BGH Urteil v. - XII ZR 112/03

Leitsatz

[1] Eine zunächst zulässige Berufung wird unzulässig, wenn der Berufungskläger nach Wegfall der Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil (hier: durch Abschluss eines Vergleichs) mit der Berufung nur noch eine Erweiterung der Klage in zweiter Instanz verfolgt. Auf die Zulässigkeit der Klageerweiterung als solcher kommt es dann nicht mehr an.

Gesetze: ZPO § 519 b Abs. 1 a.F.

Instanzenzug: OLG Rostock 3 U 227/98 vom LG Neubrandenburg 7 O 45/98 vom

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten rückständige Miete aus einem Mietvertrag vom .

Mit Urteil vom hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, von den bis Juni 1998 in Höhe von 123.934,69 DM geltend gemachten Mietrückständen 72.144,71 DM an die Klägerin zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin die Klage wiederholt um weitere zwischenzeitlich rückständig gewordene Mieten erweitert.

Mit "Teilvergleich" vom haben die Parteien sich über sämtliche bis zum angefallenen Zahlungsverpflichtungen der Beklagten aus dem Mietvertrag und über die Verteilung der Kosten erster Instanz und des Teilvergleichs geeinigt.

Über die in zweiter Instanz mit Klageerweiterung vom rechtshängig gemachten weiteren Mietrückstände in Höhe von 54.692,85 € (106.969,92 DM) für die Zeit von November 2000 bis Mai 2001 haben sie keine Einigung erzielt. Die Beklagte hat dieser Klageerweiterung mit Schriftsatz vom zugestimmt. Einer weiteren Klageerweiterung vom auf Zahlung von Mietrückständen von Juni 2001 bis März 2003 (352.263,44 €) hat sie widersprochen.

Das Berufungsgericht hat die Beklagte auf die Klageerweiterung vom zur Zahlung von 52.426,19 € verurteilt und die weitere Klage (2.266,67 €) abgewiesen. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin (Klageerweiterung vom ) als unzulässig verworfen.

Das Berufungsgericht hat die Revision der Beklagten zugelassen, weil es in der Frage der Zulässigkeit der mit der Klageerweiterung vom verfolgten Berufung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen ist.

Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht hält die Berufung der Klägerin für zulässig, soweit diese mit ihr die in zweiter Instanz mit Schriftsatz vom erweiterte Klage verfolgt.

Zwar sei die Beschwer der Klägerin im Laufe des Berufungsverfahrens durch den Teilvergleich vom , der sämtliche erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche einschließlich der Kosten erster Instanz umfasse, entfallen. Das Klageziel habe sich somit bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht mehr gegen die im angefochtenen Urteil liegende Beschwer gerichtet. Dadurch werde nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ( - NJW-RR 2002, 1435) die Berufung grundsätzlich unzulässig. Das sei hier hinsichtlich der Klageerweiterung vom jedoch nicht der Fall, weil die Beklagte der Klageerweiterung zugestimmt habe und diese somit vor Abschluss des Teilvergleichs zulässig gewesen sei. In diesem Fall spreche die Prozessökonomie für das Fortbestehen der Zulässigkeit der Berufung auch nach Wegfall der Beschwer infolge des Teilvergleichs. Mit diesem hätten die Parteien zwar den erstinstanzlichen Streitstoff erledigen wollen. Indessen habe zwischen ihnen und dem Senat Einigkeit darüber bestanden, dass dieser über den verbleibenden Streitstoff entscheiden solle. Hiervon ausgehend hätten die Parteien darauf vertrauen dürfen, dass der Senat eine Sachentscheidung treffe, soweit die Beklagte der Klageerweiterung zustimme. Die erweiterte Klage vom sei im Wesentlichen auch begründet.

Demgegenüber sei die Klageerweiterung vom nicht zulässig, weil sie sich nicht mehr gegen die im angefochtenen Urteil liegende Beschwer richte und zum Zeitpunkt ihrer Anhängigkeit der Rechtsstreit hinsichtlich des erstinstanzlich entschiedenen Teils bereits durch Vergleich vom erledigt gewesen sei. Durch die Klageerweiterung vom habe die Klägerin nicht mehr die aus dem erstinstanzlichen Urteil folgende Beschwer beseitigen wollen, sondern einen neuen Streitgegenstand, nämlich die Mietzinszahlungen für den Zeitraum ab Juni 2001 bis März 2003 zum Gegenstand des Berufungsverfahrens machen wollen. Für die Zulässigkeit der Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil komme es auf das Klageziel bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht an. Es müsse sich auch in diesem Zeitpunkt noch gegen die im angefochtenen Urteil liegende Beschwer richten. Eben diese Beschwer sei jedoch durch den Vergleich entfallen. Ob die erweiterte Klage bei Zustimmung der Beklagten zulässig gewesen wäre, bedürfe keiner Entscheidung, da die Beklagte nicht zugestimmt habe.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass eine Berufung nur zulässig ist, wenn ihr Ziel noch bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht - zumindest auch - die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer ist ( - aaO m.w.N.).

2. Zu Unrecht hält das Berufungsgericht jedoch die Berufung, soweit mit ihr die Klageerweiterung vom verfolgt wird, für zulässig.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die in der Literatur weitgehend Zustimmung gefunden hat, setzt eine zulässige Klageerweiterung in der Berufungsinstanz eine zulässige Berufung voraus. Eine solche liegt nur dann vor, wenn der Berufungskläger noch bei Schluss der mündlichen Verhandlung die aus dem erstinstanzlichen Urteil folgende Beschwer beseitigen will. Eine Berufung des Klägers ist danach unzulässig, wenn sie den in erster Instanz erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, sondern lediglich im Wege der Klageerweiterung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt. Die bloße Erweiterung oder Änderung der Klage in zweiter Instanz (§§ 523, 263 ZPO a.F.) kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein (BGHZ 155, 21, 26; - aaO; vom - II ZR 214/01 - NJW-RR 2002, 1073, 1074; vom - VIII ZR 321/99 - NJW 2001, 226; vom - IX ZR 250/98 - NJW 1999, 2118, 2119 m.w.N.; MünchKomm/Rimmelspacher ZPO Aktualisierungsband 2. Aufl. vor § 511 Rdn. 25; Musielak/Ball ZPO 4. Aufl. vor § 511 Rdn. 26; Zöller/Gummer ZPO 25. Aufl. vor § 511 Rdn. 10 a; Baumbach/Lauterbach/Albers ZPO 62. Aufl. Grundz § 511 Rdn. 13; a.A. Stein/Jonas/Grunsky ZPO 21. Aufl. Einl. V vor § 511 Rdn. 73).

b) Danach ist hier die Zulässigkeit der Berufung mit Abschluss des Teilvergleichs entfallen. Ab diesem Zeitpunkt verfolgte die Klägerin mit der Berufung nicht mehr die Beseitigung der Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil. Vielmehr waren bei Schluss der mündlichen Verhandlung ausschließlicher Gegenstand des Berufungsverfahrens die erstmals in zweiter Instanz durch Klageerweiterungen vom und eingeführten, zuvor nicht geltend gemachten, Mietrückstände.

3. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen.

a) Soweit das Berufungsgericht meint, die Zulässigkeit der Klageerweiterung vor Wegfall der Beschwer spreche aus prozessökonomischen Gründen für das Fortbestehen der Zulässigkeit der Berufung auch nach Wegfall der Beschwer, trifft schon der Ausgangspunkt, die Klageerweiterung sei vor Abschluss des Teilvergleichs am zulässig gewesen, nicht zu. Die Beklagte hat erst mit Schriftsatz vom ihre Zustimmung zu der - vom Berufungsgericht im Übrigen nicht als sachdienlich angesehenen - Klageerweiterung erteilt. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufung bereits unzulässig, so dass die Zustimmung ins Leere ging. Die Beklagte hat sich auch nicht zuvor rügelos auf die Klageänderung eingelassen. Denn der Antrag der Klägerin aus dem Schriftsatz vom wurde erstmals im Verhandlungstermin vom gestellt.

b) Darauf kommt es aber letztlich nicht an. Auch wenn die Klageerweiterung vor Wegfall der Beschwer durch den Vergleich zulässig gewesen wäre, wäre die Berufung mit dem Wegfall der Beschwer unzulässig geworden. Denn für die Zulässigkeit der Berufung kommt es auf das Klageziel bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht an. Gründe der Prozessökonomie, die dafür sprechen könnten, ein ausschließlich auf Klageerweiterung gerichtetes Rechtsmittel im Interesse einer baldigen Erledigung des Rechtsstreits zuzulassen, haben kein solches Gewicht, dass sie es rechtfertigen könnten, das grundlegende Erfordernis aller Rechtsmittel aufzugeben, wonach der Angriff des Rechtsmittelführers auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer gerichtet sein und die Richtigkeit dieses Urteils in Frage gestellt werden muss ( - NJW-RR 1996, 1276; vom - IX ZR 250/98 - NJW 1999, 2118, 2119 aaO).

4. Da die Berufung mit dem Teilvergleich vom vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung unzulässig geworden ist, kann das Verfahren auch nicht mit den neuen Anträgen fortgeführt werden ( - aaO). Das Berufungsgericht hätte deshalb über die Klageerweiterung vom nicht mehr befinden dürfen, sondern die Berufung als unzulässig verwerfen müssen. Das Berufungsurteil ist deshalb insoweit aufzuheben und die Berufung auch hinsichtlich der Klageerweiterung vom als unzulässig zu verwerfen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 98 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO, § 21 GKG.

Fundstelle(n):
BB 2006 S. 350 Nr. 7
NJW-RR 2006 S. 442 Nr. 7
TAAAC-06340

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja