BGH Beschluss v. - 1 StR 646/15

Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe: Zäsurwirkung zweier Vorverurteilungen

Gesetze: § 55 Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Hof Az: 5 KLs 322 Js 3587/15

Gründe

I.

1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen elf Einzeltaten zu insgesamt drei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Sie wurde wegen vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit fünf selbständigen Fällen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in Tateinheit mit gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der mit Entscheidung des Amtsgerichts Plauen vom rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Weiter erfolgte eine Verurteilung der Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei selbständigen Fällen jeweils in Tateinheit mit gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben unter Einbeziehung der mit Entscheidung des Amtsgerichts Aue vom rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 20 Euro zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Schließlich wurde die Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.

2Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Ihr Rechtsmittel hat im Gesamtstrafenausspruch und – soweit eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist – Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom ausgeführt hat, unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.

31. Der Ausspruch über die Gesamtstrafen ist rechtsfehlerhaft und daher aufzuheben.

4a) Das Landgericht hat zunächst zutreffend erkannt, dass bei der Bildung der Gesamtstrafen für die vorliegend abzuurteilenden und zwischen April 2014 und März 2015 begangenen elf Einzeltaten auch die Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Plauen vom (Tatzeit: ) und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aue vom (Tatzeit: ) einzubeziehen waren, nachdem die in diesen Verfahren jeweils verhängten Geldstrafen nach den Feststellungen des Landgerichts noch nicht bezahlt waren. Ohne Rechtsfehler geht das Landgericht hier auch weiter davon aus, dass der Verurteilung durch das Amtsgericht Plauen vom eine zäsurbildende Wirkung zukommt.

5Zu Unrecht hat das Landgericht aber auch der zweiten Vorverurteilung, dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aue vom , eine zweite Zäsurwirkung beigemessen, obwohl die dieser Entscheidung zu Grunde liegende Tat am bereits vor der ersten zäsurbildenden Verurteilung begangen wurde. Eine zweite Zäsur – wie vom Landgericht angenommen – und die Möglichkeit zur Zusammenfassung zu einer weiteren Gesamtstrafe kommt aber nur für Einzelstrafen wegen Taten in Betracht, die nach der ersten und vor der zweiten Verurteilung begangen wurden (, BGHSt 35, 243, 245). Zweck des § 55 StGB ist es gerade, den Täter so zu stellen, als ob das Gericht bei der früheren Verurteilung von allen gesamtstrafenfähigen Taten gewusst und diese nach §§ 53, 54 StGB abgeurteilt hätte (vgl. , NStZ 1994, 482; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 55 Rn. 2 mwN).

6b) Richtigerweise hätte daher vom Landgericht aus den bis im vorliegenden Verfahren beendeten Taten und den hierbei verhängten sechs Einzelstrafen sowie aus den beiden Geldstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Plauen vom und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aue vom eine Gesamtstrafe gebildet werden müssen. Eine zweite Gesamtstrafe wäre dann vom Landgericht aus allen für die weiteren fünf verfahrensgegenständlichen Taten verhängten Einzelstrafen, die nach dem begangen wurden, zu bilden gewesen. Der Senat weist zudem darauf hin, dass die neu zu bildenden Gesamtstrafen wegen des Verschlechterungsverbots des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nur so hoch bemessen werden dürfen, dass sie zusammen die Summe der im angefochtenen Urteil verhängten drei Gesamtfreiheitsstrafen nicht übersteigen (, NStZ-RR 2015, 305).

72. Auch die auf das Fehlen eines Hangs, Drogen im Übermaß zu konsumieren, gestützte Ablehnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

8a) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte die Angeklagte erstmals mit 19 Jahren Crystal, anfänglich nur gelegentlich ca. 0,5 Gramm Methamphetamin im Monat. Ihr Konsum steigerte sich im Laufe der Zeit auf 1 bis 1,5 Gramm pro Monat. Zuletzt konsumierte sie dann maximal 0,2 Gramm Methamphetamin zum Stressabbau täglich. Andere Substanzen nahm die Angeklagte nicht ein.

9Das Landgericht stellt auf dieser Grundlage bei der Angeklagten im Hinblick auf ihren Methamphetaminkonsum eine "behandlungsbedürftige Suchtmittelabhängigkeit" fest und kommt auch zu dem Ergebnis, dass sie die Taten zur Finanzierung ihres eigenen Konsums begangen habe. Die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begründet das sachverständig beratene Landgericht damit, dass bei der Angeklagten zwar eine Abhängigkeitserkrankung gegeben sei, was eine Langzeittherapie sinnvoll erscheinen lasse, jedoch kein besonders schweres Suchtgeschehen vorliege. Insbesondere läge ein monovalenter Konsum vor, keine Polytoxikomanie, und ansonsten läge auch kein intravenöser Konsum von Methamphetamin vor. Auch sei das Persönlichkeitsbild der Angeklagten durch den Drogenkonsum nicht in erkennbarem Umfang verändert; die Voraussetzungen einer Depravation seien nicht gegeben.

10b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.

11Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. Rn. 7, vom – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom – 3 StR 386/13). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen dürften, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom – 3 StR 103/15).

12c) Dies zu Grunde gelegt, drängt sich das Vorliegen eines Hanges hier schon angesichts der bei der Angeklagten festgestellten behandlungsbedürftigen Abhängigkeitserkrankung und ihres Konsumverhaltens auf. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Zugrundelegung des zutreffenden Maßstabs einen Hang angenommen hätte. Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Anordnung der Maßregel an dem symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Taten, der Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten oder an der hinreichend konkreten Aussicht auf einen Behandlungserfolg (§ 64 Satz 2 StGB) scheitern müsste.

13d) Alle bisherigen Feststellungen konnten aufrechterhalten bleiben, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind.

14Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf aber unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung sowie ergänzender Feststellungen. Der neue Tatrichter wird deshalb das Vorliegen eines Hanges der Angeklagten, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, neu zu beurteilen und auch Feststellungen zu treffen haben, inwieweit ein symptomatischer Zusammenhang zwischen Drogensucht und den Betäubungsmittelstraftaten der Angeklagten und eine hinreichend konkrete Therapieaussicht besteht. Der neue Tatrichter wird dabei auch § 67 Abs. 2 StGB zu beachten und mit sachverständiger Hilfe die erforderliche Therapiedauer zu bestimmen haben.

15Dass nur die Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; und Beschluss vom – 3 StR 382/08, NStZ-RR 2009, 59). Sie hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. , BGHSt 38, 362). Der Senat kann ausschließen, dass das Tatgericht bei Anordnung der Unterbringung auf geringere Freiheitsstrafen erkannt hätte.

Raum                         Graf                           Cirener

                Radtke                         Bär

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:030216B1STR646.15.0

Fundstelle(n):
SAAAF-69401