BGH Urteil v. - VII ZR 231/03

Leitsatz

[1] Eine Vertragsstrafe ist nicht verschuldensunabhängig vereinbart, wenn sie in einer Klausel unter Bezugnahme auf § 11 VOB/B von der Überschreitung des Fertigstellungstermins abhängig gemacht wird und die VOB/B vereinbart ist (Bestätigung von , BGHZ 149, 283, 287).

Das Berufungsgericht kann im Einzelfall zur Vermeidung einer mit dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes nicht im Einklang stehenden Verfahrensverzögerung gehalten sein, von einer Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht abzusehen. Von einer Zurückverweisung kann insbesondere dann abzusehen sein, wenn eine lange Verfahrensdauer auf gerichtliche Verfahrensfehler zurückzuführen ist.

Gesetze: VOB/B § 11 Nr. 2; ZPO § 540 a.F.

Instanzenzug: OLG Frankfurt vom LG Darmstadt

Tatbestand

Die Klägerin verlangt restlichen Werklohn. Die Beklagte übertrug ihr 1994 die Putz- und Stuckarbeiten an ihrem Alten- und Pflegeheim. Die Auftragssumme betrug 153.143,78 DM. Die VOB/B war vereinbart. Die Klägerin hat zunächst Zahlung von 589.035,57 DM verlangt. Das Landgericht hat die Klage am abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin noch einen Anspruch in Höhe von 573.505,23 DM verfolgt. Die Beklagte hat eine Werklohnforderung von 246.740,96 DM errechnet und verschiedene Abzüge vorgenommen, darunter Abzüge wegen eines Sicherheitseinbehalts von 11.551,90 DM und wegen einer Vertragsstrafe von 11.394,21 DM. Unter Berücksichtigung dieser Abzüge und der Abschlagszahlungen kommt sie zu einer Überzahlung von 14.208,54 DM.

Das Berufungsgericht hat die Klage in seinem ersten Urteil dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen. Dieses Berufungsurteil hat der Senat aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen (, BauR 2002, 456 = NZBau 2002, 153 = ZfBR 2002, 254). Nach erneuter mündlicher Verhandlung hat das Berufungsgericht wiederum ein Grundurteil erlassen und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Dagegen wendet sich die Revision der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiterverfolgt.

Gründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts.

Auf das Schuldverhältnis finden die Gesetze in der bis zum geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB). Auf das Verfahren der Berufung sind die am geltenden Vorschriften anzuwenden (§ 26 Nr. 5 EGZPO). Auf das Verfahren der Revision sind die Vorschriften nach Maßgabe des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom anzuwenden (§ 26 Nr. 7 EGZPO).

I.

Das Berufungsgericht meint, es sei durch die Senatsentscheidung vom nicht am Erlaß eines erneuten Grundurteils gehindert. Die Klage sei dem Grunde nach gerechtfertigt. Nach der von der Beklagten selbst vorgenommenen Berechnung ergebe sich ein jedenfalls zu zahlender Betrag von 8.737,57 DM. Die Beklagte habe die Vertragsstrafe und den Sicherheitseinbehalt zu Unrecht von dem Werklohn abgezogen. Die formularmäßige Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Vertragsstrafe sei unwirksam, es liege ein Verstoß gegen § 9 AGBG vor. Der weitere Sicherheitseinbehalt sei unberechtigt, weil die Gewährleistungsfrist abgelaufen sei, ohne daß die Beklagte Mängel angezeigt habe. Über die Berechtigung der weiteren Ansprüche müsse das Landgericht befinden.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ein Grundurteil darf nur ergehen, wenn die Klageforderung mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht (, BauR 2001, 667 = NZBau 2001, 211 = ZfBR 2001, 177). Dazu enthält das Berufungsurteil erneut keine tragfähigen Feststellungen.

1. Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht der Meinung, die Vertragsstrafenvereinbarung sei gemäß § 9 AGBG unwirksam. Die in den Besonderen Vertragsbedingungen der Beklagten KEVM (B) BVB geregelte Vertragsstrafenvereinbarung hält der Inhaltskontrolle stand. In der Revision ist davon auszugehen, daß die Vertragsstrafe mit dem nachfolgend dargestellten Inhalt vereinbart ist und ein rechtzeitiger Vorbehalt erklärt worden ist. Beides ist streitig. Das Berufungsgericht trifft dazu keine Feststellungen.

a) Ziff. 4 der KEVM (B) BVB hat folgenden Wortlaut:

4. Vertragsstrafen (§ 11)

Der Auftragnehmer hat als Vertragsstrafe für jeden Werktag der Verspätung zu zahlen:

4.1 bei Überschreitung des Fertigstellungsfrist 0,1 vom Hundert des Endbetrages der Abrechnungssumme (Bruttosumme).

4.2....

4.3. Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 10 % v.H. der Abrechnungssumme (Bruttosumme) begrenzt.

b) Mit Ziff. 4 der KEVM (B) BVB ist keine verschuldensunabhängige Vertragsstrafe vereinbart. Der Senat hat bereits in dem vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten Urteil vom (VII ZR 432/00, BGHZ 149, 283, 287) entschieden, daß die Regelung des § 11 Nr. 2 VOB/B nach ihrem Sinn und Zweck die im Vertrag an anderer Stelle getroffene Vertragsstrafenvereinbarung ergänzt, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Mit der ergänzenden Regelung des § 11 Nr. 2 VOB/B ist vereinbart, daß die Vertragsstrafe den Verzug des Auftragnehmers voraussetzt. Dieser setzt dessen Verschulden voraus.

Die Parteien haben durch den Klammerzusatz nach Ziff. 4 deutlich gemacht, daß § 11 VOB/B Anwendung findet.

c) Die Vertragsstrafenklausel ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam. Die Vertragsstrafenobergrenze von 10 % ist zwar unangemessen hoch. Jedoch führt das aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht zur Unwirksamkeit der Vereinbarung (vgl. , BGHZ 153, 311, 324 ff.). Der Vertrag ist vor dem Bekanntwerden der Entscheidung des Senats vom geschlossen worden.

2. Damit steht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht fest, daß die Klägerin überhaupt noch Werklohn verlangen kann. Das Grundurteil kann schon aus diesem Grund keinen Bestand haben. Ob es aus anderen Gründen unzulässig war, kann dahin stehen.

a) Der Senat weist darauf hin, daß Bedenken gegen den Erlaß des Grundurteils auch insoweit bestehen, als sich das Berufungsgericht mit der geltend gemachten Werklohnforderung dem Grunde nach nicht auseinandergesetzt hat. Ein Grundurteil darf nur ergehen, wenn alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind (, NJW 2001, 224). Das Berufungsgericht hat sich insbesondere mit den zahlreichen Einwendungen gegen die Berechtigung der Nachforderungen dem Grunde nach nicht auseinandergesetzt.

b) Ferner hat das Berufungsgericht sich rechtsfehlerhaft nicht damit auseinandergesetzt, ob es in der Sache selbst entscheiden sollte. Die Entscheidung zwischen der Zurückverweisung nach § 538 ZPO a.F. und der eigenen Sachentscheidung durch das Berufungsgericht gemäß § 540 ZPO a.F. steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen. Dabei ist der mit der Zurückverweisung verbundene zusätzliche Zeit- und Kostenaufwand gegen den Verlust einer Tatsacheninstanz abzuwägen. Wenn sich das Berufungsgericht für eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a.F. entscheidet, muß es zur Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens den maßgeblichen Gesichtspunkt der Prozeßökonomie erwägen und erkennen lassen, daß es die Alternative zwischen einer Zurückverweisung und einer eigenen Sachentscheidung nach § 540 ZPO gesehen hat (vgl. , BGHZ 23, 36, 50; Urteil vom - V ZR 461/99, NJW 2001, 2551, 2552).

III.

Das Urteil des Berufungsgerichts ist aufzuheben. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

Der Senat weist darauf hin, daß das Berufungsgericht gehalten ist, dem Grunde und der Höhe nach abschließend zu entscheiden. Ein weiteres Grundurteil wäre verfahrensfehlerhaft. Eine erneute Zurückverweisung der Sache würde zu einer weiteren, nicht mehr hinnehmbaren Verzögerung des gesamten Verfahrens führen. Bei seiner Entscheidung, ob es von einer Zurückverweisung nach § 540 ZPO a.F. absieht, muß das Berufungsgericht auf die berechtigten Interessen der Parteien Rücksicht nehmen. Dabei muß es vor allem auch das Interesse der klagenden Partei im Auge behalten, in einer angemessenen Zeit einen vollstreckbaren Titel über die geltend gemachten Ansprüche zu erhalten. Wenn die Gerichte durch verfahrensfehlerhafte Entscheidungen maßgeblich selbst an der Verzögerung mitgewirkt haben, wird häufig allein das Absehen von einer Zurückverweisung zur Vermeidung einer mit dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes nicht im Einklang stehenden Verfahrensverzögerung (vgl. dazu , NJW 2003, 2897) sachdienlich sein. Im Einzelfall kann sich das dem Berufungsgericht in § 540 ZPO a.F. eingeräumte Ermessen so reduzieren, daß nur noch die Entscheidung, von einer Zurückverweisung abzusehen, ermessensfehlerfrei ist. So wäre es hier. Das Verfahren ist nunmehr über sieben Jahre anhängig. Die Verzögerung ist im wesentlichen auf das fehlerhafte Verfahren und die ihm folgenden Entscheidungen des Berufungsgerichts, mit denen eine Sachaufklärung nicht erreicht wurde, zurückzuführen. Den Parteien ist jegliche weitere Verzögerung durch eine erneute Zurückverweisung nicht zuzumuten. Sie haben einen Anspruch darauf, daß das Berufungsgericht die Sache nunmehr fördert und selbst entscheidet. Ein schützenswertes Interesse einer Partei, das Verfahren beim Landgericht fortzusetzen, ist nicht erkennbar.

Fundstelle(n):
DB 2004 S. 2810 Nr. 52
ZAAAC-03396

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein