BGH Urteil v. - 4 StR 139/05

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 154 Abs. 2; StPO § 344 Abs. 2 Satz 2; StGB § 55 Abs. 1 Satz 1; StGB § 263 Abs. 3 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 16 Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet, durch das Verfahren sei das Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzt.

I.

Nach den Feststellungen schaltete der Angeklagte, der einen Gebrauchtwagenhandel betreibt, ab Anfang 1999 Kleinanzeigen, in denen er Kaufinteressenten für den Fall einer Finanzierung des Kaufpreises die Zahlung von bis zu 1.000 DM in bar anbot und eine Finanzierung ohne Anzahlung auch bei "schlechtem Schufa-Eintrag" zusagte. In den 16 Fällen, die Gegenstand der Verurteilung sind, verschaffte der Angeklagte den jeweils als Käufer auftretenden Personen die im Fall 1 der Anklageschrift von der S. -Bank GmbH und in den übrigen Fällen von der V. Bank GmbH gewährten Darlehen auf folgende Weise:

Die Kreditunterlagen, insbesondere den Darlehensantrag und die beigefügte Selbstauskunft, ließ der Angeklagte von dem jeweiligen Käufer unterschreiben. In den Fällen, in denen die Kaufinteressenten einen negativen Schufa-Eintrag hatten, ließ der Angeklagte die Kreditunterlagen von "Strohleuten" unterschreiben, die keinen Schufa-Eintrag hatten. Der Angeklagte füllte die Formulare im Übrigen selbst aus und setzte in den Darlehensantrag und die beigefügte Selbstauskunft falsche Angaben ein, um der finanzierenden Bank vorzuspiegeln, dass der Antragsteller über ein ausreichendes und sicheres monatliches Einkommen verfüge und kreditwürdig sei. Hierzu stellte er in den Fällen 3, 4, 7 und 19 der Anklageschrift falsche Einkommensbescheinigungen her, die den Kreditunterlagen beigefügt wurden. Um eine Überprüfung der Kreditunterlagen durch die Banken zu verhindern, reichte der Angeklagte die Kreditunterlagen nicht selbst bei den Banken ein, sondern ließ diese Unterlagen durch als Vermittler auftretende Vertragshändler, deren Geschäftsführer ihm persönlich verbunden waren, an die Banken weiterleiten. Hierbei ging er davon aus, dass die Banken diesen auf Grund der langjährigen Geschäftsbeziehungen "blind vertrauten und die Angaben in den Kreditverträgen und in den Gehaltsbescheinigungen nicht überprüften, sondern lediglich eine Schufa-Auskunft über den jeweiligen Kreditantragsteller einholten". Die Banken kündigten die notleidend gewordenen Darlehensverträge und, nachdem sie Kenntnis von der Vorgehensweise des Angeklagten erlangt hatten, auch die übrigen Darlehen. Die Verwertung der finanzierten Fahrzeuge reichte in keinem der Fälle zur Tilgung der Darlehensschuld aus.

II.

Das Rechtsmittel des Angeklagten führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet.

1. Der Senat hat in der Hauptverhandlung auf Antrag des Generalbundesanwalts das Verfahren durch Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen 9 und 10 der Anklageschrift wegen vollendeten Betruges verurteilt worden ist. Dies führt zur entsprechenden Änderung des Schuldspruchs und zum Wegfall der wegen dieser Straftaten verhängten Einzelstrafen von jeweils sechs Monaten.

2. Die Revision erweist sich im Übrigen als unbegründet; insbesondere hält auch der Strafausspruch entgegen der vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertretenen Auffassung rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Das Landgericht hat die Einzelstrafen ohne Rechtsfehler dem Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB entnommen, denn nach den Feststellungen handelte der Angeklagte in allen Fällen gewerbsmäßig. Es hat, soweit der Angeklagte in den Fällen 3, 4, 7 und 19 der Anklageschrift tateinheitlich den Straftatbestand der Urkundenfälschung verwirklicht hat, jeweils eine Freiheitsstrafe von neun Monaten und in den übrigen Fällen des Betruges jeweils die Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt. Dabei hat es strafmildernd insbesondere berücksichtigt, dass der Angeklagte "wegen der langen Dauer des Verfahrens einer erheblichen Belastung ausgesetzt war". Soweit die Revision meint, das Landgericht habe dazu nähere Feststellungen treffen müssen, weil die Verfahrensgeschichte "ernsthaften Anlass auch zu der Frage" gebe, "ob die Art und Weise der Führung und Förderung des Verfahrens" einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK begründen könne, gilt Folgendes:

aa) Ein Revisionsführer, der das Vorliegen eine Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzenden Verfahrensverzögerung geltend machen will, muss grundsätzlich eine Verfahrensrüge erheben. Nur wenn sich nach den Urteilsgründen eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung aufdrängt, kann es einen auf die Sachrüge zu berücksichtigenden Erörterungsmangel darstellen, wenn sich das Urteil zu den näheren Umständen der Verfahrensverzögerung nicht verhält (vgl. BGHSt 49, 342 m.w.N.). Drängt sich - wie hier - nach den Urteilsgründen eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht auf, hat der Beschwerdeführer gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensverstoß belegen, in der Revisionsbegründung darzulegen, um dem Revisionsgericht eine entsprechende Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH NStZ 2004, 504). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. So heißt es dort etwa, ausweislich der Akten hätten die Ermittlungen zwischen dem und dem geruht. Hierzu wäre vorzutragen gewesen, dass die inzwischen angelegten Fallakten mit Verfügung vom der zuständigen Kreispolizeibehörde zur Durchführung weiterer Ermittlungen übersandt worden waren und dass diese mit Schreiben vom über den Sachstand berichtete und um Fristverlängerung bat. Ferner wäre vorzutragen gewesen, dass in der Folgezeit bis zum ausweislich der Fallakten zahlreiche polizeiliche Vernehmungen durchgeführt wurden (vgl. nur die Zusammenstellung vom SA II 363 ff.). Insbesondere hätte sich die Revision auch dazu verhalten müssen, dass der Angeklagte mehrfach seinen Verteidiger wechselte und diesen jeweils Akteneinsicht gewährt wurde.

bb) Die Rüge ist im Übrigen auch nicht begründet.

Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK hat auch ein nicht inhaftierter Angeklagter das Recht auf eine Behandlung seiner Sache innerhalb angemessener Frist; diese beginnt, wenn der Beschuldigte von den Ermittlungen gegen ihn in Kenntnis gesetzt wird und endet mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, muss nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden. Dabei ist auf die gesamte Dauer von Beginn bis zum Ende der Frist abzustellen und es sind Schwere und Art des Tatvorwurfs, Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens, Art und Weise der Ermittlungen neben dem eigenen Verhalten des Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des Verfahrens verbundenen Belastungen für den Beschuldigten zu berücksichtigen (vgl. BVerfG NJW 2003, 2225; BGH wistra 2004, 298 m.w.N.). Eine gewisse Untätigkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts führt daher nicht ohne weiteres zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, sofern die angemessene Frist insgesamt nicht überschritten wird (vgl. BGH NStZ 2003, 384 m.w.N.). So liegt es hier.

Das der Verurteilung im vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Ermittlungsverfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft am eingeleitet (SA I Bl. 1, 2), nachdem die V. Bank GmbH umfangreiche Unterlagen zu 16 Darlehensverträgen, die von den Darlehensnehmern zur Finanzierung des Kaufs eines Kraftfahrzeugs bei dem Angeklagten abgeschlossen worden waren, übersandt hatte. In einem weiteren Verfahren gegen den Angeklagten war bereits mit Anklageschrift vom wegen im November und Dezember 1999 begangener, den hier abgeurteilten Taten vergleichbarer Betrugstaten zum Nachteil der S. -Bank GmbH Anklage zum Amtsgericht Unna erhoben worden. Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil wurde nach Rücknahme der Berufung des Angeklagten, der einen Freispruch erstrebt hatte, und der Berufung der Staatsanwaltschaft am rechtskräftig.

Von den Ermittlungen wegen der im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Taten wurde der Angeklagte durch die am verfügte Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung am in Kenntnis gesetzt. Am teilte er der Polizei telefonisch mit, sich nur über einen Rechtsanwalt äußern zu wollen. Seinem damaligen Verteidiger wurde im Juni 2001 Akteneinsicht und auf seinen Antrag (stillschweigend) Fristverlängerung für eine Stellungnahme bis zum gewährt, wozu sich die Revision im Übrigen ebenfalls nicht verhält. Im April 2002 teilte der damalige Verteidiger des Angeklagten mit, dass der Angeklagte nicht zu der für den vorgesehenen polizeilichen Vernehmung kommen werde, sondern sich über seinen Verteidiger äußern werde, und beantragte erneut Akteneinsicht. Im Mai 2003 bestellte sich ein neuer Verteidiger für den Angeklagten und nahm Einsicht in die Akten. Die am erhobene Anklage wurde dem Angeklagten am zugestellt. Sein Verteidiger legte das Mandat mit Schriftsatz von demselben Tage nieder (SA II Bl. 643). Der dem Angeklagten für die erstinstanzliche Hauptverhandlung beigeordnete Pflichtverteidiger bat mit Schriftsatz vom um Übersendung der Akten zur Einsichtnahme und die Gewährung einer Einarbeitungszeit von zwei Monaten (SA III Bl. 645).

In dem vorgenannten Zeitraum wurden umfangreiche Ermittlungen durchgeführt, die sich zunächst auch gegen die Darlehensnehmer, die eigentlichen Nutzer der Kraftfahrzeuge sowie gegen die Geschäftsführer der Vertragshändler richteten, die für den Angeklagten die Darlehensanträge an die finanzierenden Banken weitergeleitet hatten. So wurde die V. Bank GmbH im Oktober 2001 um Übersendung weiterer Unterlagen zu den Darlehensverträgen gebeten (SA I Bl. 182), die von dieser erst Anfang Januar 2002 übersandt werden konnten (vgl. SA I Bl. 186, II Bl. 188 ff.) und auf Anforderung der Staatsanwaltschaft um weitere Unterlagen ergänzt wurden (SA II 335, 336). Die nachfolgenden von der Polizei aus den insgesamt 27 Fallakten geführten Ermittlungen waren insbesondere deshalb besonders aufwändig, weil in den zahlreichen Fällen, in denen die Darlehensnehmer lediglich als Strohmänner aufgetreten waren, der Aufenthaltsort der eigentlichen Fahrzeugnutzer nicht bekannt war und diese zum Teil ihre Identität verschleiert hatten (vgl. Vermerke vom , SA II Bl. 355 ff. und vom II Bl. 367 f.). Zeugen, die zur polizeilichen Vernehmung nicht erschienen waren, wurden von der Staatsanwaltschaft zur Vernehmung geladen (Verfügung vom , SA II Bl. 426 f.). Gegen Zeugen, die dieser Ladung nicht Folge leisteten, wurde im Januar 2003 Vorführungsbefehl erlassen (SA II Bl. 426, 450). Auch die weitere Sachbehandlung lässt eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht erkennen. So wurde den Verteidigern der Geschäftsführer der an dem Abschluss der Darlehensverträge beteiligten Vertragshändler Akteneinsicht gewährt (SA III Bl. 498, 507). Sie gaben im Februar/März 2003 für ihre Mandanten ausführliche Stellungnahmen zu den Umständen der Weiterleitung der Darlehensanträge ab (SA III Bl. 499 ff., 518 ff.). Ferner wurden Ablichtungen aus den beigezogenen Zivilakten des von der V. Bank GmbH gegen einen der Vertragshändler geführten Rechtsstreits zu den Akten genommen (SA II Bl. 539) und die V. Bank GmbH um weitere Informationen zur Abwicklung der Verträge gebeten, die diese mit Schreiben vom übermittelte (SA III Bl. 563 ff.).

Allerdings wurde die Sache nach dem Eintreffen der mehrfach angeforderten Akten des Zivilrechtsstreits der V. Bank GmbH gegen einen der Vertragshändler am - ersichtlich wegen eines Wechsels des zuständigen Dezernenten - erst durch die Beiziehung weiterer Akten und der Aufforderung zur ergänzenden Stellungnahme an die anwaltlichen Vertreter der V. Bank GmbH mit Verfügung vom wieder gefördert (SA III Bl. 544 ff.). Dieser Zeitraum ist aber auch unter Berücksichtigung der nach Anklageerhebung durch die Zustellung der Anklage an eine zunächst unzutreffende Anschrift des Angeklagten eingetretenen geringfügigen Verzögerung nicht geeignet, im Hinblick auf die Gesamtdauer des Verfahrens die Annahme einer im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK relevanten Verfahrensverzögerung zu begründen (vgl. dazu BGH NStZ 2003, 384 m.N.). Die Gesamtwürdigung aller dargelegten Gesichtspunkte ergibt vielmehr, dass die angemessene Verfahrensdauer angesichts des Umfangs und der Schwierigkeit des Verfahrens insgesamt nicht überschritten ist.

Die dem Angeklagten, der sich erst in der Hauptverhandlung - soweit es die abgeurteilten Taten betrifft geständig - eingelassen hat, in diesem Verfahren zur Last gelegten Taten, sind von beträchtlichem Gewicht, wobei auch die hiermit in Zusammenhang stehenden bereits rechtskräftig abgeurteilten Betrugstaten nicht außer Betracht bleiben können. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage waren dem Angeklagten 24 Taten zur Last gelegt worden. Hinsichtlich acht Taten wurde das Verfahren in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Demgegenüber wiegen die mit dem Verfahren verbundenen Belastungen für den Angeklagten, nicht so schwer. Insbesondere befand sich der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens in Untersuchungshaft und konnte nach den Feststellungen zusammen mit seiner Ehefrau weiterhin seinen Gebrauchtwagenhandel betreiben (UA 4).

b) Entgegen der vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertretenen Auffassung war das Landgericht nicht gehalten, einen Härteausgleich dafür zu gewähren, dass die vom Amtsgericht Unna gegen den Angeklagten durch Urteil vom verhängten Einzelfreiheitsstrafen nicht gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB in die nunmehr verhängte Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen werden konnten, weil diese Strafen bereits erlassen waren. Ein solcher Härteausgleich ist nur dann erforderlich, wenn die Einbeziehung einer früher verhängten Strafe an deren zwischenzeitlicher Vollstreckung scheitert, jedoch nicht, wenn sie zur Bewährung ausgesetzt und später erlassen worden ist (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 291).

c) Die aus den vorgenannten Gründen rechtsfehlerfrei gebildete Gesamtfreiheitsstrafe kann trotz des Wegfalls der in den Fällen 9 und 10 der Anklageschrift verhängten Einzelfreiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten bestehen bleiben, denn angesichts der verbleibenden Einzelstrafen (viermal neun Monate und zehnmal sechs Monate) und des bei der Gesamtstrafenbildung vorgenommenen überaus straffen Zusammenzuges schließt der Senat aus, dass das Landgericht ohne die in den eingestellten Fällen verhängten beiden Einzelstrafen zu einer noch niedrigeren Gesamtfreiheitsstrafe gelangt wäre (vgl. i.Ü. § 354 Abs. 1 b StPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 1073 Nr. 15
YAAAC-07747

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