BGH Beschluss v. - III ZB 82/02

Leitsatz

[1] Zur Erteilung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der Prozeßbevollmächtigte einen falsch adressierten Fristverlängerungsantrag unterzeichnet, einem zuverlässigen Angestellten jedoch die - nicht befolgte - Weisung erteilt, entsprechend der handschriftlich bereits angebrachten Korrektur eine neue Reinschrift der Seite herzustellen und den Schriftsatz sodann zum Gegenlesen erneut vorzulegen.

Gesetze: ZPO § 233 Ff

Instanzenzug: AG Saarlouis vom

Gründe

I.

Gegen das seinem Prozeßbevollmächtigten am zugestellte Urteil des Amtsgerichts hat der Beklagte am Berufung eingelegt. Ein an das Amtsgericht adressierter und dort am eingegangener Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um zwei Wochen ging beim Berufungsgericht am ein. Nach Hinweis vom auf die Verfristung dieses Antrags beantragte der Beklagte am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete am gleichen Tag seine Berufung.

Das Berufungsgericht hat die Erteilung von Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Zwar hat der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Auf seinen rechtzeitigen Antrag ist ihm jedoch gemäß §§ 233, 234 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Damit wird der die Berufung als unzulässig verwerfende Beschluß des Berufungsgerichts gegenstandslos.

a) Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt, der durch anwaltliche Versicherung des Prozeßbevollmächtigten und eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwaltsfachangestellten J. glaubhaft gemacht worden ist: Der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten diktierte am einen Fristverlängerungsantrag, der noch an demselben Tag per Telefax an das Gericht übersendet werden sollte. Die Antragsschrift wurde von dem Rechtsanwaltsfachangestellten J. gefertigt und dem Prozeßbevollmächtigten zur Unterschrift vorgelegt. Dem Prozeßbevollmächtigten fiel hierbei auf, daß als Adressat fälschlicherweise das Amtsgericht angeführt war. Daraufhin strich der Prozeßbevollmächtigte den Adressaten durch und setzte das Landgericht als richtigen Adressaten handschriftlich unter die Streichung. Den Schriftsatz unterzeichnete er sodann auf der zweiten Seite und gab dem Rechtsanwaltsfachangestellten die mündliche Weisung, den Adressaten - wie handschriftlich geschehen - zu ändern. Darüber hinaus wies er diesen an, ihm nach der ausgeführten Korrektur den Schriftsatz nochmals zum Gegenlesen vorzulegen. Entgegen dieser Anweisung unterließ der Rechtsanwaltsfachangestellte - eine seit drei Jahren bei dem Prozeßbevollmächtigten beschäftigte, geschulte und zuverlässige Bürokraft, die schriftliche und mündliche Anweisungen immer unverzüglich und fehlerfrei ausführte - die Korrektur und Wiedervorlage. Vielmehr druckte er die erste Seite des Schriftsatzes mit dem Fehler erneut aus und gab den Schriftsatz dann ohne Rücksprache der Bürovorsteherin zur Fristenkontrolle.

b) Das Berufungsgericht sieht ein dem Beklagten zuzurechnendes Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten darin, daß dieser einen als falsch adressiert erkannten Schriftsatz nach handschriftlicher Korrektur unterschrieben habe. Im Hinblick auf den Umstand, daß an diesem Tag die Berufungsbegründungsfrist abgelaufen sei, hätte er den falsch adressierten Schriftsatz vor der Korrektur entweder nicht unterzeichnen dürfen oder er hätte vor Tagesablauf bemerken müssen, daß ihm der Schriftsatz entgegen seiner Weisung nicht vorgelegt worden sei.

Damit werden die Anforderungen an die Sorgfalt eines Prozeßbevollmächtigten überspannt. Zwar trägt ein Anwalt die Verantwortung dafür, daß eine Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Insofern muß er sich - wie auch hier geschehen - bei deren Unterzeichnung davon überzeugen, daß sie zutreffend adressiert ist. Der Anwalt darf aber auf der anderen Seite grundsätzlich darauf vertrauen, daß ein Büroangestellter, der sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Ihn trifft unter solchen Umständen nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (vgl. - NJW 1997, 1930; Senatsbeschluß vom - III ZB 23/02 - Umdruck S. 5). Es kann ihm - wie der Bundesgerichtshof in einem vergleichbaren Fall entschieden hat - unter diesen Umständen auch nicht als Verschulden zugerechnet werden, daß er den Schriftsatz vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat (vgl. - VersR 1982, 471). Dies gilt nicht nur für den Fall einer allgemein erteilten Weisung, wie mit zu korrigierenden Schriftstücken zu verfahren ist, sondern erst recht für eine auf einen speziellen Fall zugeschnittene Einzelweisung, wie sie hier erteilt worden ist.

c) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den bis zum geltenden Berufungsvorschriften kann ein Rechtsanwalt in aller Regel erwarten, daß seinem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn ein erheblicher Grund im Sinne des § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO a.F. geltend gemacht wird (vgl. nur - NJW 1997, 400). Für die Möglichkeit der Verlängerung nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO n.F. gilt insoweit nichts anderes. Daß die Begründungsfrist bei rechtzeitiger Antragstellung - der Antrag wurde mit dem Jahresurlaub des sachbearbeitenden Rechtsanwalts begründet - verlängert worden wäre, ergibt sich ferner aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses und aus der anwaltlichen Versicherung des Prozeßbevollmächtigten, ihm sei am Morgen des auf telefonische Anfrage zugesagt worden, daß die erbetene Fristverlängerung gewährt werde. Da dem Fristverlängerungsantrag somit zu entsprechen gewesen wäre und die Berufungsbegründung innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO nachgeholt worden ist, kann der Senat selbst dem Beklagten die begehrte Wiedereinsetzung erteilen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
FAAAB-98327

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja