BGH Beschluss v. - X ZB 29/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 233; ZPO § 520 Abs. 2 Satz 1 n.F.; ZPO § 574 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin hat Rechtsbeschwerde dagegen erhoben, daß das Berufungsgericht ihre Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen hat.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten restlichen Werklohn für Klärschlammentsorgung. Das klageabweisende Urteil des Landgerichts wurde dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt. Dieser legte für die Klägerin am , einem Montag, vorläufig nur zur Fristwahrung Berufung ein. Nachdem ihm die Klägerin mitgeteilt hatte, daß die Berufung durchgeführt werden solle, übertrug er am , einen Tag nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, das Mandat auf den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, der am selben Tage eine Verlängerung der Berufungsfrist um einen Monat, zugleich aber vorsorglich für den Fall, daß die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt sein sollte, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte.

Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags hat die Klägerin im Berufungsverfahren vorgetragen, daß die Büromitarbeiterin ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten die Berufungsbegründungsfrist versehentlich vom Tage der Berufungseinlegung an berechnet habe, wie dies nach altem Recht erforderlich gewesen sei, obwohl sie über die Neuregelung der Berufungsbegründungsfrist gründlich unterrichtet worden sei und die ihr übertragene Aufgabe der Fristenberechnung und -eintragung sonst immer sorgfältig und richtig erledigt habe. Die Mitarbeiterin führe einen Notfristenkalender, in welchen Vorfristen und Hauptfristen eingetragen würden. Im vorliegenden Fall sei für die Berufungsbegründung die Vorfrist zum und die Hauptfrist zum eingetragen worden.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen, weil die Klägerin nicht ausreichend glaubhaft gemacht habe, daß ihren erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kein Verschulden treffe. Ein Rechtsanwalt müsse, wenn ihm die Sache zur Vorfrist vorgelegt werde, die Hauptfrist nachberechnen. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, daß dies im vorliegenden Fall geschehen sei. Sie habe hierzu gar nichts dargelegt.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin. Zur Begründung trägt sie vor, daß die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordere, weil das Berufungsgericht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen und zudem die Verfahrensgrundrechte der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes sowie ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Das Oberlandesgericht habe nicht festgestellt, daß die Akten dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zu einem Zeitpunkt vorgelegt worden seien, zu welchem er den Fehler noch rechtzeitig hätte bemerken können. Damit sei zugunsten der Klägerin davon auszugehen, daß ihm die Sache erst am und damit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt worden sei. Von einem früheren Zeitpunkt hätte das Berufungsgericht nur ausgehen dürfen, wenn es der Klägerin einen entsprechenden Hinweis erteilt hätte. Dann hätte sie aber vorgetragen, daß die Sache ihrem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten nicht vor dem vorgelegt worden sei. Im übrigen wäre dieser auch im Falle einer Vorlage zur Vorfrist nicht verpflichtet gewesen, die notierte Hauptfrist nachzuberechnen, sondern hätte er die Sache zur Wiedervorlage am letzten Tag der Frist zurückgeben dürfen.

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Auch die Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß ist nur unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO zulässig (vgl. nur BGHZ 151, 42, 43 und 221, 223; 155, 21, 22; , BGHR ZPO § 233 - Verschulden 34). Diese sind hier nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft keine entscheidungserheblichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf und ist auch nicht geeignet, der Fortbildung des Rechts zu dienen oder eine einheitliche Rechtsprechung zu sichern.

1. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen, welche sämtlich die Pflicht des Prozeßbevollmächtigten betreffen, die Notierung der Berufungsbegründungsfrist zu überprüfen, wenn ihm seine Handakten zwecks Fertigung der Berufungsbegründung vorgelegt werden, sind nicht entscheidungserheblich.

Denn die vom Berufungsgericht ausgesprochene Ablehnung der Wiedereinsetzung ist jedenfalls im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig. Der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hätte seine eigene Berechnung des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist schon vornehmen müssen, als ihm die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt wurden. Der Ablauf der Berufungsfrist, die nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F. mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils beginnt, steht im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits fest. Mit der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestehenden anwaltlichen Verpflichtung, alle zumutbaren Vorkehrungen gegen Fristversäumnisse zu treffen, wäre es deshalb nicht zu vereinbaren, wollte sich der Anwalt bei der - im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift - gebotenen Prüfung der Fristennotierung auf die Berufungsfrist beschränken und die - ebenfalls bereits feststehende - Berufungsbegründungsfrist aussparen (, FamRZ 2004, 1183; Beschl. v. - III ZB 58/04).

Der Frage, ob aufgrund der neuen Fristenregelung der Prozeßbevollmächtigte schon dann, wenn ihm seine Handakten zur Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, die ordnungsmäßige Notierung der Berufungsbegründungsfrist überprüfen muß, kam von Anfang an keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung zu; sie ist vielmehr anhand der zur anwaltlichen Fristenkontrolle entwickelten Grundsätze zu beantworten (vgl. dazu ).

2. Selbst dann, wenn die Klägerin auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen worden wäre und daraufhin vorgetragen hätte, daß - was kaum vorstellbar ist - ihrem Prozeßbevollmächtigten die Akten nicht zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt worden seien, wäre die Rechtsbeschwerde nicht zulässig. Denn dann träfe die Begründung des angefochtenen Beschlusses zu, daß der Prozeßbevollmächtigte den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bei Vorlage der Akten zur Vorfrist zwecks Fertigung der Berufungsbegründung hätte nachprüfen müssen. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ergibt auch diese Begründung keine Zulässigkeitsgründe nach § 574 Abs. 2 ZPO.

a) Die angefochtene Entscheidung steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang.

aa) Das Berufungsgericht ist nicht von dem Grundsatz abgewichen, daß nicht jede Sorgfaltspflichtverletzung des Prozeßbevollmächtigten, sondern nur ein Verschulden, das für die Fristversäumung auch ursächlich war, der Wiedereinsetzung entgegensteht. Die Ansicht der Rechtsbeschwerde, weil das Oberlandesgericht keine frühere Vorlage der Akten an den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten festgestellt habe, müsse zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, daß sie ihm erst am vorgelegt worden seien, also nach Fristablauf, beruht auf einer Verkennung der Darlegungslast im Wiedereinsetzungsverfahren. Nach § 233 ZPO muß die Partei vortragen, daß sie ohne ihr Verschulden - wobei ihr ein Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten zugerechnet wird (§ 85 Abs. 2 ZPO) - verhindert war, die Frist einzuhalten. Bleibt die Möglichkeit offen, daß den Prozeßbevollmächtigten ein Verschulden trifft, kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (st. Rspr.; vgl. nur , NJW 1992, 574; Beschl. v. - V ZB 28/03, NJW 2004, 367). Da die Klägerin im Berufungsverfahren nicht vorgetragen hat, daß die Mitarbeiterin des Prozeßbevollmächtigten auch noch ihre Pflicht, die Akten zur notierten Vorfrist vorzulegen, mißachtet habe, ist die Möglichkeit, daß die Vorlage zur Vorfrist stattgefunden hat und der Prozeßbevollmächtigte die von ihm geschuldete Nachberechnung der Hauptfrist versäumt hat, nicht ausgeräumt. Das Berufungsgericht ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin nicht hinreichend entschuldigt ist.

bb) Soweit die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde erstmals vorgetragen hat, daß die Akten ihrem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten durch ein weiteres Versehen der Mitarbeiterin nicht zur Vorfrist, sondern erstmals am vorgelegt worden seien, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Dieser neue Vortrag kann nicht berücksichtigt werden. Die Rechtsbeschwerde kann grundsätzlich nicht auf Tatsachen gestützt werden, die nicht schon im Verfahren der Wiedereinsetzung vorgetragen worden sind; denn im Verfahren der Rechtskontrolle können grundsätzlich keine neuen Tatsachen festgestellt werden (BGHZ 156, 165, 167 ff.; , NJW 2004, 367; Beschl. v. - XII ZB 27/03, NJW 2004, 3400).

Auch die von der Rechtsbeschwerde erhobene Aufklärungsrüge (§ 139 Abs. 1 ZPO) ist nicht begründet. Das Berufungsgericht mußte die anwaltlich vertretene Klägerin nicht auf die ungenügende Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hinweisen. Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß bei Rechtsmittelbegründungen außer dem Datum des Fristablaufs noch eine Vorfrist notiert werden muß (vgl. nur , FamRZ 2004, 100) und daß der Rechtsanwalt, dem eine Akte aufgrund einer Vorfrist zur Bearbeitung vorgelegt wird, zur eigenverantwortlichen Prüfung der richtigen Ermittlung und Eintragung des Fristendes verpflichtet ist (vgl. nur , VersR 2002, 1391), ist bekannt und muß einem Anwalt auch ohne richterlichen Hinweis geläufig sein. Wenn sein Vortrag dem nicht Rechnung trägt, erlaubt dies im vorliegenden Fall, in dem die Vorfrist nach dem eigenen Vortrag der Klägerin notiert worden war, den Schluß darauf, daß die Akten auch zur Vorfrist vorgelegt wurden und somit der Anwalt es schuldhaft versäumte, die eingetragene Berufungsbegründungsfrist zu kontrollieren (vgl. aaO).

Im Übrigen hat die Klägerin ihren neuen Vortrag nicht glaubhaft gemacht. Die von ihr im Rechtsbeschwerdeverfahren nachgereichte zweite anwaltliche Erklärung ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten vom und die zweite eidesstattliche Versicherung seiner Mitarbeiterin vom selben Tage enthalten jeweils keine klare Aussage des Inhalts, daß die Mitarbeiterin die Vorlage der Handakte zur Vorfrist versäumt habe. Sowohl sie selbst als auch der Prozeßbevollmächtigte schließen dies nur aus dem Umstand, daß der Prozeßbevollmächtigte in der Folgezeit die Berufungsbegründungsfrist versäumte. Er selbst hat erklärt, daß er, wäre ihm die Handakte zur Vorfrist vorgelegt worden, dann auch wie üblich die notierten Fristen überprüft und den Fehler entdeckt hätte. Seine Mitarbeiterin hat bekundet, sie sei sicher, daß ihr Chef, wenn sie ihm die Akte zur Vorfrist vorgelegt hätte, sofort ihren Fehler bei der Berechnung des Fristablaufs bemerkt hätte. Diese Rückschlüsse, welche die Möglichkeit, daß nicht die Mitarbeiterin die Vorlage zur Vorfrist, sondern der Rechtsanwalt die Kontrolle der Fristenberechnung vergaß, ganz ausblenden, haben keine hinreichende Überzeugungskraft. Eine Aussage, daß dem Prozeßbevollmächtigten die Akte erst am vorgelegt worden sei, fehlt gänzlich.

b) Ebensowenig ist das Berufungsgericht mit seiner Ansicht, der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hätte bei Vorlage der Handakte zur Vorfrist die Berufungsbegründungsfrist nachberechnen müssen, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen. Es ist im Gegenteil der Standpunkt der Rechtsbeschwerde, der Anwalt hätte die Akte ungeprüft zur Wiedervorlage am letzten Tag der Frist zurückgeben dürfen, weil noch gar nicht festgestanden habe, ob das Rechtsmittel überhaupt begründet werden sollte, der mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Einklang steht. Diese besagt nämlich, daß der Rechtsanwalt, dem eine Akte aufgrund einer Vorfrist zur Bearbeitung vorgelegt wird, die eigentliche Fristenkontrolle zwar auf den Tag nach der Vorlage verschieben, sie jedoch nicht zurückstellen darf, bis er, unter Umständen erst am letzten Tag der eingetragenen Frist, die eigentliche Bearbeitung der Sache vornimmt (, VersR 2002, 1391). Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist es dabei unerheblich, ob der Anwalt im Zeitpunkt der Vorlage schon weiß, daß er die Berufungsbegründung fertigen muß, oder ob sein Mandant ihm noch keinen Auftrag dazu erteilt hat. Denn auch im letzteren Fall muß er die Sache fristwahrend bearbeiten, nämlich rechtzeitig die Entscheidung seines Mandanten erwirken, ob die Berufung durchgeführt werden soll oder nicht.

Insoweit besteht auch keine rechtliche Divergenz zu dem von der Rechtsbeschwerde herangezogenen , NJW 1999, 2680), in dem es heißt - anders als im , daß der Prozeßbevollmächtigte, dem die Akte auf Vorfrist vorgelegt worden war, die eigenverantwortliche Prüfung des Fristendes nicht sofort hätte vorzunehmen brauchen, sondern die Sache für den letzten Tag wieder auf Frist hätte legen können. Diese Aussage hatte für die dortige Entscheidung, die auf einem anderweitigen Verschulden des Prozeßbevollmächtigten beruht, keine tragende Bedeutung. Eine rechtliche Divergenz, die den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eröffnet, ist aber nur dann gegeben, wenn der angefochtenen Entscheidung ein Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz eines höherrangigen oder gleichgeordneten Gerichts abweicht (, NJW 2003, 437 m.w.N.).

c) Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht etwa deshalb zulässig, weil das Berufungsgericht gegen Verfahrensgrundrechte der Klägerin verstoßen hätte (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Altern. 2 ZPO). Dazu gehören die Grundrechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, die Rechtsschutzgarantie und das rechtliche Gehör zu gewährleisten. Deswegen dürfen gerade bei der Auslegung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen an die Sorgfalt eines Rechtsanwalts und die Kausalität einer Pflichtverletzung nicht überspannt werden. Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht aber nicht verstoßen, da es nur die gefestigten Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs befolgt hat, die ihrerseits keine Überspannung der Anforderungen an die Sorgfalt eines Rechtsanwalts erkennen lassen (vgl. , NJW 2004, 3490).

Fundstelle(n):
NAAAC-04787

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein