BGH Beschluss v. - VIII ZB 107/02

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 238 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2; ZPO § 233 ff.; ZPO § 85 Abs. 2; EGZPO § 26 Nr. 8

Instanzenzug: LG Magdeburg vom

Gründe

I.

Durch Urteil vom hat das Amtsgericht die auf Zahlung von 1.076,60 DM nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage des Beklagten zur Zahlung von 779,57 € (= 1.524,70 DM) nebst Zinsen verurteilt. Das Urteil ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am zugestellt worden. Mit einem an das Amtsgericht gerichteten Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom hat der Kläger Berufung eingelegt. Der Schriftsatz ist per Telefax am gleichen Tag beim Amtsgericht eingegangen und von dort an das Landgericht weitergeleitet worden, wo er am eingetroffen ist.

Auf den Hinweis des Landgerichts, daß die Berufung nicht innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist beim zuständigen Landgericht eingegangen sei, hat der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten innerhalb von zwei Wochen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.

Zur Begründung hat er vorgetragen: Die Versäumung der Frist beruhe auf einem Versehen einer seit 1971 in der Kanzlei seines Prozeßbevollmächtigten beschäftigten und sonst sehr zuverlässigen Büroangestellten. Diese habe die Berufungsschrift falsch an das Amtsgericht adressiert. Der Prozeßbevollmächtigte habe dies bei der Unterzeichnung bemerkt und die Angestellte angewiesen, die Adresse zu berichtigen und die Berufungsschrift an das Landgericht zu senden. Aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund habe die Angestellte die Anweisung jedoch nicht ausgeführt. Diesen Vortrag hat der Kläger durch eine eidesstattliche Versicherung der Büroangestellten glaubhaft gemacht.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufsfrist gehindert gewesen. Sein Prozeßbevollmächtigter, dessen Verschulden er sich zurechnen lassen müsse, habe versäumt, die Berufungsschrift nach der von ihm angeordneten Korrektur erneut auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu kontrollieren. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 238 Abs. 2 Satz 1 und § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist weiter nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Auch im übrigen ist die Rechtsbeschwerde zulässig (§ 575 ZPO), nachdem der Senat dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt hat. Auf die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO kommt es nicht an (vgl. Senatsbeschluß vom - VIII ZB 23/02, WM 2003, 554 unter II 1 b).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist dem Kläger auf seinen rechtzeitig gestellten Antrag gemäß §§ 233 ff. ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu bewilligen. Damit ist die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig durch das Landgericht gegenstandslos.

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht ein dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten darin gesehen, daß sich dieser die Berufungsschrift nach der von ihm angeordneten Berichtigung der falschen Adressierung an das Amtsgericht nicht noch einmal zur Kontrolle hat vorlegen lassen. Zwar trägt der Prozeßbevollmächtigte die Verantwortung dafür, daß die Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Insofern muß er sich - wie hier auch geschehen - bei der Unterzeichnung davon überzeugen, daß sie zutreffend adressiert ist. Der Anwalt darf aber andererseits grundsätzlich darauf vertrauen, daß eine Büroangestellte, die sich - wie hier - bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Ihn trifft unter diesen Umständen nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Es kann ihm auch nicht als Verschulden zugerechnet werden, daß er den Schriftsatz vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet (, BGH-Rep. 2003, 511 m.w.Nachw.).

Aus den vom Berufungsgericht angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ergibt sich nichts anderes. Vielmehr hat der Senat in dem Beschluß vom (VIII ZB 76/81, VersR 1982, 471 = NJW 1982, 2670 unter 2 b ee) ebenso wie in dem dort zitierten Beschluß vom (VIII ZB 59 und 60/81, VersR 1982, 190 = NJW 1982, 2670 unter 2 b) ausgesprochen, daß die Anforderungen an die Sorgfalt des Prozeßbevollmächtigten überspannt würden, wollte man verlangen, daß er bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestünden, die Vornahme der angeordneten einfachen Korrektur der falschen Adressierung kontrolliere. In dem Beschluß vom (XII ZB 39/92, VersR 1993, 79) hat der Bundesgerichtshof offengelassen, ob der Rechtsanwalt wegen der von ihm angeordneten erheblichen Änderungen zu einer Kontrolle verpflichtet war. Er hat lediglich angenommen, daß ein Rechtsanwalt dann schuldhaft handelt, wenn er den ihm zum zweiten Mal vorgelegten und erneut fehlerhaften Berufungsschriftsatz unterzeichnet, ohne ihn zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Soweit der Bundesgerichtshof schließlich in einem - vom Berufungsgericht nicht erwähnten - Fall entschieden hat, der Anwalt dürfe auch bei einer zuverlässigen Kanzleikraft nicht darauf vertrauen, daß die von ihm mündlich angeordneten Korrekturen in der bereits unterschriebenen Rechtsmittelschrift vollständig und richtig ausgeführt werden, lag dem die Besonderheit zugrunde, daß der Schriftsatz mehrere für die Zulässigkeit relevante Fehler enthielt. Anders als hier war dort nicht nur die vollständige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts zu korrigieren, sondern auch Datum und Aktenzeichen des angefochtenen Urteils. In diesem Sonderfall hat der Bundesgerichtshof unter ausdrücklicher Abgrenzung zu den vorgenannten Senatsbeschlüssen vom und (aaO) wegen der Häufung der Fehler eine Überprüfung durch den Anwalt für erforderlich erachtet, ob die nur mündlich erteilten Weisungen vor Abgang nicht nur ordnungsgemäß, sondern auch vollständig ausgeführt worden waren (Beschluß vom - XI ZB 10/94, NJW 1995, 263 = VersR 1995, 558 unter II).

Fundstelle(n):
NAAAC-03695

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein