BGH Beschluss v. - XI ZB 5/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 319; ZPO § 320; ZPO § 321; ZPO § 516 a.F.; ZPO § 517; ZPO § 520; ZPO § 520 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 520 Abs. 2 Satz 3; ZPO § 522 Abs. 1; ZPO § 574 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I.

Der Beklagte hat gegen das der Klage stattgebende und ihm am zugestellte Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Mit einem am , einem Montag, beim Oberlandesgericht eingegangenen Schreiben vom selben Tage bat die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten für die Einreichung der Berufungsbegründungsschrift um Fristverlängerung von sechs Wochen bis zum . Zur Begründung wurde vorgetragen, daß sich die Sachbearbeitung aufgrund einer Viruserkrankung der Prozeßbevollmächtigten verzögert habe. Außerdem sei vom Landgericht Termin zur mündlichen Verhandlung über einen Tatbestandsberichtigungsantrag des Beklagten auf den bestimmt worden. Erst wenn eine Entscheidung über diesen Antrag vorliege, liege auch ein Urteil der ersten Instanz vor, das als Grundlage für die Berufungsbegründung verwendet werden könne. Durch eine der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten am übermittelte Verfügung der Vorsitzenden des Berufungssenats wurde gebeten, den Tag der Urteilszustellung mitzuteilen. Ferner wurde auf § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO hingewiesen.

Mit Beschluß vom hat das Landgericht dem Antrag des Beklagten auf Berichtigung des Tatbestandes zum Teil stattgegeben. Durch eine seiner Prozeßbevollmächtigten am zugestellte Verfügung wurde dem Beklagten Gelegenheit gegeben, zur beabsichtigten Verwerfung der Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO Stellung zu nehmen. Am begründete der Beklagte die Berufung und stellte zugleich einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Begründung dieses Antrags trug er vor, nach dem Schriftsatz seiner bisherigen Prozeßbevollmächtigten vom sei diese offenbar davon ausgegangen, daß erst das Vorliegen eines im Tatbestand berichtigten Urteils die Frist für die Berufungsbegründung in Gang setzen werde. Damit sei sie einem offenbaren Berechnungsfehler unterlegen, auf den sie durch die Verfügung des Gerichts vom nicht ausdrücklich, sondern durch den Hinweis auf § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO lediglich abstrakt hingewiesen worden sei.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Die Berufungsbegründungsfrist sei durch ein Verschulden der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten versäumt worden, das dieser sich zurechnen lassen müsse. Dem Schriftsatz vom sei nicht zu entnehmen, daß die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten davon ausgegangen sei, die Frist für die Berufungsbegründung beginne erst nach Abschluß des Tatbestandsberichtigungsverfahrens. Darüber hinaus hätte es sich für einen bei einem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt auch nicht um einen unverschuldeten Berechnungsfehler gehandelt. Die Verfügung vom habe einen konkreten Hinweis darauf dargestellt, daß eine Fristverlängerung zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners lediglich um bis zu einem Monat gewährt werden könne. Da die Berufungsbegründung erst am und damit selbst dann nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei, wenn diese antragsgemäß verlängert worden wäre, sei die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4 und § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß gewahrt sein müssen (BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22; Senatsbeschluß vom - XI ZB 39/03, WM 2004, 1407, 1408, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen), sind nicht erfüllt.

1. Die Rechtssache hat entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

a) Eine solche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann, oder wenn andere Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit deren Interesse in besonderem Maße berühren und ein Tätigwerden des Bundesgerichtshofs erforderlich machen (Senat, BGHZ 152, 182, 191 f.; BGHZ 153, 254, 256; 154, 288, 291; jeweils zu dem gleichlautenden § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Um dies ordnungsgemäß darzutun, ist es grundsätzlich erforderlich, die durch die angefochtene Entscheidung aufgeworfene Rechtsfrage konkret zu benennen sowie ihre Klärungsbedürftigkeit und Bedeutung für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen im einzelnen aufzuzeigen bzw. die Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit und das sich daraus ergebende Bedürfnis für ein korrigierendes Eingreifen des Bundesgerichtshofs darzustellen (Senat, BGHZ 152, 182, 191 f. zu § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO). In bezug auf die aufgeworfene Rechtsfrage sind grundsätzlich insbesondere auch Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite diese umstritten ist (Senat, Beschluß vom - XI ZB 39/03, WM 2004, 1407, 1408 m.w.Nachw., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

b) Gemessen hieran ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt. Die Rechtsbeschwerde hält es für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob im Hinblick darauf, daß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO nunmehr bestimmt, daß die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist mit "Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils" beginnt, für den Fall der Durchführung eines Verfahrens auf Berichtigung des Tatbestandes nach § 320 ZPO die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist erst mit Zustellung des Beschlusses über den Tatbestandsberichtigungsantrag zu laufen beginnt. Auch den Fristbeginn für die Berufungseinlegung knüpft § 517 ZPO an die "Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils". Für die mit § 517 ZPO wortidentische Vorschrift des § 516 ZPO a.F. ist bereits geklärt, daß diese Regelung es dem Zustellungsempfänger ermöglichen soll, auf gesicherter Grundlage innerhalb der gesetzlichen Frist darüber zu entscheiden, ob er das Rechtsmittel der Berufung einlegt oder einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 320 ZPO oder auf Urteilsergänzung nach § 321 ZPO stellt (BGHZ 138, 166, 168). Geklärt ist ferner, daß bei der Beurteilung der Frage, ob die Unvollständigkeit der Urteilsausfertigung wesentlich und infolgedessen die Zustellung unwirksam ist, auf eine typisierende Betrachtungsweise abzustellen ist und daß als typischerweise wesentlicher Mangel das Fehlen ganzer Seiten anzusehen ist (BGHZ 138, 166, 169).

Der Bundesgerichtshof hat auch bereits entschieden, daß die Berichtigung eines Urteils gemäß § 319 ZPO auf den Beginn und den Lauf von Rechtsmittelfristen grundsätzlich keinen Einfluß hat, daß etwas anderes ausnahmsweise aber dann gilt, wenn das Urteil als Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln der Parteien und für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nicht geeignet ist (Beschluß vom - V ZR 125/03, WM 2004, 2223, 2224 m.w.Nachw.). Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Partei durch die Berichtigung erstmals oder höher beschwert wird, erst durch die Berichtigung den richtigen Rechtsmittelgegner erfährt oder davon Kenntnis erlangt, daß das Rechtsmittel ausdrücklich zugelassen ist; geklärt ist auch, daß entsprechendes auch für die Tatbestandsberichtigung gilt und daß diese Grundsätze nicht nur auf die Revisionseinlegungs-, sondern auch für die Revisionsbegründungsfrist Anwendung finden (BGH, aaO). Daß und aus welchen Gründen bei Durchführung eines Tatbestandsberichtigungsverfahrens für den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist etwas anderes gelten soll, legt die Rechtsbeschwerde nicht dar. Sie macht insbesondere nicht geltend, daß hier einer der Fälle vorliege, in denen das angefochtene Urteil ausnahmsweise als Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln der Parteien nicht geeignet ist.

2. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich. Allerdings erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Eingreifen des Bundesgerichtshofs, wenn die angefochtene Entscheidung Verfahrensgrundrechte einer Partei verletzt und darauf beruht (BGHZ 154, 288, 296 zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; Senatsbeschluß vom - XI ZB 39/03, WM 2004, 1407, 1408 m.w.Nachw., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Das ist etwa der Fall, wenn ein Gericht einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von überspannten Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozeßbevollmächtigten versagt, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Partei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen mußte (BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG NJW-RR 2002, 1004, 1005; BGHZ 151, 221, 227 f.; BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 76/02, NJW-RR 2003, 1366, 1367 und vom - XI ZB 33/03, Umdruck S. 4 f.).

Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht aber nicht verstoßen. Das gilt insbesondere auch insoweit, als es zu dem Ergebnis gelangt ist, dem Schriftsatz vom sei nicht zu entnehmen, daß die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten davon ausgegangen sei, die Frist für die Berufungsbegründung beginne erst nach Abschluß des Tatbestandsberichtigungsverfahrens. Zum einen spricht bereits der Umstand, daß sich die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten mit dem Schriftsatz vom am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist mit einem Antrag auf Verlängerung dieser Frist an das Berufungsgericht gewandt hat, gegen eine solche Annahme. Wenn sie einem solchen Irrtum unterlegen wäre, hätte sie am einen Anlaß für einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht gehabt. Im übrigen spricht aber auch der Inhalt des Schriftsatzes vom gegen einen solchen Irrtum der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten. Diese ging erkennbar nicht davon aus, daß die Berufungsbegründungsfrist mangels einer Entscheidung im Tatbestandsberichtigungsverfahren noch nicht zu laufen begonnen hatte, sondern führte letzteres vielmehr als Begründung dafür an, daß eine Fristverlängerung um sechs Wochen notwendig sei.

Soweit die Rechtsbeschwerde ferner geltend macht, wegen des Umfangs des Tatbestandsberichtigungsverfahrens sei es innerhalb der Fristen des § 520 ZPO nicht möglich gewesen, eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung zu erstellen, kann der Beklagte damit bereits deshalb nicht gehört werden, weil er dies in seinem Wiedereinsetzungsantrag nicht vorgetragen hat. Die Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung versagenden Beschluß des Berufungsgerichts kann grundsätzlich nicht auf Tatsachen gestützt werden, die nicht schon im Verfahren der Wiedereinsetzung vorgetragen worden sind (BGHZ 156, 165, 167 f.; , NJW 2004, 3490, 3491). Der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten war allein auf einen angeblichen Fristberechnungsirrtum seiner Prozeßbevollmächtigten und einen fehlenden aufklärenden Hinweis des Gerichts gestützt.

Fundstelle(n):
OAAAC-05361

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein