BGH Urteil v. - 2 StR 329/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StGB § 64; StGB § 21

Instanzenzug: LG Aachen vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls und Raubes sowie wegen Diebstahls in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Daneben ist lediglich der Schuldspruch im Fall II, 3 in Übereinstimmung mit den Urteilsgründen dahin zu ergänzen, daß der Angeklagte nicht des Raubes, sondern des schweren Raubes (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) schuldig ist. Im übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Insoweit kann auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom verwiesen werden.

1. Das Landgericht hat u.a. festgestellt:

Der 38jährige Angeklagte arbeitete nach seiner Schul- und Berufsausbildung als Betriebsschlosser. Seine Berufstätigkeit wurde nur durch wenige kurze Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen. Zuletzt war er bis zum im Rahmen einer "Ich-AG" selbständig. Danach bezog er Arbeitslosenhilfe.

Der Angeklagte trank bis zu seiner Festnahme maßvoll Bier. Vor zwei Jahren kam er über einen Arbeitskollegen aber auch zum Konsum von Heroin, das er bis zu seiner Verhaftung "blowte", d.h. von einer Folie rauchte. Sein Konsum steigerte sich ständig. Zuletzt benötigte er täglich 2 g Heroin (Zubereitung), für die er 40 Euro pro Gramm zahlen mußte. Nach der Inhaftierung erhielt er neun Tage lang Methadon. Im Mai 2003 war der Angeklagte einmal für eine Woche zu einer stationären Entziehungsbehandlung in einem Krankenhaus. An einer Drogentherapie hat der Angeklagte noch nicht teilgenommen.

Die der Verurteilung zugrundeliegenden drei Straftaten beging der Angeklagte am 25. Januar sowie 8. und . Am wurde er festgenommen.

Eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit hat das sachverständig beratene Landgericht für alle drei Taten rechtsfehlerfrei verneint. Bei der Tat II, 1 (schwerer räuberischer Diebstahl von neun Kästen Bier) betrug die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit - zurückgerechnet - maximal 1,25 o/oo. In den Fällen II, 2 (Diebstahl eines Kfz-Kennzeichens) und II, 3 (Überfall auf eine Bäckerei, um sich Bargeld zu verschaffen; Beute 220 Euro) ist eine relevante Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit nicht erwiesen. Allerdings fanden sich in den nach den Taten II, 1 und 3 entnommenen Blutproben geringe Opiatrückstände aus vorangegangenem Heroinkonsum. Für die Steuerungsfähigkeit relevante Entzugssymptome hat das Landgericht jedoch - entgegen der Einlassung des Angeklagten - nicht festgestellt.

Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht ferner ausgeführt, Grund für die Entgleisungen des Angeklagten sei wohl maßgeblich seine Drogensucht. Es lasse sich nicht verkennen, daß es sich bei den Taten II, 1 und 3 letztlich um Beschaffungskriminalität handele. Der Angeklagte habe sich offensichtlich finanzielle Mittel zur Finanzierung seines Drogenkonsums besorgen wollen.

2. Nach diesen Urteilsfeststellungen und ergänzenden Erwägungen drängte sich dem Tatrichter eine Prüfung der Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB auf. Dem steht nicht entgegen, daß bei dem Angeklagten die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Zeit der zwei Taten rechtsfehlerfrei verneint wurden (vgl. u.a. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; BGH NStZ-RR 2001, 12).

Die Feststellungen des Tatrichters legen nahe, daß der Angeklagte einen Hang zum übermäßigen Heroinkonsum hat. Der Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel zu sich zu nehmen (st. Rspr.; vgl. u.a. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1, 4 und 5). Ein solches Verhalten belegen die Urteilsfeststellungen. Der Angeklagte ist seit längerer Zeit heroinabhängig, er war bereits freiwillig zu einer Entzugsbehandlung im Krankenhaus. Nach seiner Inhaftierung litt er unter Entzugserscheinungen, die mit Methadon behandelt werden mußten.

Die Umstände legen auch nahe, daß der Angeklagte Heroin im Übermaß konsumiert. Es kann offen bleiben, ob bei einer Heroinabhängigkeit - unabhängig von der Konsumform - überhaupt ein kontrollierter, nicht übermäßiger Konsum des Betäubungsmittels möglich ist. Denn ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuß von Rauschmitteln ist jedenfalls, daß der Betroffene aufgrund seiner Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. - m.w.N.). Das kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, daß seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden (vgl. = StraFo 2004, 36; NStZ-RR 2003, 106 f. jew. m.w.N.), sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität, die das Landgericht hier jedenfalls in den Fällen II, 1 und 3 für gegeben erachtet. Geht man mit dem Tatrichter hiervon aus, liegt zugleich die Gefahr nahe, daß der Angeklagte infolge seines Hangs weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Offen bleibt nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts, ob und inwieweit das Scheitern des Angeklagten in der Selbständigkeit als "Ich-AG" mit dem Heroinkonsum zusammenhängt. Darüber hinaus wird der neue Tatrichter konkrete Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die der Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten maßgeblich auf seine Drogensucht zurückgehen, ob also zwischen Drogensucht und Straftaten ein symptomatischer Zusammenhang besteht. Die dahingehende, naheliegende Vermutung des Landgerichts ist bisher nicht hinreichend mit konkret festgestellten Tatsachen belegt.

Über die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muß deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5), er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 f.). Anhaltspunkte dafür, daß keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten von seinem Hang zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren (vgl. BVerfGE 91, 1 ff., 29 = NStZ 1994, 578), sind nicht ersichtlich. Der Senat kann auch ausschließen, daß der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.

Fundstelle(n):
OAAAC-09781

1Nachschlagewerk: nein