zur Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB vor allem auch auf die affektiv angespannte Situation abgestellt hat, wird insbesondere zu erläutern sein, inwieweit der Annahme eines Affektes die "Vorkonstituierung der Handlung" entgegensteht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
GAAAC-11407
1Nachschlagewerk: nein