BGH Beschluss v. - 3 StR 369/01

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 265 Abs. 1; StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; BtMG § 29 Abs. 1; BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 1; BtMG § 29 Abs. 3; BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 4; BtMG § 30 a Abs. 2 Nr. 2; StGB § 25 Abs. 2; StGB § 27; StGB § 49 Abs. 1; StGB § 49 Abs. 1 Nr. 2

Instanzenzug: LG Duisburg vom

Gründe

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsbegründung des Angeklagten führt zu einer Änderung und Neufassung des Schuldspruchs. Der Strafausspruch hat dagegen Bestand, da der Senat ausschließen kann, daß sich die Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts wird bemerkt:

1. Zu den Fällen II. 1 bis 4:

Bei § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG setzt die Tatbestandsvariante der Abgabe an Minderjährige voraus, daß diese über die Betäubungsmittel Verfügungsgewalt erlangen, die beim bloßen Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch regelmäßig nicht vorliegt (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 347), weshalb sich beide Begehungsweisen hinsichtlich der gleichen Drogen grundsätzlich gegenseitig ausschließen. Die Verurteilung wegen Abgabe in Tateinheit mit Überlassen in diesen vier Fällen hält somit rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Vielmehr liegt im Fall II. 1 nur Abgabe vor, da die zwei an N. übergebenen Tabletten nicht unmittelbar verbraucht, sondern von dieser mitgenommen und erst später gemeinsam mit C. konsumiert wurden.

Dagegen hatten die Mädchen in den Fällen II. 2 und 3 die vom Angeklagten überreichten Tabletten sofort an Ort und Stelle und damit unmittelbar verbraucht, so daß nur ein Überlassen, nicht aber eine Abgabe vorlag.

Im Fall II. 4 liegt dagegen Abgabe in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln vor, da die Tabletten von den Mädchen gegen Entgelt erworben worden sind (vgl. BGHR BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 1 Überlassen 1).

2. Zum Fall II. 6:

Die rechtliche Bewertung dieses Falles, in dem der Angeklagte mit einem bewaffneten Begleiter Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in den Niederlanden erworben und dann eingeführt hatte, um sie gewinnbringend zu verkaufen, als bewaffnete Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit "gewerbsmäßigem Handeltreiben" ist unzutreffend.

a) Eine Verurteilung wegen bewaffneter Einfuhr nach § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG schied schon deshalb aus, weil nach dem Gesetzeswortlaut von dieser Qualifikationsnorm eine Einfuhr nur erfaßt wird, wenn mit den Drogen nicht Handel getrieben werden soll ("ohne Handel zu treiben"). Im übrigen würde die Tatbestandsvariante des Handeltreibens auch die der Einfuhr verdrängen (vgl. Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 543 m. w. N.).

b) Die Strafkammer hat den Tatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auf den Angeklagten angewandt, obgleich die Gaspistole von seinem Begleiter Pistel geführt wurde und nicht festgestellt worden ist, daß der Angeklagte auf die Waffe jederzeit selbst unmittelbar Zugriff gehabt hat oder mittels einer Weisungsbefugnis ohne weiteres ihren Einsatz hätte veranlassen können. Bei dieser Sachlage stand der Annahme des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG im Zeitpunkt der Aburteilung durch die Strafkammer die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen (vgl. BGHSt 42, 368). Der Senat hat jedoch diesen Fall zum Anlaß genommen, die Sache dem Großen Senat für Strafsachen vorzulegen, weil er den Schuldspruch, umgestellt auf bewaffnetes Handeltreiben, bestätigen wollte. Mit Beschluß vom (GSSt 1/02) hat der Große Senat entschieden, daß die vom gemeinsamen Tatplan umfaßte Bewaffnung eines Mittäters den übrigen Tätern nach allgemeinen Grundsätzen (§ 25 Abs. 2 StGB) zugerechnet werden kann. Der Senat konnte daher den Schuldspruch nunmehr auf bewaffnetes Handeltreiben nach § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG abändern. § 265 Abs. 1 StPO steht nach Sachlage dieser Entscheidung nicht entgegen.

c) Dagegen konnte die tateinheitliche Aburteilung wegen "gewerbsmäßigen Handeltreibens" keinen Bestand haben. Gegenüber der schwereren Qualifikationsnorm des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG treten sowohl der Grundtatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG mit der Strafzumessungsvorschrift des § 29 Abs. 3 BtMG als auch die leichteren Qualifikationstatbestände nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG zurück (vgl. Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 1424 m. w. N.).

Damit war es aber auch nicht möglich, wegen der Annahme eines minder schweren Falles nach § 30 a Abs. 3 BtMG auf den Strafrahmen des § 29 Abs. 3 BtMG zurückzugreifen. Vielmehr wäre die Strafkammer gehalten gewesen, grundsätzlich von dem Strafrahmen des § 30 a Abs. 3 BtMG auszugehen, aber die Sperrwirkung höherer Mindeststrafen aus verdrängten Tatbeständen zu beachten, sofern nicht auch insoweit ein minder schwerer Fall gegeben gewesen wäre (vgl. ).

Bei richtigem Vorgehen hätte daher die Strafkammer prüfen müssen, ob im Hinblick auf den schwersten verdrängten Tatbestand, der Einfuhr in nicht geringer Menge nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, ein minder schwerer Fall nach § 30 Abs. 2 BtMG gegeben gewesen wäre. Da hier nach Sachlage ein minder schwerer Fall nach § 30 Abs. 2 BtMG nicht in Betracht kam, hätte der Strafrahmen somit zwei bis fünf Jahre Freiheitsstrafe betragen. Die Strafkammer ist stattdessen von dem Strafrahmen des § 29 Abs. 3 BtMG von "einem bis zehn Jahren" ausgegangen, wobei ihr der zusätzliche Rechtsfehler unterlaufen war, daß sie die Höchststrafe des § 29 Abs. 3 BtMG mit zehn statt mit 15 Jahren bestimmt hat (§ 38 Abs. 2 StGB). Da sie sich bei der Festsetzung der Einzelstrafe innerhalb des von ihr angenommenen Strafrahmens mit drei Jahren nicht an der zu hohen Obergrenze, sondern eher an der zu niedrigen Untergrenze orientiert hat, kann der Senat ausschließen, daß sie bei Anwendung des richtigen Strafrahmens zu einer niedrigeren Einzelstrafe gelangt wäre.

3. Zu den Fällen II. 7 und 15:

Bei der Fassung der Entscheidungsformel entfällt bei Anwendung des § 29 Abs. 1, Abs. 3 BtMG die Bezeichnung als "gewerbsmäßiges" Handeltreiben. Denn bei § 29 Abs. 3 BtMG handelt es sich um eine Strafzumessungsvorschrift mit Regelbeispiel, deren Anwendung in der Urteilsformel nicht zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 260 Rdn. 25).

4. Zu den Fällen II. 9 bis 11:

In diesen Fällen hat die Strafkammer den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit diesen verurteilt, einen minder schweren Fall nach § 30 Abs. 2 BtMG bejaht und einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu Grunde gelegt, der in gleicher Weise für den minder schweren Fall einer Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30 Abs. 2 BtMG wie für die Beihilfe zum Handeltreiben mit diesen in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG i. V. mit §§ 27, 49 Abs. 1 StGB gelte. Letzteres ist fehlerhaft. Der Strafrahmen des § 29 a Abs. 1 BtMG beträgt zunächst ein bis 15 Jahre Freiheitsstrafe. Im Falle der Milderung nach §§ 27, 49 Abs. 1 StGB ermäßigt sich zwar die Mindeststrafe auf ebenfalls drei Monate, die Höchststrafe beträgt jedoch nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB drei Viertel der angedrohten Höchststrafe, dies sind aber elf Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe. Hierdurch ist der Angeklagte indes nicht beschwert.

Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß die Strafrahmenmilderung nach §§ 27, 49 Abs. 1 StGB entgegen UA S. 53 nicht im Ermessen des Tatrichters liegt, sondern zwingend vorgeschrieben ist.

5. Zur Fassung der Entscheidungsformel:

Der Senat hat den Schuldspruch über die durch unzutreffende rechtliche Bewertungen veranlaßten Änderungen hinaus insgesamt neu gefaßt, zumal er auch im übrigen teilweise mit der rechtlichen Würdigung in den Urteilsgründen nicht übereinstimmt, wie dies auch von der Strafkammer bei der Abfassung bemerkt worden ist (vgl. UA S. 48).

Dieses Versehen und die mangelnde Verständlichkeit der Urteilsformel geben Anlaß zu dem Hinweis, daß die Zusammenfassung verschiedener Taten, bei denen der ihnen gemeinsame Straftatbestand (hier die Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) in Tateinheit zu jeweils verschiedenen anderen Tatbeständen steht (teilweise sogar in unterschiedlichen Kombinationen), eine zuverlässige Beurteilung, ob alle abgeurteilten Taten vollständig und zutreffend von der Entscheidungsformel erfaßt sind, kaum ermöglicht. Diese Unübersichtlichkeit, die somit auch eine Fehlerquelle darstellt, hat hier offensichtlich zur unzutreffenden Fassung der verkündeten Urteilsformel geführt. Es empfiehlt sich, eine Zusammenfassung nur bei solchen Taten vorzunehmen, die eine einheitliche rechtliche Bewertung aufweisen. Die Verständlichkeit kann zusätzlich dadurch verbessert werden, daß die Fallbezeichnungen der Urteilsgründe in Klammern hinzugefügt werden. Dies hätte sich im übrigen auch bei der rechtlichen Würdigung in den Urteilsgründen (vgl. dort UA S. 47, 48) empfohlen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
JAAAC-09077

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