BVerwG Beschluss v. - 9 A 50.07

Leitsatz

1. Ist ein Ablehnungsgesuch ausschließlich auf behauptete Verstöße gegen materielles Recht bei der richterlichen Entscheidungsfindung und auf vermeintliches Fehlverhalten bei der Sachverhaltsbeurteilung gestützt, muss sich die dienstliche Äußerung des wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten Richters nicht zu einzelnen Beanstandungen des Ablehnungsgesuchs verhalten, wenn eine solche Äußerung auf eine nachträgliche Rechtfertigung seiner Entscheidung hinauslaufen würde.

2. Ein in Kenntnis des behaupteten Ablehnungsgrundes gestellter Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist ein Antrag i.S.v. § 43 ZPO, der zum Ausschluss des Ablehnungsrechts nicht nur für das Eilverfahren, sondern auch mit Wirkung für das Hauptsacheverfahren führt, wenn der Ablehnungsgrund gerade aus der bisherigen Sachbehandlung und der Entscheidung in dem Eilverfahren hergeleitet wird und die beiden Verfahren im rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang miteinander stehen.

Gesetze: VwGO § 54 Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 7 Satz 2; ZPO § 42 Abs. 2; ZPO § 43; ZPO § 44 Abs. 3

Gründe

Der Antrag der Klägerin in den Verfahren BVerwG 9 A 50.07 (Klageverfahren) sowie im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unter den Aktenzeichen BVerwG 9 VR 19.07 (Gegenvorstellung) und BVerwG 9 VR 21.07 (Abänderungsantrag) auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost sowie der Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und Dr. Nolte wegen Besorgnis der Befangenheit hat keinen Erfolg.

1. Der Senat kann über den Ablehnungsantrag in den o.a. Verfahren aufgrund der vorliegenden dienstlichen Äußerungen (§ 44 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO) der drei abgelehnten Richter vom 11. bzw. entscheiden. Darin treten die abgelehnten Richter - insoweit übereinstimmend - dem Ablehnungsgesuch unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen zur Sach- und Rechtslage in dem Beschluss vom im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes BVerwG 9 VR 19.07 entgegen. Damit liegt eine ausreichende Entscheidungsgrundlage vor; für die Einholung weiter gehender dienstlicher Äußerungen der abgelehnten Richter, wie von der Klägerin gefordert, sieht der Senat mit Blick auf die Gründe des Ablehnungsgesuchs keinen Anlass. Ein abgelehnter Richter hat in seiner dienstlichen Äußerung zu den für das Ablehnungsgesuch entscheidungserheblichen Tatsachen Stellung zu nehmen, soweit das für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch notwendig und zweckmäßig ist. Die Klägerin vermisst eine eingehendere Äußerung zu den "Tatsachen" ihres Ablehnungsgesuchs. Sie übersieht dabei, dass ein Ablehnungsgesuch, das - wie hier - ausschließlich auf behauptete Verstöße gegen materielles Recht bei der richterlichen Entscheidungsfindung und auf vermeintliches Fehlverhalten bei der Sachverhaltsbeurteilung in einem früheren Verfahren gestützt ist, eine dienstliche Äußerung zu den einzelnen Beanstandungen nicht erfordert. Denn eine solche Äußerung würde auf eine nachträgliche Rechtfertigung der jeweiligen Entscheidung hinauslaufen und ist somit jedenfalls dann verzichtbar, wenn sie zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts, soweit er für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch erheblich ist, nichts beitragen würde ( - juris Rn. 19; BVerwG 3 B 182.05 - juris Rn. 5). Eine Überprüfung von gerichtlichen Entscheidungen kann nämlich gerade nicht im Wege der Richterablehnung erreicht werden (BFH, Beschlüsse vom - XI B 34/96 - BFH/NV 1998, 861 <863> und vom - X B 77/06 - BFH/NV 2007, 753 <754>).

2. Dem Antrag steht bereits der Ausschlussgrund des § 43 ZPO i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO entgegen, soweit es nicht um behauptete nachträglich entstandene Ablehnungsgründe geht (vgl. dazu unter 4.). Danach kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Die Vorschrift bezweckt, eine Partei, die an der Unbefangenheit eines Richters zweifelt, dazu anzuhalten, dies alsbald kund zu tun; dadurch soll ihr u.a. die Möglichkeit genommen werden, einen Rechtsstreit beliebig zu verzögern und bereits geleistete prozessuale Arbeit nutzlos zu machen. Dem darin zum Ausdruck kommenden Gedanken der Rechtssicherheit und Prozessökonomie wird nur dann ausreichend Rechnung getragen, wenn die Präklusionswirkung sich auch auf ein anderweitiges Verfahren bezieht, das mit dem ursprünglichen Verfahren, in welchem sich die Partei trotz Kenntnis des geltend gemachten Ablehnungsgrundes bei dem Richter auf die mündliche Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, in einem rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang steht ( - NJW 2006, 2776 <2777>).

Hier hat die Klägerin nach dem Beschluss des Senats vom im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes BVerwG 9 VR 19.07, den die drei abgelehnten Richter als die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Senats in dieser Sache für Entscheidungen außerhalb der mündlichen Verhandlung berufenen Richter (§ 10 Abs. 3 VwGO) gefasst haben, unter dem einen Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gestellt und unter dem eine Gegenvorstellung gegen den Eilbeschluss erhoben. Somit hat sie, obwohl sie aus der in diesem Beschluss vertretenen Rechtsauffassung und Sachverhaltswürdigung der drei abgelehnten Richter zur Frage des Vorhabenträgers und zur damit zusammenhängenden Frage der Beiladung der DB Netz AG die Gründe für ihr Befangenheitsgesuch herleitet, einen Sachantrag gestellt, über den nach der Geschäftsverteilung des Senats wiederum die drei Richter zu entscheiden hätten, gegen die sich nunmehr ihr Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit richtet. Ein Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist ein Antrag i.S.v. § 43 ZPO; ob dies auch für die Gegenvorstellung gilt, kann offenbleiben (vgl. dazu - bejahend - Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 43 Rn. 8; a.A. Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 43 ZPO Rn. 5). Dies führt zum Ausschluss des Ablehnungsrechts nicht nur für die weiteren Entscheidungen in dem Eilverfahren, sondern auch mit Wirkung für das Hauptsacheverfahren, weil die Klägerin den Ablehnungsgrund gerade aus der bisherigen Sachbehandlung und der Entscheidung der abgelehnten Richter in dem Eilverfahren herleitet und das Hauptsacheverfahren notwendig im rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang mit dem Eilverfahren steht (vgl. BGH a.a.O. S. 2777; - BFHE 149, 424 <428> = DB 1987, 1976, jeweils m.w.N.).

3. Unabhängig davon ist der Antrag jedenfalls in der Sache unbegründet. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO setzt die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Es genügt, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Eine rein subjektive Besorgnis, für die vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen nicht aus ( BVerwG 6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36 <38 f.>). Hinreichend objektive Gründe, die bei vernünftiger Betrachtungsweise Anlass geben, an der Unparteilichkeit der drei abgelehnten Richter zu zweifeln, sind hier nicht gegeben.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der angefochtene Planfeststellungsbeschluss nichtig, zumindest aber rechtswidrig sei, weil der Einleitung des Planfeststellungsverfahrens ein Antrag der DB ProjektBau GmbH zugrunde liege, diese jedoch nicht antragsberechtigt sei; sie zieht daraus die weitere Konsequenz, dass die DB Netz AG nicht Vorhabenträger und im Hauptsacheverfahren wie im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu Unrecht beigeladen worden sei (§ 65 Abs. 2 VwGO). Die drei genannten Richter haben dagegen in dem BVerwG 9 VR 19.07 - im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Einzelnen dargelegt, dass und aus welchen Gründen nach ihrer Auffassung das Handeln der DB ProjektBau GmbH der DB Netz AG zuzurechnen, Letztere mithin Vorhabenträger und daher notwendig beigeladen worden sei. Die Klägerin leitet somit ihre Besorgnis der Befangenheit aus einer unterschiedlichen - d.h. von der ihrigen abweichenden - Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die drei abgelehnten Richter her, die nach Ansicht der Klägerin auf einer einseitigen, manipulativen und grob pflichtwidrigen Behandlung ihrer Sache beruhe. Dass ein abgelehnter Richter bei der Würdigung des maßgeblichen Sachverhalts oder bei dessen rechtlicher Beurteilung eine andere Rechtsauffassung vertritt als ein Beteiligter, reicht indes regelmäßig nicht aus, um eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen; das gilt selbst für irrige Ansichten, solange sie - wofür hier nichts ersichtlich ist - nicht offensichtlich willkürlich sind ( BVerwG 1 D 2.81 - BVerwGE 73, 339 <346>, BVerwG 4 B 71.91 - NJW 1992, 1186 <1187>, stRspr; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 54 Rn. 11a, 11b m.w.N.).

Anhaltspunkte dafür, dass die drei abgelehnten Richter aufgrund ihrer im Beschluss vom niedergelegten Würdigung des Sachverhalts und der dort geäußerten Rechtsauffassung innerlich so unverrückbar festgelegt und Gegenargumenten gegenüber derart verschlossen wären, dass sie - entgegen dem Hinweis auf die bislang allein mögliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (Rn. 2 und 3 des Beschlusses) - über das Rechtsschutzbegehren der Klägerin im Hauptsacheverfahren sowie über ihre weiteren Anträge (Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, Gegenvorstellung) nicht mehr unbefangen und unparteiisch entscheiden könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die abgelehnten Richter bislang bei der Würdigung des Sachvortrags der Klägerin es an der "gebotenen Sorgfalt" hätten missen lassen, "eventuell sogar mit gezielt falschen Angaben" gearbeitet und "die Prozessgegner der Klägerin in unzulässiger Weise auf eine andere Begründung ihrer Anträge hingelenkt" hätten. Diese (hier nur in ihrem Kern und zusammenfassend wiedergegebenen) Vorwürfe der Klägerin resultieren letztlich aus einer unterschiedlichen Bewertung des zu beurteilenden Sachverhalts und der Rechtslage, nicht zuletzt in der Frage, welche tatsächlichen Umstände und Rechtsfragen für die Streitentscheidung überhaupt von Relevanz sind.

Der Umstand, dass in dem Beschluss vom die außergerichtlichen Kosten der (nach Ansicht der Klägerin unzutreffender Weise am Verfahren beteiligten) DB Netz AG zu Lasten der Klägerin für erstattungsfähig erklärt worden sind, begründet für sich keinen (zusätzlichen) Ablehnungsgrund, sondern folgt aus der Beiladung und Antragstellung eben dieses Beteiligten (vgl. § 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).

4. Soweit die Klägerin in ihren Schriftsätzen vom 22. und ihr Befangenheitsgesuch gegen Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel erweitert hat, weil dieser in seiner dienstlichen Äußerung angekündigt habe, dass er unter Verstoß gegen die gesetzliche Ladungsfrist (§ 102 Abs. 1 VwGO) und ohne Verbindungsbeschluss (§ 93 VwGO) im Termin zur mündlichen Verhandlung am auch über den noch nicht beschiedenen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO und ggf. über die Gegenvorstellung mitverhandeln und entscheiden wolle, bedurfte es weder der Einholung einer (ergänzenden) dienstlichen Äußerung des Richters noch liegt darin ein weiterer Befangenheitsgrund. Die Klägerin ist einem Missverständnis erlegen. Die dienstliche Äußerung des Richters enthält nicht die Ankündigung, dass über den Abänderungsantrag und die Gegenvorstellung in den Verfahren BVerwG 9 VR 21.07 und 9 VR 19.07 mündlich verhandelt und entschieden werde. Angekündigt wird damit lediglich eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren, in der die im Ablehnungsgesuch der Klägerin enthaltenen Angriffe ("diese Einwendungen") gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung ihres Eilantrags im Beschluss des Senats vom zu berücksichtigen sind.

Ein Grund zur Besorgnis der Befangenheit ist schließlich auch nicht daraus herzuleiten, dass die drei abgelehnten Richter über den Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO und über die Gegenvorstellung der Klägerin noch nicht entschieden haben; diese Entscheidungen konnten aus verfahrensökonomischen Gründen ermessensfehlerfrei zurückgestellt werden. Dasselbe gilt für den Antrag auf Aufhebung des Beschlusses über die Beiladung der DB Netz AG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
DAAAC-63774