Leitsatz
[1] Die formellen Anforderungen an eine Berufungsbegründung müssen auch dann erfüllt sein, wenn sich die Berufung lediglich gegen die Entscheidung über eine zur Aufrechnung gestellte Forderung wendet (im Anschluß an , NJW 2002, 1417).
Gesetze: ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2 a.F.
Instanzenzug: LG Aachen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt streitigen Restwerklohn für Rohbauarbeiten in Höhe von 439.888,46 DM. Der Beklagte rechnet mit verschiedenen Forderungen auf, die er in erster Linie auf Schadensersatz für einen die Klageforderung übersteigenden Mietausfall wegen Bauverzögerung und Mängeln stützt.
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Verurteilung des Beklagten wegen eines Mindestbetrages in Höhe von 251.077,39 DM aufrechterhalten; im übrigen hat es das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Von einer sachlichen Prüfung eines Teils der Gegenforderungen hat es mit der Begründung abgesehen, die Berufung sei insoweit nicht ordnungsgemäß begründet worden.
Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage. Der Senat hat das Rechtsmittel angenommen, soweit der Beklagte zur Zahlung des Mindestbetrages verurteilt worden ist.
Gründe
Die Revision, über die nach dem bis zum geltenden Recht zu entscheiden ist (§ 26 Nr. 7 EGZPO), hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
I.
Das Berufungsgericht meint, der Beklagte habe in erster Instanz durch die Ankündigung einer noch ausstehenden Prüfung der Schlußrechnung der Klägerin nicht die Höhe der Klageforderung bestreiten wollen. Für die in zweiter Instanz hiergegen erhobenen Einwendungen sei nur dann Raum, wenn und soweit die Aufrechnungen nicht durchgriffen. Die Schlußrechnung der Klägerin sei jedenfalls prüfbar und in Höhe von 381.886,46 DM auch richtig.
Eine Sachprüfung der Gegenansprüche wegen Mietausfall- und Mietminderungsschäden sowie wegen nicht zu beseitigender Mängel sei nicht zulässig, weil die Berufung insoweit nicht entsprechend den formellen Mindestanforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO begründet worden sei. Die bloße Bezugnahme auf ein vom Erstgericht nicht vollständig gewürdigtes Vorbringen zu dem Mietausfallschaden sei unzulässig, weil die Rechtsmittelbegründung aus sich heraus verständlich sein müsse. Der Beklagte habe auch nicht aufgezeigt, wie das Landgericht trotz fehlender detaillierter Angaben zur Schadensberechnung einen Mindestschaden hätte feststellen können.
In Höhe des Betrages, der sich bei Berechtigung der noch sachlich zu prüfenden Gegenforderungen und Einwendungen mindestens ergeben würde, hat das Berufungsgericht die landgerichtliche Verurteilung des Beklagten bestätigt; im übrigen hat es die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Die Berufung des Beklagten ist formell ausreichend begründet, soweit mit ihr die Prüfung der die Klageforderung übersteigenden Aufrechnungsforderung wegen Mietausfallschäden begehrt wird.
a) Nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muß die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung sowie die neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anführen will. Die Vorschrift soll gewährleisten, daß der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz ausreichend vorbereitet wird, indem sie den Berufungsführer anhält, die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen das angefochtene Urteil für unrichtig gehalten wird. Demnach muß die Berufungsbegründung jeweils auf den Streitfall zugeschnitten sein und die einzelnen Punkte tatsächlicher oder rechtlicher Art deutlich machen, auf die sich die Angriffe erstrecken sollen. Es reicht hingegen nicht aus, die Würdigung durch den Erstrichter mit formelhaften Wendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr.; , LM § 519 ZPO Nr. 133 a; , LM § 519 ZPO Nr. 142; , NJW 2000, 1576). Die angeführten Berufungsgründe müssen weder schlüssig noch rechtlich haltbar sein. Im Falle der uneingeschränkten Anfechtung muß die Berufungsbegründung geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen; bei einem teilbaren Streitgegenstand oder bei mehreren Streitgegenständen muß sie sich daher grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Änderung beantragt wird. Das gilt auch, wenn Einwendungen gegen die Klageforderung mit der Geltendmachung von Aufrechnungsforderungen verbunden werden (vgl. , NJW 2002, 1417).
b) Diesen Anforderungen an eine formell ausreichende Berufungsbegründung hat der Beklagte genügt. Er hat im zweiten Rechtszug zur ergänzenden Begründung der Höhe seines Mietausfallschadens zum einen vorgetragen, daß die Finanzierungskostenersparnis so gering sei, daß jedenfalls ein Schaden in Höhe der Klageforderung verbleibe. Zum anderen hat er ausgeführt, daß ihm angesichts seiner steuerlichen Verhältnisse kein anrechenbarer Vorteil durch die Bauverzögerung erwachsen sei. Ob diese Ausführungen inhaltlich vertretbar und geeignet sind, die landgerichtlichen Bedenken zur schlüssigen Darlegung des Mietausfallschadens auszuräumen, ist für die Erfüllung der formellen Anforderungen an die Berufungsbegründung nicht entscheidend. Es genügt, daß der Beklagte sein Vorbringen ergänzt und die Ansicht vertreten hat, damit den Substantiierungsanforderungen nachgekommen zu sein, jedenfalls aber ausreichende Anhaltspunkte für eine Mindestschadenschätzung vorgetragen zu haben.
2. Das Berufungsgericht geht ferner zu Unrecht davon aus, daß möglicherweise berechtigte Einwendungen des Beklagten gegen die Klageforderung, soweit sie den Betrag von 381.886,21 DM übersteigen, erst zu prüfen seien, wenn sich die zur Aufrechnung gestellten Forderungen sämtlich als unbegründet erweisen sollten. Auch wenn das erstinstanzliche Vorbringen des Beklagten dahin zu verstehen gewesen sein sollte, daß er nicht primär die Klageforderung bestritten habe, ist er hiervon spätestens im zweiten Rechtszug abgerückt. Das war prozessual zulässig und vom Berufungsgericht selbst dann zu beachten, wenn es sich um eine im Prozeß lediglich wiederholte vorgerichtliche Aufrechnung gehandelt haben sollte. Zu den materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Aufrechnung gehört die Feststellung des Entstehens beider Forderungen; die Höhe der Klageforderung war, da nach dem Verständnis des Berufungsgerichts kein Geständnis der anspruchsbegründenden Tatsachen vorlag, vorrangig zu prüfen, da andernfalls der Umfang der Rechtskraft zweifelhaft bleiben würde.
III.
1. Das Berufungsurteil ist im Umfang der Annahme aufzuheben. Da die Sache insoweit nicht entscheidungsreif ist und das Berufungsgericht den übrigen Teil der Sache rechtskräftig an das Landgericht zurückverwiesen hat, ist der Rechtsstreit zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen auch im übrigen dorthin zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 3, § 539 ZPO).
2. Das Landgericht wird zunächst die Einwendungen des Beklagten gegen die Klageforderung zu klären haben. Für den Fall, daß die Klageforderung der Höhe nach feststehen sollte, wird sich das Landgericht mit den zur Aufrechnung gestellten Forderungen zu befassen haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2002 S. 1832 Nr. 36
WAAAC-03426
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein