Leitsatz
[1] Hat eine Prozesspartei ihr Recht, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, durch das Einlassen in eine Verhandlung oder durch das Stellen von Anträgen verloren, kann sie denselben Ablehnungsgrund auch in einem anderen Rechtsstreit nicht mehr geltend machen, wenn zwischen beiden Verfahren ein tatsächlicher und rechtlicher Zusammenhang besteht.
Gesetze: ZPO § 43
Instanzenzug: LG Wuppertal 19 O 393/03 vom OLG Düsseldorf I-9 U 4/05 vom
Gründe
I.
Die Kläger verlangen von dem Beklagten nach der Anfechtung eines Grundstückskaufvertrags wegen arglistiger Täuschung Schadensersatz; außerdem beantragen sie die Feststellung, dass dem Beklagten keine weiteren Ansprüche aus dem Kaufvertrag zustehen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. In der Berufungsinstanz hat der Beklagte den Vorsitzenden und einen Beisitzer des Senats des Oberlandesgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung abgelehnt, der Vorsitzende habe in dem Vorprozess über eine Vollstreckungsgegenklage der Kläger gegen den Beklagten, in welchem die Vollstreckung aus der notariellen Kaufvertragsurkunde wegen der von dem Beklagten begangenen arglistigen Täuschung für unzulässig erklärt worden sei, in der mündlichen Verhandlung über die damalige Berufung des Beklagten vor der Antragstellung sinngemäß erklärt: Der Senat sei der Überzeugung, dass die von dem Beklagten benannte Zeugin vor Gericht gelogen und der Beklagte vorsätzlich falsch vorgetragen habe; der Beklagte könne die Berufung zurücknehmen, dann sei die Angelegenheit erledigt, oder Anträge stellen, dann werde die Berufung zurückgewiesen, und die Akten würden der Staatsanwaltschaft vorgelegt werden. Nachdem der Beklagte seine Berufungsanträge gestellt habe, habe der Vorsitzende gegen ihn Strafanzeige erstattet. Der beisitzende Richter habe dieses Verhalten des Vorsitzenden zumindest geduldet.
Das Ablehnungsgesuch ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte das Ziel, das Ablehnungsgesuch unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses für begründet zu erklären.
II.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts begründet die Erstattung einer Strafanzeige durch einen Richter wegen eines möglicherweise begangenen Prozessbetrugs oder wegen einer Falschaussage nicht ohne weiteres die Besorgnis seiner Befangenheit. Den von ihm behaupteten Ablauf der mündlichen Verhandlung über die Berufung des Beklagten in dem Vorprozess habe der Beklagte nicht glaubhaft gemacht. Der unstreitig erteilte Hinweis des Vorsitzenden, der Senat sei nach dem Ergebnis der Vorberatung von der Unrichtigkeit des Vortrags des Beklagten und der Aussage der Zeugin überzeugt und werde deshalb die Akten der Staatsanwaltschaft vorlegen, lasse nicht auf eine versuchte Nötigung schließen, weil ein solches Vorgehen der Rechtslage entspreche.
Das hält einer rechtlichen Prüfung jedenfalls im Ergebnis stand.
III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.
2. Offen bleiben kann, ob das Berufungsgericht das Ablehnungsgesuch mit einer rechtsfehlerfreien Begründung zurückgewiesen hat. Darauf kommt es nicht an; denn der Beklagte ist gehindert, die vorgetragenen Ablehnungsgründe in diesem Rechtsstreit geltend zu machen. Das schließt von vornherein einen Erfolg des Ablehnungsgesuchs aus.
a) Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Ob dieser Verlust des Ablehnungsrechts nur in dem anhängigen Rechtsstreit eintritt, in welchem der Ablehnungsgrund nicht geltend gemacht wurde (innerprozessuale Präklusionswirkung), oder ob die Partei auch gehindert ist, denselben Ablehnungsgrund in einem anderen, späteren Verfahren geltend zu machen (verfahrensübergreifender Ausschluss), ist umstritten.
aa) Nach überwiegender Auffassung hat das unterbliebene Geltendmachen eines bekannten Ablehnungsgrundes nur innerprozessuale Präklusionswirkung; danach kann die Partei denselben Ablehnungsgrund in einem anderen Rechtsstreit geltend machen (OLG Celle Nds.Rpfl. 1951, 11; OLG Düsseldorf NJW 1955, 553 f.; OLG Stuttgart Die Justiz 1973, 92 f.; OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, 571 f.; HK-ZPO/Kayser, § 43 Rdn. 4; MünchKomm-ZPO/Feiber, 2. Aufl., § 43 Rdn. 8; Musielak/Heinrich, ZPO, 4. Aufl., § 43 Rdn. 5; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 43 Rdn. 6; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 43 Rdn. 1; Zimmermann, ZPO, 7. Aufl., § 43 Rdn. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 43 Rdn. 7; Teplitzky, NJW 1967, 2318).
bb) Nach anderer Ansicht kann ein durch Weiterverhandeln verloren gegangener Ablehnungsgrund nicht nur in dem anhängigen Rechtsstreit, sondern auch in einem anderen Verfahren nicht mehr geltend gemacht werden (OLG Hamm NJW 1967, 1864, 1865).
cc) Nach einer dritten Meinung gilt der Verlust des Ablehnungsrechts auch für einen anderen Rechtsstreit, wenn dieser mit dem Verfahren, in welchem der Ablehnungsgrund nicht geltend gemacht wurde, tatsächlich und rechtlich zusammenhängt (BFH DB 1987, 1976; OLG Celle NJW 1960, 1670; OLG Koblenz MDR 1986, 60, 61; Schneider, MDR 1977, 441, 443; in diesem Sinn auch OLG Koblenz MDR 1989, 647).
b) Der Senat hält die zuletzt genannte Auffassung für richtig. Hat eine Partei ihr Ablehnungsrecht durch Einlassung in eine Verhandlung oder durch das Stellen von Anträgen verloren, kann sie denselben Ablehnungsgrund auch in einem anderen Rechtsstreit nicht mehr geltend machen, wenn zwischen beiden Verfahren ein tatsächlicher und rechtlicher Zusammenhang besteht. Das entspricht sowohl dem Wortlaut als auch dem Zweck der Vorschrift des § 43 ZPO.
aa) Nach dem Gesetzeswortlaut reicht es für den Verlust des Ablehnungsrechts aus, dass sich die Partei bei dem Richter, den sie für befangen hält, in Kenntnis des Ablehnungsgrundes in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Dem lässt sich nicht entnehmen, dass die Partei nur in demjenigen Verfahren mit der Geltendmachung des Ablehnungsgrundes ausgeschlossen ist, in welchem sie ihr Ablehnungsrecht erstmalig ausüben konnte. Vielmehr lässt der Wortlaut eher die Interpretation zu, dass das verloren gegangene Ablehnungsrecht in einem anderen Rechtsstreit derselben Partei, zu dessen Verhandlung und Entscheidung derselbe Richter berufen ist, nicht wieder auflebt. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass die Bestimmungen der Zivilprozessordnung generell - und somit auch die in § 43 ZPO - Regelungen für ein konkretes einzelnes Verfahren enthielten (so aber OLG Düsseldorf aaO; OLG Karlsruhe aaO). Denn aus der Vorschrift des § 295 Abs. 1 ZPO ergibt sich das Gegenteil. Danach tritt der - dem Verlust des Ablehnungsrechts nach § 43 ZPO ähnliche - Verlust des Rechts, bestimmte Verfahrensrügen zu erheben, u.a. nur aufgrund des prozessualen Verhaltens der Partei in demselben Verfahren ein. Das legt die Annahme nahe, dass der Gesetzgeber mit dem unterschiedlichen Wortlaut der beiden Vorschriften den jeweiligen Rechtsverlust auch im Hinblick darauf, für welche Verfahren der Verlust gilt, verschieden regeln wollte. Dies gilt um so mehr, als die Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften für die Verhandlung und Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit in der Regel unerheblich ist, während die Besorgnis der Befangenheit eines Richters aus der maßgeblichen Sicht der Partei nicht nur in dem Rechtsstreit eine Rolle spielt, in welchem der Ablehnungsgrund erstmalig geltend gemacht werden konnte, sondern auch in anderen Verfahren. Deshalb bedürfte es eher keiner gesetzlichen Bestimmung, den Verlust des Rügerechts auf ein einziges Verfahren zu begrenzen, wohl aber einer ausdrücklichen Regelung, wenn für den Verlust des Ablehnungsrechts eine solche Begrenzung gelten sollte. Daran fehlt es in § 43 ZPO.
bb) Die Vorschrift bezweckt, eine Partei, die an der Unbefangenheit des Richters zweifelt, anzuhalten, dies alsbald kund zu tun; dadurch soll ihr u.a. die Möglichkeit genommen werden, einen Rechtsstreit willkürlich zu verzögern und bereits geleistete prozessuale Arbeit nutzlos zu machen (OLG Koblenz MDR 1986, 60; 89, 647; OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, 571; Schneider, MDR 1977, 441). Den darin zum Ausdruck kommenden Gedanken der Rechtssicherheit und der Prozessökonomie wird nur dann ausreichend Rechnung getragen, wenn der Verlust des Ablehnungsrechts auch für ein anderes Verfahren gilt, das mit dem ursprünglichen Verfahren, in welchem sich die Partei trotz Kenntnis von dem Ablehnungsgrund bei dem Richter auf die Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, in einem rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang steht. Denn in diesem Fall besteht aus der Sicht der Partei kein Unterschied zwischen den Gründen und dem Maß ihrer Besorgnis der Befangenheit in dem einen und in dem anderen Verfahren. Beide Male beruhen die Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters auf denselben Umständen; beide Male haben diese Zweifel dieselbe Folge, nämlich die Befürchtung der Partei, der Richter stehe der Sache, die Gegenstand beider Verfahren ist, nicht unparteiisch gegenüber. Beschränkte man in dieser Situation den Verlust des Ablehnungsrechts auf das ursprüngliche Verfahren, gäbe man damit der Partei die Gelegenheit, zunächst dessen Ausgang abzuwarten, um später - ohne dass sich die maßgebenden Umstände geändert hätten - den bereits früher bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen. Ein solches Verhalten will die Regelung über den Verlust des Ablehnungsrechts (§ 43 ZPO) jedoch verhindern.
cc) Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Partei dadurch, dass sie den ihr bekannten Ablehnungsgrund nicht geltend macht, objektiv zu erkennen gibt, dass sie von einer unbefangenen Beurteilung des Falles durch den Richter ausgeht. Weshalb diese Einschätzung in einem anderen Verfahren, in welchem derselbe Sachverhalt und dieselben Rechtsfragen zu beurteilen sind, nicht mehr gelten soll, obwohl kein anderer Ablehnungsgrund gegeben ist, ist nicht ersichtlich.
dd) Der hier vertretenen Auffassung steht nicht entgegen, dass der Ablehnungsgrund in dem anderen späteren Rechtsstreit geltend gemacht werden muss, bevor sich die Partei dort in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (anders OLG Karlsruhe aaO). Denn ein solcher Verfahrensablauf ändert zum einen nichts an der bis dahin bestehenden Rechtsunsicherheit im Hinblick auf das Vertrauen oder Misstrauen der Partei gegenüber dem Richter und führt zum anderen zu einer Verzögerung dieses Rechtsstreits. Auch der Umstand, dass dann, wenn ein Ablehnungsgesuch für begründet erklärt wurde, der abgelehnte Richter nicht von vornherein von der Mitwirkung in einem anderen - rechtlich und tatsächlich gleichgelagerten - Rechtsstreit ausgeschlossen ist, sondern es dafür eines neuen Ablehnungsgesuchs und der erneuten Feststellung der Befangenheit bedarf, spricht nicht gegen die hier vertretene Auffassung (anders wiederum OLG Karlsruhe aaO). Denn ein solcher Fall ist mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichbar, weil es dort - im Gegensatz zu hier - nicht um die Rechtsfolgen des Verlustes des Ablehnungsrechts geht. Schließlich erfordern auch Billigkeitserwägungen keine andere Entscheidung. Denn es trifft nicht zu, dass eine Partei in jedem Verfahren stets alle, auch die entfernt liegenden Ablehnungsgründe geltend machen muss, um damit in einem späteren Rechtsstreit nicht ausgeschlossen zu sein (anders OLG Stuttgart aaO); es ist auch nicht richtig, dass nach der hier vertretenen Auffassung aus der unterbliebenen Anbringung eines Ablehnungsgesuchs in dem einen Verfahren ein generelles Einverständnis der Partei mit der Verhandlung und Entscheidung aller künftigen Verfahren durch denselben Richter unterstellt werden muss (so aber OLG Düsseldorf aaO). Wie ausgeführt, gilt der Verlust des Ablehnungsrechts nur für das Geltendmachen desselben, bereits entstandenen Ablehnungsgrundes in solchen anderen Verfahren, die mit dem ursprünglichen Rechtsstreit tatsächlich und rechtlich zusammenhängen.
ee) Im Übrigen nimmt ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung, die den Verlust des Ablehnungsrechts auf dasjenige Verfahren beschränkt, in welchem die Partei es nicht wahrgenommen hat, an, dass es bei der Entscheidung über das in einem anderen Verfahren angebrachte Ablehnungsgesuch von besonderer Bedeutung sei, dass und aus welchen Gründen die Partei den Richter in dem früheren ähnlichen Verfahren nicht abgelehnt hat (OLG Stuttgart aaO; OLG Karlsruhe aaO; ebenso Hartmann in Baumbach/Lauter-bach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 43 Rdn. 5). Dieser Auffassung, die eine Einschränkung der innerprozessualen Präklusionswirkung der Vorschrift des § 43 ZPO bedeutet, ist entgegenzuhalten, dass sie dem Gesetzeszweck zumindest bei tatsächlich und rechtlich zusammenhängenden Verfahren widerspricht. Denn wenn die Partei die Besorgnis der Befangenheit des Richters hegt, ist kein anerkennenswerter Grund dafür ersichtlich, dass sie den Ablehnungsgrund nicht - wie geboten - sogleich geltend macht. Prozesstaktische Überlegungen oder auch nur der - von der Rechtsbeschwerde hervorgehobene - Umstand, der Partei sei in dem ersten Verfahren nicht bekannt gewesen, dass es zu einem Folgeprozess vor demselben Richter komme, sind für die Besorgnis der Befangenheit unerheblich.
c) Das alles schließt es nicht aus, solche Ablehnungsgründe in einem rechtlich und tatsächlich mit dem Verfahren, in welchem ein Ablehnungsgrund entstanden ist, zusammenhängenden Verfahren geltend zu machen, die in dem vorherigen Verfahren neu entstanden sind, nachdem sich die Partei trotz Kenntnis des ersten Ablehnungsgrundes in die Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Dasselbe gilt für Ablehnungsgründe, die keinen konkreten Bezug zu dem vorherigen Verfahren haben wie z.B. allgemeine Äußerungen des Richters über die Partei, welche Anlass zu der Besorgnis der Befangenheit geben.
d) Nach alledem wirkt der Verlust des Ablehnungsrechts in dem Vorprozess über die Vollstreckungsgegenklage, der nach § 43 ZPO dadurch eingetreten ist, dass sich der Beklagte trotz Kenntnis von den Ablehnungsgründen in die weitere Verhandlung vor dem Spruchkörper des Berufungsgerichts, dem die jetzt abgelehnten Richter angehört haben, eingelassen und dort Anträge gestellt hat, auch für den vorliegenden Rechtsstreit. Denn der zu beurteilende Sachverhalt ist in beiden Verfahren derselbe; in beiden Verfahren hängt die Entscheidung von derselben Rechtsfrage ab, nämlich davon, ob der Beklagte die Kläger bei dem Grundstücksverkauf arglistig getäuscht hat. Damit ist der für die Ausdehnung der Präklusionswirkung erforderliche tatsächliche und rechtliche Zusammenhang zwischen beiden Verfahren gegeben.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Beschwerdewerts (Wert der Hauptsache, vgl. , NJW 1968, 796) folgt aus § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 2776 Nr. 38
PAAAC-01775
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja