Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 154; StPO § 154 a; StPO § 267 Abs. 4
Instanzenzug: LG Duisburg vom LG Lüneburg vom
Gründe
I.
Dem Senat liegen zwei Revisionsverfahren vor, in denen vorab jeweils über die Frage zu entscheiden ist, ob dem im Zusammenhang mit einer Urteilsabsprache erklärten Rechtsmittelverzicht Wirksamkeit zukommt. Der Senat hat die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
1. In der Strafsache gegen J. (3 StR 415/02) hat das Landgericht Duisburg den Angeklagten am wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat unmittelbar nach der Urteilsverkündung auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet. Mit Schriftsatz vom hat der Angeklagte Revision eingelegt und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt mit dem Vortrag, der Rechtsmittelverzicht sei Bestandteil einer verfahrensbeendenden Absprache gewesen und deshalb unwirksam.
Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nach Aufruf der Sache, Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie einer einstündigen Unterbrechung der Sitzung "sicherte die Kammer eine Freiheitsstrafe von höchstens vier Jahren neun Monaten bei Rechtsmittelverzicht zu". Daraufhin erklärten sowohl die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte und sein Verteidiger, sie stimmten einer "solchen Absprache" bzw. einer "solchen Zusage der Kammer" zu. Nach Verlesung des Anklagesatzes und Belehrung des Angeklagten über seine Aussagefreiheit erklärte dieser aussagen zu wollen. Daraufhin gab der Verteidiger für den Angeklagten eine Erklärung ab, in der "die Anklagevorwürfe als richtig zugestanden" (UA S. 4) wurden. Der Verteidiger erklärte für den Angeklagten weiterhin das Einverständnis zur "außergerichtlichen Einziehung" von sichergestellten Betäubungsmitteln und Geldbeträgen. Nach im wesentlichen übereinstimmenden Schlußanträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung und dem letzten Wort des Angeklagten verkündete die Strafkammer das Urteil und einen Haftfortdauerbeschluß. Unmittelbar danach verzichteten der Angeklagte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel.
2. In dem Verfahren gegen H. (3 StR 368/02) hat das Landgericht Lüneburg die Angeklagte am wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die am eingelegte Revision der Angeklagten.
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, ihr Rechtsmittel sei zulässig, obwohl sie unmittelbar nach Verkündung des Urteils auf Rechtsmittel verzichtet hatte. Dieser Rechtsmittelverzicht sei unwirksam. Hierzu trägt sie u. a. folgendes Geschehen vor:
Am ersten Verhandlungstag schlug die Strafkammer eine Verfahrenserledigung in der Form vor, daß sie für den Fall eines Geständnisses der Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten als Strafobergrenze in Aussicht stellte. Dabei brachte sie zum Ausdruck, daß ein "Rechtsmittelverzicht wünschenswert" sei. Die Angeklagte und der Verteidiger stimmten der vom Gericht vorgeschlagenen Verfahrenserledigung zu. Anschließend erklärte der Verteidiger, die Anklagevorwürfe seien zutreffend, und die Angeklagte bestätigte dies. Am nächsten Verhandlungstag wurde das Urteil verkündet. Im Anschluß daran erklärte der Verteidiger: "Wir verzichten auf Rechtsmittel." Auf Nachfrage des Gerichts bekundete die Angeklagte nach kurzer Unterredung mit ihrem Verteidiger: "Ich verzichte auf Rechtsmittel gegen das soeben verkündete Urteil."
II.
Der Senat hält in beiden Fällen den Rechtsmittelverzicht für unwirksam und möchte auf die Revisionen der Angeklagten die Urteile einer Rechtsprüfung unterziehen.
Ausgehend davon, daß die geltende Strafprozeßordnung - wie in der Rechtsprechung aller Senate des Bundesgerichtshofs anerkannt ist - Urteilsabsprachen nur unter engen Voraussetzungen zuläßt (dazu nachstehend 1.) und es unzulässig ist, dabei einen nach Urteilserlaß zu erklärenden Rechtsmittelverzicht zu vereinbaren (dazu nachstehend 2.), ist der Senat der Auffassung, daß ein Verstoß gegen dieses Verbot die Unwirksamkeit des gleichwohl erklärten Rechtsmittelverzichts zur Folge hat (dazu nachstehend 3.).
1. Das geschriebene deutsche Strafprozeßrecht kennt Urteilsabsprachen nicht. Es liefert dafür keine Anknüpfungspunkte (Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Einl. Abschn. G Rdn. 59). Der deutsche Strafprozeß ist grundsätzlich vergleichsfeindlich ausgestaltet (BGHSt 43, 195, 203). Das Rechtsstaatsprinzip untersagt es dem Gericht und der Staatsanwaltschaft, sich auf einen "Vergleich" im Gewande des Urteils, auf einen "Handel mit der Gerechtigkeit" einzulassen (BVerfG NStZ 1987, 419).
Ungeachtet dessen hat sich seit zwei Jahrzehnten im deutschen Strafverfahren eine Praxis entwickelt, daß sich die Beteiligten nicht nur "über den Stand und die Aussichten des Verfahrens" verständigen - wogegen allerdings keine Bedenken bestehen (vgl. BVerfG NStZ 1987, 419) - , sondern auch das Ergebnis des Verfahrens aushandeln oder auszuhandeln versuchen. Dabei hat nach den Beobachtungen und Erfahrungen des Senats, in denen er sich durch Entscheidungen anderer Strafsenate bestätigt sieht (vgl. nur BGHSt 45, 51 [5 StR 714/98]; BGHR StPO vor § 1/faires Verfahren Vereinbarung 12 [2 StR 369/00]; BGH NStZ 2000, 495 [1 StR 623/99]; BGH NStZ 2002, 219 [1 StR 147/01] mit Anm. Weider NStZ 2002, 174; BGH StV 2000, 556 [2 StR 588/99] mit Anm. Weider StV 2002, 397; BGH StV 2002, 637 [1 StR 171/02]; ; ; ), die Praxis eine Entwicklung genommen, die besorgen läßt, daß die Grundprinzipien des Strafprozeßrechts, nämlich die Erforschung der materiellen Wahrheit und die Verhängung einer schuldangemessenen Sanktion durch den gesetzlichen Richter in öffentlicher Hauptverhandlung, gefährdet sind. Diese Erkenntnis stimmt mit den überwiegend kritischen Bewertungen der Verständigung in der Literatur überein (vgl. nur Weigend in FS BGH Wissenschaft S. 1011; Schünemann in FS Baumann S. 361; Hassemer JuS 1989, 890).
Im Hinblick auf die zunehmende, dem Einfluß der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung naturgemäß weitgehend entzogene Ausweitung der Verständigungspraxis und die Untätigkeit des Gesetzgebers hat der Bundesgerichtshof die Grundregeln zusammengefaßt, bei deren Einhaltung die konsensuale Verfahrensbeendigung mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Aufgaben und Bindungen der Strafrechtspflege noch in Einklang steht. Die vom 4. Straf-senat (BGHSt 43, 195) formulierten Mindestanforderungen an die Urteilsabsprache bilden damit auch die Grenze für zulässiges konsensuales Verhalten im Strafprozeß.
Diese betreffen zum einen die Frage, worüber eine Absprache erzielt werden kann, bzw. was nicht Gegenstand einer Absprache sein darf. Danach verbleibt es bei der Verpflichtung des Gerichts zur Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl. BGHSt 43, 195, 204); der Schuldspruch steht - jenseits der Möglichkeiten nach §§ 154, 154 a StPO - nicht zur Disposition (BGH aaO S. 204, 208); es darf nur die Obergrenze der zu verhängenden Strafe zugesichert werden (BGH aaO S. 206); das Maß der schuldangemessenen Strafe darf - wenn auch dem aufgrund einer Absprache abgelegten Geständnis eine strafmildernde Wirkung zukommt - nicht unterschritten werden (BGH aaO S. 208).
Zum anderen muß auch das Verfahren, in dem die Verständigung zustande kommt, rechtsstaatlichen Anforderungen und den Grundprinzipien des Strafverfahrensrechts gerecht werden: Der Angeklagte darf nicht durch Drohung mit einer höheren Strafe oder durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils zu einem Geständnis gedrängt werden (BGH aaO S. 204); die Absprache muß unter Einbeziehung aller Verfahrensbeteiligten in öffentlicher Hauptverhandlung erfolgen; sie ist mit ihren Ergebnissen in die Niederschrift aufzunehmen (BGH aaO S. 205 f.; BGHSt 45, 227, 228).
2. Nach diesen Verfahrensregeln ist es dem Gericht auch untersagt, sich für das Inaussichtstellen einer milderen Strafe von dem Angeklagten versprechen zu lassen, dieser werde auf Rechtsmittel verzichten, oder daran mitzuwirken, daß der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu der Absprache von einem wechselseitigen Verzicht auf Rechtsmittel abhängig machen.
Daß die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts in einer Urteilsabsprache nicht zulässig ist, hat der 4. Strafsenat mehrfach ausgesprochen (BGHSt 43, 195, 204 - im nicht entscheidungserheblichen Teil der Urteilsgründe; BGHSt 45, 227). Diese Rechtsansicht wird von den anderen Strafsenaten erkennbar geteilt. Soweit sie sich mit der Wirksamkeit eines absprachegemäß erklärten Rechtsmittelverzichts beschäftigt haben, gehen die Entscheidungen ausdrücklich (BGH StV 2000, 542; BGH NStZ-RR 2002, 114 - 1. Strafsenat; BGHR StPO vor § 1/faires Verfahren Vereinbarung 12 = StV 2001, 554; BGH NStZ-RR 2001, 334 = StV 2001, 557 - 2. Strafsenat; BGHSt 47, 238 = NStZ 2002, 379 = 5. Strafsenat) oder inzident (; BGH NStZ 2002, 219 - 1. Strafsenat; ; ; - und vom - 5 StR 12/02; BGH NStZ 2002, 496 - 5. Strafsenat) von der Unzulässigkeit einer solchen Vereinbarung aus. An diesem Verbot ist festzuhalten:
a) Das folgt mittelbar bereits daraus, daß ein Rechtsmittelverzicht, der schon vor dem Erlaß einer Entscheidung erklärt wird, nach einhelliger Ansicht unzulässig ist. Das Versprechen eines zukünftigen Rechtsmittelverzichts kommt, auch wenn es den Versprechenden rechtlich nicht bindet, wegen der von ihm - aus vielfältigen Gründen - ausgehenden faktischen Bindung einem unzulässig vorab erklärten Verzicht in seinen Wirkungen so nahe, daß es sich ebenfalls als verfahrenswidrig darstellt.
b) Gegen eine Aufgabe des Verbots sprechen auch die naheliegenden Konsequenzen: Es liegt auf der Hand , daß schon das Wissen, die zu treffende Entscheidung werde nicht überprüft werden, weil ein Rechtsmittel nicht zu erwarten sei, einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Urteilsfindung hat (vgl. Volk in FS Salger, S. 411). Sorgfalt bei der Sachverhaltsermittlung und der Subsumtion lassen nahezu zwangsläufig nach. Vor diesem Hintergrund gerät die ohnehin nicht unproblematische Praxis der Urteilsabsprache weiter ins Zwielicht, wenn sich das Gericht durch das Verlangen eines Rechtsmittelverzichts in eine Situation bringt, in der es in Gefahr gerät, sich das Verfahren und die Urteilsbegründung leicht zu machen (vgl. Rieß NStZ 2000, 96, 99 [Anm. zu BGHSt 45, 227]).
c) Ein schützenswertes Interesse, das - ungeachtet dieser Bedenken - die Bewertung der Abrede eines Rechtsmittelverzichts als zulässig legitimieren könnte, ist nicht ersichtlich.
Das gilt zunächst mit Blick auf die Interessen des Angeklagten, der erreichen will, daß auch die Staatsanwaltschaft verspricht, kein Rechtsmittel einzulegen: Die zu seinen Ungunsten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft muß der Angeklagte nur fürchten, wenn durchgreifende Rechtsfehler zu seinen Gunsten geschehen sind, insbesondere wenn die in Aussicht gestellte und verhängte Strafe so milde ist, daß sie ihre Aufgabe, gerechter Schuldausgleich zu sein, nicht mehr erfüllen kann. Angesichts der weitgehenden Beschränkung, die das Verfahrensrecht dem Revisionsgericht bei der Überprüfung der tatrichterlichen Strafzumessung auferlegt, kann eine Revision - in den in Frage stehenden Fallgestaltungen - vor allem dann Erfolg haben, wenn der Tatrichter eine unvertretbar milde Strafe verhängt hat. Gerade dies darf aber nicht das Ergebnis einer Urteilsabsprache sein (BGHSt 43, 195, 208). Dementsprechend kann ein etwa daraus resultierendes Interesse des Angeklagten an der Vereinbarung des Rechtsmittelverzichts nicht als schützenswert anerkannt werden.
Soweit die Staatsanwaltschaft mit der Verzichtsabrede verhindern will, daß der Angeklagte (kurz vor Fristablauf und so spät, daß sie ihrerseits das Urteil nicht mehr anfechten kann) Rechtsmittel einlegt und auf diese Weise erreicht, daß das Urteil ausschließlich zu seinen Gunsten überprüft werden kann, sind schutzwürdige Belange letztlich ebenfalls nicht ersichtlich. Allerdings mag es für sich betrachtet ein berechtigtes und verständliches Anliegen sein, wenn die an einer Abrede beteiligte Staatsanwaltschaft eine solche einseitige Überprüfung insbesondere in Fällen ausschließen möchte, in denen der Angeklagte durch das Urteil ohnehin erheblich und unter Umständen sogar unangemessen begünstigt wurde (etwa durch eine ohnehin sehr milde Strafe oder dadurch, daß die Feststellungen zu seinen Gunsten das Maß des ihm zur Last fallenden - allerdings nur mit größerem Aufwand festzustellenden - Unrechts nicht ausschöpfen). Indes kann die Staatsanwaltschaft, was auch ihre Pflicht ist, unangemessene Begünstigungen des Angeklagten schon dadurch verhindern, daß sie sich der Mitwirkung an entsprechenden Abreden enthält. Solange die Verständigung aber den von BGHSt 43, 195 gesetzten Rahmen eingehalten hat, ist eine Aufhebung des Urteils aufgrund der Revision des Angeklagten ohnehin in aller Regel nicht zu besorgen. Wenn der Tatrichter sich nicht darauf beschränkt, daß der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tat, wie im Anklagesatz niedergelegt, einräumt oder (ggf. auch nur durch Erklärung seines Verteidigers) dem "Anklagevorwurf nicht mehr entgegentritt", sondern, worauf auch die Staatsanwaltschaft hinzuwirken hat, das Urteil nur auf ein den Tatvorwurf umfassend einräumendes, überprüfbares und - durch Nachfragen oder den wenig aufwendigen Abgleich mit anderen Beweismitteln - überprüftes Geständnis stützt, und wenn der Schuldspruch, der sowieso nicht Gegenstand der Verständigung sein darf, der Sach- und Rechtslage entspricht, wird eine Revision durchweg erfolglos bleiben, zumal die verhängte Strafe in den Fällen der Abrede ohnehin eher im unteren Bereich des Spielraums schuldangemessener Strafen festgesetzt sein wird.
Nur am Rande sei angemerkt, daß auch das Interesse an der Schonung knapper justizieller Ressourcen kein die Zulassung der Rechtsmittelverzichts-Abrede legitimierender Grund sein kann. Die Möglichkeit, das Urteil nach § 267 Abs. 4 StPO abzukürzen, hängt nicht von der Erklärung des Rechtsmittelverzichts ab; um sie zu nutzen, muß nur der Ablauf der Rechtsmittelfrist abgewartet werden. Sollte das Urteil durch das Rechtsmittel angefochten werden, so entsteht, sofern die Leitlinien des Bundesgerichtshofs zur Urteilsabsprache vom Gericht eingehalten worden sind, kein wesentlicher Mehraufwand durch die Abfassung eines "langen" Urteils. Wenn der Angeklagte ein detailliertes Geständnis abgegeben hat, wird sich in der Beweiswürdigung mit wenigen Worten darlegen lassen, daß und warum der Tatrichter von seiner Richtigkeit überzeugt ist.
3. Nach Auffassung des Senats ist ein Rechtsmittelverzicht, der im Anschluß an ein Versprechen in einer Urteilsabsprache erklärt wird, unwirksam.
Die Unwirksamkeit der Erklärung ist eine zwangsläufige Folge des vorangegangenen Verstoßes gegen das Verbot, einen Rechtsmittelverzicht zum Bestandteil der dem Urteil vorausgehenden Absprache zu machen (so schon BGHSt 45, 227, allerdings nur beim Vorliegen weiterer besonderer Umstände). Das Verbot der Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts ist - wie dargelegt - unter dem geltenden Strafverfahrensrecht eine unabweisbare Bedingung für eine rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Verständigung im Strafverfahren. Ein Verstoß dagegen darf daher nicht sanktionslos bleiben (BGHSt aaO). Die einzig denkbare Sanktion ist aber die Annahme der Unwirksamkeit des abredegemäß erklärten Verzichts.
Nur die Bewertung der Verzichtserklärung als unwirksam kann sicherstellen, daß die Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen durch die Rechtsmittelgerichte, die - über ihre Bedeutung für den Einzelfall hinaus - allein dadurch, daß sie generell möglich ist, die Einhaltung der Verfahrensregeln gewährleistet, auch in Strafverfahren, in denen das Urteil aufgrund einer Verständigung ergeht, in dem notwendigen Maß erhalten bleibt. Nur solange diese Kontrolle nicht gänzlich ausgeschlossen wird, kann der Gefahr von Auswüchsen entgegengewirkt werden, die der Akzeptanz der Justiz und speziell dem Vertrauen der Allgemeinheit in die den Prinzipien von Gleichheit vor dem Gesetz und Gerechtigkeit in besonderer Weise verpflichtete Strafrechtspflege abträglich wären. Es ist zwar richtig, daß die Beteiligten die Rechtsmittelkontrolle dadurch ausschließen können, daß sie kein Rechtsmittel einlegen oder - unbedenklich, soweit keine Absprache vorausgegangen ist - auf Rechtsmittel verzichten. Vereinbaren sie aber schon in einer Verständigung zum Verfahrensausgang, daß das Urteil der Kontrolle entzogen bleiben soll, so darf das Recht nicht auch noch dadurch der Umsetzung dieser Vereinbarung zum Erfolg verhelfen, daß es die Verzichtserklärung als wirksam akzeptiert.
Hinzu kommt, daß das Gericht, das sich einen Rechtsmittelverzicht versprechen läßt, damit in unzulässiger Weise auf die freie Willensentscheidung des Angeklagten über die Annahme oder Anfechtung des Urteils einwirkt und sich auch im Einzelfall - zumal wenn das Urteil später angefochten wird - kaum einmal verläßlich feststellen lassen wird, daß die Erklärung des Rechtsmittelverzichts nach dem Urteil unbeeinflußt von diesem Versprechen abgegeben wurde. Vielmehr besteht generell die Gefahr, daß auf eine (regelmäßig unmittelbar nach der Urteilsverkündung abgegebene) Verzichtserklärung die Erwartungshaltung des Gerichts und die Beratung durch den Verteidiger - zumal dem Pflichtverteidiger, der in Zukunft auch in anderen Strafverfahren mit dem Gericht Urteilsabsprachen treffen will - den entscheidenden Einfluß haben. Eine Rechtsmittelverzichtserklärung ist aber - nach Auffassung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs - unwirksam, wenn der Erklärende dabei in seinem Willen beeinträchtigt war. Dabei ist ohne Belang, ob die Willensbeeinträchtigung in der Person des Erklärenden angelegt ist oder ihre Ursache in dem Einfluß Dritter auf den Erklärenden findet. Dementsprechend hat der Senat etwa bereits entschieden, daß der Rechtsmittelverzicht des Angeklagten unwirksam ist, wenn ihm eine vom Vorsitzenden unzuständigerweise abgegebene und alsbald nach der Urteilsverkündung nicht eingehaltene Zusage zugrundeliegt (BGHR StPO § 302 I 1 Rechtsmittelverzicht 14).
III.
Unter den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs wird die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts, der erklärt wird, nachdem er unzulässigerweise Gegenstand einer Urteilsabsprache war, nicht einheitlich beurteilt. Jedenfalls der 1. und der 2. Strafsenat haben sich ausdrücklich für die Wirksamkeit eines solchen Verzichts ausgesprochen:
Bereits vor der Entscheidung BGHSt 43, 195 hat der 2. Strafsenat entschieden, die Unzulässigkeit einer Absprache über das Verfahrensergebnis berühre nicht die Wirksamkeit eines absprachegemäß erklärten Rechtsmittelverzichts (NStZ 1997, 611 unter Hinweis auf die Entscheidungen BGH wistra 1992, 309, 310; ). An dieser Auffassung hat er auch festgehalten (; Beschl. vom - 2 StR 223/01 = NStZ-RR 2001, 334; Beschl. vom - 2 StR 247/01; abschwächend: Beschl. vom - 2 StR 196/02), nachdem der 4. Strafsenat alsbald Bedenken dagegen angemeldet (BGH StV 1999, 411) und - entscheidungstragend allerdings letztlich unter Berufung auf Sachverhaltsbesonderheiten - einen Rechtsmittelverzicht für unwirksam angesehen und dem Angeklagten Wiedereinsetzung nach Versäumung der Frist zur Rechtsmitteleinlegung gewährt hatte (BGHSt 45, 227). Der 5. Strafsenat hat bei Hinzutreten besonderer Umstände ebenfalls die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts angenommen (BGHSt 45, 51), ist aber ansonsten wie der 2. Strafsenat davon ausgegangen, daß ein Rechtsmittelverzicht nicht schon deshalb unwirksam ist, weil er Gegenstand einer Absprache war (Beschl. vom - 5 StR 386/01; vgl. andererseits den Beschl. vom - 5 StR 617/01 = BGHSt 47, 238, in dem die Entscheidung des 4. Strafsenats BGHSt 45, 227 zustimmend zitiert wird). Der 1. Strafsenat hat sich dem 2. Strafsenat angeschlossen und den unzulässig versprochenen Rechtsmittelverzicht nur dann für unwirksam gehalten, wenn der Verfahrensmangel zu einer unzulässigen Willensbeeinträchtigung bei der Abgabe der Verzichtserklärung geführt hat ( = NStZ 2000, 386). Als Beispiel für eine unzulässige Willensbeeinflussung hat der 1. Strafsenat die Verzichtserklärung "aufgrund einer unzulässiger Weise vor Erlaß des Urteils im Rahmen einer verfahrensbeendenden Absprache getroffenen Vereinbarung" bezeichnet ( = NStZ-RR 2002, 114). Der erkennende Senat hat sich bislang hierzu nicht ausdrücklich geäußert. Er hat aber die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts jedenfalls dann in Betracht gezogen, wenn er "Bestandteil einer die Willensbildung des Angeklagten unzulässig beeinflussenden Absprache gewesen wäre" ().
Diese differierenden Auffassungen dürften ihren wesentlichen Grund in der unterschiedlichen Beurteilung der Wirkungen haben, die das im Rahmen einer Absprache abgegebene Verzichtsversprechen auf den Angeklagten hat, wenn dieser - zumeist unmittelbar nach der Urteilsverkündung - seinen Rechtsmittelverzicht erklärt. Der 1. und der 2. Strafsenat, möglicherweise auch der 5. Strafsenat, messen dem bloßen Rechtsmittelverzichtsversprechen keine die Willensfreiheit beeinflussende Wirkung zu. Sie halten das Versprechen zwar für generell geeignet, den Willen des Erklärenden zu beeinflussen, fordern aber im Einzelfall den Nachweis, daß es zu einer unzulässigen Willensbeeinträchtigung gekommen ist. Nach Auffassung des anfragenden Senats und des 4. Strafsenats ist angesichts der dem Revisionsgericht inzwischen zugänglichen Erfahrungen mit der Absprachepraxis in jedem Fall von einer solchen Willensbeeinträchtigung des Angeklagten auszugehen, so daß es eines Einzelnachweises nicht bedarf.
IV.
Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob sie an ihrer der beabsichtigten Entscheidung entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten.
1. Er beschränkt die Anfrage insoweit auf die Wirksamkeit der Rechtsmittelverzichtserklärung des Angeklagten, weil allein diese in den zugrundeliegenden Verfahren auf ihre Wirksamkeit zu prüfen sind und deshalb nur diese Rechtsfrage entscheidungserheblich ist. Ob dieselben Grundsätze auch für die Rechtsmittelverzichtserklärung der Staatsanwaltschaft oder des Nebenklägers zu gelten haben, muß nicht entschieden werden.
2. Im Hinblick auf die dem Revisionsverfahren gegen H. (I. 2.) zugrundeliegende Sachverhaltsgestaltung besteht zugleich Anlaß zu einer Erweiterung der Fragestellung.
Nach Auffassung des Senats ist es nicht nur unzulässig, das Versprechen eines Rechtsmittelverzichts zum Bestandteil einer Absprache über das Urteil zu machen. In einem Strafverfahren, das durch eine Urteilsabsprache beendet werden soll, ist es dem Gericht darüber hinaus auch nicht erlaubt, auf einen Rechtsmittelverzicht des Angeklagten hinzuwirken, dies auch nicht in der Weise, daß es zum Ausdruck bringt, es erwarte einen Rechtsmittelverzicht oder erachte ihn für wünschenswert. Auch den Rechtsmittelverzicht, der nicht ausdrücklich vereinbart wurde, aber einer vorab zum Ausdruck gebrachten Erwartung des Gerichts entspricht, hält der Senat für unwirksam.
a) Was die Frage der Zulässigkeit einer solchen Einflußnahme anbelangt, besteht - mit Blick auf die Beeinträchtigung der Willens- und Entschließungsfreiheit des Angeklagten sowie ihres Ausmaßes - kein grundsätzlicher Unterschied, ob das Gericht das Versprechen eines Rechtsmittelverzichts ausdrücklich zum unzulässigen Gegenstand einer Urteilsabsprache macht (so im Fall des Angeklagten J. ) oder ob es im Zusammenhang mit einer Urteilsabsprache in anderer Weise auf die Abgabe eines Rechtsmittelverzichts hinwirkt. Auch wenn das Gericht (wie im Fall der Angeklagten H. ) nur zum Ausdruck bringt, es halte einen Rechtsmittelverzicht für wünschenswert, ist zu befürchten, daß beim Angeklagten und namentlich bei dem an das Verhandlungsklima und das wechselseitige Vertrauen in zukünftigen Strafverfahren vor demselben Gericht denkenden Verteidiger der Eindruck entstehen kann, das Gericht mache das Versprechen des Rechtsmittelverzichts - wenn auch nicht ausdrücklich - zum Inhalt der Urteilsabsprache und verbinde die Zusage der in Aussicht gestellten Strafobergrenze mit der Erwartung der Verzichtserklärung nach der Urteilsverkündung (vgl. BGH NStZ 2002, 219; Weider, Verteidigung in Betäubungsmittel-Strafverfahren, in: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 1133, 1198). Würde nur die ausdrückliche Abrede eines Rechtsmittelverzichts als unzulässig angesehen, bestünde zudem die naheliegende Gefahr des Ausweichens auf andere, nur in der Form unverbindlich scheinende Erklärungen. Die allem Anschein nach weit verbreitete Praxis, im Rahmen einer Verständigung - unzulässigerweise - auch den wechselseitigen Rechtsmittelverzicht zu verabreden, diese Abrede aber anders als den sonstigen Inhalt der Verständigung nicht offen zu legen und insbesondere nicht in das Protokoll aufzunehmen, ist hinreichender Beleg für diese Befürchtung.
Solange der Amtsermittlungsgrundsatz, die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit und das Gebot gerechten Strafens ausnahmslos Geltung beanspruchen, muß danach jegliche Erörterung eines Rechtsmittelverzichts im Zusammenhang mit Urteilsabsprachen unterbleiben. Ein anerkennenswertes Bedürfnis für einen Rechtsmittelverzicht bei einer Urteilsabsprache ist ohnehin nicht ersichtlich.
b) Die Erwägungen, die zur Unwirksamkeit des vereinbarten Rechtsmittelverzichts führen (oben III.), sprechen dafür, auch dem Rechtsmittelverzicht, auf den das Gericht lediglich hingewirkt hat, die Wirksamkeit zu versagen.
c) Zu der Rechtsfrage, ob auch derjenige Rechtsmittelverzicht unwirksam ist, auf den das Gericht, ohne ihn sich im Rahmen der Absprache unzulässigerweise versprechen zu lassen, lediglich hingewirkt hat, liegt bislang eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht vor. Der 4. Strafsenat hat nur den aufgrund ausdrücklicher Vereinbarung erklärten Rechtsmittelverzicht für unwirksam erachtet (BGHSt 45, 227; vgl. auch BGH StV 1999, 411). Der 5. Strafsenat hat den Fall, in dem der Verteidiger den Rechtsmittelverzicht nur "vage in Aussicht gestellt" hatte, ausdrücklich nicht als "Versprechen" im Sinne von BGHSt 43, 195 angesehen ( = NStZ 2002, 496).
In dieser Situation erscheint es dem Senat zweckmäßig, die anderen Strafsenate auch um eine Stellungnahme zu dieser Frage zu bitten. Zum einen liegt nahe, daß für diejenigen, die einen abredegemäß erklärten Rechtsmittelverzicht für wirksam erachten, auch die Wirksamkeit eines Verzichts nicht in Zweifel steht, der entsprechend einer zum Ausdruck gebrachten Erwartung des Gerichts erklärt wird. Zum anderen erscheint es aber auch nicht von vornherein ausgeschlossen, beide Fallgestaltungen unterschiedlich zu beurteilen und entgegen der Auffassung des Senats nur dem aufgrund einer Verständigung mit wechselseitigem Verzichtsversprechen erklärten Rechtsmittelverzicht die Wirksamkeit abzusprechen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAC-09071
1Nachschlagewerk: nein